Die Damen von Croix-Mort

Die Damen von Croix-Mort – Georges Ohnet

Ein Roman aus Ohnets berühmtem Zyklus “Die Schlachten des Lebens.” Erzählt wird die Geschichte der reichen Witwe Regine de Croix-Mort und ihrer Tochter Edmée. Regines zweite Heirat hängt bald wie ein schwerer schwarzer Schatten über beider Leben …

Die Damen von Croix-Mort

Die Damen von Croix-Mort.

Format: eBook

Die Damen von Croix-Mort.

ISBN eBook: 9783849656690.

 

Auszug aus dem Text:

Drei Kilometer von Clairefont liegt auf einer Anhöhe am Saume des Waldes von Vieuville, inmitten eines fünfzig Hektar großen Parkes, den die Divonette quer durchzieht, das Schloß Croix-Mort. Den schönen, stattlichen Bau im Stile Ludwig XIII. überragt ein Turm, dessen Glocke feierlich die Stunden verkündet. Eine doppelte Freitreppe führt in die Vorhalle, die mit gepolsterten Bänken und geschnitzten Truhen ausgestattet und mit Hirschgeweihen und Eberköpfen geschmückt ist, Jagderinnerungen, welche der Graf von Croix-Mort aufzubewahren liebte. An der steinernen Kassettendecke sieht man das gemalte Wappen mit dem bildlich dargestellten Familiennamen: ein Totenkopf in silbernem Felde mit dem Wahlspruch: “Für das Kreuz.”

Auf diesem weiträumigen Edelsitze lebte seit dem Tode ihres Gatten Gräfin Regine mit ihrer Tochter Edmee in völliger Zurückgezogenheit, um ihr Stammvermögen, das durch die thörichte Verschwendung des Verstorbenen arg gelitten hatte, wiederherzustellen. Der Graf, der ein bezaubernd schöner Mann, ein ausgezeichneter Tänzer, ein schmucker Reiter gewesen, hatte seine Frau recht unglücklich gemacht. Ein unverwüstlicher Lebemann, zählte er zu jenen Ehemännern, die in ihrem Heim stets trübselig und verdrießlich, nur in der Gesellschaft ihre glänzenden Eigenschaften entfalten. Seine Geistesgaben widmete er nur dem Vergnügen Fremder, und die zärtlichen Gefühle seines Herzens galten in der That nur den Frauen andrer.

Regine, die von einer bigotten Tante in der Strenge eines klösterlichen Lebens erzogen worden, nahm den Heiratsantrag des Herrn von Croix-Mort an, wie ein Gefangener auf einen Befreiungsversuch eingeht. Für sie bedeutete die Heirat Freiheit. Mit ihrer jugendlichen Einbildungskraft träumte sie von einer Zukunft voll steter Feste an der Seite dieses liebenswürdigen Mannes, der mit seinem einnehmenden Aeußern und seinem heiteren, selbstbewußten Wesen sie, die Arglose, Unerfahrene, mit bestrickendem Zauber an sich fesselte. Das Leben dünkte ihr ein köstliches Gemisch von leicht zu erfüllenden Pflichten und auserlesenen Genüssen.

Bald sollte sie jedoch erfahren, daß ihr Gatte aus eigner Machtvollkommenheit eine Teilung vorgenommen hatte, bei welcher er ihr die Pflichten überließ und sich die Genüsse vorbehielt. Als die Gräfin sich nach einiger Zeit Mutter fühlte und sich völlig von allen gesellschaftlichen Vergnügungen zurückzog, fing der unbeständige Graf sein leichtsinniges Umherflattern von neuem an. Als Ehemann gefiel er sich im Junggesellenleben ungemein gut und gewöhnte sich allmählich, seine Frau zu Hause zu lassen. Bei ihrer ernsten Geistesrichtung, dachte er, können ihr die Leichtfertigkeiten der Gesellschaft ja ohnehin nicht zusagen, es ist daher besser für sie, wenn sie in der strengen, würdevollen Zurückgezogenheit verharrt, die ihr behagt. Nachdem er sein Benehmen in seinen eignen Augen gerechtfertigt hatte, hielt er es für durchaus überflüssig, dies auch seiner Frau gegenüber zu thun.

