Die Zehn Gebote

Die Zehn Gebote – Johannes Calvin

Johannes Calvin (10. Juli 1509 – 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden “Unterweisung in der christlichen Religion” schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit den Zehn Geboten.

Die Zehn Gebote

Die Zehn Gebote.

Format: Paperback, eBook

Die Zehn Gebote.

ISBN: 9783849665302 (Paperback)
ISBN: 9783849662684  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Das erste Gebot.

Abschnitt 22. – 2. Mose 20, 3 / 5. Mose 5, 7.

Gott befiehlt in diesem Gebote, ihn allein zu ehren, und fordert eine von allem Aberglauben freie Anbetung. Zwar scheint ein bloßes Verbot vorzuliegen; doch werden die folgenden Ausführungen zeigen, dass man demselben auch ein ausdrückliches Gebot zu entnehmen hat. Gott tritt also in die Mitte, will die Blicke der Kinder Israel auf sich allein ziehen und wahrt sein Recht, welches keinem Fremden gebührt. In der Auslegung der Worte bestehen verschiedene Ansichten. Manche wollen die Worte „vor meinem Angesicht“ so verstehen: du sollst mir nicht andere Götter vorziehen. Sie berufen sich dafür auf 5. Mose 21, 16, wo Gott verbietet, dass jemand, der zwei Frauen und von beiden Kinder hat, nicht die Erstgeburt auf den Sohn der liebsten übertrage „vor dem Angesichte des erstgeborenen Sohns der unwerten.“ Wir geben zu, dass dieser Satz von einem Vorzug der einen vor der anderen redet. Aber an unserer Stelle wäre es ganz ungereimt, Gott keinen höheren Anspruch zuzuschreiben, als dass man andere Götter ihm nicht voranstellen solle. Vielmehr duldet er nicht einmal, dass man sie ihm gleichsetze und beigeselle. Denn die Frömmigkeit wird befleckt und entstellt, sobald man auch nur das Geringste von Gottes Ehre abzieht. Wir wissen auch, dass Israel, wenn es seine Baalim verehrte, dieselben nicht derartig an Gottes Stelle rückte, dass Gott abgesetzt und sie zu Weltregenten gemacht worden wären. Und doch war es eine unerträgliche Entweihung des Gottesdienstes und ein frevler Bruch des ersten Gebots, sich besondere Schutzgötter zu suchen und ihnen auch nur einen Anteil am göttlichen Wesen zuzuschreiben. Denn wenn Gott nicht allein heilig bleibt, so wird doch schließlich seine Majestät verdunkelt. Für den wirklichen Sinn des Gebotes halte ich also: Israel soll sich keine Götter erwählen, um sie dem wahren und einigen Gott gegenüberzustellen. Denn im Hebräischen heißt „im oder vor dem Angesicht“ häufig so viel wie „in der Umgebung, in der Nähe“ (z. B. Sach. 14, 4: der Ölberg, der vor, genauer vor dem Angesichte Jerusalems liegt.) Gott will also nicht, dass man ihm Kollegen schafft und dieselben gewissermaßen vor seinem Angesicht aufstellt. Dabei liegt wahrscheinlich eine Anspielung an die Offenbarung vor, welche das Volk hätte in frommem Gedächtnis behalten müssen. Dort leuchtete Gottes Angesicht. Unser Wort passt also nicht auf das Verfahren der Heiden: diese schaffen sich zwar willkürlich falsche Götter, aber sie tun es nicht, „vor Gottes Angesicht“, welches sie ja nicht kennen. Wir sollen also wissen, dass Gottes rechte Anbeter nur sind, die allen Wahngebilden den Abschied geben und ihm allein anhängen. Ohne Zweifel zielt aber unser Gebot auf die innere Anbetung, im Unterschiede vom nächsten, welches den äußerlichen Götzendienst verwirft. Wie man sich Götter machen kann, ohne geradezu Bildwerke, Gemälde und andere sinnenfällige Gestalten zu verehren, ist ja bekannt. Wenn jemand Engel an Stelle Gottes anbetet oder in seinen törichten Gedanken sich irgendeine verborgene Gottheit bildet, trifft ihn sicherlich das Gericht dieses Gebots. Gott beansprucht für sich auch der Herzen Gedanken; ihn allein sollen sie mit ganzem Gemüte ehren. Auch daran können die Worte „vor meinem Angesicht“ ganz passend erinnern: wenn auch vor Menschenaugen der Frevel verborgen bleibt, der heimlich zum Götzendienst entartet und im Herzen seine Irrtümer hegt, – der Allwissenheit Gottes wird solche Heuchelei und Treubruch nicht entgehen. Es ist nicht genug, Gottes Namen im Munde zu führen, wenn man nicht auch jede Abgötterei, die seinem Worte zuwider ist, verabscheut. Hier liegt der Unterschied des wahren Gottesdienstes vom verkehrten Aberglauben. Hat Gott vorgeschrieben, wie er von uns verehrt sein will, so bedeutet die geringste Abweichung von dieser Regel einen Schritt zum Götzendienst, welcher den Herrn mit anderen Wesen in eine Reihe stellt.

