Der Brief an die Römer

Der Brief an die Römer – Johannes Calvin

Johannes Calvin (10. Juli 1509 – 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden “Unterweisung in der christlichen Religion” schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit dem Brief an die Römer.

Der Brief an die Römer

Der Brief an die Römer.

Format: Paperback, eBook

Der Brief an die Römer.

ISBN: 9783849665623 (Paperback)
ISBN: 9783849662639  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Kapitel 1

 

1 Paulus, ein Knecht Jesu Christi, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes, 2 welches er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift, 3 von seinem Sohn, der geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch 4 und kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiligt, seit der Zeit, da er auferstanden ist von den Toten, Jesus Christus, unser Herr, 5 durch welchen wir haben empfangen Gnade und Apostelamt, unter allen Heiden den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter seinem Namen, 6 unter welchen ihr auch seid, die da berufen sind von Jesu Christo, – 7 euch allen, die ihr zu Rom seid, den Liebsten Gottes und berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

V. 1. Paulus. Über den Namen Paulus würde ich am liebsten schweigen; denn die Sache ist unbedeutend, und ich kann nur wiederholen, was längst andere Ausleger vorgetragen haben. Doch da sich mit leichter Mühe auf der einen Seite die nötige Auskunft geben lässt, ohne dass wir auf der andern Seite zu umständlich werden müssten, so soll kurz diese Frage erledigt werden. Nach einer Ansicht soll der Apostel sich den Namen Paulus als ein Siegeszeichen beigelegt haben, als er den Prokonsul Sergius Paulus zu Christus bekehrte (Apg. 13, 12). Indessen zeigt der Bericht des Lukas selbst, dass der Name Paulus schon vor jener Bekehrung geläufig war (Apg. 13, 9). Ebenso wenig glaublich erscheint, dass der Apostel jenen Namen empfing, als er an Christus gläubig wurde. Diese Vermutung greifen viele wohl nur deshalb auf, weil sie erwünschte Gelegenheit zu geistreichen Bemerkungen über den stolzen Verfolger Saul bietet, der in einen geringen Jünger Christi verwandelt ward: denn „Paulus“ heißt „der Geringe“. Annehmbar erscheint dagegen die Ansicht, dass der Apostel überhaupt zwei Namen getragen habe. Es ist ganz wahrscheinlich, dass die jüdischen Eltern ihrem Sohne den Namen Saul beilegten, als ein Zeichen der Religion und der Abstammung, dass dann aber der Name Paulus hinzugefügt wurde, der durch seinen Klang an das römische Bürgerrecht (Apg. 22, 28) erinnerte. Es sollte weder die hohe Ehre dieses Bürgerrechts verloren gehen, noch sollte um desselben willen die israelitische Herkunft vergessen werden. Des Namens Paulus bedient sich aber der Apostel in seinen Briefen wohl deshalb, weil er bei den Gemeinden, an die er schrieb, bekannter und geläufiger war, weil er überhaupt im römischen Reiche einen angeseheneren Klang besaß, und umgekehrt bei seinen Stammesgenossen weniger gebraucht wurde. Denn Paulus musste darauf halten, einerseits nicht unnützen Verdacht und Hass zu erregen, der sich bei Römern und Provinzbewohnern nur zu leicht an den jüdischen Namen hängte, und andererseits die Wut seiner Stammesgenossen nicht ohne Not zu entfesseln.

Ein Knecht Jesu Christi usw. Diese Titel sollen das Gewicht der apostolischen Lehre verstärken, und zwar in doppelter Weise: Paulus ist erstens zum Apostelamt überhaupt berufen, und zweitens kann er darauf hinweisen, dass sein Amt sich auch auf die römische Gemeinde erstreckt. Paulus nennt sich also einen Diener Christi und berufen zum apostolischen Amte: er will damit sagen, dass er hier nicht willkürlich eingebrochen ist. Weiter bezeichnet er sich als ausgesondert: er will damit bezeugen, dass er nicht als eine beliebige Persönlichkeit aus der Volksmasse auftritt, sondern als ein ausgezeichneter Apostel des Herrn. In diesem Sinne hatte er auch den Gedankenfortschritt von dem umfassenderen Begriff „Knecht Jesu Christi“ zu der engeren Bezeichnung „Apostel“ vollzogen; denn zu den Knechten Jesu Christi zählt jeder, der ein Lehramt verwaltet: aber die Ehre des apostolischen Dienstes ragt darüber noch weit empor. Als Knecht des Herrn stellt Paulus sich mit allen Predigern auf gleiche Stufe. Mit dem Aposteltitel aber erhebt er sich über sie alle: weil aber eine geraubte Autorität nicht gelten würde, so behauptet Paulus, dass er von Gott in sein Amt gesetzt sei. Des Weiteren folgt eine genauere Beschreibung des Amtes eines Apostels: derselbe ist dazu berufen, zu predigen das Evangelium. Die hier gemeinte Berufung darf man nun nicht auf die Erwählung zum ewigen Leben beziehen. Es handelt sich vielmehr um das apostolische Amt: um dem Verdachte zu wehren, als habe er in persönlicher Ehrsucht seine Stellung sich angemaßt, weist der Apostel ganz einfach darauf hin, dass er durch Gott geworden sei, was er ist. Daraus können wir lernen, dass nicht jeder, der die Berufung zum ewigen Heil besitzt, damit auch schon für ein Lehramt befähigt ist. Vielmehr sollen gerade Leute, die sich für besonders geeignet halten, Sorge tragen, dass sie nicht ohne Berufung sich eindrängen. Weiter wollen wir den Finger auch darauf legen, dass eines Apostels Aufgabe die Predigt des Evangeliums ist. Dass Paulus sich als Knecht Jesu Christi bezeichnet, bezieht sich auf seine Amtsstellung und bedeutet dasselbe wie „Diener“.