Die Anerkennung, die er ihrem Charakter zollte, verringerte sich niemals, aber ebensowenig seine leichtsinnigen Streiche. Er bestand aufsehenerregende Abenteuer, sprang des Nachts aus einem Fenster, schlug sich einer Kunstreiterin wegen, verlor im chinesischen Bezique zweihunderttausend Franken, kurz, er galt als Muster eines vornehmen Lebemannes bis zu dem Tage, wo eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und seinem Pferde beim Nehmen eines Hindernisses in einer Steeplechase entstanden war, infolge deren er auf einer Tragbahre heimgebracht wurde; sein Rückgrat war gebrochen und sein armes, krankes Gehirn quoll aus dem zerschmetterten Kopfe.

Da seine Witwe ihn so wenig gekannt hatte, beweinte und beklagte sie seinen Verlust auf das tiefste. Das Leichenbegängnis fand unter Entwickelung eines großartigen Prunkes statt; es war das erste Mal, daß seine Familie das Geld in nützlicher Weise für ihn verausgabte.

Frau von Croix-Mort langweilte sich in ihrem väterlichen Schlosse nicht mehr als in ihrem Palaste im Faubourg Saint Germain. Sie war für die Einsamkeit geschaffen. Hier nahm die ihr eigne Schwermut, welche durch die Gegenwart geistig lebhafter Frauen einen Anflug von eifersüchtiger Bitterkeit erhalten hatte, einen milderen Charakter an.

In dem besänftigenden Frieden der sie umgebenden Natur, der sich auch ihrem Gemüte mitteilte, schmolz der Groll ihrer Seele allmählich dahin. Sie widmete sich völlig der Erziehung ihrer Tochter, die sie zu einer Frau mit wahrhaft gebildetem Geist und anspruchslosem Sinn heranzubilden bestrebt war. Doch Edmee besaß nicht das ruhige Naturell ihrer Mutter, das heftige, ungestüme Blut ihres Vaters gewann nur zu häufig die Oberhand. Die Gräfin sah bald ein, daß sie eine wahre Croix-Mort vor sich habe und daß die Schwierigkeiten ihres ehelichen Lebens in ihrem mütterlichen Leben eine Fortsetzung finden würden.

Edmee war ein leibhaftiger Teufel im Unterrock. “An ihr ist eine Junge verloren,” sagte der Abbé Levasseur, der alte Pfarrer von Clairefont, der sich nach der Rückkehr der jungen Gräfin beeilt hatte, im Schlosse freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen, und in einer Art priesterlicher Eingebung in der Kaminecke des Salons den nämlichen Fauteuil wiederfand, in welchem sein Vorgänger während langer Jahre jeden Sonntag die ausgezeichneten Mahlzeiten verdaut hatte, die er bei der vorigen Schloßherrin eingenommen.

Der Geistliche im Silberhaar war ein gar ehrwürdiger, frommer Mann, der nach der Messe vom Morgen bis zum Abend unterwegs war, um die Unglücklichen zu ermutigen und den Armen beizustehen. Er lebte auf der bescheidenen Pfarre mit seinem Vater, der einst als Glasmaler zu sehr Künstler gewesen, um viel Geld zu verdienen, und heute die vom Winde zerbrochenen Fensterscheiben der uralten Kirche mit den zitternden Händen eines Achtzigjährigen erneuerte. Der Abbé, welcher mit der eigensinnigen Kleinen nicht fertig werden konnte, wenn er sie auf dem Schlosse unterrichtete, hatte gebeten, sie zu ihm nach Clairefont zu schicken, und hier, in der niedrigen Stube des Pfarrhauses setzte er all seine Kraft ein, dem Kinde grammatikalische Regeln beizubringen, während dieses zerstreut durch das laubumkränzte Fenster hinausblickte und dem launischen Fluge der Schwalben im blauen Aether folgte.

