Ihr Liebhaber (Deutsche Neuübersetzung)

Ihr Liebhaber (Deutsche Neuübersetzung) – Maxim Gorki

Teresa, eine Dame von zweifelhaftem Ruf, lebt in einem Wohnheim und besucht ihren Nachbarn, einen Studenten, der ihr einen Brief schreiben soll, da sie selbst Analphabetin ist. Er schreibt für sie einen Brief an ihren Freund . Irgendwann später kommt sie zurück und möchte, dass der Student ihr einen Brief ihres Freundes an sie selbst schreibt! ….

Ihr Liebhaber (Deutsche Neuübersetzung)

Ihr Liebhaber (Deutsche Neuübersetzung).

Format: eBook.

Ihr Liebhaber (Deutsche Neuübersetzung).

ISBN: 9783849654245.

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Einer meiner Bekannten erzählte mir einmal die folgende Geschichte:

Als ich Student in Moskau war, lebte ich zufällig neben einer dieser Damen, deren Ruf durchaus als fragwürdig bezeichnet werden kann. Sie war eine Polin, und man nannte sie Teresa. Teresa war eine große, kräftig gebaute Brünette, mit schwarzen, buschigen Augenbrauen und einem großen, groben Gesicht, als ob es von einer Axt herausgearbeitet worden wäre – der bestialische Glanz ihrer dunklen Augen, ihre volle Bassstimme, ihr Gang wie ein Droschkenfahrer und ihre gewaltige Muskelkraft, die einer Fischersfrau würdig gewesen wäre, erfüllten mich mit Entsetzen. Ich lebte im obersten Stock und ihre Mansarde war meiner gegenüber. Ich ließ meine Tür nie offen, wenn ich wusste, dass sie zu Hause ist. Aber das passierte eher sehr selten. Manchmal traf ich sie auf der Treppe oder im Hof, und sie schenkte mir ein Lächeln, das mir verschlagen und zynisch erschien. Gelegentlich sah ich sie auch betrunken, mit benebelten Augen, zerzaustem Haar und einem besonders abscheulichen Grinsen. Bei solchen Gelegenheiten sprach sie gerne mit mir.

“Wie geht’s, Herr Student!” und ihr dummes Lachen machte meinen Abscheu ihr gegenüber nur noch stärker. Ich hätte gerne mein Quartier gewechselt, um solche Begegnungen und Begrüßungen zu vermeiden; aber mein kleines Zimmer war ein sehr schönes, ich hatte eine tolle Aussicht aus dem Fenster, und auf der Straße unten war es immer ruhig – also habe ich es ertragen.

Eines Morgens fläzte ich auf meiner Couch und versuchte, eine Ausrede dafür zu finden, nicht meine Klasse zu besuchen, als sich die Tür öffnete, und die Bassstimme von Teresa, der Abscheulichen, von meiner Schwelle erschallte:

“Gute Gesundheit, Herr Student!”

“Was wollen Sie?”, fragte ich. Ich sah, dass ihr Gesichtsausdruck verwirrt und flehend war. . . . für sie ein sehr ungewohnter Gesichtsausdruck.

“Mein Herr! Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Würden Sie ihn mir gewähren?”

Ich lag still da und dachte bei mir:

“Meine Güte! . . . Mut, mein Junge!”

“Ich will einen Brief nach Hause schicken, darum geht es”, sagte sie; ihre Stimme war flehend, weich, schüchtern.

“Der Teufel soll dich holen!”, dachte ich; dennoch sprang ich auf, setzte mich an meinen Tisch, nahm ein Blatt Papier und sagte:

“Kommen Sie her, setzen Sie sich hin und diktieren Sie!”

Sie kam zu mir, setzte sich sehr behutsam auf einen Stuhl und sah mich mit schuldigem Blick an.

“Nun, wem wollen Sie schreiben?”

“An Boleslav Kashput, in der Stadt Svieptziana, an der Warschauer Straße. . . .”

“Nun gut schießen Sie los!”

“Mein lieber Boles. … mein Liebling… mein getreuer Liebhaber. Möge die Muttergottes dich beschützen! Du Herz aus Gold, warum hast du deiner trauernden kleinen Taube Teresa so lange nicht geschrieben?”

Ich brach fast in Lachen aus. “Eine trauernde kleine Taube!” Über einen Meter achtzig groß, mit Fäusten aus Stein und genauso schwer, und so schwarz im Gesicht, als hätte die kleine Taube ihr ganzes Leben lang in einem Schornstein verbracht und sich nie gewaschen! Irgendwie konnte ich mich zurückhalten und fragte sie:

“Wer ist dieser Bolest?”

“Boles, Herr Student”, sagte sie, als ob ich sie mit dem Namen beleidigt hätte, “er heißt Boles – mein junger Mann.”

“Junger Mann!”

“Warum sind Sie so überrascht, mein Herr? Darf ich, ein Mädchen, keinen jungen Mann haben?”

Sie? Ein Mädchen? Naja!

“Oh, warum nicht?”, sagte ich. “Alles ist möglich. Und ist er schon lange Ihr junger Mann?”

…..

 

 

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