Ein königlicher Kaufmann

Ein königlicher Kaufmann – Ida Boy-Ed

Ein Roman aus der Zeit, als Boy-Eds Heimatstadt Lübeck noch stolzes Mitglied des Hansebundes war. Die Schriftstellerin verfasste insgesamt über siebzig Romane und Erzählbände.

Ein königlicher Kaufmann

Ein königlicher Kaufmann.

Format: eBook.

Ein königlicher Kaufmann.

ISBN eBook: 9783849654900

 

 

Auszug aus dem Text:

Der Wortführer der Bürgerschaft erhob sich. Fast zugleich mit ihm, in jenem dumpfen Rauschen, das die gleichförmige Bewegung von mehr als hundert Männern erzeugt, die ganze Versammlung.

Die Pause eines erwartungsvollen Schweigens stand zwei, drei Sekunden in der Luft des Saales. Das elektrische Licht überglänzte die getäfelten Wände und nahm voll in seine Helle den Charakterkopf des Wortführers. Sein grauschwarzes, lockig dickes Haar, halbkurz gehalten, hatte etwas Perückenähnliches, und das bartlose, rötlich gefärbte, sehr starkzügige Gesicht drückte Entschlossenheit und Selbstgefühl aus. Mit einem Herrscherblick, von seinem erhöhten Platze her, abwartend und doch auch ermahnend, überflog er die Versammlung, um jene andächtige Stille in der Haltung all der stehenden Männer zu erzwingen, die der Augenblick forderte.

In weitgeschweiftem Halbrund standen sie, jeder vor seinem Platz, in den sacht amphitheatralisch aufsteigenden Reihen, zwischen Bänken und Pulten. Ein Parlament von Bürgern der Freien und Hansestadt Lübeck und der zu ihr gehörigen Landgebiete; alle gewissermaßen Mitregenten des republikanischen Gemeinwesens, berechtigt, ihren von der Majorität bestimmten Willen durch ihren Wortführer feststellen und aussprechen zu lassen. Rechts und links neben dem imposanten Mann mit dem alternden Gladiatorenhaupt standen die stellvertretenden Wortführer; der eine, breit, rotbärtig, mit blanker Stirn, mit kleinen aufmerksamen Augen, der andere in wichtiger und schicklicher Haltung, mit blonden Bartstreifen auf den merkwürdig langen, und feisten Wangen und dem Ausdruck hochfahrenden Stolzes in den blassen Augen. Die Empfindung, eine staatsmännische Persönlichkeit darzustellen, leuchtete förmlich von ihm hinaus, als sollten aller Augen davon geblendet werden.

Gleich dem erhöhten Gestühl der Wortführer befanden sich auch die Senatstische der Versammlung gegenüber auf einer Estrade. Die Senatoren, die heute dort anwesend waren, weil Fragen oder Anträge oder Gesetzentwürfe ihrer speziellen Verwaltungsgebiete auf der Tagesordnung gestanden hatten, erhoben sich im gleichen Tempo mit der Versammlung.

Niemand saß, als die Stenographen und der offizielle Protokollführer, die zu Füßen des eichenen Gestühls der Wortführer an ihren Tischen mit bereiten Federn warteten.

Das Licht rann in einem etwas unruhigen Vibrieren. Es zuckte ein-, zweimal, als sei es in der Sicherheit seiner Leuchtkraft beeinträchtigt. Dann gleißte es wieder stetig und setzte blanke Helligkeit auf die Marmorstirnen der drei Kaiserbüsten vor der braunen Täfelung.

Irgend jemand hustete. Ein Buch fiel. Der, dem es gehörte, bückte sich unnötig und wie beschämt danach. Noch ein Räuspern. Und dann wurde das Schweigen endlich ganz tief. Es war, als bezwängen die Männer nicht nur ihre Mienen, sondern auch ihren Atem.

Dem wohllautenden und machtvollen Organ des Dr. jur. Burmeester war solche Stille, was einem leidenschaftlichen Schwimmer ein weithin sich spiegelndes klares Wasser ist: er stürzte sich mit seiner Rede hinein, genoß selbst den Klangreiz und das Beben der Schallwellen, ließ sich von ihnen tragen, steigerte seine Empfindungen, indem er mit dem Ohr dem schwebenden Laut seiner Stimme folgte, ihre Wirkung auf das Gemüt der Hörer spürte, die verführerische Kraft an- und abschwellender Tonstärken wahrnahm, und sein Gefühlsschwung wallte immer höher aus, im Maß, wie er sein Publikum fortriß.

