Der Prophet Jesaja, Band 2

Der Prophet Jesaja, Band 2 – Johannes Calvin

Johannes Calvin (10. Juli 1509 – 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden “Unterweisung in der christlichen Religion” schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit dem Propheten Jesaja (Band 2).

Der Prophet Jesaja, Band 2

Der Prophet Jesaja, Band 2.

Format: Paperback, eBook

Der Prophet Jesaja, Band 2.

ISBN: 9783849665340 (Paperback)
ISBN: 9783849662752  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Kapitel 32.

V. 1. Siehe, es wird ein König regieren, Gerechtigkeit anzurichten. Gott wird seiner Gemeinde gnädig sein und sie erneuern. Erneuert aber wird sie am besten dadurch, dass geordnete Zustände hergestellt werden, dass alles nach Recht und Gerechtigkeit regiert wird. Diese Weissagung bezieht sich ohne Zweifel auf die Regierung des Königs Hiskia, unter welchem die Gemeinde Gottes wieder zu ihrem früheren Glanze kam. Vorher war sie elend verwüstet. Ahas, der gottlose, schändliche Heuchler, hatte nach seiner Willkür regiert, hatte alles verdorben und die ganze politische und religiöse Stellung des Volkes zugrunde gerichtet. Der Prophet verheißt nun einen anderen König, den Hiskia, durch dessen Tüchtigkeit und Gerechtigkeit die gänzlich zerrütteten Verhältnisse wieder gehoben wurden. Der Prophet malt uns hier, wie auf einem Gemälde, den glücklichen Zustand der Kirche aus. Ohne Christus kann derselbe aber nicht zustande kommen. Daher muss die Weissagung zweifellos auch auf Christum bezogen werden, dessen Vorbild Hiskia war.

Und Fürsten werden herrschen, das Recht zu handhaben. Recht und Gerechtigkeit werden in der Schrift oft zusammengestellt. Unter Gerechtigkeit versteht sie eine allseitig geübte Billigkeit und Milde, unter Recht das Stück der Gerechtigkeit, durch das die Guten in Schutz genommen und gegenüber den Gewalttaten der Gottlosen geschützt werden. Das Amt eines guten Herrschers muss aber sicherlich noch mehr in sich schließen, als Recht und Gerechtigkeit. Ein guter Fürst muss vor allem Gottes Ehre und Gottesfurcht schützen. Von dieser Ehre Gottes und der Furcht vor Gott handeln die Gebote der ersten Tafel des Gesetzes. Nun pflegt die heilige Schrift, wenn sie von den Geboten der zweiten Tafel redet, wie in diesem Verse, wo von gerechtem Tun und Handeln die Rede ist, damit zugleich auf das ganze Gesetz hinzuweisen. Wenn wir uns von Ungerechtigkeit und unrechtem Tun gegen unsern Nächsten fernhalten, wenn wir Bedrängten nach Kräften helfen, wenn wir Barmherzigkeit üben, dann beweisen wir eben damit die Gottesfurcht, aus der jene Tugenden als Frucht hervorgehen. – Nicht ohne Grund erwähnt der Prophet die „Fürsten“. Ein guter König allein tut es nicht, er muss rechtschaffene Diener und Ratgeber zur Seite haben. Denn oft ging es einem Volke sehr schlecht auch unter trefflichen Königen. So war es z. B. unter dem römischen Kaiser Nerva[1]. Unter ihm war alles erlaubt; infolgedessen war die Lage der großen Menge unter diesem Herrscher noch schlimmer als unter Nero. Die sorglose Lässigkeit des Einen machte viele kühn zu ungerechtem Tun und Handeln. Ein König muss also gute Fürsten und Ratgeber haben, die seine Augen und seine rechte Hand bilden und ihm helfen, sein Volk gerecht zu regieren. Ist das nicht der Fall, dann wird niemals ein König, er mag sonst noch so gut sein, Erfolg haben. Wenn unter denen, die am Ruder sind, nicht die Harmonie, wie beim Saitenspiel, herrscht, dann kann von einer heilsamen Regierung keine Rede sein. Hierher passt der Rat, den Jethro seinem Schwiegersohn Mose gab (2. Mos. 18, 21): „Siehe dich um unter dem Volk nach redlichen Leuten, die Gott fürchten, wahrhaftig und dem Geiz feind sind; die setze über sie, etliche über tausend, etliche über hundert, etliche über fünfzig und über zehn.“

