Essentielle Schriften

Essentielle Schriften – Johann Albrecht Bengel

Der schwäbische Theologe Bengel ist einer der wichtigsten deutschen Vertreter des Pietismus. Sein Spezialgebiet war die Exegese des Neuen Testaments. In diesem Sammelband sind nicht nur Auszüge seines “Gnomons”, einem Kommentar zu diesem Teil der Bibel, sondern auch Schriften wie “Das Blut Jesu Christi”, “Die sieben Sendschreiben der Offenbarung Johannes”, einige Predigten und andere wichtige Texte enthalten.

Essentielle Schriften

Essentielle Schriften.

Format: Paperback, eBook

Essentielle Schriften.

ISBN: 9783849666118 (Paperback)
ISBN: 9783849662141  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Das Blut Jesu Christi

I. Das Blut Jesu Christi ist während seines Leidens und nach seinem Tod aufs reichlichste vergossen worden.

Bei den Opfern des Alten Testaments wurde ein Blutvergießen verlangt; das Blut mußte ganz vergossen werden, so daß nichts in den Adern und Gefäßen der Körper zurückbleiben durfte. Dies ist auch bei der einzigen Aufopferung geschehen, die im Neuen Testament erwähnt wird. Eine vollständige Vergießung des allerkostbarsten Blutes ist damals geschehen: im Garten durch den Schweiß, im Richthaus durch die Geißelung, am Kreuz durch die Nägel und nach dem Tod durch den Speer. So ist Christus völlig getötet worden nach dem Fleisch (1. Pet. 3, 18). Daß von der ganzen Masse des Blutes auch nur ein Tropfen in dem allerheiligsten Leibe zurückgeblieben sei, wird schwerlich jemand sagen können, der die Worte des 22. Psalms, Vers 15 und 16, recht überlegt:

„Wie Wasser bin ich ausgeschüttet … Wie eine Scherbe ist vertrocknet meine Kraft, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen, und in den Staub des Todes hast du mich gelegt.“

In Wahrheit ist das Lamm Gottes geschlachtet worden. Es ist nicht der eine Teil seines Blutes vergossen worden, der andere aber unvergossen geblieben; sondern wie der ganze Leib dahingegeben, so ist auch das ganze Blut vergossen worden (Matth. 26, 28). Das Vergießen des Blutes und der Tod Christi stehen zwar der Zeit nach nebeneinander, jedoch ist jenes nicht die Ursache von diesem. Er hat wahrhaftig sein Blut und sein Leben gelassen, aber nicht durch natürliche Ursachen, die bei denen, die sonst eines gewaltsamen Todes sterben, den Tod bewirken. Dies bringt der Vorzug seiner Person mit sich.

II. Auf die einmal geschehene Vergießung seines Blutes ist der Zustand erfolgt, in dem es ein vergossenes Blut war.

Das wirkliche Vergießen des Blutes ging vor sich, als es vergossen wurde. Als Zustand des vergossenen Blutes bezeichnen wir jedes Dasein des Blutes außerhalb des Leibes des Herrn, es sei nur kurz oder lang.

III. Dieses Blut ist auch in dem Zustand, da es als vergossen anzusehen ist, von aller Verwesung frei.

„Nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold sind wir losgekauft, sondern mit dem teuren Blut Christi, als eines Lammes ohne Fehl und Flecken“ (1. Pet. 1, 18 .19). Die Kostbarkeit dieses Blutes schließt die Verwesung aus. Dies bleibt gewiß und unleugbar, und keineswegs können wir die ungeziemenden Meinungen einiger (Ausleger) über das vergossene Blut des Herrn billigen.

IV. Man kann nicht behaupten, daß das vergossene Blut hernach wieder in die Adern des heiligen Leibes aufgefaßt worden sei.