V. 2. Welches er zuvor verheißen hat usw. Weil eine Lehre, die im Verdachte willkürlicher Neuerung steht, kein Ansehen gewinnen kann, so stützt der Apostel die Glaubwürdigkeit des Evangeliums durch sein Alter. Es ist, als ob er sagen wollte: Christus ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen oder hat irgendeine unerhörte Lehrweise aufgebracht; vielmehr war er von Anbeginn der Welt samt seinem Evangelium verheißen, und die Erwartungen richteten sich von jeher auf ihn. Weil aber das hohe Altertum von Fabeln umgeben zu sein pflegt, werden Zeugen hinzugefügt, und zwar unanfechtbare, nämlich Gottes Propheten. Und drittens heißt es, dass deren Zeugnisse ordentlich aufgezeichnet wurden, nämlich in der Heiligen Schrift. Aus dieser Stelle lässt sich schließen, wie es um das Evangelium steht: sie lehrt, dass dasselbe durch die Propheten uns nicht gegeben, sondern nur zuvor verheißen ward. Haben aber die Propheten das Evangelium verheißen, so folgt, dass es uns deutlich geoffenbart und geschenkt wurde erst durch das Fleisch des Herrn. Es geht also irre, wer Verheißungen und Evangelium ineinander wirrt. Denn das Evangelium ist, eigentlich geredet, die herrliche Predigt von dem geoffenbarten Christus, an welchem die Erfüllung aller Verheißung hängt.

V. 3. Von seinem Sohn usw. Köstlicher Spruch, der uns lehrt, dass das ganze Evangelium in Christus begriffen ist! Wer also von Christus auch nur um eines Fußes Breite zurücktritt, der weicht vom Evangelium. Christus ist des Vaters lebendiges und ausgedrücktes Bild: darum wird er allein uns vorgestellt, an welchen unser Glaube sich halten und in welchem er bestehen soll. Wir haben hierin also eine Beschreibung des Evangeliums, die uns sagt, was in demselben als Summa begriffen wird.

Der geboren ist usw. Zwei Stücke müssen wir an Christus suchen, um das Heil in ihm zu finden: Gottheit und Menschheit. Die Gottheit begreift in sich Macht, Gerechtigkeit, Leben; und das alles kommt durch die Menschheit zu uns. Darum setzt der Apostel diese beiden Stücke ausdrücklich, wenn er die Summe des Evangeliums erzählt: Christus ist im Fleische erschienen, und in demselben hat er sich als Sohn Gottes erwiesen. Ganz ebenso redet auch Johannes (1, 14): erst sagt er, dass das Wort Fleisch geworden; dann fügt er bei: in diesem Fleische sei die Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater erschienen. Dass nun der Apostel das Geschlecht und die Herkunft Christi von seinem Stammvater David genauer anmerkt, ist nicht überflüssig: diese Worte erinnern uns ja an die Verheißung, damit wir nicht zweifeln, Christus sei der längst verheißene Erlöser. Die dem David gewordene Weissagung war so bekannt, dass der Messias unter den Juden kurzweg Davids Sohn hieß. Dass also Christus von David abstammt, zielt auf die Gewissheit unseres Glaubens. Paulus fügt hinzu: nach dem Fleisch. So verstehen wir, dass Christus noch Höheres besitzt als das Fleisch. Dasselbe hat er nicht von David empfangen, sondern vom Himmel gebracht: es ist die Herrlichkeit seines göttlichen Wesens. Mit diesen Worten behauptet Paulus nun nicht nur die wirkliche Fleischesnatur Christi, sondern er macht auch einen klaren Unterschied zwischen Christi menschlicher und göttlicher Natur.

