Novellen

Novellen – Marcel Prévost

Marcel Prévost war ein französischer Romanautor und Dramatiker. In diesem Band finden sich viele seiner Novellen und Erzählungen, darunter “Don Juan”, “Ostersamstag”, “Der Andere”, “Die Gürtelschnalle” u.a.

Novellen

Novellen.

Format: eBook

Novellen.

ISBN eBook: 9783849656850.

 

Auszug aus “Don Juan”:

I

Graf Jean de Guercelles war seinerzeit ein paar Monate als Diplomat tätig gewesen, weil das eben in ausländischen Großstädten für junge Leute aus guter Familie als die beste Empfehlung gilt. Mit fünfundzwanzig Jahren war er dann durch den Tod seines Vaters ein reicher Mann geworden und beschränkte sich nun darauf, einfach ein echter Pariser zu sein, ein Klub- und Sportsmann ersten Ranges.

Die dritte Republik erschien ihm anfangs ganz annehmbar, aber dann hatte sich das Blatt gewendet, und Guercelles fühlte keine Neigung mehr, einer Regierung zu dienen, die die Traditionen seiner Familie brüskierte. So zog er sich denn ins Privatleben zurück und pflegte selbst etwas ironisch festzustellen, er sei zeitweilig ein wenig aus seiner eigentlichen Sphäre herabgestiegen und nehme erst jetzt die Stellung ein, die ihm zukomme. Dieses neue Dasein führte er nun schon achtzehn Jahre lang, und sie flossen so gleichförmig dahin, daß er kaum hätte sagen können, welches die schönsten oder die schlimmsten gewesen wären. Seine Tage glichen sich wie ein Ei dem andern. Dabei führte Jean de Guercelles nicht etwa ein untätiges Dasein, – im Gegenteil – er konnte wie jeder wahre Pariser mit Recht behaupten, daß keine Stunde des Tages ihm selbst gehöre.

Jede Saison stellte ihre besonderen Anforderungen, denen man unweigerlich nachzukommen hatte. So gehörte er zum Komitee eines der ersten Reit- und Fahrklubs und wurde mit der Zeit zum Präsidenten gewählt. Ebenso war er ein berühmter Schütze, und in der Jagdzeit riß man sich förmlich um ihn. Von seiner Diplomatenzeit her stand er zu einem der regierenden deutschen Fürstenhäuser in Beziehung, und kam sein Freund, der Erzherzog, nach Paris, was häufig geschah, so gehörte Guercelles überhaupt nicht mehr sich selbst.

Im übrigen interessierte er sich auch für Kunst – natürlich nur in dem Maße, wie es sich für einen Weltmann schickt, nämlich mit einer leisen Beimischung von Verachtung für die Künstler selbst. Aber er hielt es immerhin für angemessen, sich über alle Ereignisse auf diesem Gebiet auf dem Laufenden zu halten.

Ein leidenschaftlicher Spieler war er nie gewesen, aber er fand, daß ein Mann in seiner Lebensstellung sich nicht ganz von derartigen Dingen zurückhalten dürfe, um nicht in den peinlichen Ruf pedantischer Sparsamkeit zu geraten. Und er zeigte sich ebenso freigebig, wenn es sich um wohltätige oder politische Zwecke handelte, die ihm der Sympathie wert schienen.

Alle diese Dinge zusammengenommen vermögen wohl das Leben eines Mannes auszufüllen, der seiner Geburt nach den obersten Gesellschaftsschichten angehört und aus irgend einem Grunde von öffentlicher Tätigkeit ausgeschlossen ist. Aber außer allen den gesellschaftlichen Verpflichtungen, politischen und künstlerischen Interessen, außer Jeu und Sport gab es noch etwas anderes, was im Leben des Grafen Jean de Guercelles eine nicht unbedeutende Rolle spielte, und er machte auch gar kein Geheimnis daraus. – Er galt von jeher für einen Eroberer, dem alle Frauenherzen sich neigten. In unserm heutigen rastlosen, abgehetzten Gesellschaftsleben, wo schon aus Mangel an Zeit die meisten Liebschaften mehr Gelegenheits- als Herzenssache sind, ist dieser Typus ziemlich selten geworden. Die moderne Gesellschaft will eben Realitäten, und Gestalten wie Don Juan, Lovelace und Valmont sind immerhin von einem gewissen romantischen Schimmer umwoben. Der getreueste Spiegel für den vorherrschenden Zeitgeschmack ist das Theater, und die Bühne unsrer Tage führt uns oft genug Männer vor, die im Laufe ihres Daseins verschiedne Liebesepisoden erleben, aber nur selten den Mann, der jubelnd oder leidend das Glück seines Lebens darin sucht, ein Frauenherz nach dem andern zu erobern.

