Maria Regina

Maria Regina – Ida Gräfin Hahn-Hahn

“Maria Regina” ist die Geschichte zweier Schwestern, von denen die eine im Kloster und unter der Ordensregel, die andere in der großen Welt und in der Ehe ihr Leben heiligt: die providentielle Erziehung zweier Seelen auf getrennten Wegen zu demselben letzten Ziel. In ihrer Geschichte vollzieht sich das rührende Schicksal einer großen glücklichen Adelsfamilie, die Herzens- und Lebensrichtung der verschieden gearteten Glieder unter den widerstreitenden Einflüssen der Zeit.

Maria Regina

Maria Regina.

Format: eBook

Maria Regina.

ISBN eBook: 9783849655761.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Ein milder Sommerabend ruhte auf den heitern, lieblichen Ufern des Mains. Grüne Hügel, Rebgelände, Haine von Fruchtbäumen, Städtchen und Dörfer drängen sich an seine krausen Windungen heran. Auf einer Höhe am nördlichen Ufer liegt Kloster Engelberg, der berühmte Wallfahrtsort, mit seinem Hintergrund von dunkelm Nadelholz. Die ärmsten Söhne des armen heiligen Franziskus, die Kapuziner, dienen hier Tag und Nacht Gott und den Seelen. Drüben auf dem südlichen Ufer erhebt sich auf der Platte eines Hügels, den die Kunst in einen terrassierten Garten verwandelt hat, das Schloß des Grafen Windeck im Stil der Renaissance unter uralten Linden und Kastanien. Auf den Zinnen hing das Banner in den Windecker Wappenfarben schlaff an der Stange herab und auf den Terrassen tanzten die Springbrunnen wie Elfen und ihr schlanker Wasserstrahl trug spielende glänzende Kugeln, ohne sie fallen zu lassen: so still war die Luft. Die Blüten der Orangenbäume dufteten betäubend, und Granaten und Oleander mit ihren prächtigen Blumen glühten doppelt in der Abendsonne. Breite Steintreppen, deren Absätze mit großen Vasen voll Hortensien und anderen Prunkblumen geschmückt waren, führten von einer Terrasse auf die andere. Die oberste trug zu beiden Seiten Gruppen von schattigen Linden und in der Mitte ein weites, von Wasserpflanzen und kleinen Basaltblöcken umgebenes Bassin, aus dem ein starker Wasserstrahl aufstieg und mit drei Kugeln zugleich spielte. Auf einem der Felsblöcke saß ein kleines Mädchen und schaute mit stillen großen Augen träumerisch die tanzenden Kugeln an. Über den Main schwamm ein Nachen und trug einen bejahrten Herrn mit schneeweißem Haar und ein junges Mädchen, die so eben die hohe steile Wallfahrtstreppe herabgestiegen waren, vom Kloster Engelberg nach Schloß Windeck hinüber. Friedlicher als der Abendhimmel und der stille Fluß und die ganze ruhende Natur war der Ausdruck, der auf dem Antlitze des Greises und des jungen Mädchens lag, denn es war der Friede, der nichts gemein mit der Erde hat.

In dem reichmöblierten Saal, dessen drei hohe Fenstertüren der Terrasse zu weitgeöffnet standen, ging Graf Windeck auf und nieder, sofern ihm das nämlich möglich war. Denn der Saal, obzwar sehr geräumig, war mit Sopha’s, Ottomanen, Lehn- und anderen Stühlen, Tischen in allen Größen und Formen, Gestellen mit Blumen, mit Vasen, mit Lampen, mit Büchern, mit Porzellan, mit tausend und aber tausend modischen Überflüssigkeiten, die alle kreuz und quer standen, dermaßen überfüllt, daß er mehr dem Magazin eines Tapeziers als einem Familienzimmer glich. So liebte es aber der Graf, denn so war es eben Gebrauch in der Welt, obschon seine Liebhaberei für das Auf- und Abgehen, was für müßige Menschen eine Art von Beschäftigung ist, sehr dadurch beeinträchtigt wurde. Er schob auch ziemlich unmutig bald einen Sessel, bald einen Tisch, einmal sogar das Polster zurück, auf dem Amour ruhte, Amour, das köstliche Bologneserhündchen, nicht viel größer als ein Schneeball, ein höchst seltenes Exemplar dieser fast ausgestorbenen Race. Amour kläffte empört über diese rauhe Behandlung seinen Herrn an und ein schöner Aras, aus seiner abendlichen Ruhe aufgeschreckt, kreischte laut auf und schüttelte voll Entsetzen sein Gefieder. Dann wurde Alles wieder still.

Nach einiger Zeit sah der Graf auf die Uhr, trat unter die Türe, die auf die Terrasse führte, und blickte verdrießlich nach Kloster Engelberg hinüber. Dann fiel sein Auge auf die Kleine, die zwischen einem hohen Strauß von blühenden Callas wie die Nymphe des Springbrunnens an dessen Rand saß – und er rief:

»Corona!«

Die Kleine sprang auf und eilte zu ihm. Er fragte:

»Wo bleibt Regina?«

»Sie wird wohl gleich kommen, lieber Vater.«

»Woher weißt Du, daß sie gleich kommen wird, wenn sie jetzt noch nicht zurück ist?« fragte ganz unmutig der Graf.

