Die Fürstin von Ermingen

Die Fürstin von Ermingen – Marcel Prévost

Ein historischer Roman aus Frankreich. Der in Paris geborene und verstorbene französische Schriftstellers schrieb nicht nur einige erfolgreiche Romane, sondern war auch Dramatiker.

Die Fürstin von Ermingen

Die Fürstin von Ermingen.

Format: eBook

Die Fürstin von Ermingen.

ISBN eBook: 9783849656843.

 

Auszug aus dem Text:

Bis zum Jahr 1897 gab es zwei Familien, eine deutsche und eine französische, welche den Titel “Fürsten von Ermingen” für sich in Anspruch nahmen, nur mit dem Unterschied, daß zu Ende des 18. Jahrhunderts eine dieser beiden Familien erst durch kirchliche, dann auch durch zivilrechtliche Akte den Namen französisieren ließ und Erminge statt Ermingen daraus machte.

Ermingen ist ein Marktflecken im westlichen Odenwald, einige Kilometer von Darmstadt entfernt. Die 600 Einwohner haben ihre ärmlichen, aber sauberen Häuschen in ein grünes Tal hineingebaut, das durch einen reißenden Bach, den Kaubach, zwischen den Hügeln gebildet wird. Auf dem höchsten dieser Hügel erblickt der Tourist die Ruinen eines Feudalschlosses, und er wird ohne besonderes Erstaunen in den Chroniken lesen, daß dieses Schloß wie viele andre in den Rheinlanden während des 30jährigen Krieges von den Franzosen zerstört wurde. Aber trotzdem stand das Oberhaupt des Fürstentums – welches aus einigen Wald- und Weidestrecken um das Dorf herum bestand –, Otto von Ermingen, genannt der Einäugige, während der vierten Periode dieses entsetzlichen Krieges in französischen Diensten. Unter dem Oberbefehl Rantzaus wurde das Dorf durch eine jener abenteuernden Räuberbanden niedergebrannt, welche dem Baron von Durlach folgten und je nachdem Freund oder Feind zugrunde richteten, wie es gerade das Bedürfnis des Augenblicks oder die Zufälle des Krieges mit sich brachten. Nach dem westfälischen Vertrag empfand Fürst Otto kein Verlangen, seinen zerstörten Wohnsitz, sein niedergebranntes Dorf, dessen Einwohner entflohen waren, und die verwüsteten Wälder und Felder wiederzusehen. So folgte er seinem Befehlshaber nach Frankreich und blieb im Dienst des Königs. Dieser machte ihn zum Comte de Calm, steuerte ihn reichlich aus und verheiratete ihn mit Mademoiselle Juliette des Taschouères, die ihm das gleichnamige, zwischen Orleans und Blois gelegene Gut zubrachte. Er nannte sich von da an Comte de Calm, als Devise wählte er sich eine Sonne über friedlichem Meer, aber der Name und Titel seines deutschen Fürstentums figurierte weiter bei allen öffentlichen Akten, während der Schwan von Ermingen sein neues Wappen zierte.

Sein jüngerer Bruder, Rupert, erhob inzwischen in Deutschland Ansprüche auf die Rechte des Erstgeborenen. Mit der Einwilligung des Landgrafen von Hessen erbaute er sich ein neues Schloß, nicht weit von den Ruinen des zerstörten Fleckens, und siedelte dort die Bauern an, die sich um den neuen Herrscher sammelten. Seltsamerweise verloren diese beiden Brüder und späterhin ihre Familien sich nicht aus dem Auge, sie wechselten Briefe und besuchten sich gegenseitig. Dieses gute Einvernehmen, das trotz zwei und einem halben Jahrhundert der Kämpfe und Revolutionen bestehen blieb, wurde sogar durch verschiedene Heiraten besiegelt.

Bei Denain fiel ein Ermingen durch eine französische Kugel, die Armee des Prinzen von Soubise zählte einen Comte de Calm und Prince d’Erminge unter den Kompagniechefs, die sich in Port-Mahon ausschifften. Bei Koblenz unter Condé kämpfte ein Fürst von Ermingen Seite an Seite mit einem Prince d’Erminge. Selbst denen unter ihren Waffengenossen, die nichts von Physiognomie verstanden, fiel die Ähnlichkeit der beiden Vettern auf: dieselben breiten Schultern, derselbe eckige Gesichtsschnitt und die rauhen Züge, die hellblauen Augen und das gleiche blonde Haar. Alle die verschiedenen Kreuzungen mit fremdem Blut hatten bei keinem von ihnen den ursprünglichen germanischen Typus verwischt. Im Kriege von 1870, der die gesamte wehrbare Bevölkerung der beiden Länder zu den Waffen rief, standen sich ein Calm und ein Ermingen feindlich gegenüber – fast ein Bruderkampf, denn erst vor wenigen Jahren hatten der deutsche und der französische Zweig der Familie sich noch einmal näher miteinander verbunden. Charlotte Wilhelmine von Ermingen, eine Tochter des hessischen Fürsten, hatte den Grafen François de Calm geheiratet. Aber dieser starb schon 1868 an einer Magenerkrankung – sein Sohn Christian war gerade fünf Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Charlotte Wilhelminens Vater machte unter Friedrich Karl den französischen Feldzug mit, wurde bei Metz schwer verwundet, lebte als Krüppel noch zehn Jahre nach dem Frieden und setzte bei seinem Tode seine Tochter, die Gräfin von Calm, zur Universalerbin ein unter der Bedingung, daß Christian den Titel Fürst von Ermingen führen sollte. Sie war ganz Deutsche geblieben, hielt strenge auf die Traditionen des Hauses Ermingen und ging ohne Schwierigkeiten auf diese Bedingung ein. So kam es, daß Christian, dazumal Schüler der fünften Klasse, in seinem zwölften Jahr den Namen wechselte, während seine Mutter, die Comtesse de Calm, wieder zur Fürstin Charlotte Wilhelmine von Ermingen wurde.

