Meine Vergangenheit mit Sissi

Meine Vergangenheit mit Sissi – Marie Louise Gräfin von Wallersee-Larisch

Marie Louise Gräfin von Wallersee-Larisch war die Nichte der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Sie wurde als uneheliche Tochter des Herzogs Ludwig von Bayern und der Schauspielerin Henriette Mendel in Augsburg geboren und beschreibt in diesem Werk ihre Zeit als Lieblingsnichte und Vertraute der Kaiserin. Selten ist eine interessantere persönliche Biographie verfasst worden, denn es kommt nicht jeden Tag vor, dass das Privatleben der Mitglieder europäischer Königshäuser mit den offenen Augen eines Menschen betrachtet wird, der zum inneren Kreis der höfischen Gesellschaft gehört. Die Tragödie um den Tod von Rudolf, Kronprinz von Österreich, die in diesem Werk ausführlich beschrieben wird, hat viele Spekulationen ausgelöst, und es wurden viele vergebliche Vermutungen und Theorien dazu angestellt. Wie die Identität des Mannes mit der eisernen Maske wurde sie lange als eines der ungelösten Rätsel der Geschichte betrachtet. Doch dann hat sich die einzige Frau zu Wort gemeldet, die im Besitz der Fakten ist, und die überzeugende und dramatische Darstellung, die sie uns gibt, ein Bericht, der in seiner Wahrhaftigkeit so unerschütterlich ist wie der Felsen von Gibraltar selbst, lässt keinen Zweifel an den Gründen für das Ableben des Prinzen. Diese Edition basiert auf der 1913 erschienenen Erstausgabe, wurde aber in Teilen inhaltlich und sprachlich der modernen Zeit angepasst.

Meine Vergangenheit mit Sissi

Meine Vergangenheit mit Sissi.

Formate: Taschenbuch/eBook

Meine Vergangenheit mit Sissi.

ISBN Taschenbuch: 9783849665852

ISBN eBook: 9783849662363

 

Auszug aus dem Text:

 

KAPITEL I

Mein Vater, Herzog Ludwig von Bayern, der jetzt zweiundachtzig Jahre alt ist, ist der Bruder jener fünf schönen Schwestern, Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Marie-Sophie (Sophia), ehemalige Königin von Neapel, Sophie-Charlotte, Herzogin d’Alençon, Mathilde, Prinzessin Trani, und Helene, Prinzessin Thurn und Taxis. Am 28. Mai 1859 schloss er, nachdem er zuvor auf seine Rechte als ältester Sohn des Herzogs von Bayern verzichtet hatte, eine standesungleiche Ehe mit Henrietta Mendel, einer schönen jungen Schauspielerin, die zur Baronin von Wallersee ernannt wurde – und ich war ihr einziges Kind. Die herzogliche Familie nahm meine Mutter wie eine der ihren auf, und sie war hocherfreut, die Bühne verlassen zu können, die sie – offen gesagt – verabscheute. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die den Ruhm der Liebe opfern und danach unglücklich weiterleben; sie machte sich keine Illusionen über ihre schauspielerischen Fähigkeiten und war sich bewusst, dass das Geheimnis ihrer Beliebtheit in ihrem hübschen Gesicht und ihrer einnehmenden Art lag.

Ich wurde in Augsburg bei München geboren, wo mein Vater das 4. leichte Kavallerieregiment kommandierte. Wir wohnten in einem großen Haus in der Stadt, und jeden Sommer verbrachten wir einige Monate in den Bergen. Ich wurde wie ein Junge erzogen, und als ich drei Jahre alt war und meine Mutter mich in ihrer Kutsche mitnahm, um die Soldaten zu sehen, bestand Papas größtes Vergnügen darin, mich am Genick auf sein Pferd zu heben und mit mir vor ihm sitzend davon zu galoppieren. Durch meine frühe Vertrautheit mit Pferden wurde ich unachtsam gegenüber Gefahren, und schon mit fünf Jahren ritt ich bereits regelmäßig ein temperamentvolles Pony.

Ich wurde zu Hause erzogen und hasste alle meine vielen ausgezeichneten und leidgeprüften Gouvernanten. Ich lernte zu fechten und sechs Pferde am Tag zu reiten, und ich war in jeder Hinsicht ein sehr jungenhaftes Mädchen. Nach dem Krieg 1866 zogen wir nach München, zuerst in ein Haus in der Stadt, dann in das väterliche Palais; dort herrschte zwischen mir und einigen Lehrern ein Wettstreit gegenseitigen Quälens, aber immerhin gelang es mir, eine gewisse Kenntnis des Lateinischen zu erwerben.

Ungefähr zu dieser Zeit musste mein Vater aus gesundheitlichen Gründen die Armee verlassen, aber sein Leiden hinderte ihn nicht daran, seinen sonstigen Beschäftigungen nachzugehen. Wir fuhren oft zu unserem Schloss Garatshausen, das in der Nähe des Schlosses meiner Großeltern in Possenhofen am Starnberger See lag, und eines Tages erzählte uns mein Vater, dass er Garatshausen für sechs Wochen an seine Schwester, die Kaiserin Elisabeth, vermietet hatte, die die kleine Erzherzogin Valerie aus Wien mitbringen wollte, um ihr etwas Luftveränderung zu gönnen. Ich war sehr aufgeregt, endlich die Tante zu treffen, von der ich so viel gehört hatte, und obwohl ich noch ein Kind war, werde ich meine erste Begegnung mit der faszinierenden, rätselhaften Frau, die einen so starken Einfluss auf mein Leben ausüben sollte, nie vergessen.