Erläuterungen zum ersten Gebot.

Abschnitt 23. – 5. Mose 6, 4. 13 / 5. Mose 10, 20 / 5. Mose 6, 16.

 

5. Mose 6.

V. 4. Der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr. Wenn Mose von der Einheit Gottes spricht, so denkt er gar nicht bloß an sein unbegreifliches Wesen, sondern auch an sein Wirken und die herrliche Offenbarung, welche dem Volke zuteil wurde. Er stempelt es zum Verbrechen, wenn das Volk nicht in dem einen Gott ausruhen würde, der es zu seinem Eigentum genommen. Daher heißt es nicht bloß: „der Herr“, sondern ausdrücklich wird hinzugefügt: „unser Gott.“ Damit werden alle anderen Gottheiten zum Nichts herabgesetzt und das Volk angewiesen, alles zu fliehen und zu verabscheuen, was die Gemüter von der reinen Erkenntnis abführt. Kann man doch dem Herrn seinen göttlichen Namen lassen und ihn dennoch seiner Majestät entkleiden, indem man ihn in den Schwarm anderer Wesen herabzieht. Darum spricht Gott durch den Mund des Propheten (Hes. 20, 39): „Fahret hin, und diene ein jeglicher seinen Götzen“. Damit wehrt der Herr nicht bloß jeglicher Vermischung seiner Person mit den Kreaturen, sondern bezeugt auch, dass er lieber gar nicht als nur mit halbem Herzen verehrt sein will. – Übrigens bietet diese Stelle auch einen brauchbaren Beweis für die Gottheit Christi und des heiligen Geistes: denn wenn Christus mehrfach in der Schrift als Gott angeredet wird (z. B. Joh. 20, 28; Röm. 9, 5) so muss er ohne Zweifel derselbe Jehovah oder Herr sein, der sich selbst als den einigen Gott erklärt.

V. 13. Du sollst den Herrn, deinen Gott, fürchten. Hier wird noch deutlicher, in welchem Sinne soeben die Einheit Gottes eingeschärft wurde: wir sollen nur einem Herrn von ganzem Herzen dienen; denn wenn wir nicht an ihn allein unter ganzes Gemüt hängen, zerbricht unser Gottesdienst in Stücke, und ein Gewirr von Irrtümern muss die Folge sein. Zuerst fordert nun Gott Ehrfurcht für sich, sodann als Zeichen und Beweis derselben den entsprechenden Dienst. Zur Ehrfurcht gehört auch, dass ein Mensch sich dem Herrn unterwerfe, dessen überwältigende göttliche Majestät ihn zum Gehorsam zwingt. Daraus erwächst dann als Zeugnis eines frommen Sinnes der rechte Gottesdienst. Zu bemerken ist indessen, dass die hier geforderte Furcht eine freiwillige ist; sie ist ein Trieb des Herzens, welches nichts sehnlicher wünscht, als seinem Gott zu gehorchen. Wenn ich also gesagt habe, dass uns der Eindruck der göttlichen Macht und Größe unter das Joch des Herrn beugt, so denke ich nicht an einen erzwungenen und knechtischen Gehorsam, sondern meine nur, dass die Menschen nicht eher einen Trieb zum Gehorsam zu Gott empfinden werden, als die Ehrfurcht ihre Seele gebeugt hat. Die angeborene böse Art neigt nur zu leicht zu zügelloser Verachtung der Frömmigkeit. Wenn daher der Prophet (Jer. 5, 22) die Menschen zur Gottesfurcht erziehen will, erinnert er an die gewaltige Macht des Herrn, welche das Meer in seine Schranken zwingt. – In der weiteren Stelle, welche wir aus 5. Mose 10, 20 beigesetzt haben, erinnert das Wort „anhangen“ wiederum, dass auch das geringste Abweichen auf eigene Wege sofort den Gottesdienst verunreinigt. Denn eben darum will Gott seine Anbeter an sich binden, damit sie gewissermaßen an ihm fest haften und ihre Augen nicht anderswohin richten.

