Die lichtscheue Dame

Die lichtscheue Dame – Georges Ohnet

Einer der letzten Roman des großen französischen Schriftstellers, hier vorliegend in einer Ausgabe mit allen zwei Bänden. Der Franzose Ohnet eroberte mit vielen seiner Werke die Herzen seiner Leser, wurde aber gleichzeitig von vielen Literaturkritikern in die Schublade der Trivialliteratur gesteckt.

Die lichtscheue Dame

Die lichtscheue Dame.

Format: eBook

Die lichtscheue Dame.

ISBN eBook: 9783849656713.

 

Auszug aus dem Text:

Mit noch röterem Gesicht als sonst und gefurchter Stirne ging der Kriegsminister, an seinem Schnurrbart kauend, in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Die Fieberhaftigkeit, womit er seinen Kneifer zwischen den Fingern drehte, verhieß dem zunächst vor ihm Erscheinenden keinen freundlichen Empfang, und die Offiziere mochten diese Wetterzeichen und ihre Ursachen kennen, denn in den anstoßenden Amtszimmern herrschte tiefe Stille; nur die Vögel im Garten vor den Fenstern wagten es, die Einsamkeit des Gewaltigen durch ihr keckes Zwitschern und Flattern zu stören. Nach kurzem Hin- und Herstürmen schien dem Minister die Geduld vollends ausgegangen zu sein, und er eilte an den Kamin, um auf die elektrische Klingel zu drücken. Mit besorgter Miene trat der Bureaudiener ein.

“Ist der Oberst Vallenot zurückgekehrt?” fragte der Minister in einem Ton, wie er etwa das Kommando: “Gewehr in die Hand! Zur Attacke!” gegeben haben wurde.

Der Diener beugte und krümmte sich, als ob er am liebsten unter dem Fußteppich verschwunden wäre, und gab mit tonloser Stimme zur Antwort: “Euer Excellenz … ich weiß es wirklich nicht … ich will nachfragen …”

Des Ministers Züge färbten sich bläulich; gleich einer platzenden Granate kam der erste Fluch über seine Lippen, dann ein zweiter, ein dritter, der aber verlorene Liebesmühe war, denn der Diener hatte sich schon verflüchtigt und die Thüre hinter sich zugezogen.

“Was dieser verdammte Vallenot nur treiben mag die ganze Zeit, die er fort ist?” brummte der Minister, seinen zornigen Spaziergang fortsetzend. “Nett bedient ist man, hol’s …”

Er hatte keine Muße, sich weiter Luft zu machen, denn die Thüre flog auf und dieses Mal erschien der Bureaudiener mit strahlender Miene, um vernehmlich zu melden: “Der Herr Oberst Vallenot.”

Ein großer, schlanker Mann, etwa fünfzig Jahre alt, mit blauen Augen und blondem Schnurrbart, trat rasch ein und begann nach einer Verbeugung vor dem Vorgesetzten in zuversichtlich vertraulichem Tone: “Excellenz scheinen ungeduldig geworden zu sein? Der Offizier vom Dienst hat mich schon an der Hausthüre abgepaßt … die Sache war eben nicht kurz zu erledigen, ist vielmehr sehr langwierig, und ich habe meine Zeit wahrlich nicht vergeudet …”

“Zur Sache!” fiel ihm der Minister ungeduldig ins Wort, “Sie kommen von Vanves?”

“Ja. Excellenz.”

“Allein?”

“Nein, ich hatte einen von unseren Agenten mitgenommen, den gewandtesten, über den wir verfügen. Excellenz hatten zwar nicht Befehl dazu gegeben, aber ich habe mich auf eigene Verantwortung des Mannes bedient …”

“Was ich gutheiße, vorausgesetzt, daß Sie des Mannes sicher sind.”

“Soweit man der Menschen überhaupt sicher sein kann. Es ist ein ehemaliger Unteroffizier, dem ich überdies den wahren Zweck meiner Untersuchung nicht enthüllt habe. Von dem, was uns eigentlich besorgt macht, weiß er nichts, vielmehr muß er einfach annehmen, daß er mir bei der Aufklärung der Ursachen eines noch rätselhaften Unglücksfalles an die Hand gehen soll. Nach dieser Seite hin sind wir vollständig gedeckt …”

“Nun, und das Ergebnis Ihrer Nachforschungen?”

