Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1 – Augustinus von Hippo

Augustinus von Hippo, der Mann mit dem nach oben gerichteten Auge, mit der Feder in der linken und dem brennenden Herzen in der rechten Hand (wie er gewöhnlich dargestellt wird), war ein philosophisches und theologisches Genie ersten Ranges, das wie eine Pyramide über seine Zeit hinausragt und auf die nachfolgenden Jahrhunderte herabblickt. Er hatte einen ungewöhnlich fruchtbaren und tiefsinnigen Verstand, kühn und präzise – und dazu ein Herz voll christlicher Liebe und Demut. Er steht mit Recht an der Seite der größten Philosophen des Altertums und der Neuzeit. In diesem Werk befasst sich der Kirchenvater mit dem Evangelium nach Johannes. Seine Vorträge dazu belaufen sich auf über hundert Schriften. In diesem ersten von zwei Bänden finden sich die Nummern 1 bis 38.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1.

Format: eBook/Taschenbuch

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1

ISBN eBook: 9783849659868

ISBN Taschenbuch: 9783849668693

 

Auszug aus dem Text:

 

1. Vortrag.

Einleitung.

Erster Vortrag.

Über die Stelle: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ usw. bis dahin: „Und die Finsternis hat es nicht erfaßt“. Joh. 1, 1―5.

 

1.

 Wenn ich erwäge, was wir soeben aus dem Texte des Apostels vernommen haben, daß „der sinnliche Mensch nicht faßt, was des Geistes Gottes ist“1, und weiter bedenke, daß in dieser gegenwärtigen Schar eurer Liebe notwendigerweise viele Sinnliche sind, die noch nach dem Fleische urteilen und sich noch nicht zum geistigen Verständnisse erheben können, so bin ich in großer Verlegenheit, wie ich mit der Hilfe des Herrn sagen oder nach meinem schwachen Vermögen erklären kann, was aus dem Evangelium verlesen wurde: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“; denn dies faßt der sinnliche Mensch nicht. Wie also, Brüder? Sollen wir deshalb schweigen? Warum also wird es gelesen, wenn man schweigt? Oder warum wird es angehört, wenn man es nicht erklärt? Aber auch wozu wird es erklärt, wenn es nicht verstanden wird? Demnach nun, weil hinwieder unter euch ohne Zweifel manche sind, die es nicht bloß auf die Erklärung hin fassen, sondern auch vor der Erklärung verstehen können, so will ich diejenigen, welche es zu fassen imstande sind, nicht beeinträchtigen aus Furcht, den Ohren derer, die es nicht fassen können, unnütz zu werden. Schließlich wird die Gnade Gottes beistehen, vielleicht daß allen Genüge geschehe und ein jeder das fasse, was er kann, weil auch, wer redet, das sagt, was er kann. Denn sagen, wie es ist, wer kann das? Ich wage zu behaupten, meine Brüder, vielleicht hat auch Johannes selbst nicht gesagt, wie es ist, sondern auch er, wie er konnte, weil von Gott ein* Mensch*  gesprochen hat, zwar ein von Gott erleuchteter (inspiratus), aber immerhin ein Mensch. Weil* erleuchtet, hat er etwas gesagt; wäre er nicht erleuchtet gewesen, so hätte er nichts gesagt; weil aber ein erleuchteter Mensch*, so hat er nicht alles, was ist, gesagt, sondern was ein Mensch konnte, hat er gesagt.

 

2.