V. 16. Ihr sollt den Herrn nicht versuchen. Aus dieser ohne Zweifel zum ersten Gebot gehörenden Mahnung schließen wir, dass es ein wesentliches Stück der Frömmigkeit ist, dem Herrn das Seine zu geben und nichts von dem Rechte abzuziehen, welches er für sich beansprucht. Wie wir früher sahen, ging es aus Unglauben hervor, dass das Volk seinen Gott zu Massa versuchte (2. Mose 17, 2. 7): Israel gab sich nicht mit Gottes Vorsehung zufrieden und ruhte nicht in seiner väterlichen Liebe. Darum kam es zu einem Ausbruch der Ungeduld, und das Volk wollte an Gottes Gegenwart nicht glauben, wenn er nicht seinem unreinen Begehren nachgab. Wir sehen also, dass man Gott nicht anders recht verehren kann, als wenn man seine Tugenden gelten lässt. Zugleich ergibt sich, dass mit dem Glauben auch ein wahrhaft frommer Sinn ohne weiteres verbunden ist: denn wenn wir glauben, dass alles wünschenswerte Gut bei Gott sich finden und dasselbe von ihm erwarten und erbitten, so werden wir mit geduldigem Gleichmut seinen Willen über uns walten lassen, ja wir werden uns und unser Leben ganz in seine Hand geben.

Abschnitt 24. – 3. Mose 19, 1. 2.

Diese Mahnung will uns anleiten, dass wir den Dienst Gottes nicht nach unseren eigenen Gedanken bemessen und einrichten, sondern vielmehr nach Gottes Wesen. Ferner empfangen wir einen Fingerzeig, dass wir vor allem auf einen heiligen Wandel bedacht sein sollen. Denn den Menschen wird nichts schwerer, als alle fleischlichen Lüste abzustreifen und sich ganz nach Gottes Bilde zu gestalten. Zudem ist er nur zu sehr an seinen Schmutz gewöhnt, den er häufig nur mit einer äußeren Frömmigkeit überdecken möchte. So vernehmen wir hier einen Aufruf, wir möchten dem Gott nachfolgen, der uns sein Bild aufprägen wollte, als er uns zu seinen Kindern annahm: müssen doch rechte und wohl geartete Kinder ihres Vaters Art an sich tragen. Wollte es freilich jemand seinem Gott an Heiligkeit gleich tun, so wäre dies ein wahnsinniges Nacheifern. Mag aber auch der Vollkommenste selbst hinter den Engeln noch weit zurückbleiben, so darf sich dadurch auch der Geringste nicht hindern lassen, in aller Schwachheit sich nach dem Vorbilde seines Gottes auszustrecken. Übrigens werden wir später sehen, dass auf diese Hauptforderung der Heiligkeit alle Zeremonien zielen, in welchen Gott sein Volk unter dem alten Bunde üben wollte. So begegnet unser Spruch auch an andern Stellen (3. Mose 11, 44. 45; 20, 26), aber stets in Verbindung mit spezielleren Vorschriften. Darum mag hier der Hinweis auf seinen wesentlichen Gehalt genügen.

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