Sonnenschein

Sonnenschein – Peter Rosegger

In seiner unnachahmlichen Art erzählt Rosegger wieder von den lieb gewonnenen Schildbürgern, die versuchen, dem mißlungenen und ohne Fenster gebauten Rathaus Licht einzuhauchen.

Sonnenschein

Sonnenschein.

Format: eBook.

Sonnenschein.

ISBN: 9783849653118

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Ach, die reizenden Zeitgenossen! Wie barmherzig sie einem ins Gesicht lügen. »Vortrefflich sehen Sie aus. In der Tat, Sie sehen – unberufen – viel besser aus als das letztemal! Kein Vergleich!«

Danke schön für die freundliche Erinnerung. Weiß zwar ohnehin, daß ich krank bin.

Mein gütiger Arzt pflegte immer zu sagen: »Schwächliche und kränkliche Leute werden älter als starkgesunde, weil sie auf ihre Gesundheit nicht sündigen.« Seit einiger Zeit bringt er den Trost in anderer Form. »Bei gewissenhafter Diät läßt sich immer noch ein Weilchen gewinnen.«

Wie alt ich bin? Just in den besten Jahren. In den besten! Ich spüre es in allen Gliedern. Mindestens fünfzig Jahre hätte ich noch auf dem Kerbholz, wenn’s der Ewigkeit-Herr nicht übers Knie abbricht und ein Kreuzl draus macht. Aber mein eigener Adam will mir untreu werden. Ich hätte ihn zu sehr vernachlässigt, hätte es allfort mit der Seele gehalten. Wenn die Seele lustig sein wollte, habe der Leib Wein trinken müssen und den Katzenjammer bestreiten; wenn der Seele ums Lieben war oder ums Hassen, habe sie Feuer in den Leib geworfen, daß er sich verzehrte. Und wenn sie, diese herrische Seele, in langen Nächten ihre närrischen Gedankenfäden spann und wob, mußte der arme Leib dabei hocken, zusammengekauert, schlafdurstig und gebrochen. Man möge nur einmal andere, etwa vierfüßige Leiber betrachten, die ließen sich derlei Knechtungen nicht gefallen, die stampften mit ihren vier Pfoten das bißchen Seele einfach in den Dreck – basta. Aber, so opponiert der Leib weiter, nun wäre seine Geduld zur Rüste, er wolle zusperren vor Torschluß, und ich könnte mit der obdachlosen Seele gerade einmal davonfliegen, in den Himmel hinauf zu den so begeistert besungenen Göttern oder – anderswohin.

Jeden Tag mehrmals deutet er mir das an, der unliebenswürdig gewordene Körper. Ich glaube, es ist sein Ernst. Zum Satan, mir ist aber die Sache nicht gleichgültig. Ich bin noch nicht satt und ich mag die fragenden Blicke meiner Kinder, das heimliche Flennen meines Weibes nicht aushalten. Was hilft’s? Ich will ins klare kommen. Muß es sein, na, Dagobert, dann fangen wir langsam an, einzupacken. Morgen will ich meinen Arzt an der Gurgel packen: Blut oder Wahrheit! Der soll mir nicht auskneifen. Heute will ich mich noch der lieben Unwissenheit freuen. Sie macht ja glücklich, sagt man. Wenn ich dem Spiegel glauben wollte! Diese Grobiane mit den blutleeren Quecksilberrücken zeigen ja allemal um mindestens fünfundzwanzig Prozent zu jämmerlich.

*

Sapperlot, Dagobert, was ist denn das für eine Aufführung? Siebenschläfer! Schickt es sich auch, am Tage der Urteilsverkündung so sorglos zu schlafen? – Mehr als Sterben kann mir nicht leicht passieren. Das dürfte abends mein letzter Gedanke gewesen sein. Das wäre schon gar schön, wenn dieses Leben mit seinen täglichen zehn Plagen kein Ende hätte! Da müßten alle Wissenschaften und anderen kulturellen Kräfte schnell zusammenhalten, um einen ausgiebigen Tod zu erfinden. Das wäre die größte Errungenschaft des Jahrhunderts, der Erfinder des Todes würde unsterblich weiden, und die künftigen Kalender würden eine Zeitrechnung einführen: »Seit der Erfindung des Todes so und so viele Jahre.«

Meinem Doktor Balsam hätte es wohl zuzutrauen sein mögen, wenn ihm nicht Kain zuvorgekommen wäre. Er macht sich ein Vergnügen daraus, dem Patienten, der ihn darum fragt: zu versichern: »Lieber Freund, ich kann Ihnen zu Ihrer vollsten Beruhigung mitteilen, daß Sie keine drei Monat’ mehr leben!« Und er hält Wort! Mir ist kein Fall bekannt, daß ein Kranker sich gestattet hätte, das Maximum zu überschreiten. Und zu diesem verläßlichen Mann will ich nun gehen. Wenn er auch heute wieder Hypochonder zu mir sagen sollte, dann schreibe ich mich von jetzt ab: Dagobert Hypochonder, und ein Manupropria dazu, so groß wie der Schweif eines Lindwurms.

*

Ich war schon bei ihm. Ich komme schon zurück. Ich weiß es schon.

Im Vorzimmer habe ich eine volle Stunde warten müssen. Da gab es genügend Zeit zum Sichausschnaufen von der Treppe, die nicht weniger als dreizehn Stufen hat. Meine Mitwartenden hatten es alle so dringend, hineinzukommen und gesund zu werden. »Bitte,« habe ich gesagt, »will schon warten.« Diese Wartezimmer der Ärzte! Jodoformduft, schwellende Sammetsessel und Spucknapf daneben. Und Teppiche, daß sich die Bakterien passabel einnisten können. Alles luftdicht verschlossen, natürlich, weil die lieben Kranken kein offenes Fenster vertragen können und es vorziehen, die ausgeatmete Luft der Mitkranken in sich zu saugen, als den frischen freien Tageshauch zu trinken. Ob das Ordinationszimmer wohl allemal soviel gutmacht, als das Wartezimmer schadet? Auf dem runden Tisch lagen illustrierte Zeitschriften herum, abgegriffen und schmutzig, auch ein alter Jahrgang der »Fliegenden Blätter« war vorhanden. Da kann man sich ja unterhalten. Hätte mich auch. Guten Morgen! sagten seine Schergen, als sie in die Zelle traten, um den Delinquenten zum Galgen zu führen. – Sah der freundliche Doktor Balsam, als er die Tür öffnete, meine werte Person und bedeutete den übrigen höflich, er müsse mit mir die Reihenfolge stören, denn ich wäre nicht in der Lage zu warten.

Im Ordinationszimmer mußte ich mich auf das rote Sofa setzen. Der Doktor steht hoch, stramm vor mir da, stemmt den Arm in die Seite, strotzt vor Behagen. Man sieht es, wieviel Gesundheit der zu vergeben hat. Dann setzt er sich mir gegenüber, legt seine wulstige Hand aus meine abgezehrte und sagt: »Es steht ja recht leidlich, nicht wahr?«

Ich entziehe ihm die Hand, klammere die Finger ineinander und beginne mein banges Anliegen vorzubringen: »Doktor! Ich will auf die Polizei, wo die gefundenen Sachen abgegeben werden. Ich habe meine Geduld verloren. Schon zwei Jahre lang so krank sein –« Da versagte der Atem.

»Sind Sie denn wieder so gelaufen?« fragt er mit aller erheuchelten Einfalt. ….

 

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