König Ödipus (Deutsche Neuübersetzung)

König Ödipus (Deutsche Neuübersetzung) – Sophokles.

“König Ödipus” wurde um 429 v. Chr. erstmals aufgeführt. Von den drei erhaltenen thebanischen Stücken des Sophokles, die sich mit der Geschichte des Ödipus befassen, wurde “König Ödipus” als zweites geschrieben. In der Chronologie der Ereignisse, die in der Trilogie beschrieben werden, steht es jedoch an erster Stelle, gefolgt von “Ödipus in Kolonos” und “Antigone.” Bevor “König Ödipus” beginnt, ist dieser König von Theben geworden und hat unwissentlich eine Prophezeiung erfüllt, wonach er seinen Vater Laios (den vorherigen König) töten und seine Mutter Iokaste heiraten würde (die Ödipus nach der Lösung des Rätsels der Sphinx zu seiner Königin machte). Die Handlung dreht sich um die Suche des Ödipus nach dem Mörder des Laios, um die in Theben wütende Pest zu stoppen, ohne zu wissen, dass der Mörder, den er sucht, niemand anderes als er selbst ist. Diese deutsche Neuübersetzung aus dem Jahre 2021 bringt das Stück in leicht verständlicher Prosafassung dem Verständnis des interessierten Lesers näher.

König Ödipus - Deutsche Neuübersetzung

König Ödipus – Deutsche Neuübersetzung.

Format: Taschenbuch/eBook

König Ödipus (Deutsche Neuübersetzung).

ISBN Taschenbuch: 9783849666934

ISBN eBook: 9783849661168

 

Auszug aus dem Text:

 

Chor: Ödipus! Ödipus, unser Gebieter, hilf uns! Hilf deinem Volk!

[Die mittlere Tür des Palastes öffnet sich und Ödipus tritt auf die Bühne. Er trägt das goldene Feston und den Stab eines Königs. Er ist ein stolzer, aber wohlwollender, gütiger König und wird von seinen Untertanen als solcher anerkannt].

Ödipus: Was gibt es, meine Kinder? Ihr seid die jüngste Generation des altehrwürdigen Hauses des Kadmos. Wo ist der Grund für all diese Schmerzensschreie, all dieses Winken mit den Gebetszweigen? Ihr Duft hat bereits die Luft unserer Stadt erfüllt! All dieses Wehklagen, diese tiefen, unglücklichen Seufzer. Was haben sie zu bedeuten? Nun? Hier bin ich! Ich bin persönlich zu euch gekommen, um herauszufinden, was es ist, das euch diesen Schmerz bereitet. Ich möchte es direkt von euch erfahren, aus eurem eigenen Mund, anstatt irgendwelche Missverständnisse zu riskieren, die von einer dritten Person gemacht werden könnten. Sprecht, Söhne und Töchter des alten Kadmos, und redet mit mir, eurem Ödipus! Ihr alle kennt mich! [Zum Priester] Du, alter Priester, dein fortgeschrittenes Lebensalter ist hervorragend dafür geeignet, für diese jungen Menschen zu sprechen. Sag mir, was hat euch alle hierher geführt? Gibt es etwas, wovor ihr euch fürchtet? Benötigt ihr etwas von mir? Sagt es mir und es wird euch gewiss gewährt werden! Was wäre ich für ein Mann, wenn ich nicht genug Mitgefühl hätte, um euch, meinem eigenen Volk, von ganzem Herzen zu helfen?

Priester: König unseres Thebens, Ödipus! Schaut uns an! Wir sind alle hier, im Gebet versammelt um Eure Altäre. Sehr Ihr? Alle Generationen sind hier vertreten: die Jugend, die ihre Flügel noch nicht so weit ausbreiten kann, um weit zu fliegen, und die Alten, deren Häupter und Rücken von den Jahren tief gebeugt sind – so, wie bei mir, Ödipus, dem Priester des Zeus! Und sehet da! Seht Euch unsere jungen Menschen an! Die besten Männer auf der ganzen Welt! Wir sind alle hier versammelt. Hier und auch in der Stadt, um die beiden Tempel unserer Göttin Athene, ebenso bei den Feuern im Tempel des Apollon, und den Altären des Ismenos, dessen Orakel aus der Asche unserer Opfergaben entstehen. Überall dort wird gekniet, geklagt und tief geseufzt, mein Gebieter! Auch dort, Ödipus, werden flehentlich die Lorbeeren geschwenkt. Aber auch Ihr, Ödipus, könnt mit Euren eigenen Augen sehen, wie ganz Theben von einem mörderischen Sturm erfasst wird, und auch Ihr vermögt zu erkennen, wie die Stadt ihr Haupt kaum aus den mörderischen Wellen heben kann! Auch Ihr könnt sehen, dass unsere Bäume ihre schönsten Blüten zu Boden fallen lassen, kurz bevor sie Früchte tragen würden, und auch Ihr könnt sehen, dass unsere Herden auf den Weiden tot umfallen und unsere Frauen unfruchtbar geworden sind. Eine schreckliche Seuche, mein Gebieter, hält unser Theben fest in ihrem mörderischen Griff, mein Gebieter! Es ist, als ob ein Feuergott über unser Land hergefallen ist und unsere Häuser entvölkert hat, während er gleichzeitig das Haus des Hades mit unserem Stöhnen und unseren Verzweiflungsschreien erfüllt. Wir sagen nicht, Ödipus, dass Ihr der Heilkraft der Götter ebenbürtig seid, aber wir sind zu Euch gekommen und haben uns um Eure Altäre versammelt, weil wir glauben, dass Ihr von allen Männern, die wir kennen, der Geeignetste seid, wenn es darum geht, die Bedeutung dieser Nöte zu ergründen – Nöte, die uns vom Leben und von den Göttern aufgezwungen wurden. Ihr wart es, Ödipus, der hierher kam, in unser Theben, in das Land des Kadmos, und der uns aus den Fängen dieser Hexe, dieser Sphinx, gerettet hat, die uns alle hier drinnen, innerhalb der Mauern unserer Stadt, einsperrte. Sie hielt uns hier fest, und hat uns mit furchtbarer, blanker Angst vor ihr gequält. Und Ihr habt dies alles ohne unsere Hilfe erreicht, Ödipus, sondern ausschließlich durch göttliches Einschreiten. Durch Eure Tat habt Ihr uns wieder ein angemessenes Leben ermöglicht. Und jetzt, großer Ödipus, jetzt fallen wir im Gebet vor Euch nieder und bitten Euch, Abhilfe für unsere Schmerzen zu schaffen, und zwar entweder durch menschliche Weisheit – denn mir ist bewusst, dass die Gedanken erfahrener Männer immer die weisesten sind – oder durch die Stimme eines Gottes. Kommt also, kommt, unser Herr und König! Kommt, Erster unter allen Sterblichen! Lasst unser Theben wieder aufleben! Vergesst nicht, mein Gebieter, diese Stadt nennt Euch “Retter” wegen dieser edelmütigen Tat. Lasst uns in Zukunft nicht denken: “Durch Ödipus’ Edelmut wurden wir gerettet, aber durch Ödipus’ Untätigkeit sind wir gestorben.” Lasst uns stattdessen sagen: “Ödipus hat uns wieder auf feste Beine gestellt!” Vor vielen Jahren hat Euch ein gutes Omen hierher gebracht, um uns zu Hilfe zu kommen; lasst es nun erneut so geschehen! Denn, Ödipus, wenn Ihr diese Stadt regieren wollt, und ich weiß, dass Ihr das wollt, dann ist es weit besser, dies zu tun, wenn sie mit Menschen bevölkert ist, als leergefegt. Kein Wachturm, kein Schiff ist etwas wert, wenn es der Menschen darauf beraubt wird.

