Die Briefe an die Hebräer und Philipper

Die Briefe an die Hebräer und Philipper – Johannes Calvin

Johannes Calvin (10. Juli 1509 – 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden “Unterweisung in der christlichen Religion” schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit den Briefen an die Hebräer und Philipper.

Die Briefe an die Hebräer und Philipper

Die Briefe an die Hebräer und Philipper.

Format: Paperback, eBook

Die Briefe an die Hebräer und Philipper.

ISBN: 9783849665616 (Paperback)
ISBN: 9783849662622  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Kapitel 1.

V. 1. Nachdem Gott vorzeiten usw. Dieser Eingang hebt das Wort Christi hoch empor. Es verlangt nicht bloß ehrfurchtsvolle Aufnahme, sondern gewährt auch allein volle Befriedigung. Durch die scharfe Gegenüberstellung der einzelnen Satzglieder wird diese Hervorhebung umso deutlicher. Einst hat Gott geredet durch die Propheten, jetzt durch den Sohn; damals zu den Vätern, jetzt zu uns; dort in mannigfacher und wechselnder Weise, hier in vollendeter Offenbarung, wie sie uns durch Christus zuteil geworden. Derselbe einige Gott ist es, der sowohl das Gesetz wie das Evangelium gegeben; jenes kann sich zu diesem nicht in Gegensatz stellen. An uns wie an die Alten ist die Rede dessen ergangen, der sich selbst nicht verändert und dessen Wort unverrückbare Wahrheit bleibt. Dennoch besteht zwischen uns und den Vätern ein Unterschied, weil zu jenen das Wort in anderer Form gelangte als heute zu uns. Dort bediente sich Gott der Propheten – denen auch Mose beigezählt wird -; für uns dagegen hat er seinen eigenen Sohn zum Gesandten bestellt. Schon in dieser Hinsicht sind wir also in besserer Lage. Und nicht minder haben wir einen Vorzug, was die Art der Offenbarung betrifft. Liefert doch die im alten Bunde zu Tage tretende Wandelbarkeit des prophetischen Schauens und göttlichen Regierens den Beweis, dass die Heilsveranstaltung noch nicht jene feste Ausprägung erhalten hatte, wie sie vollkommenen Dingen eigen ist. Das ist angedeutet in dem Ausdruck manchmal und mancherlei Weise. Denn wenn es damals schon eine in jeder Hinsicht endgültige Offenbarungsweise gegeben hätte, so würde Gott sie bis zuletzt beständig innegehalten haben. Wir sehen also, dass die Mannigfaltigkeit ein Zeichen von Unvollkommenheit war.

Wenn es heißt, zu uns habe Gott geredet am letzten in diesen Tagen oder am Ende dieser Tage, so ist damit gesagt, es sei kein Grund vorhanden, nach neuer Offenbarung auszuschauen. Denn Christi Wort ist nicht wiederum ein bloßes Stück, sondern höchster und letzter Abschluss. In diesem Sinne reden die Apostel von der letzten Zeit und den letzten Tagen. Und das nämlich meint auch Paulus, wenn er schreibt, auf uns sei das Ende der Welt gekommen (1. Kor. 10, 11). Wenn also jetzt Gott zum letzten Mal geredet hat, so gilt es, bis zu diesem Worte vorzudringen, dann aber auch hier Halt zu machen. Beides muss streng beachtet werden. Für das jüdische Volk war es verhängnisvoll, dass es nicht bedachte, dass Gott die volle Heilsverkündigung sich erst noch vorbehalten habe; so gab es sich mit seinem Gesetz zufrieden und streckte sich nicht nach dem Ziele. Seitdem aber Christus erschienen ist, begann der entgegengesetzte Schaden in der Welt um sich zu greifen: da möchten die Menschen über Christus hinausschreiten. In unserer Stelle lädt der Geist Gottes alle ebenso dringend ein, bis zu Christus zu kommen, wie er verwehrt, über diese letzte Offenbarung sich hinweg zu setzen. Nie wird unsere Weisheit das Evangelium dahinten lassen können.

