Die Schriften des Waldschulmeisters

Die Schriften des Waldschulmeisters – Peter Rosegger

Eines der bekanntesten Werke des großen Schriftstellers erzählt in Tagebuchform von den Bemühungen des Titelhelden, einem kleinen Walddorf Bildung zu vermitteln ….

Die Schriften des Waldschulmeisters

Die Schriften des Waldschulmeisters.

Format: eBook.

Die Schriften des Waldschulmeisters.

ISBN: 9783849653101

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

»Lieber Gott!

Ich grüße Dich und schreibe Dir eine Neuigkeit. Heute ist mein Vater gestorben. Er ist schon zwei Jahre krank gewesen. Die Leut’ sagen, es ist ein rechtes Glück. Die Muhme-Lies sagt es auch. Jetzt haben sie den Vater schon fortgetragen. Der Leib kommt in die Totenkammer, die Seel’ geht durch das Fegfeuer in den Himmel hinauf. Lieber Gott, und da hätt’ ich jetzt recht eine schöne Bitt’. Schick meinem Vater einen Engel entgegen, der ihn weist. Für den Engel leg ich mein Patengeld bei; es sind drei Groschen. Mein Vater wird recht eine Freud’ haben im Himmel, und führ’ ihn gleich zu meiner Mutter. – Ich grüße Dich tausendmal, lieber Gott, den Vater und meine Mutter.

Andreas Erdmann.

Salzburg, im 1797-ger Jahr,

am Apostel Simonitag.«

 

Dieser Brief ist zufällig erhalten geblieben, mit ihm hebe ich an. Ich weiß noch den Tag. Ich habe in meiner sehr großen Einfalt die drei Groschen wollen in das Papier legen. Kommt selbunter die Muhme-Lies herbei, liest mit ihrem Glasauge die Schrift und schlägt die Hände zusammen. »Du bist ein dummer Junge!« ruft sie aus, »ein sehr dummer Junge!« Eilends nimmt sie mein Patengeld, läuft davon und erzählt meine Sach’ im ganzen Hause, vom Torwartgelaß an bis hinauf zum dritten Stock, wo ein alter Schirmmacher wohnt. Jetzt kommen die Leut’ alle miteinander zusammen in unser Zimmer herein, zu sehen, wie ein sehr dummer Junge denn ausschaut.

Gelacht haben sie, und so lang’ haben sie gelacht, bis ich anfang’ zu weinen. Jetzund haben sie noch ärger gelacht. Der alte Schirmmacher mit seinem himmelblauen Schurz ist auch da; der hebt die Hand auf und sagt: »Ihr Herrschaften, das ist ein närrisches Lachen; etwan ist er gescheiter, wie ihr alle miteinand. Geh her zu mir, Büblein; heute ist dein guter Vater gestorben; deine Muhme ist viel zu gescheit und ihr Haus zu klein für dich, du kleinwinziger Bub’. Geh mit mir, ich lehre dich das Regenschirmmachen.«

Was hat jetzo die Muhme gegreint überlaut! Aber das kann ich mir denken: insgeheim ist es ihr recht gewesen, da ich mit dem Alten die zwei Treppen hinaufgestiegen bin.

Selbunter, wie mir mein Vater gestorben, werd’ ich im siebenten Jahr gewesen sein. Ich weiß nur, daß meine Eltern mit mir bis zu meinem fünften Jahr im Waldland gelebt haben. Im Waldland am See. Felsberge, Wald und Wasser haben die Ortschaft eingefriedet, in der mein Vater Salzwerksbeamter gewesen. Wie die Mutter gestorben, hebt mein Vater kränkeln; hat seine Stelle aufgeben müssen, ist mit mir zu seiner wohlhabenden Schwester in die Stadt gezogen. In einem leichteren Amt hat er wieder arbeiten wollen, um seiner Schwester, die sich stets der Tugend der Sparsamkeit beflissen, Dach und Nahrung redlich erstatten zu können. Aber in der Stadt ist er krank Jahr und Tag; nur daß er mir zur Not das Lesen und Schreiben lehrt, sonst hat er gar nichts getan. Und es ist gekommen, wie ich es im frühern aufgeschrieben habe.