V. 2. Dass ein jeglicher unter ihnen sein wird wie eine Zuflucht vor dem Wind usw. Wie wertvoll ein gutes Regiment ist, zeigt der Prophet deutlich in diesen Worten, wenn er solchen König eine Zuflucht vor dem Wind und einen Schirm vor dem Platzregen nennt. So herrlich weit wird es niemals mit dem menschlichen Geschlechte kommen, dass die einzelnen Menschen von selbst von jeglicher Gewalttat ablassen und keines Zügels bedürfen. Die meisten Menschen schleudert ihre Begierde und ihre Lust zum Bösen hin und her. Sie würden fortgesetzt unter sich Verwirrung anrichten, wenn nicht Gesetze und eine gerechte Regierung dagegen ein heilsames Gegengewicht böten. Weil nun viele Fürsten durch ihr tyrannisches Regiment solche Verwirrung, anstatt sie beizulegen, nur noch vergrößern, so wird hier mit vollem Recht dem frommen Könige ein Lob gesungen. Und wenn das in Wahrheit von dem König Hiskia galt, so noch viel mehr von Christus, bei dem wir die beste, ja die einzige Zuflucht haben in den Stürmen, in denen wir, solange wir auf Erden sind, umhergeworfen werden müssen. So oft wir von Trübsalshitze getroffen werden, sollen wir unter seinen Schatten flüchten; so oft Stürme uns umhertreiben und wir von Wasserwogen überschwemmt zu werden drohen, sollen wir zu ihm fliehen, als unserm sichersten Rettungshafen. Er kann mit leichter Hand alle Stürme beschwichtigen, und das, was zusammengebrochen am Boden liegt, wieder aufrichten.

V. 3. Und der Sehenden Augen werden sich nicht blenden lassen usw. Hier können wir noch deutlicher erkennen, dass der Prophet bei seiner Schilderung der Regierung des Hiskia uns über diese noch hinausweisen und hinausführen will. Er redet hier von der Wiederherstellung der Kirche, wie sie zwar von Hiskia vorgebildet, aber erst in Christo wahrhaft erfüllt ist. Mit der Kirche steht es nur dann gut, wenn sie gerechte und kluge Leiter hat. Das ist aber nur möglich, wenn Christus ihr Herrscher ist. Christus also und sein Reich wird uns hier vor allem in seiner Herrlichkeit vorgestellt. Die Verheißung dieses Verses steht in Gegensatz zu jener früheren furchtbaren Drohung, Gott werde die Juden blind machen (29, 9 ff.). Hier wird im Gegensatz dazu das wahre Licht verheißen, dass die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Unvorsichtigen klug, die Stammelnden redend werden. Von den Augen der Sehenden und den Ohren der Zuhörer redet der Prophet. Sie hätten sehen und hören sollen, als Gottes Wort ihnen vorgehalten wurde. Aber sie waren lieber blind und taub gewesen und hatten Herzen und Sinne vom Worte abgewandt. Nun verheißt der Herr, er werde ihnen Augen, Ohren, Klugheit und Sprache wiedergeben. Das sind Geschenke göttlicher Gnade. Von ganz besonderen Gaben Gottes redet der Prophet, wie es auch anderseits besonders schreckliche Strafen sind, durch die Gott der Menschen Undankbarkeit und die Verachtung seines Wortes straft, wenn er die Augen blind macht, Erkenntnis und Sprache raubt und rohe Unwissenheit sich breit machen lässt. Was er ihnen also verdientermaßen genommen hat, wird der Herr aus Erbarmen mit seinem Volk ihnen wieder schenken, und zwar durch Christi Verdienst, durch den uns die Zunge zum Reden, der Verstand zum Erkennen, die Ohren zum Hören gegeben werden müssen, da wir zuvor taub und über die Maßen stumpf sind. Außer Christo gibt es kein geistliches Leben in der Welt. Allen Menschen fehlt das rechte Sehen und Hören, die rechte Erkenntnis und Sprache, bis sie Glieder an seinem Leibe geworden sind. Liegt also Christi Reich darnieder, dann sind auch solche Gnadengaben nicht vorhanden. Auch das ist zu beachten, dass hier Gaben genannt werden, die wichtiger und wünschenswerter sind als alle andern. Macht und Reichtum und andere Dinge, die gemeiniglich die Menschen zu einem glücklichen Leben für nötig halten, sind für nichts zu achten. Auch im größten Überfluss sind wir unglückliche Leute, wenn der Herr uns nicht die geistlichen Gaben schenkt, von denen der Prophet hier redet. Fehlen diese, dann ist Christus von uns fern und wir sind ferne von ihm; denn von ihm allein geht aller geistliche Segen aus, wie Paulus im Brief an die Epheser (1, 3) schreibt.