Und dabei war seine Rede keineswegs ein besonders kunstvolles Satzgefüge mit neuen, farbenreichen, überraschenden Worten. Die Wirkung kam ganz allein von der Klangfarbe und dem heißen Ton der Echtheit, den er nicht suchte, der immer wie von selbst in ihm aufbrauste, mochte der Gegenstand, über den er redete, sein, welcher er wollte.

Er sprach: »Hochansehnliche Versammlung! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen eine schmerzliche Mitteilung zu machen. Nach kurzer Krankheit, in der Blüte seiner Mannesjahre noch, kaum fünfundfünfzig Jahre alt, ist Herr Senator Heinrich Peter Leitolf in dieser Nacht verschieden. Ihnen allen, meine Herren, ist es bekannt, mit welcher Hingabe und mit welchem Erfolge sich der uns Entrissene den Aufgaben widmete, die die Fortentwicklung unseres auf sich selbst beruhenden Gemeinwesens uns allen stellt. Kaum fünf Jahre hatte er dem Hohen Senat angehört. Aber so kurz diese Frist auch bemessen war, die Spuren seiner Tätigkeit werden nicht vergehen. Unter Hintansetzung eigenster Interessen ergab er sich dem Interesse der Gesamtheit. Ich darf Sie erinnern an die Verdienste, die Herr Senator Heinrich Peter Leitolf um die Verbesserung der hygienischen Zustände unserer Stadt hat, die, man darf es aussprechen, durch die von ihm durchgesetzten Maßnahmen vorbildlich geworden sind. Seinem besonderen Eintreten, seiner Kenntnis und Erfahrung verdanken wir es auch, daß die neuen Villenquartiere unserer Stadt eine so anmutige und zweckmäßige Gestaltung erfuhren. Wo er wirkte, ob es nun in der Baudeputation war, in der Finanzkommission, in der Schuldeputation, oder in welchen Verwaltungszweig auch immer er durch Ratssatzung berufen ward, wo er wirkte, spürte man eine feste und glückliche Hand. Er war ein großer, ein guter Bürger, ein treuer Sohn seiner Vaterstadt. Dies, hochansehnliche Versammlung, ist das vornehmste Lob, das Hanseaten einem Hanseaten an seiner Bahre nachrufen können. Wir werden das Andenken Heinrich Peter Leitolfs in Ehren halten; es soll uns eine vorbildliche Gestalt sein, die dieses rastlosen, redlichen, klugen Mannes. Ich sehe, meine Herren, Sie haben sich zu Ehren des Dahingeschiedenen von Ihren Sitzen erhoben, und stelle dies fest.«

Eine kurze Bewegung entstand. Die meisten setzten sich und warteten mit stumpfen Zuschauergefühlen ab, was sich weiter begeben werde. Einige Herren, die herkömmlich und gewohnheitsmäßig die Dinge in die Hand zu nehmen pflegten, weil sie die Gewandtesten oder die sich gern Vordrängenden waren, traten zusammen, um einen schon vorbereiteten Antrag noch mit raschem Flüsterwort zu betuscheln. Aus der Gruppe löste sich jemand und übergab dem Protokollführer ein Blatt, damit er es dem ersten Wortführer weiterreiche. Während dieser rasch verrinnenden Minuten voll Unruhe stand der Wortführer, Doktor Burmeester, wartend. Sein lebhaftes Auge war geradeaus gerichtet. Es suchte in der Reihe der Bürgerschaftsmitglieder ein anderes Auge und fand auch den Blick, der dem seinen schon entgegenkam.

Ihm gerade gegenüber, in der dritten Reihe, saß ein Mann, der nicht den Ausdruck eines stumpfen Zuschauers hatte und sich doch in keiner Weise an der Unruhe oder an den Gesprächen beteiligte. Auf das merkwürdigste wirkte er einsam, obschon neben, vor und hinter ihm jeder Platz von ihm bekannten Kollegen besetzt war. Aus irgendeinem Grunde redete niemand ihn an. Mit diesem Mann wechselte Burmeester einen langen festen Blick.

»Jetzt schlägt deine Stunde,« sagten Burmeesters Gedanken; »diesmal darfst du nicht ablehnen.«

Und sein Vetter, der Großkaufmann Jakobus Martin Bording, der seine Gedanken kannte, dachte antwortend: »Ich bin noch nicht so fest entschlossen, wie du hoffst …«

…..

 

 

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