V. 2. Welchen er gesetzt hat zum Erben über alles. Da der Vater alles Christus unterworfen hat, gehören auch wir selbst unter dessen Herrschaft. Und zugleich liegt darin, dass außer ihm kein wahres Gut gefunden werden kann, weil er der Universalerbe ist. So sind wir die elendesten Menschen und arm an jedem Gut, wenn er uns nicht aus seiner Fülle darreicht. Es wird beigefügt, dass dem Sohn Gottes diese Ehre, über alles verfügen zu können, mit Recht zustehe, weil durch ihn alles geschaffen sei. Allerdings beziehen sich diese beiden Aussagen auf verschiedene Seiten seines Wesens. Die Welt ist durch ihn geschaffen, insofern er die ewige Weisheit Gottes ist, die allen göttlichen Werken von Anbeginn zu Grunde lag (Spr. 8, 27; Joh. 1, 3; Kol. 1, 16). Dagegen kommt ihm die Bezeichnung eines Erben nach seiner Menschwerdung zu. Denn dieses Erbe hat er erlangt, da er unsere Natur an sich genommen, um uns das wiederzugewinnen, was wir in Adam verloren hatten. Gott hatte ja schon am Anfang den Menschen wie einen Sohn zum Erben aller seiner Güter bestimmt; aber durch den Sündenfall und die daherige Entfremdung von Gott hatte der erste Mensch sich und seine Nachkommenschaft des göttlichen Segens und aller Güter verlustig gemacht. Daher treten wir in den rechtmäßigen Genuss der göttlichen Reichtümer erst ein, wenn uns Christus, der Gesamterbe, in seine Gemeinschaft aufnimmt. Denn zu dem Zweck ist er der Erbe, dass er uns aus seiner Fülle reich mache. Ja, der Apostel will uns, indem er ihn hier mit diesem Titel ehrt, zu bedenken geben, dass wir ohne Verbindung mit Christus gänzlich hilflos sind und weder auf den Himmel noch auf die Erde, noch auf irgendeine Kreatur Anspruch haben.

V. 3. Welcher, sintemal er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Gepräge seines Wesens. Diese Bezeichnungen sind eine wie die andere bildlich gemeint. Von so erhabenen und so geheimnisvollen Dingen kann ja nur nach der Ähnlichkeit kreatürlicher Dinge gesprochen werden. Wir dürfen deshalb nicht zu genau bestimmen wollen, in welcher Weise der Sohn, der mit dem Vater eines Wesens ist, der Abglanz und Widerschein von dessen Licht sei. Es ist zuzugeben, dass die vom Kreatürlichen hergenommene Redeweise der verborgenen Majestät Gottes nicht völlig entspricht. Aber gleichwohl wird mit Recht sinnlich Wahrnehmbares auf Gott übertragen, um zu veranschaulichen, was wir in Christus zu suchen haben, und war er für uns ist. Denn auch das muss betont werden: nicht um müßige Grübeleien handelt es sich hier, sondern um kernhafte Unterweisung im Glauben. So sollen wir denn jene Ruhmestitel Christi nach der Bedeutung, die sie für uns haben, verstehen, wie sie auch mit Rücksicht auf uns ihm gegeben sind. Wenn du also hörst, der Sohn sei der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, so denke dabei: diese Herrlichkeit ist für mich unsichtbar, bis sie in Christus mir entgegenstrahlt; und darum heißt er auch das Gepräge seines Wesens, weil des Vaters Majestät verborgen bleibt, bis sie sich mir in ihm wie in einem Bildabdrucke enthüllt. Die Absicht des Apostels geht nicht dahin, über die Art der Wesensgleichheit zwischen dem Vater und dem Sohne eine Lehre aufzustellen; er will vielmehr, wie gesagt, unsern Glauben auf fruchtbare Weise erbauen mit der Wahrheit, dass Gott uns nicht anders offenbar wird als in Christus. Denn so überwältigend ist die Lichtfülle im göttlichen Wesen, dass unsere Augen, davon geblendet, sie nicht ertragen, bis ihre Strahlen in Christus uns aufgehen. Das ist wahrhaft nutzbringende Philosophie, wenn wir aus ernster Glaubensempfindung und –erfahrung heraus Christi Größe erkennen lernen. Dasselbe gilt auch, wie schon bemerkt, von dem „Gepräge“: da Gott an sich für uns unfassbar ist, so kommen wir erst im Sohne zum Anschauen seines Bildes. Der erste jener beiden Ausdrücke erinnert uns, außer Christus sei kein Licht, sondern lauter Finsternis; denn wiewohl Gott das alleinige Licht ist, das uns alle erleuchten muss, kann es sozusagen nur in dieser Ausstrahlung in uns eingehen. Der andere besagt, dass wirklich und wahrhaftig Gott erkannt werde in Christus; denn nicht bloß einen dunkeln, unvollkommenen Umriss haben wir in ihm, sondern das deutliche Ebenbild, das die Züge Gottes ebenso wiedergibt, wie die Münze das Bild des Prägestempels.

