Der Hüttenbesitzer

Der Hüttenbesitzer – Georges Ohnet

Ohnets Roman erlangte hierzulande Bedeutung durch das gleichnamige Bühnenstück. Der Franzose Ohnet eroberte mit vielen seiner Werke die Herzen seiner Leser, wurde aber gleichzeitig von vielen Literaturkritikern in die Schublade der Trivialliteratur gesteckt.

Der Hüttenbesitzer

Der Hüttenbesitzer.

Format: eBook

Der Hüttenbesitzer.

ISBN eBook: 9783849656706.

 

Auszug aus dem Text:

An einem klaren Oktobertage des Jahres 1880 saß ein junger Mann in elegantem Jagdkostüm am Saume eines der schönen Eichengehölze, die mit ihrem kühlen Schatten die vorderen Abhänge des Juragebirges bedecken. Ein großer brauner Wachtelhund, einige Schritte von seinem Herrn im Grase lagernd, sah denselben unverwandt an, als wollte er fragen, ob nicht bald aufgebrochen würde. Der Jäger schien indes nicht gesonnen, seinen Weg sobald fortsetzen zu wollen. Er hatte sein Gewehr an einen Baumast gelehnt, die leere Jagdtasche an den Rand des Weggrabens geworfen, und so, den Rücken der Sonne zugekehrt, das Kinn mit der Hand gestützt, ließ er seine Augen über das entzückende Panorama schweifen, das sich vor ihm entrollte.

Auf der andern Seite des Weges, an dessen Rand er Halt gemacht, breitete sich, dem Hochwalde entlang, eine zweijährige Schonung aus, deren dünngepflanzte Schößlinge wie grüne Inseln aus der Mitte von Farnkräutern und großen gelben Stauden hervorlugten.

Das waldige Terrain, welches gegen das Thal hin sich sanft abflachte, ließ in der Ebene den Marktflecken Pont-Avesnes erblicken, hinter dessen roten Häuserdächern der Schieferturm seiner alten Kirche löschhornförmig emporragte; rechts das Schloß, umgeben von breiten trockengelegten Grenzgräben, die mit Obstbäumen bepflanzt sind. Die Avesnes, ein stilles Bächlein, das die Einwohner anmaßend den “Fluß” nennen, glänzte wie ein silbernes Band zwischen dem zitternden Laubwerk verkrüppelter Weiden, die sich über seine Ufer neigen.

Weiterhin trieb der Wind sein Spiel mit dem dichten Qualm, der den feuerspeienden Schornsteinen eines Hüttenwerks entströmte, welches seine schwarzen Mauern am Fuße eines Hügels ausbreitete, dessen felsige Schichten behufs Gewinnung der Erze von großen Luken durchbohrt waren.

Oberhalb dieser Aushöhlungen grünten Weinstücke, die einen leichten Weißwein von erdigem Geschmack liefern, der gewöhnlich unter dem Namen “Moselwein” verkauft wird. Der blaßblaue Himmel war lichtüberflutet, ein leichter Nebel, durchsichtig wie ein Schleier, schwebte über den Höhen. Ein tiefer Friede ruhte auf dieser lachenden Natur, dazu war die Luft so rein, daß trotz der Entfernung vom Thale das dumpfe Geräusch der Hämmer aus den Werkstätten bis zum Walde heraufschallte.

Von der ihn umgebenden Ruhe in einen traumhaften Zustand versenkt, blieb der junge Jäger unbeweglich sitzen. Nach und nach hatte die Landschaft aufgehört, seine Blicke zu fesseln. Ein Gefühl stiller Befriedigung bemächtigte sich seiner, und lächelnd überließ er sich seinen Gedanken, die in den Weiten der Vergangenheit umhervagabundierten oder sich in köstliche Unbestimmtheit verloren. Die in ihrem Lauf sich wendende Sonne vergoldete die unter ihren Strahlen errötenden Gipfel der Eichen, eine drückende Hitze entquoll dem Boden und das Schweigen des Hochwaldes wurde noch intensiver.

Plötzlich wurde der junge Mann aus seinen Träumereien geweckt. Die kühle Schnauze seines Hundes hatte sich ihm auf die Kniee gelegt und zwei Augen mit menschlich verständigem Ausdrucke richteten eine stumme Bitte an ihn.

“Ei,” lachte der Jäger, “du langweilst dich, mein guter Alter. Geh doch, sei nicht ungeduldig, wir werden gleich heimkehren,” und mit einem leichten Seufzer sich erhebend, hing er die Jagdtasche um, warf die Flinte über die Achsel und, die Straße überschreitend, sprang er über einen schmalen Graben und trat in den Holzschlag ein.

Der Hund durchschnüffelte schon die Farnkräuter. Hinter einer Staude hielt er plötzlich still mit erhobener Pfote, gekrümmtem Halse, unbeweglich wie zu Stein verwandelt. Sein Schwanz bewegte sich leicht und mit den Augen nur schien er seinen Herrn zu rufen.

