Die Weltwanderer

Die Weltwanderer – Karl Gjellerup

Ein Roman in drei Büchern. Gjellerups indische Weltanschauung gestaltet sich zu hohen poetischen Werten. Der dänische Schriftsteller wurde im Jahr 1917 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Die Weltwanderer

Die Weltwanderer.

Format: eBook

Die Weltwanderer.

ISBN eBook: 9783849655501.

 

 

Auszug aus dem Text:

Wie der erste Atemzug eines aus tiefer Ohnmacht Erwachenden strich der Lufthauch durch die Veranda in das Gartenzimmer des Bungalow, wo er die feinen Stirnhaare eines jungen Mädchens wie Spinngewebe flattern ließ – das Einzige, das er weit und breit bewegte. Erst der zweite Hauch versetzte die silbernen Blätter des Pipalbaumes links von der Treppe in ein leises Zittern, das dem Auge als ein blendendes Flimmern, dem Ohr als das plötzliche Niederrieseln eines Regenschauers bemerkbar war. Erst er wurde auch als Kühlung verspürt von dem lesenden Mädchen, dem er einen kleinen Seufzer der Erfrischung entlockte und bis zu einer unwillkürlichen Bewegung belebte, die den Bambusstuhl, in dem sie zurücklehnte, leise erknarren ließ.

Ihr Gegenüber aber, ein vierschrötiger Mann, dessen Stirn nur wenig Haare dem Windhauch zum Spiele bot, während der reichlich vorhandene, graugesprenkelte Bart zu borstig war, um sich dazu herzugeben, schien jetzt auch so weit belebt zu werden, daß er zu einem vorübergehenden körperlichen Bewußtsein gelangte. Denn ohne noch den Blick von den Palmblattstreifen wegzuwenden, die einen kleinen länglichen Stoß vor ihm auf dem Tische bildeten, ergriff er mit der rechten Hand ein daneben liegendes Seidentuch und rieb sich damit die bucklige und etwas hervorstehende Stirn und den kurzen Hals. Das offenstehende, ungestärkte Hemd ließ diesen Hals unbedeckt, dessen hellere Farbe, die gerade unter dem Nackenhaar einer kräftigen Ziegelsteinröte wich, deutlich genug verriet, daß der eifrige Leser nicht sehr lange unter diesem Himmelsstrich geweilt hatte: die indische Sonne hatte noch nicht vermocht, den Unterschied zwischen dem Teil der Haut, der immer frei der Luft ausgesetzt gewesen war, und dem anderen, der durch die in Europa übliche Halsbinde geschützt gewesen, hinlänglich auszugleichen.

Wenn nun auch dieser Gelehrte keinen Bruchteil einer Sekunde seinen Blick von dem eigentümlichen Manuskript erhob: so ließ hingegen das Mädchen das kleine, in grünen Maroquin gebundene Buch, in dem sie bis jetzt gelesen hatte, in den Schoß sinken, und ihr Blick schweifte frei über Garten und Gegend hinaus.

Das feine Akazienlaub, die Wedel der Farnbäume und die weichen Fahnen der mächtigen Bambussträucher bewegten sich jetzt fortwährend leise und wohlig; der See aber, nach dem der Garten mählich sich hinunter neigte, lag so tief, daß nicht ein Hauch seine Spiegelfläche trübte. Über dieser erhob sich nach dem Hintergrund zu das Land in fleischfarbenen Tönen, bis es ohne merklichen Übergang zum Gebirge wurde, das wie ein Haufen von aufgepufften, silbergrauen, rosigen und lilafarbigen Seidenstoffen in die blasse Luft emporwuchs. Das ganze rechte Seeufer war von oben bis unten ein ungeheurer Burgpalast, der hinter dem Schleier der vibrierenden Hitze, in die alles auflösende und vergeistigende Glut getaucht, mit seinem Spiegelbilde zusammenschmolz und so, gleichsam frei schwebend, eher das phantastische Traumbild eines trunkenen Architekten, denn ein wirklicher von Menschen bewohnter Bau zu sein schien; – den roten Sandsteinfelsen unmerkbar entwachsend, entfaltete sich ein verwirrendes und doch entzückendes Durcheinander von zinnengekrönten Basteien, Freitreppen, Terrassen, Mauern, Erkern und Säulenhallen – bis schließlich das Ganze sich zerteilte in einen Wald von Pavillons, Türmen, Kuppeln und wunderbaren Zwitterformen beider: gedrückte, zwiebelförmige und hochgestreckte, ananasartige Kuppeln und vielstufige, pagodenartige Pyramiden.