Und trägt alle Dinge usw. „Tragen“ steht hier für „schützen“ oder „das Geschaffene in seinem Bestand erhalten“. Die Meinung ist, dass alles sogleich zerfiele, wenn es nicht durch seine Kraft erhalten würde. Sein kräftiges Wort, oder genau: das Wort seiner Macht, bezeichnet hier einfach den Willen, und der Sinn ist der: Christus, der durch seinen bloßen Willen die ganze Welt erhält, hat es doch nicht verschmäht, das Werk unsrer Reinigung zu vollbringen. Und dies eben ist das zweite Stück der Lehre, die in dem Briefe behandelt wird. Denn die ganze Verhandlung dreht sich um die beiden Hauptpunkte: Weil Christus mit dem höchsten Ansehen bekleidet ist, muss er vor allen andern gehört werden, – und weil er durch seinen Tod uns mit dem Vater versöhnt hat, sind die alten Opfer durch ihn dahingefallen. So enthält dies beides schon der erste Satz des Briefes, der einleitend das Thema angibt.

Wenn es dann heißt: durch sich selbst, so ist der Gegensatz hinzuzudenken, dass er sich bei seinem Werke nicht auf die Schattenbilder des mosaischen Gesetzes stützte. Auch liegt darin der Unterschied zwischen ihm und den levitischen Priestern. Denn auch diese sollten Sünden wegschaffen; aber ihre Macht dazu hatten sie nicht aus sich selbst. Endlich sollen, indem die Kraft der Reinigung allein in Christus verlegt wird, alle andern Mittel oder Stützen des Heils ausgeschlossen sein.

Hat er sich gesetzt zu der Rechten. Nachdem er auf Erden den Menschen das Heil erworben, ist er aufgenommen in die himmlische Herrlichkeit, um die Herrschaft über alles anzutreten. Wir pflegen sonst eine Macht abzuschätzen nach ihrer sichtbaren Erscheinung. Aber das Heil, das Christus uns erlangt hat, ist eben nicht zeitlicher Art; wir dürfen ihn deshalb, weil er unseren Augen entzogen ist, nicht geringer achten. Vielmehr bedeutet das den Gipfel seines Ruhmes, dass er zu jener höchsten Stufe der Herrschaft erhöht und aufgenommen ist.

Von einer Rechten ist in übertragenem Sinn die Rede, da ja Gott weder an einen Ort gebunden ist, noch eine rechte oder linke Seite hat. Das Sitzen Christi daselbst ist nichts anderes als das Reich, das ihm vom Vater gegeben ist, und jene Gewalt, die Paulus erwähnt (Phil. 2, 10), dass in seinem Namen aller Knie sich beugen sollen. Auf den glänzenden Thron erhoben, von welchem Gottes Majestät ausstrahlt, regiert er gleich dem Vater, wie die fürstlichen Gesandten tun, denen unbeschränkte Vollmacht erteilt ist. Wie er daher um der Erlösung willen unsre Liebe beansprucht, so kraft dieser Herrlichkeit unsre Anbetung.

V. 4. So viel besser usw. Durch Vergleichung mit den Engeln wird nun die Würde Christi in ein noch helleres Licht gesetzt. Es war eine gangbare Rede bei den Juden, das Gesetz sei durch Engel gegeben worden. Man hörte, was die Schrift da und dort in auszeichnender Weise über die Engel aussagt, und schrieb ihnen dann, der merkwürdigen menschlichen Neigung zum Aberglauben folgend, eine übertriebene Bedeutung zu, selbst auf Kosten der Ehre Gottes. Sie müssen daher in die ihnen gebührende Schranke gewiesen werden, damit nicht dem Ansehen Christi durch sie Abbruch geschehe. Und zuerst soll Christi Name zum Beweis dienen, dass er hoch über ihnen steht, weil er der Sohn Gottes heißt. Dass dieser Titel wirklich Christus zukomme, wird aus zwei Schriftzeugnissen dargetan, die wir beide genau zu prüfen haben, bevor wir das Ergebnis ziehen können.