Christian von Ermingen verlebte eine stürmische Jugend. Seine Mutter vermochte den wilden, sinnlichen Burschen nicht zu bändigen und gab ihn in ein Internat, wo er wegen seines Jähzorns unter den Kameraden förmlich gefürchtet war. Bei Nacht sprang er aus der ersten Etage auf die Straße hinunter, um mit zweifelhaften Mädchen zusammenzutreffen. Dabei war er von einer Tapferkeit, über die selbst die kühnsten seiner Kameraden erschraken; Gefahren oder Sinnenlust waren das einzige, was ihn überhaupt anzog. In der Reitbahn behielt er sich stets das schwierigste Pferd vor, bei den Bergtouren, die er während der Ferien unternahm, sagten die Führer ihm schließlich den Dienst auf, weil er sie immer überanstrengte und jeden Augenblick ihr Leben wie das seine aufs Spiel setzte. In den oberen Klassen zwang er einen seiner Mitschüler, sich heimlich mit ihm im Fechtsaal des Lyzeums zu duellieren. Er wurde dabei am Arm verwundet und mußte einen Monat das Bett hüten, verbarg aber stoisch die wahre Ursache seiner Wunde. Ebenso wie sein Mut kannte auch seine Verschwendungssucht keine Grenzen. Die Fürstin Charlotte Wilhelmine mußte etwa viermal hohe Spielschulden für ihn bezahlen und bei einer andern Gelegenheit durch eine bedeutende Summe das Stillschweigen eines Vaters erkaufen, dessen Tochter angeblich entehrt worden war. Und sie war entsetzt und außer sich darüber, daß er so aus sein Erbteil loswirtschaftete. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts war das Vermögen der Calms, wie das der Ermingen ziemlich zurückgegangen, der Landbesitz war nicht viel wert, und im übrigen waren beim Tode des letzten Comte de Calm etwa 1 100 000 Francs vorhanden, welche die Fürstin durch ihre Sparsamkeit auf 1 800 000 erhöht hatte, solange Christian noch minderjährig war. Das Gut der Familie des Taschouères war zwar seit der Schenkung Louis XIV. den Ermingens verblieben, aber es bestand fast nur aus Jagd, deren Instandhaltung ungefähr 20 000 Francs im Jahr kostete. Charlotte Wilhelmine lebte sehr zurückgezogen und zitterte vor dem Augenblick, wo ihr Sohn mündig sein würde.

Auf den letzten Skandal hin verlangte sie von Christian, daß er in die Armee einträte, und er gehorchte ohne vielen Widerspruch, den Willen seiner Mutter achtete er wie ein folgsames Kind, und außerdem reizte ihn der Gedanke an das rauhe Soldatenleben. Die Fürstin hatte dadurch einen Aufschub von fünf Jahren erreicht und benutzte diese Zeit, um weiter zu sparen, sie lebte beinah ärmlich in einem düstren Entresol der Rue Barbet de Jony, wo sie außer den Freunden ihres verstorbenen Gatten kaum jemand empfing.

Christian machte währenddem den Feldzug nach Tonkin mit, wo er sich durch brutalen Heldenmut auszeichnete und die Verdienstmedaille bekam. Kurz darauf gelang es ihm nur mit Mühe dem Kriegsgericht und der Strafkompagnie zu entkommen.

Er kehrte, nunmehr großjährig, nach Paris zurück, und seine Leidenschaften entfesselten sich jetzt nach der langen Enthaltsamkeit um so stärker. Charlotte Wilhelmine lebte wieder in beständiger Angst, der ungestüme, zügellose Junge möchte binnen kurzem alles über den Haufen werfen, was sie in langen, mühevollen Jahren für den Glanz und die irdischen Güter des Hauses Ermingen getan hatte. Trotz ihrer streng moralischen Grundsätze empfand sie eine gewisse Erleichterung, als sie durch ihre alten Freunde und Klubkameraden Christians von einer Liaison ihres Sohnes mit der Komtesse de Guivre hörte. Mochte Madeleine de Buzet-Raincy, die mit 30 Jahren Witwe des Comte de Guivre geworden war, immerhin im Rufe einer galanten Weltdame stehen – sie war wenigstens ihre eigne Herrin, ziemlich vermögend und von guter Familie und würde Christian gerade vor dem behüten, was ihm am gefährlichsten war: vor minderwertigen Abenteuern und vor dem Spiel.