Dies war das hell in hell gemalte Bild, das von der nach der Veranda zu fast offenen Wand des Zimmers eingerahmt wurde. An den beiden Seitenwänden hing je ein dunkles: links ein Porträt von Lord Byron, mit der bekannten Drehung des kleinen, kraushaarigen Kopfes in dem zurückgeschlagenen Kragen und mit den ebenso bekannten quer über das Wams gezogenen Mantelfalten. Ihm gegenüber sah man einen jungen Mann in goldbetreßter blauer Jacke, welche Brust und Ärmel des scharlachgestickten Hemdes unbedeckt ließ und nur gerade bis zu der kirschroten seidenen Schärpe reichte, in der zwei mit Silber verzierte Terzerole steckten; die weißen Fustanellen wurden von dem Rahmen abgeschnitten. Das Gesicht war von den großen orientalisch tiefdunklen Augen beherrscht; ein spärlicher Schnurrbart kräuselte sich auf der Oberlippe, und unter dem Fez fiel das Haar in schweren, wie in Ebenholz geschnitzten Massen auf die Schulter hinab. Hinter ihm ragten lilagraue Felsengipfel in eine braune, von einem Zickzackblitz durchstrichene Wolke hinauf.

In dieser Gegenüberstellung mutete er als ein Geschöpf des edlen Lords an – etwa als der Korsar – um so mehr als zu beiden Seiten je eine Byronsche Heroine – rechts Haidée, links Gulnare – in »illuminierten« Kupferstichen angebracht war.

Endlich erwachte nun auch der Mann, der bis jetzt die Nase in die Palmblätter gesteckt hatte, zu einem deutlichen und dauernden Bewußtsein davon, daß er nicht etwa nur in der Eigenschaft eines Entzifferers altindischer Texte existierte. Er wiederholte – nur noch gründlicher – jene Prozedur mit dem seidenen Tuch, das dann benutzt wurde, um die eulenäugigen Gläser der großen Hornbrille zu putzen. Dann wurde diese nicht mehr auf die Nase gesetzt, sondern durfte auf dem Blätterstoß ruhen, und die zu ihr gehörenden Augen sahen sich unbewaffnet um, wie um sich zu orientieren, wo sie sich eigentlich jetzt befänden. Da alles draußen für sie nur ein leuchtender Nebel war, wandten sie sich natürlicherweise an die nahen Gegenstände, zunächst an die beiden Bilder, die jene Frage vollkommen beantworteten, und blieben dann mit einem liebevollen Lächeln am Gesicht des jungen Mädchens haften, dessen Blick noch immer durch die Veranda hinausschweifte.

– Es steht hier geschrieben, daß die Kuh mittelst der Augen sieht, der Mensch mittelst der Vernunft, der Brahmane mittelst des Veda, und leider muß ich hinzufügen: der deutsche Professor mittelst der Brille. Aber auch ohne eine solche glaube ich sehen zu können, daß der Raja-Palast deine Gedanken besser zu fesseln weiß als die Poesie unseres Freundes und Wirtes.

Das Lächeln der jungen Dame, das bereitwillig den Brillenscherz honoriert hatte, wurde bei den letzten Worten sarkastisch.

Sie nahm den kleinen Maroquinband, der ihr in den Schoß gesunken war, wieder zur Hand und blätterte darin.

– Die Poesie unseres Wirtes! Ja, zum Beispiel: » Lines written to a lady who after presenting the autor with a ribbon from her bosom asked him what he would do with it.

Das drollige Schmollmündchen, das sie zog, und der sehr gelungene travestierende Ton, in dem sie den Titel vortrug, brachte ein Lächeln ins Gesicht des Gelehrten, das offenbar nur selten die ernsten Falten verließ.

– Was er damit machen wollte! Ich weiß nicht, ob es dich interessiert, Vater – mich interessiert es nicht, und besonders nicht hier. Mir scheint, es gehöre eine andere Art Poesie dazu, um es mit jenem Gedicht im Stein drüben aufzunehmen. Wenn es so aus dem Dunst heraustritt, wenn es gleichsam anfängt aufzuleben – ein Erker hier, ein Pavillon dort hervorlugt, so wie jetzt, dann ist mir immer, als ob der Palast mir etwas zu sagen hätte.

– Ja, freilich Amanda, nickte der Vater mit dem nachsichtigen Lächeln, das einem ernsten Forscher ziemt, wenn er wohlwollend auf die Phantasien eines Kindes eingeht: – so ein alter Rajputaner-Palast könnte wohl etwas zu erzählen haben.

– Das wollt’ ich meinen! Und zwar von einer Zeit, wo alles größer war als jetzt – schrecklicher, aber auch herrlicher – der Haß blutiger, die Liebe unausschöpflicher. – –

Sie erhob sich mit einer energischen Bewegung.

…..

 

 

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