V. 5. Es wird nicht mehr ein Narr Fürst heißen usw. Alles wird wieder zu Stand und Ordnung kommen; Laster wird man nicht mehr, wie zuvor, für Tugenden halten. Unter einer schlechten Regierung herrschen wohl Narren und Habgierige; sie stehen in hoher Achtung, weil man die Tugend nach Geld und Macht beurteilt. Der Arme wird allenthalben verachtet, ob er auch rechtschaffen, brav und, soweit es in seinen Kräften steht, freigebig ist. Bei solchen Verhältnissen geht zuletzt alles drunter und drüber. Unter geordneten staatlichen Verhältnissen werden jedoch leicht solcher Schein und solche Heuchelei aufgedeckt; denn wo die Tugend etwas gilt, werden Sünden und Schäden bald offenbar. Auch haben da die Guten mehr Freiheit und Macht, die Schlechtigkeit derer, die Recht und Gerechtigkeit mit Füßen treten, im Zaume zu halten. Der Prophet redet hier von dem Zustand und der Wiederherstellung der Kirche, die ein geistliches Gemeinwesen ist. Dabei müssen wir aber unsere Gedanken noch höher erheben und dies alles auf Christum beziehen. Seine Aufgabe ist es ja ganz besonders, verborgene Sünden aufzudecken und Schleier und Hüllen wegzuziehen, hinter denen die Laster sich verbergen, sodass man sie gar als Tugenden preist. Das tut er durch das Evangelium, durch welches er Sünden, die zuvor verborgen waren, ans Licht zieht, und zeigt, was sie sind, sodass niemand mehr vom äußeren Schein getäuscht wird, es müsste sich denn einer absichtlich täuschen lassen wollen. Und das ist der Grund, weshalb das Evangelium der Welt so verhasst ist. Denn niemand lässt es gern geschehen, dass seine geheimen Gedanken und seine verborgene Schande ans Licht gezogen werden. Zwar reden auch die Weisen dieser Welt ganz prächtig über den Geiz und über die Freigebigkeit und zeigen den Unterschied zwischen beiden nach allen Seiten hin auf. Aber sie dringen niemals in die Tiefen der Herzen ein, sie können dieselben nicht ergründen und in Wirklichkeit nicht die Geizigen von den Freigebigen unterscheiden. Das geschieht durch Christum allein, er leuchtet mit dem Licht des Evangeliums hinein in die geheimsten Winkel des menschlichen Herzens, durchdringt sie und treibt die Menschen zu einem innerlichen, geistlichen Gehorsam. Vor Christi Richtstuhl werden wir hier also gerufen; er allein deckt alle Heuchelei auf und macht offenbar, ob wir geizig oder freigebig sind.

