Die Opferschale

Die Opferschale – Ida Boy-Ed

Dieser echte Frauenroman schildert die schweren Opfer, die der Erste Weltkrieg namentlich den Frauen aufgebürdet hat. Die in Lübeck verstorbene Schriftstellerin verfasste über 70 Romane und Erzählbände.

Die Opferschale

Die Opferschale.

Format: eBook.

Die Opferschale.

ISBN eBook: 9783849654924

 

 

Auszug aus dem Text:

Während nach beendeter geschäftlicher Unterredung der Rechtsanwalt Doktor Thomas Steinmann die Papiere in seine Aktenmappe legte, sprach Graf Leuckmer voll Zufriedenheit:

»Nun hätte man also seinen Lebensrest klar vor sich!«

›Klar?‹ dachte der jüngere Mann.

»Das kann so völlig nur jemand genießen, der’s viele Jahre mühsam gehabt hat«, fuhr der Graf fort. »Und ohne Ihres Vaters klugen Rat wäre ich nicht immer durchgekommen.«

›Ja‹, dachte Steinmann weiter, ›und jetzt fehlt der Rat, und meiner ist nicht beeinflussend genug.‹

Graf Leuckmer lächelte. Das gab seinem bleichen, feingemeißelten Kopf einen Ausdruck von Güte und Überlegenheit.

»Es gibt Menschen, die sehr deutlich denken können«, sagte er.

Da mußte auch Thomas Steinmann ein wenig lächeln.

»Ich bin und bleibe nun einmal ein Gegner von ausländischer Kapitalanlage. Vor allem in diesem Fall, wo Sie nach vielen schweren Jahren endlich durch die Erbschaft ins Sorglose gekommen sind und schon aus Gesundheitsrücksichten das Gefühl der Sicherheit nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfte.«

Sein offenes, männliches Gesicht, die grauen Augen voll Lebhaftigkeit und Wärme, der ganze blonde Kopf machten ihn zu einer gewinnenden Erscheinung. Seine Gestalt war ziemlich groß und kraftvoll, und seine Freunde hatten früher von ihm gesagt, er habe etwas Siegfriedhaftes. Berufsernst und Jahre streiften den Jünglingszauber ab, aber eine gerade, herzliche Frische war seine Eigenart geblieben.

»Lieber Thomas«, sprach Graf Leuckmer, »begreifen Sie doch: Hier wird nichts aufs Spiel gesetzt. Das Kapital gehört meiner Tochter, und es ist in den Unternehmungen ihres künftigen Gatten angelegt, dem sie in wenig Wochen nach England folgt!«

»Aber der Zinsgenuß gehört bis zum letzten Tag Ihres Lebens Ihnen. Und mit den Zinsen haben Sie nicht nur die Instandhaltung dieses Besitzes, Sie haben auch fast völlig Ihre und der Ihren Lebenshaltung davon zu bestreiten. Von ganzem Herzen wünsche ich, daß das ängstliche Rechnen nun aufhört. Das hat Sie zuviel Nerven gekostet.«

Leuckmer seufzte ein wenig hinter den schweren Zeiten her. Seine reiche, ältere Stiefschwester, Komteß Jenny, hatte sie ihm wenigstens damit erleichtert, daß sie die Sorge für seinen Sohn ihm abnahm – eine Gunst mit sehr bitterem Beigeschmack war das gewesen und war es noch, bis auf den heutigen Tag. Eigentlich hatte er sich dadurch gehalten, daß er in Erwartung der sicheren Erbschaft von Onkel Leuckmer seinem eigenen kleinen Vermögen manchmal Aderlässe zumutete. Nun war es sehr erschöpft. Man konnte fast sagen, die Erbschaft sei noch in letzter Stunde gekommen. Für einen so zart empfindenden Mann war es auch peinlich gewesen, sich das hoffende Warten verbieten zu müssen.

Aber sein Rechtsanwalt und treuer Freund Steinmann wartete offen und mit kräftiger Ungeduld, daß der Lebensfaden des alten Onkel Leuckmer, der, seit Jahren schwer leidend, sich selbst nach Ruhe sehnte, abrisse. Die recht künstliche Mühe, das kleine Vermögen zu strecken und zu verwalten, und das deutliche Hoffen auf Onkel Leuckmers Tod hatte nun schon seit einigen Jahren Thomas Steinmann, der Sohn, übernommen. Und seit dem Herbst war endlich der schwere Druck vom Leben des allzu gebrechlichen Mannes gewichen, der mit einem hohen Rang und immer schwankender Gesundheit sich in einer ihm nicht gemäßen Lage zu behaupten gehabt hatte.

Der beinahe scheltende Ton rührte den Grafen. Er wußte, daß der Sohn Steinmann ihm ebenso herzlich ergeben war, wie es der Vater gewesen. Aber Ergebenheit ist noch kein Ersatz für Erfahrung. Gewichtiger Rat erwächst am sichersten aus dem Fundament der Lebensreife. Thomas, der kleine, wunderhübsche Junge, dem er den blonden Schopf gestreichelt; Thomas, der strahlende Jüngling, der in Studentenseligkeit durchs Dasein sang, liebelte, arbeitete, als seien sämtliche Möglichkeiten, Angelegenheiten und Pflichten des Lebens aus dem Handgelenk zu erledigen; Thomas, der erst seit fünf Jahren Doctor juris und Notar war – nein, dieser Herangewachsene konnte unmöglich mehr Einsicht haben als er selbst, der Vielgeprüfte.

Und Thomas wußte ganz genau, daß das Hochgefühl der Erfahrung sich manchmal gleich Scheuklappen an die Augen der Alten legt – daß für sie die Herangereiften ewig die Jungen bleiben. Vielleicht waren das tiefe Sachen. Allerlei barg sich darin von unbewußten Lebensenergien, die sich gegen die Nachkommenden wehren, um sich selbst noch länger zu behaupten.

Nun antwortete der Graf auf die letzten Äußerungen seines jungen Beraters und Freundes.

»Sie wissen genau, daß die Zinsen stets pünktlich bezahlt werden! Und daß sie höher sind, als ich bei Anlage des Kapitals in Deutschland je hätte erlangen können.«

…..

 

 

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