Die menschliche Vernunft faßt nur, was dem natürlichen Leben gemäß ist. Daher gründen wir uns allein auf die Schrift. Diese erwähnt gar häufig die Blutvergießung und den Tod Jesu Christi, und nicht weniger preist sie seine Auferstehung und sein immerwährendes Leben. Aber von dem wieder in den Leib aufgenommenen Blut gibt sie keine ausdrückliche Nachricht, auch kann diese Auffassung durch keine Folgerung aus der Schrift hergeleitet werden. Es wäre mindestens ein übereilter Schluß zu sagen: „Das Blut Christi ist nicht verwest, folglich ist es wieder in die Adern zurückgekommen“. Wenn die drei Tage über, da Jesus unter den Toten war, der Leib ohne Blut und das Blut außerhalb des Leibes unverwest geblieben sind, so bleibt noch vielmehr nach überstandenem Tod jedes von beiden ohne das andere unverwest. Laßt uns hören, was die Schrift an die Hand gibt!

V. Zur Zeit der Auffahrt Christi ist das Blut, das vom Leibe abgesondert war, in den Himmel eingebracht worden.

Der Eingang des Priesters des Neuen Testamentes in das wahre Heiligtum war die Himmelfahrt. Es ist zwar beim Tod Jesu Christi der Vorhang des irdischen Tempels zerrissen worden, wodurch auch der Himmel als das wahre Heiligtum eröffnet wurde; aber der Eingang selbst ist durch die Himmelfahrt geschehen. Am dritten Tag nach dem Tod war die Auferstehung; am vierzigsten Tag nach der Auferstehung war die Himmelfahrt. Es ist aber Christus durch sein eignes Blut in das Heilige eingegangen (nicht nur nach der Vergießung und kraft der Vergießung seines Blutes, auch nicht mit dem wieder in den Leib aufgenommenen Blut, sondern durch das Blut); folglich hat dieser Priester sein eignes Blut als vom Leib abgesondert in das Heiligtum hineingetragen. Daher beschuldigt man den mit Recht der Vermessenheit, der glaubt, daß die Teilchen des Fleisches Christi, die an der Geißel, an den Nägeln und an der Dornenkrone hängen geblieben und die vergossenen Blutströpflein durch ein Wunder auf Erden aufbehalten und im heiligen Abendmahl vervielfältigt würden. Zur Zeit des Eingangs oder der Himmelfahrt hatte Christus ein vom Leib abgesondertes Blut. Der Leib war ohne Blut, aber dennoch nicht entseelt, sondern lebendig. Wenn das Blut im Leib gewesen wäre, so hätte es nicht dem Vorbild des Priesters im Alten Testament entsprochen, der mit dem Blut der Tiere in das Heiligtum einging (Heb. 9, 7. 25 und vor allem Heb. 9, 12, wo sich die Wörtlein >durch< eben mit diesem Nachdruck aufeinander beziehen). Daß man bei der Ähnlichkeit des Vorbildes und des Gegenbildes bleiben müsse, erkannte Witsius in seiner Dissertation „Vom Priestertum Aarons und Christi“, wo er von der Stelle Heb. 13, 11 handelt. Er erklärt das Blut Christi für die Seele Christi, und das ohne Grund; denn es wird wie beim Vorbild so auch beim Gegenbild im eigentlichen Sinn so genanntes Blut angezeigt. Es hat auch Sibrandus Lubbertus eine ziemlich matte Erklärung in seinem zweiten Buch gegen die Socinianer „Von Jesus Christus, dem Heiland“, wo er sagt: „Gleichwie der levitische Priester mit dem Blut des geschlachteten Opfers für sich und für das Volk im levitischen Heiligtum erschien, so erscheint Christus nicht eben mit seinem materiellen vergossenen Blut, sondern nach der Kraft und Wirkung seines für uns vergossenen Blutes für uns im Himmel“.