V. 4. Und kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes usw. Statt „erwiesen“ kann man vielleicht noch besser sagen: „eingesetzt“. Es ist, als wolle der Apostel sagen: die Auferstehung wirkt wie ein göttlicher Beschluss, dass dieser Mensch fortan als Gottes Sohn erkannt und geehrt werden solle. So heißt es Ps. 2, 7: „Heute habe ich dich gezeuget“. Denn jene Zeugung besteht darin, dass Gottes Sohn nun aller Welt bekannt wird. Christus ist als Sohn Gottes eingesetzt, als seine Auferstehung von den Toten seine wahrhaft himmlische, d. h. seine Geisteskraft, öffentlich kundtat. Und diese Kraft wird in der Welt begriffen, wenn derselbe Geist sie den Herzen versiegelt. Mit diesem Verständnis stimmt gut auch das Wort zusammen, welches wir bisher noch übergangen haben: Christus ward kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes. Gottes eigne Kraft strahlte in ihm wider und bewies unzweifelhaft sein göttliches Wesen. Sie erschien aber in seiner Auferstehung. So rühmt derselbe Paulus an einer andern Stelle (2. Kor. 13, 4), wo er ausspricht, dass die Schwachheit des Fleisches im Tode Christi offenbar geworden, die Kraft des Geistes aber in seiner Auferstehung. Uns aber wird solche Herrlichkeit nicht anders bekannt, als wenn derselbe Geist sie unsern Herzen versiegelt. Dass aber Paulus mit der wunderbaren Geisteswirkung, welche der Herr durch seine Auferstehung bewies, auch das Zeugnis zusammenfasst, welches jeder Gläubige in seinem Herzen empfindet, dafür steht sein ausdrücklicher Hinweis auf die Heiligung ein. Der Geist, der da heiligt (d. h. der uns zu Gottes heiliger Offenbarung hinführt) bestätigt und befestigt jenen Beweis seiner Kraft, den er einst in Jesu Auferstehung gab. Die Schrift pflegt auch sonst die genauere Benennung des Heiligen Geistes dem grade gegebenen Zusammenhange anzupassen. So nennt der Herr den Heiligen Geist den Geist der Wahrheit, wenn er davon spricht, dass derselbe die Jünger in alle Wahrheit leiten soll (Joh. 14, 17; 16, 13). – Dass in Christi Auferstehung seine göttliche Macht erschienen, lässt sich deshalb sagen, weil der Herr durch seine eigne Kraft von den Toten erstand, wie er selbst bezeugt hat (Joh. 2, 19; 10, 18): „Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten.“ „Niemand nimmt mein Leben von mir … Ich habe Macht, es wieder zu nehmen.“ Denn aus dem Tode, dem er um der Schwachheit des Fleisches willen gewichen war, hat ihn nicht fremde Hilfe gerissen, sondern die Wirkungskraft seines vom Himmel stammenden Geistes.

V. 5. Durch welchen wir haben empfangen usw. Nachdem der Apostel die Beschreibung des Evangeliums beendet (die er einschieben musste, um die Bedeutung seines Amtes zu erklären), lenkt er zu seiner eigenen Berufung zurück, von welcher die Römer zu überzeugen ihm hoch anlag. Er nennt gesondert Gnade und Apostelamt. Diese nachdrückliche Zerteilung der Worte besagt doch nichts anderes als: „das aus Gnaden geschenkte Apostelamt“. Paulus deutet damit an, dass er die Aufnahme in diesen Kreis nicht der eigenen Würdigkeit, sondern ganz der göttlichen Gnade verdanke. Erscheint auch das Apostelamt wegen seiner Kämpfe, Mühen, Verfolgungen und Verachtung in der Welt nicht begehrenswert: vor Gott und seinen Heiligen ist seine Würde übergroß geachtet. Mit Recht gilt es demgemäß als eine Gnade, ein Apostel sein zu dürfen. – Unter seinem Namen. Wörtlich: für seinen Namen. Dies deuten viele nach 2. Kor. 5, 20: die Apostel sind Boten für Christus, an Christi Statt; sie predigen das Evangelium in oder unter seinem Namen. Besser werden wir bei dem Namen Christi daran denken, dass Christus den Menschen bekannt gemacht werden soll. Wird doch das Evangelium gepredigt, damit wir glauben an den Namen des Sohnes Gottes (1. Joh. 3, 23). Und Paulus selbst heißt ein dazu auserwähltes Rüstzeug, dass er den Namen Christi zu den Heiden trage (Apg. 9, 15). „Für den Namen“ heißt also: zur Ausbreitung des Namens.

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