Es gehörte nämlich dieser Johannes, teuerste Brüder, zu jenen Bergen, von welchen geschrieben steht: „Empfangen mögen die Berge Frieden für dein Volk, und die Hügel Gerechtigkeit“2. Berge sind die hohen Seelen, Hügel sind die kleinen Seelen. Aber deshalb nehmen die Berge den Frieden auf, damit die Hügel die Gerechtigkeit aufnehmen können. Welches ist die Gerechtigkeit, welche die Hügel aufnehmen? Der Glaube, weil „der Gerechte aus dem Glauben lebt“3. Jedoch würden die kleineren Seelen den Glauben nicht aufnehmen, wenn nicht die größeren Seelen, welche Berge genannt worden sind, von der Weisheit selbst erleuchtet würden, damit sie den Kleinen zuteilen können, was die Kleinen zu fassen vermögen, und die Hügel aus dem Glauben leben, weil die Berge den Frieden aufnehmen. Von den Bergen selbst ist der Kirche gesagt worden: „Der Friede sei mit euch“, und die Berge selbst trennten sich, indem sie der Kirche den Frieden verkündeten, nicht von demjenigen, von welchem sie den Frieden empfingen4, um so in Wahrheit, nicht zum Scheine den Frieden zu verkünden5.

 

3.

Es gibt nämlich andere Berge, schiffzerschellende, und wer dort landet, leidet Schiffbruch. Denn leicht ist es, wenn man in Gefahr steht und Land sieht, gleichsam ans Land hinzustreben; aber bisweilen sieht man Land an einem Berge, und es sind Klippen am Berge hin verborgen; und wenn einer zum Berge kommen will, stößt er auf Klippen und findet dort keinen  Hafen, sondern Wehklagen6. So gab es manche Berge, und sie erschienen groß unter den Menschen, und sie veranlaßten Irrlehren und Spaltungen, und trennten die Kirche Gottes; aber die, welche die Kirche Gottes trennten, waren nicht jene Berge, von welchen gesagt ist: „Empfangen mögen die Berge Frieden für dein Volk“. Denn wie sollen den Frieden empfangen haben jene, welche die Einheit zerrissen?

 

4.

Die aber den Frieden empfangen haben, um ihn dem Volke zu verkünden, betrachteten die Weisheit selbst, soweit menschlichen Herzen zugänglich war, was weder ein Auge gesehen, noch ein Ohr vernommen, noch in eines Menschen Herz gekommen ist7 . Wenn sie (die Weisheit) in keines Menschen Herz gekommen ist, wie ist sie in das Herz des Johannes gekommen? Oder war Johannes kein Mensch? Oder ist sie vielleicht auch in das Herz des Johannes nicht gekommen, sondern das Herz des Johannes ist zu ihr emporgestiegen? Denn was in das Herz des Menschen emporsteigt, das ist* unter* dem Menschen; wohin aber das Herz des Menschen emporsteigt, das ist* über* dem Menschen. Auch so, Brüder, kann man sagen: Wenn sie in das Herz des Johannes gekommen ist ― wenn man das irgendwie sagen kann ―, dann ist sie insoweit in das Herz des Johannes gekommen, als Johannes selbst kein Mensch war. Was heißt das, er war kein Mensch? Insofern als er angefangen hatte, ein Engel zu sein; denn alle Heiligen sind Engel, weil Verkündiger Gottes. Was sagt darum der Apostel zu den Fleischlichen und Sinnlichen, die nicht zu fassen vermögen, was Gottes ist: „Denn wenn ihr saget: Ich bin des Paulus, ich des Apollo, seid ihr da nicht Menschen?“8 Wozu wollte er jene machen, denen er vorhielt, daß sie Menschen seien? Verlangt ihr zu wissen, wozu er sie machen  wollte? Höret in den Psalmen: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter und Söhne des Höchsten alle“9. Dazu also ruft uns Gott, daß wir nicht Menschen seien. Aber dann werden wir im besseren Sinne nicht Menschen sein10, wenn wir uns zuerst als Menschen anerkennen, d. h. zu jener Höhe von der Niedrigkeit aufsteigen, damit wir nicht etwa, indem wir uns für etwas halten, da wir doch nichts sind, nicht bloß das nicht empfangen, was wir nicht sind, sondern auch das verlieren, was wir sind.

 

5.