Ödipus: Meine armen Kinder! Ich kenne euch gut, euch alle, und ebenso gut kenne ich euren Schmerz. Ich weiß sehr wohl, wie verzweifelt ihr seid. Doch niemand empfindet größeren Schmerz als ich, denn euer Schmerz ist nur der eure und betrifft nur jeden von euch allein, während ich für die ganze Stadt und für euch alle leide. Also habt keine Angst, ich schlafe nicht. Ich bin hellwach und weiß um euer Unglück. Meine Seele weint um uns alle. Ich habe viele Tränen vergossen und habe viel nachgedacht, um einen Ausweg zu finden, bis ich mich schließlich entschlossen habe, die einzig mögliche Lösung, die mir in den Sinn kam, in die Tat umzusetzen: Ich habe Kreon, den Bruder meiner Frau, den Sohn des Menoikeus, zum Orakel des Apollo geschickt, um zu fragen, was wir tun sollen, um unsere Stadt zu retten, um herauszufinden, wie wir unser Land retten können. Eigentlich müsste Kreon schon zurück sein, und ich mache mir langsam Sorgen. Er möge kommen und uns sagen, was getan werden muss. Ich wäre wahrlich ein fürchterlicher Mensch, wenn ich nicht alles tun würde, was die Götter uns abverlangen!

[Alle schauen in die Ferne und sehen Kreon kommen].

Priester: Ha! Ihr könnt die Zeit wahrlich gut einschätzen, Ödipus. Da ist er!

[Der Chor deutet auf Kreon in der Ferne].

Ödipus: Bei Apollo! Sein Gesicht sieht so fröhlich aus! Vielleicht bringt er uns gute Nachrichten – Nachrichten, die unsere Stadt retten werden.

Priester: Er sieht auf jeden Fall glücklich aus, sonst würde er nicht so einen prächtigen Lorbeerkranz tragen!

Ödipus: Wir werden es früh genug erfahren. Nun ist er nah genug, um uns zu hören. [Auftritt Kreon, der ein Lorbeerfeston mit Beeren trägt]. Mein königlicher Bruder! Was gibt es Neues von Apollo?

Kreon: Gute Nachrichten, Ödipus! Ich denke, es ist gut möglich, dass selbst die schlimmsten Ereignisse glücklich enden können – das heißt, wenn das Glück es so will!

Ödipus: Du drückst dich nicht klar aus, Bruder. Was hat das Orakel gesagt?

Kreon: Soll ich hier draußen sprechen, vor all diesen Menschen oder sollen wir hineingehen? Mir ist beides recht.

Ödipus: Sprich hier, vor allen Leuten. Mir ist ihr Leben wichtiger als mein eigenes.

Kreon: Dann werde ich dir mitteilen, was Apollo gesagt hat, Ödipus, nämlich das Folgende: Es gibt ein Leiden, das sich in das Herz und die Seele unserer Stadt frisst, eine Wunde, die in Theben wachsen und eitern durfte. Apollo befiehlt uns, die Stadt davon zu säubern, bevor sie verloren ist.

Ödipus: Eine Wunde? Was für eine Wunde ist das, und wie können wir die Stadt davon reinigen?

Kreon: Er sagte, dass wir einen Mörder aus unserer Stadt verbannen müssen. Entweder das oder wir reinigen die Stadt, indem wir das Blut seines Opfers mit dem Blut eines anderen Mordes wegwaschen. Es ist dieses Blut, das unser Theben quält, Ödipus.

Ödipus: Und von welchem Mann spricht der Gott? Wer ist es, der ermordet worden ist?

Kreon: Einst hatten wir einen König namens Laios ––– .

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