V. 5. Du bist mein Sohn. Unstreitig ist in dieser Schriftstelle von David die Rede, insofern er Träger des Messiasgedankens ist. Was also der Psalm enthält, musste in David vorgebildet werden; in Christus ist es erfüllt. Denn wenn jener viele Feinde ringsum bezwungen und die Grenzen seines Reiches weit gemacht hat, so liegt darin bereits eine schattenhafte Erfüllung der Verheißung (Ps. 2, 8): „Ich will dir die Heiden zum Erbe geben.“ Aber was war das, verglichen mit dem Reiche Christi, das sich vom Morgen bis zum Abend ausbreitet! Ebenso wird nun David „Sohn Gottes“ genannt, darum weil Gott ihn in besonderer Weise zu hervorragenden Taten berief, und lässt doch kaum ein Fünkchen der Herrlichkeit sehen, die uns in Christus, dem Ebenbild des Vaters, aufgegangen ist. So kommt der Name des Sohnes im ausgezeichneten Sinne einzig Christus zu und kann auf niemand sonst ohne Entweihung angewendet werden. Denn diesen und keinen andern hat der Vater versiegelt (Joh. 6, 27). Indessen scheint auch so noch der Schriftbeweis des Apostels nicht sehr zwingend. Nur aus dem Sohnesnamen leitet er den Vorrang Christi vor den Engeln ab. Aber hat er diesen Namen denn nicht gemein mit den Fürsten und Machthabern, von denen es heißt (Ps. 82, 6): „Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten“? Und heißt nicht gelegentlich ganz Israel „Sohn“, einmal sogar „erstgeborener Sohn“ Gottes (Jer. 31, 9)? Ja, die Engel selber nennt David anderwärts Kinder Gottes (Ps. 89, 7): „Wer mag gleich sein unter den Kindern Gottes dem Herrn?“ Auf diese Einwürfe ist leicht zu antworten. Die Fürsten heißen so in übertragener Bedeutung gemäß ihrer Machtstellung, Israel wegen der gemeinsamen Erwählungsgnade und die Engel im bildlichen Sinne, weil sie himmlische Geister sind und in seliger Unsterblichkeit göttliches Leben mitgenießen. Wenn aber David als Repräsentant Christi sich ohne weitere Beifügung Sohn Gottes nennt, so bezeichnet er damit etwas Besonderes, was über die Ehre der Engel oder der Fürsten, geschweige des ganzen Israel, hinausgeht. Hätte jener Name hier nicht einen vielsagenderen Inhalt, so ginge es nicht an, ihn als höchste Auszeichnung zu anzuwenden; denn Christus soll dadurch aus der Schar aller übrigen herausgerückt werden. Es gilt daher in einem ausschließlichen Sinne von Christus: Du bist mein Sohn; und keinem Engel kommt gleiche Ehre zu.

Über das „gezeugt“ ist in Kürze zu urteilen, dass es hier seine besondere Bedeutung hat. Augustins Auffassung von einem ewigen und unaufhörlichen „heute“ ist haltlos. Gewiss ist Christus ewiger Sohn Gottes, weil er die vor aller Zeit gezeugte, göttliche Weisheit ist. Aber das hat mit gegenwärtiger Stelle nichts zu tun, wo auf die Menschen Bezug genommen ist: von ihnen ist Christus als Sohn Gottes erst erkannt worden, nachdem der Vater ihn als solchen kundgemacht hatte. Diese göttliche Erklärung, deren auch Paulus Röm. 1, 4 Erwähnung tut, war gewissermaßen die äußere Erscheinung jener „ewigen“ Zeugung, welche als schon vorangegangener, verborgener und innerer Vorgang den Menschen unbekannt war und keine Bedeutung für sie haben konnte, wenn sie nicht vom Vater in sichtbarer Offenbarung beglaubigt worden wäre.

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