Tatsächlich schien seine etwas regellose Existenz geordneter zu werden, seine Sitten verfeinerten sich unter der Leitung der erfahrenen Pariserin. Madame de Guivre dachte sicherlich nicht daran, einen geistig ebenbürtigen Gefährten in ihm zu finden, aber sie wußte wenigstens seine überschüssige Kraft aus den Sport und die Vergnügungen der vornehmen Welt hinzulenken. Und die Fürstin Charlotte Wilhelmine atmete auf – die Gesellschaft wußte bald Bescheid und betrachtete das verliebte Paar mit der üblichen Neugier, halb amüsiert und halb gehässig. Übrigens befleißigten die beiden sich einer streng korrekten Haltung, beschränkten sich nach außen hin auf jenes Spiel der arrangierten Begegnungen und öffentlichen Rendezvous, das die leichten Sitten der Großstadt gerne dulden und begünstigen. Die Gesellschaft stand Madeleine de Guivre offen, sowohl wegen ihrer Herkunft und ihrer Schönheit als ihrer guten Beziehungen halber; und andrerseits war sie viel zu stolz an Türen zu klopfen, die ihr vielleicht verschlossen geblieben wären. Diese Türen waren auch nicht sehr zahlreich, und was konnten die Salons, die sie beschützten, einer Buzet-Raincy zu bieten haben, die durch ihren Vater in enger Beziehung zu den Familien Gaumont und Langeois stand, sowie zu dem Marquis de Lestang, einem der Löwen des zweiten Kaiserreichs? – So litt es die Gesellschaft ruhig, daß diese unabhängige Frau, die in ihrem Äußeren viel Ähnlichkeit mit Margarethe von Valois hatte, den Abkömmling des Hauses Ermingen zum Liebhaber wählte – den schönen Fürsten mit dem mächtigen rötlichen Barte, der so gut zu seiner hohen, geschmeidigen Gestalt paßte. Und obgleich sie vier Jahre älter war wie er, prophezeite man, sie würde eines Tages Fürstin von Ermingen sein.

Aber es vergingen Tage, Monate – zwei Jahre und Madeleine war noch immer nicht Fürstin geworden, obgleich das Verhältnis fort bestand. Die Welt, die für alles immer eine Erklärung bei der Hand hat, behauptete, die Fürstin Charlotte wolle nichts von einer Heirat ihres Sohnes mit dieser Frau wissen.

Tatsächlich begann die Fürstin allmählich zu finden, daß diese Liaison mit ihrem leichten Anstrich von Protektion zu lange dauerte und hoffte, ihr Sohn würde sich durch eine Heirat davon befreien. Sie dachte nicht daran, daß Christian ihrem mütterlichen Einfluß inzwischen doch vielleicht entwachsen sein möchte, und wußte nicht, daß Madeleine de Guivre durchaus nicht die Absicht hatte, ihn zu heiraten.

Von dem geheimen Drama, das sich zwischen den beiden abspielte, ahnte niemand etwas. Es bestand darin, daß ihre Sinnlichkeit sie unauflöslich aneinander kettete, zwei Jahre waren verflossen und ihr Verlangen immer noch dasselbe geblieben, und doch gab es Momente, wo einer in den Augen des andern eine Art Haß aufflammen sah.

Madeleine de Guivre besaß jene starke Erotik, die bei Frauen der modernen Gesellschaft sehr selten ist. Denn meistens spielen bei ihnen die Nerven eine größere Rolle wie die Sinne. Ihre Mutter war früh gestorben, ihr Vater, der Marquis de Buzet-Raincy, ging in erster Linie seinen eignen Vergnügungen nach. So verlebte sie ihre Jugend fast wie ein junger Mann, um dessen Erziehung man sich nicht bekümmert. Zum Glück verheiratete sie sich sehr jung und nach ihrem eignen Geschmack. Während ihrer neunjährigen Ehe gab sie ihrem Mann an Zärtlichkeit und Treue weit mehr, als sie von ihm empfing. Er war wohl verliebt in sie, aber ein großer Lebemann und starb schließlich an einer Art Auszehrung, die Stoff zu allerlei Gerede gab. Madeleine genoß ihre Freiheit mit Maß und Besonnenheit, sie rangierte von nun an unter jene Frauen, welche die allererste Gesellschaft nicht anerkennt, obgleich sie ihr eigentlich angehören, die aber in den unmittelbar folgenden Kreisen, wo viele Künstler und reiche Leute verkehren, eine hervorragende Rolle spielen.

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