Die Alpen in Natur- und Lebensbildern

Die Alpen in Natur- und Lebensbildern – Hermann Alexander von Berlepsch

Hermann Alexander von Berlepsch war ein Schweizer Schriftsteller und Publizist. Sein Mitte der 1860er Jahre erschienenes Werk “Die Alpen in Natur- und Lebensbildern” beschreibt in vielen Skizzen eindrucksvoll die Wunder seiner gebirgigen Heimat. Er kennt Land and Leute und bringt deshalb keine Stubenskizzen, sondern Bilder aus dem Leben, keine Phantasiesstücke in französischer Manier, aufgeputzt wie zu einem Theaterspiel. Seine Darstellungen sind phantasievoll und erschöpfend. Sein Zweck ist es zunächst, dem größeren Teil der Reisenden ein Buch in die Hand zu geben, das sie in einer geistreichen Erzählweise vorbereitet für die Reise selbst oder umgekehrt ein herrliches Erinnerungsblatt bildet an den Besuch der Alpenwelt . Den sonst trockenen geologischen Stoff hat der Verfasser mit viel Geschick auch dem Laien zugänglich gemacht und besonders in seinen Vergleichen interessant gestaltet. Am anziehendsten und auch gelungensten bleibt jedoch jener Teil des Werkes, der Naturschilderungen enthält. Hier ist Berlepschs eigentliches Feld, worin ihn seine fleißigen, jahrelangen Beobachtungen, seine großen Gebirgsreisen und seine vortreffliche Gabe zu erzählen, besonders unterstützen. Er sucht im Gebirge interessante Punkte im Natur- und Menschenleben auf und besonders bei den meistenteils zurückhaltenden Gebirgsvölkchen brachte ihn sein zutrauliches Wesen in engere Verbindung und machte es ihm möglich, in ihre eigentümlichen Lebensverhältnisse, Sitten und Meinungen einzudringen. Diese Neuausgabe wurde sprachlich so überarbeitet, dass die wichtigsten Wörter und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entsprechen.

Die Alpen in Natur- und Lebensbildern

Die Alpen in Natur- und Lebensbildern.

Format: Paperback, eBook

Die Alpen in Natur- und Lebensbildern.

ISBN: 9783849665791 (Paperback)
ISBN: 9783849662301 (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

Das Alpengebäude.

Die Natur

Vermag nicht unter ähnlicher Gestalt

Den Fortgenuss der Dinge zu gewähren.

Sie wechselt ihre Formen, und sie lässt

Des Einen Bild in andre übergehen,

Doch mit Verschiedenheit von Geist und Kraft.

So wächst der unermessne Reichtum auf,

Und ewig zeigt sich eine andere,

Und doch dieselbe Welt.

Knebel.

Die Alpen sind einer der großartigsten Beweise von der Majestät der Schöpfungsgewalt.

Staunt der denkende Mensch schon alle die Wunder und erhabenen Zeugnisse der erschaffenden, erhaltenden und auflösenden Kraft in der Natur an, welche täglich, stündlich vor seinem sehenden Auge, nach einem großen gemeinsamen Organisationsgesetze Neues gestaltet, Existierendes bewegt und belebt, Verbrauchtes, Vollendetes wieder dem Urquell der Materie oder einer neuen Bestimmung im großen Kreislaufe der Schöpfung zuführt und ihm einen Maßstab für die nimmer rastende, Alles ergreifende, Alles umfassende Tätigkeit des wollenden, ordnenden, Alles durchdringenden und vollbringenden großen Geistes im Universum gibt, — dann wird er tief ergriffen, erschüttert vor jenem imposanten Riesenbau der Alpen stehen, der von Gewalten emporgerichtet wurde, für deren materielles Entstehen und Wirken die Naturwissenschaften zwar allgemeine, aus den Erscheinungen gewonnene Normen aufstellen und ihr Verhältnis zu anderen Naturgesetzen nachweisen, deren ganze Aufgabe, Ausdehnung und Grenzen im Weltall das menschliche Ergründen und Erkennen aber nur zu ahnen vermag.