Jean de Guercelles gehörte nun allerdings nicht gerade zu diesen romantischen Gestalten, aber er war auch kein gewöhnlicher Weiberheld. Etwas von dem Verhängnis, das über den großen Verführern früherer Zeiten waltete, lag auch über seinem Leben, der dunkle, quälende Drang, sich eine Frau nach der andern zu eigen zu machen, um ihr innerstes Wesen zu erforschen.

Ein Mann, dessen Leben von derartigen Träumen erfüllt ist, mag nach außen hin so vorsichtig sein wie er will, mehr oder minder pflegen seine Mitmenschen doch etwas zu ahnen, und der Durchschnitt – ob Männer oder Frauen – ist ihm nicht günstig gesinnt. Aber Guercelles verstand es durch seine tadellose Lebensführung und unfehlbare weltmännische Haltung, der Masse zu imponieren. Er selbst schwieg über seine Erlebnisse und duldete nicht die leiseste Anspielung. Wer sich je eine solche erlaubte, wurde von ihm in einer Weise zurückgewiesen, daß er es sicher nicht zum zweiten Mal wagte.

So war er dreiundvierzig Jahre alt geworden, ohne daß seine gesellschaftliche Stellung auch nur die leisesten Schwankungen durchgemacht hätte, und er galt immer noch für einen gefährlichen Herzensbrecher. Er wußte das auch sehr wohl und war in gewissem Sinne stolz darauf. Nicht daß er selbst sich jemals darüber äußerte, aber ein scharfsinniger Beobachter hätte vielleicht herausgefühlt, daß er sein Alter nicht ungern angab. Er freute sich geradezu darüber, wie wenig die Jahre ihm anzuhaben vermochten. Man konnte nicht gerade behaupten, daß er noch “jung” aussah. Guercelles hatte auch gar keine Sympathie für die Jugend und dachte nicht daran, mit ihr zu wetteifern. Aber seit seinem dreißigsten Jahr etwa war die Zeit wirklich fast spurlos an ihm vorübergegangen. Der Sport und jene strenge Hygiene, der sich nur der echte homme à femmes unterwirft, hatten seinen Körper vor jeder überflüssigen Fülle bewahrt, und seine Schlankheit ließ ihn größer erscheinen, als er eigentlich war. Sein Kopf war wohlgeformt, und in dem üppigen, kastanienbraunen Haar vermochte man nur bei näherem Hinsehen einzelne graue Fäden zu entdecken. Wie bei den meisten Männern, die stark auf Frauen wirken, trug sein Gesicht durchaus keine klassischen Züge, es war nicht einmal regelmäßig zu nennen. “Stirn niedrig – Augen braun – Nase gebogen”, so lautete die wahrheitsgetreue Personalbeschreibung in seiner Jagdkarte. Und weiterhin: Mund gewöhnlich. Aber das war nicht ganz zutreffend, denn sie hatten einen eigentümlichen Reiz, diese stark geschwungnen Lippen, die sich scharf umrissen unter dem fast blonden Schnurrbart abzeichneten und, wenn sie sich öffneten, eine Reihe leuchtend weißer Zähne sehen ließen. Dazu kam noch ein tadelloser Teint, von dem neidische Mitmenschen behaupteten, er sähe aus wie sterilisiert. Stirn und Mund zeigten nicht die kleinste Falte, nur unter den Augen zogen sich jene feinen Linien hin, die bei den Physiologen als Merkmale der Wollust gelten.

Die Hände des Grafen waren klein und tadellos geformt. Seine ganze Erscheinung trug das Gepräge beherrschter Kraft, mit Leichtigkeit und Grazie gepaart. Übrigens legte Graf Guercelles keinen besonderen Wert darauf, für einen schönen Mann zu gelten, und es wäre ihm geradezu unangenehm gewesen, wenn man ihn für “liebenswürdig” gefunden hätte. Es lag immer etwas höflich Zurückhaltendes in seinem Auftreten. Männern gegenüber war er kühl und gemessen, Frauen, die ihn geliebt hatten und die den Mut besaßen, davon zu sprechen, behaupteten, er sei als Liebhaber ungestüm, herrisch und doch zärtlich. Er pflegte nicht leicht Schmeicheleien zu sagen, hatte aber gerade die beiden Eigenschaften, die jede Amoureuse am meisten schätzt: ein Temperament, dem selbst das feurigste Weib nicht gewachsen war, und jene wundervolle Freigebigkeit, die ein Liebesverhältnis zum Feenmärchen zu gestalten vermag.

Und doch, wenn man versuchte, der Sache auf den Grund zu gehen – es gibt ja in jedem Pariser Salon Leute, die sich gleichsam berufsmäßig für diese Dinge interessieren – wenn man versuchte, sich erklären zu lassen, warum die Liebe immer von einem solchen Zauberglanz umflossen war, wenn der Geliebte Jean de Guercelles hieß – ja, da hielt es sehr schwer, eine klare Antwort zu bekommen. Die Nervösen erschauerten – die Bleichsüchtigen lächelten. Nur einmal wagte eine Nachdenkliche die Erklärung: “Guercelles ist eben ein Erotiker, der auch Gefühl hat.” Und als erfahrene Frau setzte sie hinzu: “Das findet man selten.”