Bei dem alten Mann im dritten Stock bin ich mehrere Jahre gewesen. Wie er, so habe auch ich einen himmelblauen Brustschurz getragen. Man erspart dadurch an Gewand. In der ersteren Zeit bin ich mehrmals zur Muhme hinabgegangen auf Besuch; aber sie hat mich fortweg und solange einen sehr dummen Jungen geheißen, bis ich nicht mehr hinabgegangen bin. Selbunter hat mein Meister einmal das Wort gesagt: »Gib acht, Andreas, daß du nicht so gescheit wirst wie deine Frau Muhme!«

Wir haben lauter blaue und rote Regenschirme gemacht, haben sie dann in großen Bünden auf Jahrmärkte getragen und verkauft. Einen breiten Schirm haben wir über unsere Ware gespannt, und die Marktbude ist fertig gewesen. Und wenn das Geschäft so gut ist gegangen, daß wir letztlich auch die Bude verkauft, so sind wir allbeide in ein Wirtshaus gegangen und haben uns was gut sein lassen. Ansonsten aber haben wir die Ware in Bünden wieder nach Hause getragen und daheim eine warme Suppe genossen.

Wie mein Meister über die siebzig Jahre alt ist, wird ihm die Welt nicht mehr recht; hat müssen eine andere haben – ist mir gestorben. Gestorben wie mein Vater.

Ich bin der Erbe gewesen. Zweithalb Dutzend Schirme sind da; die pack’ ich eines Tages auf und trag sie dem Markte zu. Auf demselbigen Markt hab’ ich Glück gehabt. Er ist in einem Tal nicht gar weit von der Stadt; Menschen in Überfluß, aber die wenigsten werden sich zur Morgenfrühe gedacht haben, sie gehen auf den Markt, daß sie Regenschirme kauften.

Kommt zur Mittagszeit jählings ein Wetterregen; wie weggeschwemmt sind die Leute vom Platz, und mit ihnen meine Schirme. Ein alleinziger ist mir noch geblieben für mich selber, daß ich trocken bliebe mitsamt meinem gelösten Geld. Was läuft doch über den Platz ein Mann daher, daß alle Lachen spritzen! Meinen Regenschirm will er kaufen.

»Hätt’ ich selber keinen!« sage ich.

»Hab’ schon manchen Schuster barfuß laufen sehen,« lachte der Mann, »aber hörst, Junge, wir richten uns die Sach’ schlau ein. Bist du aus der Stadt?«

»Ja,« sag ich, »aber kein Schuster.«

»Das macht nicht. Ein Wagen ist dahier nichts zu haben; so gehen wir zusammen, Bursche, und benützen den Schirm gemeinsam; letzlich magst ihn behalten oder das Geld dafür haben.«

Gottesschad’ wär’s um den feinen Rock, den er anhat, denk ich, und sag: »So ist es mir recht.«

Arm in Arm bin ich, Schirmmacherbursch mit dem vornehmen Herrn in die Stadt gegangen. Wir haben unterwegs miteinander geplaudert. Er hat es so zu fügen gewußt, daß ich ihm nach und nach all meine Umstände und meine ganze Lebensgeschichte erzählt hab.

Der Regen hörte auf; die Sonne scheint, ich trage den Schirm noch offen über der Achsel, daß er trocknen mag. Wir kommen zur Stadt, da will ich zurückbleiben – nicht schicksam, daß ich mit einem so feinen Herrn durch die Stadt gehe. Er hat mich aber freundlich eingeladen, nur mit ihm zu kommen. Er hat mich zuletzt mit in sein Haus geführt, hat mir Speise und Trank vorsetzen lassen, hat mich endlich gar gefragt, ob ich nicht bei ihm bleiben wolle, er stehe einer Bücherei vor und benötige in ihr einen Handlanger. ….

 

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