Nur wenige Menschen kennen die wirkliche und volle Majestät des Alpengebäudes. Sie entschleiert sich da am allerwenigsten, wo die breiten Heerstraßen über Joche und Bergsättel laufen, oder wo das kleinliche Treiben des alltäglichen Verkehrslebens an die Fußschemel dieses Schöpfungswunders sich herangewagt hat. In die Geheimnisse der verborgenen Gebirgswelt musst Du hineindringen, in die Einsamkeit der scheinbar verschlossenen Schluchten und Taltiefen, wo der Kulturtrieb des Menschen ohnmächtig ermattet, weil er die Schwäche seines Strebens gegenüber der Erhabenheit der Alpennatur erkennt, — über Urwelt-Getrümmer musst Du klimmen, durch Gletscherlabyrinthe und Eiswüsten in das Tempelheiligtum eingehen, welches sich dort vor Deinem erbangenden Blicke frei und kühn in den Äther emporwölbt. Da wird sie Dir entgegentreten die unbeschreiblich hohe Pracht der Alpenwelt in ihrer ganzen Herrlichkeit und Größe, da wirds mit Geisterstimmen Dich mächtig umrauschen, und überwältiget wirst Du niedersinken vor diesen verkörperten Gottesgedanken. Und hast Du Dich dann aufgerafft von dem ersten gewaltigen Eindrucke, — hast Du im Anschauen der gigantischen Massen das Herz Dir ausgeweitet und empfänglich gemacht für noch größere und herrlichere Offenbarungen, dann richte kühn eine Frage an jene Mausoleen urvordenklicher Zeiten, dann forsche, welche Hand sie emporgehoben hat aus der Tiefe ewiger Nacht in das Reich des Lichtes, — dann schlage die Geschichte ihrer Schöpfungstage in den Felsenblättern dieser versteinerten Weltchronik nach und erforsche ihren Existenzzweck; — und die großen toten Massen werden sich beleben, es wird sich Dir ein Blick erschließen in den unendlichen Kreislauf der Ewigkeit.

Gedankenvoll, verstandvoll ist die Schöpfung,

Ein großes Herz, das Wärm’ in alle Adern,

In alle Nerven Glut der Fühlung gießt

Und sich in Allem fühlet.

Herder.

In weit gestrecktem Halbbogen durchziehen die Alpen das südliche Europa, ein Glied jenes kolossalen Erdrippen-Baues, der den, ins mittelländische Meer hinausragenden Landzungen der Iberischen, Italienischen und Osmanisch-Hellenischen Halbinseln als Pyrenäen, Apennin, Tschar-Dagh und Hämus ihren inneren Halt gibt. Sie sind Resultate und Gebilde viel hunderttausendjähriger Kristallisationen und Niederschläge aus einstigen Urmeeren. In verschiedenen Epochen erfolgten dann Hebungen und Senkungen, abermalige Überflutungen und neue Ablagerungen, und endlich durchbrachen feuerflüssige Produkte aus den Schmelzöfen des Erdinneren diese vielfach übereinander lagernden Schichten,

Wer Zeuge jener Umwälzungen und Ausbrüche hätte sein können, als in den Zentral-Alpen der eigentlichste, innere Kern des riesigen Berggebäudes, die Granite, Gneise und kristallinischen Schiefer aus den Tiefen der Erdrinde emporgedrängt, von den strahlend aufschießenden Massen der hornblendartigen Gestein durchbohrt und in Fächerform aufgerichtet wurden? Wie ohne mächtig möchten die Momente des wildesten Natur-Aufruhrs die wir kennen, — wie unbedeutend Erdbeben und Meeressturm, Vulkan-Ausbruch und Felsensturz der Jetztzeit gegen jene Katastrophen erscheinen, welche dem Alpengebäude seine gegenwärtige Gestalt gaben? Wie hat unser Verstand so ganz und gar keinen Anhaltspunkt, um einen nur einigermaßen entsprechenden Begriff für jene welterschütternden Epochen zu bilden? Vertausendfachten wir den furchtbarsten Aufruhr des wildesten Gewitters, welches die gesteigerte Phantasie auszumalen im Stande ist, — dächten wir uns alle Feuerschlünde der zur Kriegsführung der Völker auf Erden existierenden Geschütze auf einer Stelle versammelt, auf ein Kommandowort losgebrannt — wie nichtig würden sie immerhin noch im Verhältnis zu jenen Momenten sein, in welchen die noch Milliarden und abermals Milliarden von Kubikklaftern fester Gesteine der Zentral-Alpen aus ihren Fugen gerissen zerbarsten, und zersprengt, himmelhoch aufgerichtet oder übereinander geworfen wurden?