“Aber, liebe Edmee, Sie hören mir ja gar nicht zu!” schalt der Pfarrer.

“O doch, Herr Pfarrer … Sie sagten: Das mit dem Hilfsverb être verbundene participe passé ist stets veränderlich …”

Worauf der Abbé mit gerührtem Blick einfiel: “Wie schade, daß Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht ein wenig mehr sammeln! … Sie sind so gut beanlagt! … Nun wollen wir zu den unregelmäßigen Zeitwörtern übergehen …”

Doch im Nebengemach knirschte der Diamant, mit welchem der Achtzigjährige die Glastafeln durchschnitt, und alsbald enteilte die Phantasie des Kindes in glänzende, von Heiligen und Jungfrauen mit goldener Strahlenkrone bevölkerte Paradiese, wie sie der alte Künstler auf die Fensterscheiben gemalt hatte. Seufzend schloß hierauf der Pfarrer das Buch, verzichtete auf weitere grammatikalische Analysen und gab seine Schülerin frei, die rasch ins Atelier hineinstürmte, wo auf einem Werktische der Greis Rauten zu einer Rosette ordnete und sie mit Bleiplättchen zusammenlötete, indes er sie mit zwinkerndem Auge betrachtete, um die Wirkung der Figur zu beurteilen.

Regungslos, mit verhaltenem Atem sah die Kleine der Arbeit zu und der geschmeichelte Alte pflegte ihr sodann einen Pinsel und Farben in die Hand zu geben und lehrte sie Arabesken nachzeichnen. So saß sie stundenlang schweigend da mit entsetzlich beschmierten Händen, aber glückselig, voll leidenschaftlichen Eifers, der sie erstaunliche Fortschritte machen ließ.

An der weißen Wand des Ateliers hing ein kleines Glasgemälde aus der italienischen Renaissance, den Kopf des heiligen Michael darstellend, mit blauen Augen, blondem, wallendem Haar unter einem granatfarbenen Samtbarett und einer goldenen Halskette auf einem Wams von Silberstoff. Dieses reizende Gesicht versetzte Edmee in die höchste Begeisterung. Eines Tages meinte der alte Glasmaler lachend, das Kind müsse wohl in das Bild verliebt sein, worauf der Priester errötend entgegnete: “Höre, Vater, nicht einmal im Scherze solltest du so etwas sagen …”

“Nun, dieser heilige Michael ist schön genug, um einen starken Eindruck auf das Gemüt zu machen, mein lieber Abbé; es ist eins der wenigen Stücke, die Annibale Carracci auf Glas gemalt hat … Es wurde während der Belagerung Genuas unter Massena von unserm Oheim nach dem Palazzo Doria gebracht … Das Bild besitzt einen großen Wert, obwohl es kaum größer ist als meine beiden Hände …”

“Gut denn, so verschließe es in deinem Schrank, damit es nicht beschädigt werde … Dann wird Fräulein von Croix-Mort es nicht mehr sehen …”

Am nächsten Morgen fand Edmee das Bild nicht mehr. Sie sah den Pfarrer und seinen Vater mit fragendem Blicke an; da aber beide schwiegen, preßte sie die Lippen übereinander und schwieg gleichfalls, malte jedoch aus dem Gedächtnisse eine sehr gelungene Kopie des schönen Italieners. So offenbarte sich ihr heftiges, leidenschaftliches Naturell in allem und jedem. Zu ihren größten Belustigungen gehörte es, die Füllen auf den Weideplätzen galoppieren zu sehen und sie mit lautem Zuruf zu rascherem Laufe zu ermuntern, wobei sie in die Hände schlug, wie es die Roßmäkler zu thun pflegen. Eines Tages traf man sie auf einer Stute spazierenreitend, das Kleid wie eine türkische Hose aufgeschürzt, ohne Sattel und Zaum, sich nur an der Mähne festhaltend. Als die Gräfin diese Heldenthat vernahm, rang sie die Hände und murmelte leise vor sich hin: “Ganz wie ihr Vater! …”