“Wenn Excellenz gestatten, möchte ich das Geschehnis unter zwei Gesichtspunkten betrachten, einerseits die greifbaren Thatsachen, andererseits deren psychologische Ursachen entfalten … der Fall ist nämlich verwickelter, als Excellenz zuerst annahmen, und ich fürchte, daß mein Bericht Excellenz eher mehr in Zweifel stürzen, als Ihre Unruhe beschwichtigen wird.”

“Alle Wetter!”

Der Minister ließ sich, das Kinn in die Hand gestützt, an seinem Schreibtisch nieder und bedeutete dem Oberst, in einem Lehnstuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen.

“Beginnen Sie … ich höre.”

“Das vom General von Trémont bewohnte Haus liegt oberhalb des Dorfes Vanves in geringer Entfernung vom Fort, so daß die Schildwache des Forts zuerst Alarmzeichen gegeben und die Besatzung die ersten Versuche zur Löschung des Brandes gemacht hat. Von dem ganzen Gebäude ist sozusagen nichts übrig geblieben. Die Explosion der im Laboratorium angehäuften Sprengstoffe hat selbst die Fundamente aufgewühlt und furchtbare Wirkungen hervorgebracht. Man hat in einer Entfernung von zwei Kilometern noch zersprengte Steine aufgefunden, und die anstoßenden Gärten, meist Gemüsezüchtern gehörend, sind übersät mit Trümmern. Wenn Häuser in der Nachbarschaft gestanden hätten, wäre das Unglück unübersehbar …”

“Kurz gesagt, die bekannten Wirkungen des Melinits?” unterbrach ihn der Minister.

“O nein, Excellenz, ungleich stärkere! Nehmen Sie die hundertfache Wirkung des Pulvers an, womit wir unsere Granaten laden, dann mag etwa die Sprengkraft herauskommen, die den im Laboratorium des Generals von Trémont entdeckten Zündstoffen innewohnte …”

Der Minister nickte mit dem Kopf.

“Ja, ja … derartiges hat er mir gesagt, als ich ihn das letzte Mal in der Sitzung der Artilleriekommission sah. Er war einer Entdeckung auf der Spur, die unseren Geschützen eine derartige Überlegenheit gesichert hätte, daß wir auf lange Zeit des Sieges Gebieter geworden wären. Der Widerstand gegen uns würde so furchtbare, mit unfehlbarer Sicherheit eintretende Verwüstungen zur Folge gehabt haben, daß unsere militärische Stellung fast unangreifbar zu nennen sein würde. Liegt hierin die Ursache der Katastrophe?”

“Excellenz nehmen also an, daß Neid und Bosheit dem Ereignis nicht fern stehen?”

“Ich nehme gar nichts an und vermute alles. Wenn Sie mich von den Thatsachen unterrichtet haben werden, können wir erst Folgerungen ziehen. Fahren Sie fort!”

“Den Anordnungen des Ministeriums gemäß fanden wir bei unserer Ankunft schon einen um das ganze Besitztum gezogenen Kordon von Truppen vor; außerhalb dieser Kette eine wohl aus drei- bis vierhundert Köpfen bestehende Menge neugieriger, schwatzender Landleute und dazu etliche zwanzig Zeitungsberichterstatter, die zu Wagen oder Fahrrad herbeigeeilt waren und allein mehr Lärm verursacht hatten, als alle übrigen Anwesenden miteinander. Sie waren sehr empört, daß man ihnen den Zutritt zur Unglücksstätte, in die noch qualmenden Trümmer des Anwesens verweigerte, aber ein schneidiger junger Leutnant, der den Ordnungsdienst leitete, wies alle ihre Klagen und Ansprüche mit militärischer Schroffheit ab. Wir können also darauf rechnen, daß die Presse ein Zetergeschrei erheben wird, aber vor taktlosen Mitteilungen sind wir gesichert, und das ist immerhin etwas. Innerhalb des Truppenkordons befand sich niemand als der Sekretär des Polizeipräsidenten, der Staatsanwalt und der Vorstand der Sicherheitswache. Mein Agent und ich trafen zu günstiger Stunde ein, man fing eben an, den Augenschein aufzunehmen.”

“Wo? Im Haus selbst?”

….

 

 

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