— — zur Zeit, als noch ein Flammenbrand

Gen Himmel lohte aus der Berge Kuppen,

Als sich in Schmerz die Erde kreisend wand.

Formlos geballt lag sie in wilden Gruppen;

In Flutendrang und durch der Flamme Kraft

Sollt’ sie verklärt, ein Phönix, sich entpuppen.

Und Alles, was sie schuf, war riesenhaft.

Es hat die größte Wahrscheinlichkeit für sich, dass die meisten der erdgestaltenden Vorgänge langsam, sehr langsam sich entwickelt haben mögen. Denn zuverlässig ist der Härtezustand der Gesteine während der großen Revolutionsperioden ein viel minder spröder, weniger erfesteter gewesen, als heute, so dass die beiden, jedenfalls am bedeutsamsten bei der Erdgestaltung beteiligten Faktoren: die Zentrifugal- (oder mechanische, durch den Erdumschwung bedingte Anziehungs-Kraft und die Expansion (Ausdehnung) durch Gase, Dämpfe, Wasserdruck aus dem Erdinnern, — leichter und stetiger auf die Gestaltung einwirken konnten. Aber ebenso sicher ist es auch, dass andere physikalische Gesetze, wie von Anbeginn der Materie bestanden, — wie z. B. das Gesetz der Schwere, — aktive Augenblicke in der äußeren Bildungsgeschichte des Alpenbaues herbeigeführt haben müssen, die, energisch in ihren Wirkungen, zu dem Furchtbarsten gehören, was der menschliche Gedanke nur zu erfassen vermag. Tausend Merkmale bezeugen dies bei näherer Betrachtung des Gebirgsreliefs, namentlich die noch heute an pittoresken Formen reichen, scharfkantigen Linien und Brüche der Dolomit-Gebirge, die sich weder abrunden, noch verwitternd zerbröckeln, — die abenteuerlichen Zickzack-Ornamente und wunderbar phantastischen Formenspiele in den Kalkalpen, soweit diese nicht durch Firn-Einlagerungen oder Überdeckung mittelst jüngerer Felsgebilde dem Auge entzogen werden, — dies bezeugen die großen Talrisse und Schluchten, wie die in der Via-Mala, im Taminatale, in der Trientschlucht, die schlundähnlichen Mündungen der meisten südlichen Walliser und Engadiner Seitentäler, deren beide Tal- oder Schluchtwände heute noch die ineinander passenden Bruchflächen (mitunter bis in die kleinsten Details erhalten) zeigen, — das bestätigen die kahlen, im Material-Profil sich präsentierenden Felsenköpfe, die, senkrecht absinkend, alle übereinander liegenden Schichten dem Blicke preisgeben, während der Pendent, der abgebrochene, einst gegenüberstehende, nunmehr fehlende, massige Gegen- Part in die Tiefen versunken ist, wie z. B. am Wallensee die Wände der Churfirstenkette, die Felsenfronten des Fronalpstockes und Axen am Vierwaldstätter-See u. a. m.

Betrachten wir dann weiter jene majestätischen Strebemassen, die gleich gigantischen Obelisken frei und kühn in die Wolken emporsteigen, Zinken wie das unerklimmbare, schneenackte, 13850 Fuß hohe Matterhorn, die blendende Firnpyramide der fast ebenso hohen Dent blanche, das neunzinkige Gipfeldiadem des Monte Rosa (von 14200 Fuß Höhe), welche unmöglich in ihrer Pfeiler- Gestalt, wie wir sie jetzt sehen, durch die Erdkruste aus der Tiefe hervorgestoßen sein können, sondern nichts als vereinzelt stehengebliebene Ruinen-Reste des ehemaligen alten Berggebäudes sind, — was für grässliche Zertrümmerungs-Akte müssen es gewesen sein, die jene dazwischen nun fehlenden Glieder lostrennten und wahrscheinlich in die Tiefen, aus denen sie emporgestiegen waren, zurücksinken ließen? denn, dass allmählige Verwitterung diese Felsentürme so abgenagt und modelliert habe, dagegen sprechen eine Menge von Gründen.

In keinem anderen Gebirge Europas liegen Entstehung, Zerstörung und Neugestaltung so unmittelbar und in so markigen Zügen nebeneinander, wie in den Alpen; an Großartigkeit der Formen, an Mannigfaltigkeit der Zerklüftung und Verwerfung der Schichten werden sie von keinem anderen unseres Kontinentes übertroffen.

 

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