Also, Brüder, zu diesen Bergen gehörte auch Johannes, der gesagt hat: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Jener Berg hatte den Frieden aufgenommen, er betrachtete die Gottheit des Wortes. Was war das für ein Berg, wie erhaben? Er hatte überstiegen alle Gipfel der Erde, überstiegen alle Räume der Luft, überstiegen alle Höhen der Gestirne, überstiegen alle Chöre und Legionen der Engel. Denn würde er nicht alles das übersteigen, was erschaffen ist, so käme er nicht zu demjenigen, durch den alles gemacht ist. Ihr könnt euch in Gedanken nicht vorstellen, was er überstiegen hat, wenn ihr nicht seht, wohin er gekommen ist. Du fragst nach Himmel und Erde? ― sie sind geschaffen. Du fragst nach dem, was im Himmel und auf Erden ist? ― sicher noch mehr ist auch dies geschaffen. Du fragst nach den geistigen Geschöpfen, den Engeln, Erzengeln, Thronen, Herrschaften, Kräften, Mächten? ― auch sie sind geschaffen. Denn als dies alles der Psalmist aufzählte, da schloß er so: „Er sprach, und sie sind geworden; er befahl, und sie wurden geschaffen“11. Wenn „er sprach, und sie sind geworden“, so sind sie durch das Wort geworden; wenn sie aber durch das Wort geworden sind, dann hätte das Herz des Johannes nicht bis zu dem kommen können, wovon er spricht: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das  Wort“, wenn er nicht alles überstiegen hätte, was durch das Wort geworden ist. Was für ein Berg also ist er, wie heilig, wie ragt er empor unter allen Bergen, welche den Frieden empfangen haben für das Volk Gottes, damit die Hügel die Gerechtigkeit empfangen könnten.

 

6.

Sehet also zu, Brüder, ob nicht etwa Johannes zu jenen Bergen gehöre, von welchen wir kurz vorher gesungen haben: „Ich hebe meine Augen zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommen wird“12. Also, meine Brüder, wenn ihr Einsicht gewinnen wollt, erhebet eure Augen zu jenem Berge, d. h. erhebet euch zum Evangelisten, erhebet euch zu seiner Sinnesart. Allein weil jene Berge den Frieden empfangen, derjenige aber nicht im Frieden sein kann, welcher seine Hoffnung auf einen Menschen setzt, so erhebet die Augen nicht so zum Berge, daß ihr eure Hoffnung auf einen Menschen setzen zu müssen glaubt, und darum saget so: „Ich erhebe meine Augen zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt“, daß ihr sofort beifüget: „Meine Hilfe ist von dem* Herrn*, der Himmel und Erde gemacht hat“13. Erheben wir also die Augen zu den Bergen, woher uns Hilfe kommen wird, und doch sind es nicht die Berge selbst, auf die wir unsere Hoffnung setzen müssen; denn die Berge empfangen nur, was sie uns darreichen sollen; darum woher die Berge selbst empfangen, darauf sollen wir unsere Hoffnung setzen. Wenn wir unsere Augen zu den Schriften erheben, weil durch Menschen die Schriften uns gereicht worden sind, erheben wir unsere Augen zu den Bergen, von welchem uns Hilfe kommen wird, allein weil jene, welche die Schriften geschrieben haben, selbst auch Menschen waren, so leuchteten sie nicht von selbst, sondern jener war das wahre Licht, welcher jeden erleuchtet, der in diese Welt kommt14. Ein Berg war auch jener Johannes, welcher gesagt hat: „Ich bin nicht Christus“15, damit niemand seine Hoffnung auf den Berg setzend, von  demjenigen sich trenne, welcher die Berge erleuchtet, und er bekannte und sagte: „Denn von seiner Fülle haben wir alle empfangen“16. So mußt du sagen: „Ich hebe meine Augen zum Himmel, von welchem mir Hilfe kommen wird“, daß du nicht die Hilfe, welche dir zuteil wird, den Bergen zuschreibest, sondern noch weiter sagest: „Meine Hilfe ist vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“.

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