Zwei Kaiserkronen

Zwei Kaiserkronen – Oskar Meding

Meding beschreibt in diesem historischen Roman die Zuspitzung der weltpolitischen Lage im Vorfeld des Kriegs zwischen Deutschland und Frankreich. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Zwei Kaiserkronen

Zwei Kaiserkronen.

Format: eBook

Zwei Kaiserkronen.

ISBN eBook: 9783849656546.

 

Auszug aus dem Text:

 

Ein reges Leben herrschte am 18. Februar 1868 auf den Straßen von Hietzing, dieses kleinen Fleckchens, der die große kaiserliche Residenz Schönbrunn umgibt und sich aus freundlichen und eleganten Sommerwohnungen für das Wiener Publikum zusammensetzt.

Zu anderen Zeiten war um diese Jahreszeit Hietzing verödet und still, denn seine Saison beginnt erst mit dem Mai und Juni, und während der Winterzeit sieht man nur die Eingeborenen über die Straßen gehen und sich abends in kleinem Zirkel im Hinterzimmer von Dommayers Kasino versammeln, um in Gruppen, welche einen würdigen Vorwurf für Hogarths Griffel abgeben würden, die einfachen Tagesereignisse des winterlichen Stillebens zu besprechen bei einem Glase Schwechater Bier oder einem Schoppen Vöslauer.

Anders war es an jenem hellen, schönen Februartage des Jahres 1868.

Auf der großen Hauptstraße von Hietzing, welche in langer Windung durch den ganzen Ort läuft, zogen Männer jeden Alters hin, alle von nordländisch blondem Typus, kräftig gebaut, groß und stark – alle erkennbar als dem Stande der Bauern oder kleinen Bürger angehörig – alle im Sonntagsstaat, – alle mit gelb und weißen Seidenschleifen auf der Brust, – alle den Ausdruck feierlicher Stimmung, tiefer Rührung in den starken Zügen der markigen Gesichter.

Es waren die Hannoveraner, welche aus allen Teilen des Landes herbeigekommen waren, um teils einzeln, teils als Deputationen von Körperschaften und Gemeinden ihre Teilnahme zu beweisen und auszudrücken an dem Feste der silbernen Hochzeit des Königs Georg und der Königin Marie, dieses so seltenen und schönen Familienfestes, das das entthronte Königspaar hier in der Fremde, in der Verbannung beging, – so anders, als sie wohl früher es gedacht hatten in den Tagen des Glückes und des königlichen Glanzes.

In großer Anzahl waren die Hannoveraner nach Wien gekommen, und lebhafter und inniger vielleicht war die Teilnahme an dem häuslichen Fest des entthronten Herrschers, als sie es wohl gewesen wäre, wenn dies Fest in Hannover gefeiert worden wäre im Bestände des alten welfischen Königreiches.

Viele waren gekommen von denen, welche die preußische Herrschaft für eine vorübergehende Okkupation ansahen und, von den Traditionen aus dem Anfange des Jahrhunderts erfüllt, die Wiederherstellung des welfischen Thrones in früherer oder späterer Zeit als einen Glaubensartikel im Herzen trugen. – Andere mochten vielleicht die veränderten Zeitverhältnisse berücksichtigen und an eine Wiederkehr der vergangenen Zustände nicht mit religiöser Zuversicht glauben, – aber darum doch liebten sie die Vergangenheit, welche hinabgesunken war in den Strudel der großen Katastrophe von 1866, und sie waren gekommen, um dieser lieben Vergangenheit in der Person des Königs Georg ein Zeichen treuer Erinnerung zu bringen.

Außer diesen Vertretern der Bewohner des hannoverischen Landes waren nach Hietzing gekommen zahlreiche Mitglieder des Adels, welche dem Hof in Hannover nahe gestanden hatten und es sich zur Ehre anrechneten, an diesem Festtage ihres früheren Königs als die Höflinge des Unglücks zu fungieren. – Viele aber freilich waren auch ausgeblieben aus der Zahl derer, welche einst in dem Galakleide der Hofchargen und Kammerherren sich im Lichtglanz des hannoverischen Hofes gesonnt.

Alle aber, die da waren, waren gekommen aus wirklicher Teilnahme, aus wahrer Anhänglichkeit, – dieser verbannte König hatte keine Gunst und Gnade mehr zu vergeben – er konnte keine Ehren und Stellen verteilen, und alle, welche ihm Liebe und anhängliche Erinnerung bewiesen, hatten bei den im Lande herrschenden Behörden der neuen Regierung keine freundliche Begünstigung zu erwarten. Der unglückliche König hatte so ein Bewußtsein, das kein Fürst auf dem Throne in voller Reinheit jemals haben kann, das Bewußtsein, daß alle, die da kamen, um ihm zu seinem Feste Glück zu wünschen, wirklich aus vollem, warmem Herzen sich ihm nahten und daß kein äußerer Beweggrund ihre Huldigung veranlaßte. Dies Bewußtsein, welches nicht nur den König erfüllte, sondern allen Anwesenden sich mitteilte, gab denn auch dem ganzen Feste, der ganzen Bewegung so zahlreicher Menschen in dem kleinen Orte einen ruhig ernsten, rührend feierlichen, fast andächtigen Charakter, – es waren die Vertreter eines braven und tapferen Volkes, welche hier an dem noch offenen Grabe einer lieben und ruhmreichen Vergangenheit standen; sie schütteten Blumen auf Blumen in dies Grab und konnten sich immer und immer nicht entschließen, es mit der kalten Erde des Vergessens zu bedecken.

Der König Georg hatte sich von der Villa Braunschweig nach dem sogenannten Kaiserstöckl, dem kleinen Palais am Eingang des Parkes von Schönbrunn, begeben, welches die Königin bewohnte.