Kaum hatte dieser einige Schritte vorwärts gethan, als ein großer Hase aus seinem Lager aufsprang und, kaum gesehen, sogleich wie eine Kugel verschwand. Der junge Mann legte sofort an und gab rasch Feuer. Als der Rauch verflogen war, bemerkte der Schütze zwar ohne Erstaunen, aber doch mißvergnügt den Hasen, der sich im Hochwalde verlor. “Wieder einen gefehlt!” murmelte er, und sich zum Wachtelhund wendend, der ihn mit resignierter Miene erwartete, sagte er: “Welches Pech, nicht wahr? Du hattest ihn doch so schön gestellt!”

Im selben Momente krachte ein Schuß im Walde, ungefähr hundert Meter von dem jungen Schützen entfernt. Dann nach einer Weile Stillschweigens ließ sich ein Geräusch von Schritten hören, die Zweige wurden auseinander gebogen und ein großer robuster Mann in blauleinener Jagdbluse, hohen Stiefeln und großem Hute erschien am Rande des Waldes. Mit einer Hand trug er sein Gewehr, mit der andern hielt er den erlegten Hasen an den Hinterläufen hoch empor.

“Es scheint, daß Sie glücklicher waren als ich,” sagte lächelnd der junge Jäger, dem Neuangekommenen entgegentretend.

“Ah, Sie sind es, der geschossen hat, mein Herr?” fragte der Mann in der Bluse.

“Jawohl, und sehr ungeschickterweise, denn das Tier lief mir fast zwischen den Beinen hindurch, obgleich ich nur auf zwanzig Schritt Entfernung zielte.”

“In der That, das ist nicht sehr brillant,” bemerkte ironisch der Fremde. “Aber wie kommt es, daß Sie in diesem Teile des Waldes jagen?”

“Ich jage eben hier,” erwiderte der junge Mann mit leichtem Erstaunen, “weil ich das Recht dazu habe …”

“Ich glaube kaum; dieser Teil des Waldes gehört Herrn Derblay, der niemand hier die Jagd gestattet.”

“Ah! So! Dem Hüttenbesitzer von Pont-Avesnes.” rief mit etwas hochmütigem Ausdrucke der junge Jäger; “wenn ich mich in seinem Revier befinde, so geschieht dies ohne mein Wissen, und ich bin ganz untröstlich darüber. Ich muß mich verirrt haben. Sie sind ohne Zweifel ein Wächter des Herrn Derblay?”

“Und Sie selbst, wer sind Sie?” fragte der Mann in der Bluse, ohne auf die an ihn gestellte Frage zu antworten.

“Ich bin der Marquis von Beaulieu und ich ersuche Sie, zu glauben, daß ich das Wildern nicht gewohnt bin.”

Bei diesen Worten errötete der Fremde, verneigte sich achtungsvoll und sagte:

“Verzeihung, Herr Marquis, hätte ich gewußt, mit wem ich zu thun habe, so würde ich mir nicht erlaubt haben, Sie anzuhalten und Erklärungen von Ihnen zu fordern. Setzen Sie Ihre Jagd fort, ich bitte darum … an mir ist es, mich zurückzuziehen.”

Während der Fremde sprach, beobachtete ihn der junge Marquis aufmerksam. Trotz seines gewöhnlichen Anzuges hatte derselbe ein sehr edles Aussehen; sein Gesicht, umrahmt von einem schwarzen Barte, war schön und intelligent, die Hände fein und wohlgepflegt. Ueberdies trug er ein Gewehr von jener reichen Einfachheit, wie sie nur die englischen Waffenschmiede zu fertigen verstehen.

“Danke,” entgegnete kalt der Marquis, “ich habe nicht die Ehre, Herrn Derblay zu kennen, und weiß nur, daß er ein unbequemer Nachbar ist, zu dem wir in schlechten Beziehungen stehen. Es ist mir deshalb sehr daran gelegen, gerade auf seinen Besitzungen keinen Schuß weiter abzugeben. Ich weile erst seit gestern in Beaulieu und kenne das Terrain noch zu wenig … mein Jagdeifer hat mich aus unsern Grenzen gelockt, aber ein zweites Mal soll dies nicht vorkommen.”

“Wie es Ihnen beliebt, Herr Marquis,” antwortete der Mann in der Bluse. “Herr Derblay würde indessen sehr glücklich gewesen sein, Ihnen bei dieser Gelegenheit beweisen zu können, daß er sicher gegen seinen Willen ein unbequemer Nachbar ist. Er hat ein Recht auf die Domäne von Beaulieu insofern sich angemaßt, daß er eine Grubenbahn dort vorbeiführte … Aber seien Sie versichert, daß er es bereut und daß er bereit ist, Sie nach Ihrem Belieben zu entschädigen. Die Grenzen zwischen zwei Nachbarn sind oft sehr unbestimmt,” fügte er lächelnd hinzu; “Sie haben ja soeben selbst diese Erfahrung gemacht, Herr Marquis! … Verurteilen Sie daher Herrn Derblay nicht, ohne ihn zu kennen. Sie würden später gewiß Ihre Strenge bereuen.”

….

 

 

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