Jungfer Therese

Jungfer Therese – Heinrich Federer

Ein Priesterroman aus dem von Federer erfundenen Dörfchen Lachweiler. Der Ort wurde besonders bekannt durch Federers literarischen Durchbruch, die “Lachweiler Geschichten” aus dem Jahre 1911.

Jungfer Therese

Jungfer Therese.

Format: eBook

Jungfer Therese.

ISBN eBook: 9783849655327

 

 

Auszug aus dem Text:

Vier magere Jünglinge und ein fünfter dicker standen in sauber gebürsteten, langen, schwarzen Fräcken mit den frischen Augen junger Eroberer vor ihrem Bischof. Es war Vesperzeit. In schweren, tiefgoldenen Tropfen rieselte die Sonne durch die hohen, engen Nischenfenster in das Gemach. Das uralte Flügelaltärchen und der gewaltige Glasschrank, voll lateinischer und griechischer Bücher, standen schon in violetter Dämmerung. Aber auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers funkelten noch ein paar weiße Tassen und eine Zinnkanne, woraus ein tröstlicher blauer Faden von Kaffeedampf quirlte. Neben dem Pult am Fenster, wo die fünfe standen, lief ein gepolstertes Möbel an der Wand hin, halb Sofa, halb Feldbett. Hier verbrachte der kränkliche Bischof seine vielen schlaflosen Nächte wachend, betend, studierend und im Geiste die hundert Pfarreien und zweihundert Kaplanstübchen seines kleinen, aber schwierigen Bistums visitierend.

Die fünf Neupriester hatten die Exerzitien, Fasten und Examen der letzten Wochen tapfer bestanden. Seit wenigen Tagen waren sie Gesalbte des Herrn und kamen sich immer noch in einer sozusagen sakramentalen Verzücktheit, ohne Last und Schwere, wie schwebende Geister oder wie machtvoll bezepterte junge Fürsten oder wie ein paar Heilande der Welt vor. Sie dürsteten nach dem Lande, dessen Antlitz sie erneuern, nach dem Volke, das sie zu lauter Heiligen machen wollten. Ihr ganzes Gesicht brannte vor Lust, sich mit der argen Welt in ein mannliches Scharmützel zu stürzen. Sie waren von jener feurigen Sorte, die es in allen Fingern kitzelt, das Schwert aus dem Gurt zu reißen und dem Malchus das Ohr, will sagen, dem Laster Haupt und Hörner abzuhauen.

Jetzt harrten sie ungeduldig und von einem Schuh auf den anderen tretend auf die Eröffnung, wohin ihr Hirte sie aussenden werde. Butter und Biskuit trug gerade der alte Diener Joseph auf den Tisch. Das haben sie längst nicht mehr genossen. Aber die jungen Männer, die wahrhaft bei aller heiligen Wissenschaft das irdische Leckmaul nicht ganz getötet haben, beachteten die Schleckerei jetzt kaum. Nur der dicke Anton Hottli sah und zählte genau neun Törtchen und wußte sogleich und schmerzlich, daß einer von ihnen nur ein Biskuit bekäme. Er wollte jedenfalls zwei.

Der dünnste und blasseste von allen, Herr Johannes Keng, war auch der ungeduldigste. Auf diese Minute hatte er sich seit Monaten gesehnt. In seiner poetischen Art verglich er sie mit jenem Augenblick, wo Christus, schon von verklärten, blauen Wölklein umflossen und über die gemeine Rinde der Erde schwebend, seine Apostel segnete und nach Europa und Afrika und ins innere Asien sandte, – – – kurz, es war der Augenblick der Weltverteilung.