Hier, in dem Zimmer neben dem großen Empfangsaal, hatte die königliche Familie sich vereinigt, um persönlich die Glückwünsche jedes einzelnen zur Feier der silbernen Hochzeit Gekommenen entgegenzunehmen.

Der Hof des Kaiserstöckls war dicht angefüllt mit Hannoveranern. Die Glückwünschenden stiegen die große Treppe hinauf und traten dann aus dem Vorsaal in das Zimmer der königlichen Familie, um nach der Vorstellung und Gratulation wieder über die Treppe hinab zurückzukehren, da die inneren Räume des Palais nicht ein Zehnteil der aus Hannover Herübergekommenen fassen konnten. Die Räume des Dommayerschen Kasinos waren bis zum Erdrücken voll von Hannoveranern, welche von dem Glückwunsch bei den Herrschaften zurückkamen und jetzt versuchten, ihren handfesten niedersächsischen Appetit mit den Erzeugnissen der Wiener Küche zu befriedigen. An allen Tischen sah man sie sitzen, diese kräftigen, schweren Gestalten, vergeblich bemüht, die Geheimnisse einer Wiener Speisekarte zu entziffern und sich über die Bedeutung der Fisolen, des Risi Bisi und der Nockerlsuppe klar zu werden.

»Das muß ich sagen,« rief ein starker Mann mit kurzem Haar und Bart, im Sonntagsanzuge eines hannoverischen Bürgers, indem er mit einem kleinen Löffel in einem goldbraunen Auflauf herumfuhr, – »das muß ich sagen, hätte ich früher gewußt, wovon die Leute hier in Osterreich eigentlich leben, – ich hätte nicht mitgeschrien im Jahre 66 für die österreichische Allianz – bei solcher Kost ist es ja gar nicht möglich, daß ordentliche Soldaten aus diesem Lande kommen können, die gegen norddeutsche Jungens etwas ausrichten sollen.«

»Ihr habt recht, Meyer V.,« sagte ein anderer Bürger, dessen kleine gedrungene Gestalt und behäbig glänzendes Gesicht den Beweis lieferte, daß die Ernährungstheorie bei ihm sehr ernsthaft und erfolgreich zur praktischen Ausführung gebracht werde, – »da habe ich die berühmten Backhändl« – und mißmutig wendete er einige Stücke dieses weltbekannten österreichischen Nationalgerichts hin und her, – »gebacken ist das Zeug, – aber wo der Hahn sitzen soll, das möcht’ ich wissen.«

»Ich begreife nur gar nicht, wie es der König aushält in dem Land – und wie er überhaupt noch hier warten kann,« – sagte ein Dritter, der es vorgezogen hatte, von der Speisekarte ganz zu abstrahieren, und ein norddeutsches Butterbrot, mit kaltem Fleisch belegt, mit einem großen Glase Schwechater Bier hinabspülte, – »ich glaube nicht, daß man ihm hier wieder zu seinem Lande verhelfen wird,– das sieht mir gar nicht danach aus, – habt ihr wohl bemerkt, wie scheel sie uns ansehen, diese Wiener? – so nimmt man nicht alte Bundesgenossen auf, die fest gestanden und geschlagen haben und die nun zu leiden haben dafür, daß sie mit Österreich gegangen sind.«

»Das versteht ihr wieder nicht,« sagte der Musikdirektor Joseph Lohse, ein hagerer kleiner Mann mit nervös beweglichem Gesicht, welcher eine große weißgelbe Schärpe über die Brust geschlungen hatte, – »das versteht ihr nicht, – ihr versteht weder die Speisekarte noch die Politik; – über die Politik kann ich euch nun nicht aufklären, – da müßt ihr eben warten, bis die Ereignisse kommen, die man erwartet und über die man eben nicht mit jedem sprechen kann,« fügte er mit geheimnisvoller Miene, sich in die Brust werfend, hinzu, – »aber kommt einmal her, was die Speisekarte betrifft, da will ich euch helfen und ihr sollt sehen, daß man hier in Wien ganz gut zu essen versteht.«

Er nahm die Karte und ging sie mit den Bürgern durch, indem er ihnen erklärte, was die unverständlichen Namen bedeuteten, und bald hatten die Hungrigen einigermaßen genügende Schüsseln voll »Kälbernem« und »Jungschweinernem« vor sich, welche sie zwar immer noch mürrisch mit einem gewissen Mißtrauen betrachteten, denen sie aber doch endlich volle Gerechtigkeit widerfahren ließen.

»Hier lernt man die treuen Hannoveraner kennen,« sagte Herr Lohse, während seine Mitbürger ihre Leibeskräfte stärkten – »wer hierher kommt, ist wirklich ein guter Patriot, und hier kann man einmal so recht nach Herzenslust alles aussprechen, was man zu Hause in sich verschließen muß.«

Ein großer Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, mit bleichem Gesicht, niedriger Stirn, ziemlich langem, dichtem Haar und dünnem blonden Schnurrbart, ging in diesem Augenblick an dem Tisch der Bürger vorbei. Es war des Königs Finanzsekretär Elster, früher Kanzlist bei der hannoverischen Gesandtschaft in Berlin. Bei den laut gesprochenen Worten des Musikdirektors Lohse hielt er an, warf einen Blick aus seinen fast unmerkbar schief blickenden Augen auf die Gruppen umher, grüßte, die Hand auf die Brust legend, mit tiefer Verneigung die Bürger und berührte dann leicht die Schulter des Herrn Lohse.

Dieser erhob sich eilig und trat mit wichtiger Miene einige Schritte seitwärts zu dem Beamten des Königs.

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