Gräfin Faustine

Gräfin Faustine – Ida Gräfin Hahn-Hahn

Ein Ehe- und Gesellschaftsroman aufgebaut auf der Dramaturgie und der Figur von Goethes Faust. Die Autorin war eine der meistgelesenen ihrer Zeit und wurde selbst von Leuten wie Eichendorff oder Fontane gepriesen.

Gräfin Faustine

Gräfin Faustine.

Format: eBook

Gräfin Faustine.

ISBN eBook: 9783849655754.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

In Norddeutschland giebt es wol wenig lieblichere Punkte, als die Brühlsche Terrasse in Dresden zur Frühlingszeit. An einem Juniustage, frisch, grün und strahlend wie ein Smaragd, saßen mehre junge Männer vor dem Baldinischen Pavillon, rauchten Cigarren, nahmen Gefrornes oder Kaffee, musterten die Vorübergehenden und schwatzten eine Musterkarte von Unsinn durcheinander, wozu, wie sich von selbst versteht, Pferde, Theater und Frauen das Thema lieferten, – ein Thema, so lange und so oft gebrandschatzt, daß man schwer begreift, wie es noch immer zu neuen Variationen dienen könne.

Es war drei Uhr Nachmittags, und daher keine elegante Frau auf der Terrasse zu sehen. Sie speisten oder wollten speisen, und fürchteten die Hitze, die Sonne, obgleich sich kühler, grüner, wehender Schatten über die Terrasse legte. Desto mehr mußte es auffallen, daß eine augenscheinlich dem höhern Stande angehörende Frau allein auf einer Bank saß, den Rücken dem Pavillon zugewendet, ungestört von dem Geschwätz der Männer, und von dem unruhigen, jauchzenden Treiben der Kinder, welche mit und ohne Wärterinnen die Terrasse gleich Ameisen überdeckten. Aber es fiel Keinem auf. Sie mußte also eine Erscheinung sein, die Jedermann kannte, und für die sich Niemand interessirte. Sie zeichnete emsig. Ein Bedienter stand wie eine Statue seitwärts hinter ihr und hielt einen Sonnenschirm so, daß weder ein blendender Lichtstrahl noch ein zitternder Schatten des Laubes Auge, Hand und Papier der Gebieterin treffen konnte. Ihr großes, dunkles Auge flog mit einem schnellen, scharfen Aufschlag hin und her zwischen Gegend und Zeichnung, und die feine Hand, ohne Scheu vor der Luft, der größern Festigkeit wegen des Handschuhs entledigt, folgte gewandt dem Blick. Sie war ganz in ihre Arbeit vertieft.

»Lady Geraldin ist heute nach Teplitz abgefahren – das ist meine letzte Neuigkeit,« sagte ein junger Mann aus jener Gruppe.

»Ist gar keine Neuigkeit!« rief ein Anderer, »es war längst bestimmt.«

»Aber auf morgen.«

»Nein, auf heute.«

»Wahrhaftig, auf morgen!«

»Kurz und gut, sie ist fort,« sagte ein Dritter, »und bald wird Dresden ganz ausgestorben sein. Man muß sich auch davon machen. Es ist unerträglich, nichts als gemeine unbekannte Gesichter zu sehen.«

»Ich liebe gerade die fremden Gesichter, welche wie Wandervögel jetzt hindurch und in die Bäder ziehen.«

»Ah, fremde Gesichter! das ist etwas ganz Andres! die lieb’ ich auch, und die kennt man sehr schnell. Ich meinte die unbekannten, die Nobody’s, den Bodensatz der Gesellschaft, Namen, die man sich hundertmal wiederholen läßt, ohne im Stande zu sein, sie zu behalten, Gestalten, die Anspruch darauf machen, gegrüßt zu werden, weil man sie in irgend einem Salon coudoyirt hat – und von solchen wimmelt Dresden plötzlich, wie die Nacht von Gespenstern.«

»Ich bedaure jeden, der gezwungen ist den Sommer hier zuzubringen.«

»Und gestern Abend ist Graf Mengen angekommen. Der Gesandte hat nur darauf gewartet, um seine Badereise anzutreten – so bleibt er denn solo soletti! – Freilich …. reiten kann man überall, und auch allein ist’s amüsant.«

»Beneidenswerth! – Und wo werden Sie hingehen?«

»Unbestimmt noch! hie und da aufs Land, zu Freunden – später nach Teplitz. Wenn Fürst Clary Wettrennen veranstalten wollte, wie sie doch jetzt in jedem civilisirten Lande Europa’s, und ziemlich an jedem Ort, wo fashionable Gesellschaft sich zusammenfindet, Mode sind: so würde der dortige Aufenthalt bedeutend gewinnen. Das Terrain wäre vortrefflich; die Wiener würden auch ihre Pferde schicken. Unbegreiflich, daß der Clary den Vortheil nicht einsieht.«

»Kennen Sie den Graf Mengen?« – wurde gefragt.

»Ich sah ihn heut’ früh bei Feldern, seinem Universitätsfreunde, aber nur einen Augenblick. Wir wurden einander genannt – dann ging er zu seinem Gesandten.«

»Wie sieht er aus? hat er gute Manieren?«

»Ich denke, er muß pompös zu Pferd sitzen.«

»Aber, lieber Centaur,« rief Einer, »im Zimmer, im Salon kann man nicht zu Pferd sitzen, und muß sich doch präsentiren.«

Der Centaur, der nichts Schmeichelhafteres kannte, als diesen Beinamen, sagte:

»Wer gut reitet, präsentirt sich überall und immer gut, hat Gewandtheit, Kraft, Haltung, Ungezwungenheit – kurz Alles, was ein Cavalier bedarf.«

»Auch Verstand?«

»Auch Verstand! die Pferde sind kluge, schlaue, pfiffige, tückische Bestien, haben viel Aehnlichkeit mit den Weibern, müssen gehorchen lernen, auf den Wink, der geringsten Bewegung. Es gehört viel Verstand dazu, ein tiefes Studium und ernste Beharrlichkeit, ihnen Gehorsam einzuimpfen.«

»Den Weibern oder den Pferden?«

»Beiden! Der Umgang mit diesen ist gleichsam die Elementarschule zum Verkehr mit jenen.«

…..

 

 

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