Johannes Keng war ein schwacher, brustleidender Jüngling. Ohne Geschwister, in der sorgenden und ein bißchen verhätschelnden Pflege seiner Mutter, einer jungen Witwe, aufgewachsen, hatte er sein kleines Stück Leben mehr zwischen den Büchern und in den Träumen und Fiebern der Stube als draußen in der herben, wilden Luft der Gasse zugebracht. Er war ein Schwärmer für alles Edle und Feierliche und Schöne. Ein großer Mensch, eine hohe Zeit, eine mächtige Kunst hatten ihn im Nu bezaubert. Und er war selbst ein halber Dichter und ein halber Musiker, einer freilich, der in den heftigen Anfällen seines Brustleidens sich wie ein Zwerglein duckte und in den gesunden Tagen dann wieder wie ein Riese des größten Werkes unterfing. Theologe und Seelsorger sein dürfen, dünkte ihn das Beste. Er hatte es zuerst mit Philologie und Philosophie versucht, und ein artiges Schwänzchen davon ging ihm jetzt noch überall nach. Aber erst in der Theologie ward er glücklich und satt. – Im zweiten Seminarjahr starb ihm die Mutter. Damit hatte er allen heimischen Zusammenhang verloren. Er war jetzt nur noch bei seinen Büchern und Priestern daheim. Die Basilius und Augustin, die Leo und Innozenz, die Loyola, Capistran, Bourdaloue bildeten nun seine Familie und die Kathedrale und die paulinischen Weltstraßen, die von ihr gen Morgen und Abend liefen, dünkten ihn neben dem Stühlchen am Pult seine Heimat und Zukunft. Er träumte und schwärmte ausgelassen, aber arbeitete auch mannhaft. Kein Fach gefiel ihm so, wie das bodenständigste seiner Fakultät, die Pastoral. Von dieser Wissenschaft behauptete er einmal in einem Prolog vor seinem Bischof, der leider in so poetischem Augenblick ein großes blau geblumtes Schnupftuch zur Nase führte, mit freilich unvermindertem Versschwung, daß sie gar schmackhaft nach Erde rieche und doch überall himmlische Fenster auftue. Man sehe da Menschenstapfen und Engelfittiche nebeneinander. Es gebe da harte Türen, kümmerliche Kammern und Herzen, aber daneben schimmern Baldachine, donnern Kanzeln, fliegen goldene Tabernakelpförtlein auf. Pastoral, das ist tief wie Augustins Bücher und sitzt bäuerlich einfach neben den Dorfkindern und lacht und erzählt Geschichtlein und trinkt beim Ratsherrn Remigi einen Kaffee und trägt ein Kilo Äpfel oder eine Flasche Veltliner verstohlen in den tiefen Rocktaschen der kranken Kathri ins Mansardenzimmer hinauf.

Ihre bischöflichen Gnaden steckten das blaugeblumte Nastuch in den Ärmel und blickten kühl und ungerührt in die Rhetorik des Seminaristen.

Aber dem jungen Johannes Keng war es blutig ernst, und in allen vier theologischen Jahren hatte ihm nichts so gefallen wie die prachtvollen Vorlesungen der Pastoral bei Josephus Beck. Er zitterte vor Verlangen, was er in einem Dutzend Hefte feurig notiert hatte, nun auch durch ein paar Dutzend Jahre und durch zehntausend Menschen gewaltig auszuführen.

Jetzt nahm der Bischof einen Streifen Papier in die Hand. Das wichtigste Papier in Johannes’ Leben. Da steht, wohin er kommt. Als Professor an eine Realschule? – Das paßte ihm gerade: lehren, unterrichten, zu Füßen den leuchtenden Hunger von hundert Kinderaugen. Oder in eine Stadt als Vikar? – Ah, Sozialpolitik, Arbeiterapostel, Don Bosco, Domkanzel! Oder in ein schlichtes Dörfchen hinaus? – Nun ja, nun ja! auch schön! Hügel und kleine Wiesenbäche, idyllische Nachmittage, spekulative Spaziergänge unter Linden oder Zwetschenbäumen, Barfußkinder, rauhes aber ehrliches Volksherz, schneehaariger, freundlicher, schnupfender Pfarrer, großer Kaplaneigarten, Bienenstand, Spalierbäume, Versehgänge mit Glöcklein und Laternchen durchs kniende Dorf, auch schön, auch schön! Und das Landvolk aus der Dumpfheit heben, Fortbildungsschulen stiften, Lesezimmer mit dem Schullehrer gründen, geniale Bauernkinder . . . man hört von solchen in der Weltgeschichte . . . im Lateinischen unterrichten, Stenographie, Vereine . . .

»Sieh, da kommt auch noch Honig!« flüsterte Anton Hottli fröhlich.

Johannes schoß ihm einen unwilligen Blick aus den grauen, schmalen Augen zu. – Also Vereine gründen, das Laienapostolat einführen, aufs materielle Wohl ein Auge . . .

»Herr Peter Schorno!« klang jetzt die helle Stimme des Bischofs, »Sie gehen als Pfarrverweser nach Peterach. Seien Sie um so stiller und kühler, je lauter und hitziger das Dorf ist!«

Ah, seht einmal, der Peter Schorno überhüpft gleich den untersten hierarchischen Sprossen. Schon ein halber Pfarrer! Begreiflich. Er ist allen durch sein praktisches kühles Wesen überlegen. Der paßt in die unruhige, paritätische Ortschaft ausgezeichnet.

»Herr Michael Feldler, – Sie sind Vikar in Fandwil und damit Lateinlehrer an der Sekundarschule. Sie bekommen ein gutes Volk und einen lieben Prinzipal. Aber jassen Sie nicht zu oft mit ihm! Oder dann nur unter der Bedingung, daß die Spieler griechisch reden und den Gewinn in die Kasse des Abstinentenvereines legen müssen!« – Über das kleine, verschrumpfte Aszetengesicht des Bischofs huschte ein äußerst feines, schalkhaftes Lächeln.

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