»Weil Du gesagt hast, daß sie um sieben Uhr zu Hause sein solle, lieber Vater,« entgegnete sie unbefangen.

Da schlug es sieben und Regina trat durch eine Seitentüre in den Saal, küßte dem Grafen die Hand und nickte freundlich der kleinen Schwester zu.

»Du kannst wieder in den Garten gehen, Korona,« sagte der Graf, setzte sich in einen Lehnstuhl, deutete seiner ältesten Tochter an, ihm gegenüber Platz zu nehmen und fuhr fort: »Ich hab’ es reiflich erwogen, Regina, ich schicke Euch nicht zu den Damen vom Sacré Coeur zurück. Die gute Tante Isabella hat mir versprochen, uns nicht zu verlassen, und ich behalte Euch bei mir. Du bist jetzt siebzehn Jahre alt; da muß das Lernen aufhören. Denn entweder hast Du etwas gelernt – und dann bist Du hinreichend unterrichtet; oder Du hast nichts gelernt – und dann ist’s überhaupt umsonst, dann wirst Du auch nichts lernen. Genug, Ihr sollt bei mir bleiben und mich unterhalten. Du sollst diesen Winter mit mir in die Welt gehen und für Korona will ich Gouvernante u. dgl. halten. Aber des Sacré Coeur bin ich überdrüssig. Seit dem Tode Eurer guten Mutter, also fünf volle Jahre waret Ihr dort. Ein längerer Aufenthalt würde Dir entschieden schädlich sein, Dich der Welt entfremden, Dich wohl gar auf den Gedanken bringen, ganz und gar da zu bleiben – und das geht nicht..«

»Das würde ich auch nie wünschen, lieber Vater,« antwortete Regina, als der Graf schwieg, um zu hören, was sie erwidern würde.

»Nicht?« rief er erfreut; – »nun, das ist mir lieb! ich fürchtete schon, Du hättest Klostergedanken.«

»Du fürchtetest es, lieber Vater?« sagte Regina, und sah ihn mit ihrem tiefen klaren Auge ganz erstaunt an.

»Nun freilich!« fuhr der Graf auf; – »alle romantischen Grillen sind mir verhaßt.«

»Scheint es Dir eine romantische Grille, dem lieben Gott dienen zu wollen?« fragte Regina weiter.

»Was wär’ es sonst?« rief er zornig.

»Ich dachte, es sei eine Pflicht,« sagte sie sanft.

»Ärgere mich nicht, Regina!« brach der Graf aus. – Da hub auf Kloster Engelberg das Ave-Maria-Läuten an. Regina stand auf, trat zurück, blickte hinüber nach dem armen Kirchlein, das – wie einst der Stall von Bethlehem den menschgewordenen Gott aufnahm – so den verborgenen Gott im Tabernakel umschloß, und betete andächtig den englischen Gruß. Der Graf, unterbrochen in seinem Zornerguß, sah während der Zeit die Tochter an und sprach zu sich selbst: Wie schön sie ist! woher hat sie nur die Schönheit? von ihrer armen Mutter gewiß nicht! – Dieser Ideengang versöhnte ihn etwas, und als Regina nun sanft vor ihm niederkniete und um Vergebung bat, wenn sie gefehlt habe, antwortete er:

»Du mußt suchen aus den Widersprüchen zu kommen, mein Kind, und Dir selbst klar zu werden. Eben sagtest Du, Du wünschtest nicht im Sacré Coeur für immer zu bleiben und gleich darauf schienst Du dennoch mit Klostergedanken umzugehen.«

»Lieber Vater,« sagte Regina mutig, »mein Wunsch wäre, zu den Karmelitessen zu gehen.«

»Zu den Karmelitessen!« rief der Graf, »wer sind die? wo sind die? was weißt Du von ihnen?«

»Nichts – als daß ich bei ihnen lernen könnte, recht innig Gott zu lieben und recht ausschließlich ihm zu dienen.«

»Unsinn über Unsinn!« rief er. Da fingen die Glocken auf Kloster Engelberg an, den morgenden Sonntag einzuläuten und bald stimmten alle Glocken und Glöcklein der benachbarten Kirchen ein und mahnten wie Stimmen des Himmels die Menschen im Staube der Erde an das »Sursum Corda«, das so leicht vergessen. Graf Windeck überhörte den himmlischen Zuruf und sprach weiter:

»Den Unsinn fetzen Dir die Patres da drüben in den Kopf. Ich will nicht mehr, daß Du bei ihnen beichtest. Du kannst bei Onkel Levin beichten – und überhaupt seltener. Ich begreife nicht, was Du jeden Samstag zu beichten haben kannst! mir fällt nie was ein.«

Mit einer ganz leichten Bewegung glitt Regina auf ihre Knie, beugte sich tief zu Boden, küßte die Füße des Grafen und sagte zärtlich:

»Desto schlimmer, mein geliebter Vater.«

Der Graf aber behandelte sie wie sein Bologneserhündchen, stieß sie fort und sagte rauh:

»Was erfrechst Du Dich?«

…..

 

 

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