II

So lebte Graf Guercelles nun schon seit achtzehn Jahren in Paris, im Strom der großen Welt, als ihm eines Morgens, während sein Kammerdiener Viktor ihn gerade frisierte, ein schwarzgeränderter Brief gebracht wurde. Wie er aus dem Stempel ersah, kam das Schreiben aus La Fourchetterie, einem Jagdgut in der Salogne, das ihm gehörte. Und es lautete:

“Sehr geehrter Herr Graf!

Ich habe Ihnen die traurige Mitteilung zu machen, daß mein Vater, Augustin Deraisme, heute nachmittag verschieden ist. Uns hat dieser Schlag völlig unerwartet getroffen. Er kam gerade von der Besichtigung des kürzlich in Villemaure begonnenen Baues zurück, und anscheinend hat die drückende Hitze ihm einen Schlaganfall zugezogen. Kaum war er ins Eßzimmer getreten, als er plötzlich zusammenbrach. Meine Mutter hat mich sofort gerufen – ich saß gerade in meinem Zimmer und sah Rechnungen durch. Ich bin dann rasch hinuntergestürzt, aber es war zu spät – mein Vater erkannte mich nicht mehr.

Die Beerdigug findet morgen in Millançey statt. Es wäre uns eine große Ehre gewesen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Graf, derselben hätten beiwohnen können. Aber meine Mutter und ich haben uns gleich gedacht, daß Ihre Zeit es nicht erlauben würde.

Und nun, verehrter Herr Graf, habe ich eine Bitte an Sie zu richten. Wäre die Angelegenheit nicht dringend, so hätte ich in diesem traurigen Moment wohl kaum die Fassung gefunden, Ihnen zu schreiben. Aber die Umstände nötigen mich, Ihnen mein Anliegen sofort zu unterbreiten.

Mein Vater hat uns völlig mittellos zurückgelassen. Er hatte sich in letzter Zeit durch einen seiner Freunde zu Börsenspekulationen verleiten lassen, und alles, was wir besaßen, ist dabei verloren gegangen.

Meine Mutter versteht sich nun darauf, alte Spitzen auszubessern, aber ihre Augen sind so schwach geworden, daß sie ihrer Arbeit nicht mehr obliegen kann. So muß ich also für uns beide sorgen. Da ich die Mittelschule durchgemacht habe, könnte ich wahrscheinlich irgend eine Stellung in einem Bureau oder als Lehrerin finden. Aber ich fürchte, daß wir davon nicht leben könnten und ins Elend geraten würden.

Deshalb möchte ich, sehr geehrter Herr Graf, Ihnen einen Vorschlag machen. Was die Verwaltung Ihres Gutes betrifft, bin ich schon seit längerer Zeit Mitarbeiterin meines Vaters gewesen. Ich bin ja auch hier aufgewachsen und darf wohl behaupten, daß niemand so genau über die Dinge orientiert ist wie ich. Und deshalb möchte ich Sie bitten, mir diesen Posten zu übertragen. Ich würde natürlich nur einen geringeren Gehalt beanspruchen, denn meine Mutter und ich brauchen nicht so viel. Sollten Sie der Ansicht sein, daß ein junges Mädchen von zweiundzwanzig Jahren nicht geeignet sei, eine derartige Stellung zu bekleiden, so könnten Sie ja offiziell meine Mutter zur Nachfolgerin des Verstorbenen ernennen. Ich versichere Ihnen, verehrter Herr Graf, hier auf dem Gut würde niemand daran Anstoß nehmen. Denn jetzt darf ich es Ihnen wohl eingestehen: die eigentliche Verwaltung liegt schon seit Jahren in meiner Hand. Mein armer Vater hatte schon lange den Kopf so voll von seinen eignen Angelegenheiten, daß er sich kaum mehr darum bekümmerte.

Ich bitte Sie also dringend, Herr Graf, es wenigstens einmal mit mir zu versuchen. Sie werden sich bald überzeugen, daß Ihre Interessen auf diese Weise am besten gewahrt werden. Für mich selbst kommt dabei noch in Betracht, daß ich in meiner gewohnten Tätigkeit bleiben kann, die mir besser liegt als irgend eine andere, und daß ich in der Lage bin, meiner armen Mama einen ruhigen Lebensabend zu schaffen.

Ich hoffe, Sie werden die Güte haben, meiner Bitte zu willfahren, und sehe Ihrer geneigten Antwort entgegen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihre ergebene Dienerin
Henriette Deraisme.”          

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