Der Apostel redet aber nicht von der Kraft und Wirkung des Blutes, sondern von dem eignen Blut Christi, durch das der Eingang in das Heilige geschehen sei. Auch nennt er es nicht ein materielles Blut, sondern das Blut dessen, der durch den ewigen Geist sich selbst untadelig Gott geopfert hat. Diesen apostolischen Nachdruck haben hin und wieder treffliche Ausleger in ihren Reden nachgeahmt. Chrysostomus in seiner 33. Predigt über Hebräer 13: „Der eigentliche Hergang des Leidens war von außen, von außen, sage ich; aber in den Himmel ist das Blut hineingetragen worden. So siehst du denn, daß wir jenes Blutes teilhaftig sind, das in das Heilige, in das wahre Heilige nämlich, hineingetragen wurde, jenes Opfers, das allein der Hohepriester zu genießen hatte“. Konrad Pellican sagt über Hebräer 9: „Christus hat den Wert seines Blutes für uns, die wir erlöst sein sollten, Gott dem Vater in den Himmel hineingebracht“. Joh. Calvin spricht über Hebräer 10: „Das Blut der Tiere konnte, da es sogleich in die Fäulnis überging, seine Kraft nicht lange behalten; aber das Blut Christi, das von keiner Fäulnis angegriffen wird, sondern allezeit in reiner Farbe fließt, wird uns bis ans Ende der Welt hinreichend sein. Es ist kein Wunder, daß die geschlachteten Tieropfer keine lebendigmachende Kraft hatten, da sie selbst tot waren; Christus aber, der von dem Tode auferstanden ist, damit er uns das Leben mitteile, ergießt sein eignes (Leben) in uns. Dies ist eine immerwährende Zueignung des Mittels zum Leben in der Art, daß vor dem Angesicht des Vaters das Blut Christi zu aller Zeit träufelt, gewissermaßen um Himmel und Erde zu befeuchten“. Und über Kapitel 13: „Christus hat sein Blut in das himmlische Heiligtum eingetragen, um die Sünden der Welt zu versühnen“. Wiederum: „Der Apostel scheint (Hebräer 13, 20) meines Erachtens damit anzudeuten, Christus sei so von den Toten auferstanden, daß sein Tod gleichwohl nicht abgeschafft sei, sondern eine ewige Wirkung behalte, als wollte er sagen, Gott hat seinen Sohn auferweckt, aber so, daß das Blut, das er einmal im Tod vergossen hat, zur Bestätigung des ewigen Bundes, nach der Auferstehung fortdauert und seine Frucht bringt, als ob es immerfort flösse“. Hurinio über Hebräer 13: „Christus hat sein eignes Blut in das Allerheiligste eingetragen“.