V. 6. Denn ein Narr redet von Narrheit usw. Hier wird die sündige Zügellosigkeit beschrieben, die sich in fortgehender Gottlosigkeit und Unrecht äußert. Der Prophet fährt wider die Gottlosen los, die in jede Schandtat sich hineinstürzen, und zwar ohne Gewissensbisse; sie lachen über alle Ermahnungen und verhöhnen Gott und seine Knechte. Solche Leute zieht Christus ans Licht, er deckt das Verborgene auf. Denn das ist, wie gesagt, besonders die Wirkung des Evangeliums, wie ein Schwert die verborgenen Gedanken des Herzens zu durchdringen, sodass sich dieses unter Gottes Gericht beugt. Jesaja setzt also den vorher begonnenen Gedankengang fort. Einige legen diese Stelle anders aus, aber, wie mir scheint, wenig zutreffend; sie fassen den Satz: „Ein Narr redet von Narrheit“ – als allgemeines Sprichwort, ohne dasselbe in Beziehung zu bringen zu Christo und seinem Reich. Nach meinem Dafürhalten aber will der Prophet mehr zum Ausdruck bringen; er will andeuten, dass Christus als Weltrichter den Richtstuhl besteigen und eines jeden einzelnen Menschen Herz offenbar machen wird. Denn solange er nicht das Richteramt ausübt, bleibt alles ein Durcheinander; da werden die Gottlosen gepriesen, weil sie ein frommes Gesicht aufsetzen, und die Besten werden verachtet. Christus aber wird das Leben jedes einzelnen ans Licht ziehen, und jede Narrheit und Gottlosigkeit, die zuvor unter irgendeinem Deckmantel versteckt war und als Tugend glänzte, wird zutage treten. Darum heißt es auch (Mt. 3, 12): „Er hat seine Worfschaufel in der Hand, er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer.“ Diese Worfschaufel ist das Evangelium, durch welches der Richter die Übeltäter zur Untersuchung zieht und ihnen, sie mögen wollen oder nicht, ein Geständnis ihrer Missetaten und Frevel auspresst.

Dass er Irrsal rede wider den Herrn usw. Zum Spott, den die Gottlosen gegen Gott schleudern, gesellt sich Grausamkeit. Den Anfang machen die Gottlosen mit der Verachtung Gottes; dann gehen sie zu äußeren Freveltaten über und üben allerlei Grausamkeit wider ihre Nächsten. Das ist aber der Gipfel schändlicher Grausamkeit, dass man die hungrigen Seelen aushungert und den Durstigen das Trinken wehrt. Schon eine natürliche Anlage treibt uns zur Barmherzigkeit und zum Mitleid. Wo aber Menschen so verwildern, dass sie von fremdem Elend sich nicht rühren lassen und aller Menschlichkeit bar geworden sind, da sind sie schlimmer als Tiere, die doch noch irgendwie mit der Not von ihresgleichen Mitgefühl haben.

V. 7. Und des Geizigen Regieren ist eitel Schaden. Es ist immer im Auge zu behalten, dass der Prophet hier von der Zukunft redet. Er redet nicht davon, wie die Geizigen seiner Zeit sind, sondern er zeigt, wie sie unter der Herrschaft Christi offenbar werden sollen, damit sie nicht weiter lügen und betrügen. Er spricht ja vorher von einem himmlischen Licht, das einst aufgehen wird, um verborgene Gottlosigkeit aufzudecken. Christus macht klar, wie die Geizigen beschaffen und mit welch verderblichen Künsten sie ausgerüstet sind. Unter dem Regieren der Geizigen versteht der Prophet allerlei Kunst, List und Betrug, wodurch die Geizigen einfältige und unvorsichtige Leute in ihre Netze ziehen.

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