“Unser teures Kind paßt eben nicht für unser Jahrhundert, Frau Gräfin,” meinte der Abbé; “zu den Zeiten der Fronde hätte sie als bewundernswerte Amazone sich an den Kriegszügen beteiligen können, aber heutzutage dürfen Frauen weder Lanzen brechen, noch politische Intriguen anzetteln. Die Sticknadel und der Telemach, das ist’s, was sich für unsre jungen Mädchen ziemt.”

Leider aber ist das, was sich ziemt, nicht immer das, was gefällt. Wenn Edmee nicht mit dem Malen von Erzengeln beschäftigt war, eilte sie ins Freie hinaus und durchstreifte Wald und Feld in Gesellschaft Jean Billets, eines Vertrauensmannes der Frau von Croix-Mort, welcher dem Grafen in den Krieg gefolgt war und in seiner derben, plumpen Gestalt alle Fehler und alle Vorzüge der picardischen Rasse vereinigte.

Er war mißtrauisch und hitzköpfig, aber dabei ehrlich und treu ergeben. Die Familie der Billet war bei den Croix-Mort seit drei Generationen bedienstet; in der Zeit hatten sie sich gewöhnt, die Besitzung als ihr Eigentum zu betrachten und mit dem Rechte, das ihnen ihre Ergebenheit erworben hatte, von “unsren Waldungen, unsren Feldern und unsrem Heu” zu sprechen. Als leidenschaftliche Jagdliebhaber waren sie der Schrecken aller Wilddiebe. Um den Burschen die Lust am Hasenfang zu benehmen, hatte Großvater Billet, der von herkulischer Stärke gewesen, ein Verfahren ersonnen, das bedeutend einfacher war und viel rascher erledigt wurde, als irgend ein gerichtliches. Er fiel nämlich mit geballten Fäusten über den ertappten Verbrecher her und ließ ihn nicht eher los, als bis dieser halb erwürgt war.

Diese summarische Rechtspflege hatte sich in der Familie fortgepflanzt, und wenn in der Umgegend von Croix-Mort ein Bauer mit einem blauen Auge zu erblicken war, hieß es gleich scherzweise: Der ist sicherlich Billet in den Weg gelaufen!

Der letzte dieses eigenmächtigen Geschlechtes war unvermählt geblieben. Er hatte ein noch schrofferes Wesen als seine Ahnen und lebte einsam in einem kleinen, weißen, mit roten Ziegeln gedeckten Häuschen am Waldesrande, in alleiniger Gesellschaft von zwei Affenpintschern und einem Hühnerhunde. Von früh bis spät durchstreifte er die Besitzung, stets im Schatten der Bäume, um nicht gesehen zu werden und desto besser zu sehen, wählte mit geübtem Blicke das zu erlegende Wild und zielte so sicher, daß er niemals genötigt war, einen zweiten Schuß aus seinem Kuhfuß abzugeben, wie er seine Flinte humoristisch zu nennen pflegte.

Diesen Wilden hatte nur die kleine Edmee, der er einen wahren Kultus weihte, etwas zu zähmen vermocht. Wenn sie ihn “mein alter Billet” nannte, lachte ihm das Herz im Leibe. Einst, da er sie bei strenger Winterszeit über Kälte klagen gehört, hatte er zwanzig Nächte am Rande einer in das Eis des Teiches geschlagenen Öffnung auf dem Anstand verbracht, um Ottern für sie zu erlegen, und war dann eines Morgens freudestrahlend im Schlosse erschienen, ihr das kostbare Pelzwerk zu überbringen.

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