VI. Das Blut Jesu Christi bleibt immer ein vergossenes Blut.

Wenn irgend einmal das Blut Jesu Christi hätte können oder sollen in seinen Leib wieder zurückkommen, so konnte und mußte es im Augenblick der Auferstehung, nicht aber erst hernach geschehen. Aus dem vorigen Satz geht hervor, daß dies vor der Himmelfahrt nicht geschehen ist, mithin ist es nicht bei der Auferstehung geschehen. Überhaupt ist keine Zeit ausfindig zu machen, die wir für jene Aufnahme (des Blutes) nachweisen könnten. Der Zustand des vergossenen Blutes ist ein immerwährender. Jesus selber ist im Himmel, und sein Leib, auch sein Blut, ist im Himmel; aber um deswillen ist nunmehr sein Blut nicht im Leibe. Ich möchte das Gesicht, Offenbarung 1, 14, von der weißen Farbe des Hauptes Jesu Christi, als wenn sie die Abwesenheit des Blutes anzeigte, nicht hierauf beziehen; denn die Farbe bezieht sich auf die schneeweißen Haupthaare, wogegen das Angesicht in Vers 16 mit der in ihrer Macht leuchtenden Sonne verglichen wird. Auch berufen wir uns nicht wie Augustinus auf das, was Lukas 24, 39 vorkommt; denn das Blut, wenn es auch schon im Körper ist, läßt sich weniger fühlen und sehen, als das Fleisch und die Gebeine. Es gibt noch andere Merkmale des vom Leib abgesonderten Blutes. Die Heilige Schrift stellt den Leib und das Blut nicht nur beim Leiden und Tod des Herrn, sondern auch bei dem zum Gedächtnis seines Todes eingesetzten Abendmahl als voneinander geschieden vor. Man erwäge Hebräer 13, 9-14; 10, 10. 29; 1. Korinther 11, 24 ff. Der Ausdruck in der biblischen Verkündigung richtet sich nach der wahren Beschaffenheit der Sache selbst. Darum wird der Leib und das Blut Christi mit so genauer Unterscheidung betrachtet, weil in der Sache selbst ein Unterschied oder eine Scheidung stattfindet. Demnach befindet sich noch jetzt das Blut als vergossenes Blut im Himmel vor den Augen Gottes. Noch jetzt redet es für uns. Noch jetzt ist es ein Blut der Besprengung (1. Pet. 1, 2). Das Blut Abels, das die Erde mit offenem Munde aus der Hand Kains eingeschluckt hatte, schrie, als es vom Leib abgesondert war. Das Blut Jesu Christi, das ebenfalls abgesondert ist, redet im Himmel mächtiger und gütiger. Eben um dieser Ursache willen wird das Blut der Besprengung in der vorliegenden Stelle (Heb. 12, 24) neben Jesus besonders bezeugt, wie auch in Kapitel 10, 19. 21 der Eingang des Heiligtums im Blut Jesu und eben dieser große Priester selbst besonders gepriesen wird, auch Kapitel 13, 12 das Blut Jesu abgesondert und nicht in Verbindung mit dem Leib (vgl. Vers 111) betrachtet und endlich Kapitel 13, 20 selbst von der Auferweckung des großen Hirten der Schafe gesagt wird, daß sie durch das Blut des ewigen Testaments geschehen sei. Man vergleiche des ehrwürdigen Rieger „Historie der Böhmischen Brüder“, wo sich aus den von Herrn Kanzler Pfaff entdeckten Spuren ein sehr weites Feld alter und neuer Meinungen auf solche Weise vor uns eröffnet, daß diese von jenem geschickt vorgetragene Meinung sich durch alle Schwierigkeiten, die den übrigen entgegenstehen, von selber durchschlägt. Das vergossene Blut selbst, nicht nur die Vergießung des Blutes, ist der Preis der ewigen Erlösung. Dieser Preis, der Gott dargebracht worden ist, bleibt dargebracht, ohne in den Leib des Erlösers wieder zurückgegeben zu werden. Die Erlösung ist ewig. Die Gültigkeit des Lösegeldes ist ebenfalls ewig, nicht anders, als ob der Erlöser täglich für uns am Kreuz hängend seinen Geist aufgäbe. In seinem Tod war eine unauflösliche Kraft des Lebens; in seinem Leben ist eine immerwährende Gültigkeit des Todes. Selbst der Tod des Herrn hat die Schwachheit seines Lebens in der Welt verschlungen, da er des Blutes und des Fleisches teilhaftig geworden war, damit er sterben könnte (2, 14). So führt eben dieser Tod als der Übergang zum herrlichen Leben sogleich etwas mit sich, das dem herrlichen Leben gemäß war (1. Tim. 3, 16). Die Verkündigung des Todes des Herrn umfaßt demnach eine Erinnerung an ihn im Ganzen, auch an sein Begräbnis und seine Auferstehung (mit der jener genau verbunden wird, 1. Kor. 15, 4), an die Himmelfahrt und an das Sitzen zur Rechten Gottes, bis daß er kommt (1. Kor. 11, 26). Der große Hirte der Schafe ist von den Toten ausgeführt worden; aber das Testament, durch dessen Blut er ausgeführt wurde, ist ewig (Heb. 13, 20). Hieraus wird deutlich, mit welch besonderer Art Johannes das Lamm beschrieben hat, das er selber als geschlachtetes Lamm in seinem Leben und in seiner Herrlichkeit gesehen hat.

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