Es war Sommer, und Garatshausen zeigte sich von seiner schönsten Seite. Wir hatten uns vorübergehend in ein kleines Haus in der Nähe zurückgezogen, aber am Tag der Ankunft der Kaiserin erwarteten wir sie im kühlen Vestibül des Schlosses. Der Arzt ihres Vertrauens, Wiederhofer, und Mrs. Throgmorton, Valeries treues englisches Kindermädchen, trafen schon vorher ein, und ich erinnere mich, wie interessiert ich die Kutschen betrachtete, in denen das kaiserliche Gefolge saß, denn Elisabeth reiste stets mit einer großen Entourage von Dienern aller Art.

Eine Stunde verging, und dann fuhr eine Kutsche mit prächtigen Pferden vor. Eine Dame stieg aus und betrat die Halle. Sie küsste meine Mutter und meinen Vater sehr herzlich, dann drehte sie sich zu mir um und gab auch mir einen Kuss, wobei sie in dem ihr eigenen, halb spöttischen Tonfall ausrief: „Oh, was für eine kleine Bohnenstange!“

Ich starrte sie wie gebannt an und fühlte bereits zu diesem Zeitpunkt, wie aufgrund einer seltsamen Eingebung, ihren Einfluss auf mich. Fast glaubte ich, vor mir stünde eine Feenkönigin, die direkt aus dem Reich der Romantik gekommen war und ihre hauchdünnen Flügel und schimmernden Gewänder vorübergehend gegen einen grün-schwarz karierten Burnus, einen grauen Hut und ein langes, schwarzes Kleid getauscht hatte.

Elisabeth schien sich sehr über meine kindliche Bewunderung zu amüsieren und zu freuen, und nachdem sie uns alle noch einmal geküsst hatte, zog sie sich in ihre Gemächer zurück, und wir sahen sie an diesem Tag nicht mehr. Ich konnte von nichts anderem mehr reden als von ihr, und meine Eltern mussten mich damit beruhigen, dass ich „Tante Sissi“ sicher sehr bald wiedersehen würde. Schließlich hatte sie den Wunsch geäußert, dass ich während ihres Aufenthalts in Garatshausen mit der kleinen Valerie spielen sollte.

Ich wurde nicht enttäuscht. Schon am nächsten Morgen schickte die Kaiserin nach mir, und ich bebte vor Ungeduld, vor sie zu treten.

Als ich sie wiedersah, war ich noch entzückter als beim letzten Mal. Elisabeth saß beim Frühstück, während ihre Friseurin ihr die Haare machte. Sie war zu schön, um es mit Worten beschreiben zu können – zumindest empfand ich das so, und in der Tat war die Kaiserin damals auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit, ein berauschender Anblick. Ein Negligé aus erlesener Spitze umhüllte ihre schlanke Gestalt, und ihr wunderschönes Haar, das ich zum ersten Mal ungebunden sah, floss in schweren kastanienbraunen Wellen um sie herum. Ihre unergründlichen Augen waren von einem tiefen Bernstein mit goldenen Sprenkeln, und das hereinströmende Tageslicht konnte keinen Makel an ihr finden. Elisabeth wirkte wie eine Tochter der Sonne und des Feuers, während sie dort in dem goldenen Schein saß, der ihre Schönheit und ihren seltsam ätherischen Blick noch verstärkte.

Bald erfuhr ich den Grund, warum sie mich zu sich bestellt hatte: ich sollte am Nachmittag mit Valerie spielen. Tante Sissi sagte nur noch, dass sie ausreiten würde, dann war ich entlassen. Das lang ersehnte Gespräch war also vorbei, und mir blieb nur, noch im Banne ihres Charmes und ihrer Schönheit, ihrem Wunsch zu entsprechen. Es war mir unmöglich, schon nach Hause zu gehen. Ich wollte allein sein, also spazierte ich in den Gärten umher, angelte in den Teichen nach Krebsen, und als ich dieses sonst so fesselnden Zeitvertreibs müde war, kletterte ich auf einen Baum, zog meine nassen Strümpfe aus, hängte diese zum Trocknen auf einen Ast, und gab mich wieder meinen Tagträumen über die Kaiserin hin.

Ich erinnerte mich an alles, was ich über sie gehört hatte, und da ich ein frühreifes Kind war, fiel mir auch wieder ein, dass Papa manchmal gesagt hatte, „Sissi“ sei nicht allzu glücklich. „Aber das kann doch nicht wahr sein, warum sollte sie unglücklich sein“, dachte ich, als ich die Szene des Vormittags Revue passieren ließ, denn der Glanz und die Pracht, die meine Tante als Kaiserin von Österreich umgaben, hatten mich sehr beeindruckt.

Plötzlich hörte ich das Geräusch sich nähernder Schritte, und als ich aus dem Blätterdach schaute, fiel ich fast vom Baum, als ich die Kaiserin erkannte, die offensichtlich nicht mehr reiten wollte, sondern ganz ohne Begleitung spazieren ging. Obwohl das Sonnenlicht Elisabeths Schönheit noch mehr betonte, fürchtete sie sich vor dessen Auswirkungen und trug immer einen merkwürdig aussehenden blauen Schirm auf ihrem Hut, um sich vor Sonnenbrand und Sommersprossen zu schützen. Abends trug sie zusätzlich einen Fächer bei sich, um ihr Gesicht zu schützen.

Elisabeth schlenderte langsam zu meinem Baum, unter dem eine Steinbank stand. Sie setzte sich hin, schlug verzweifelt die Hände zusammen und begann leise zu weinen. Ich konnte sehen, wie groß ihr Schmerz war, denn ihr Gesicht trug einen hoffnungslosen Ausdruck, und gelegentlich erschütterte sie ein Schluchzen. Dann weinte sie hemmungslos, und schließlich fragte ich mich, ob ich es wagen sollte, sie zu trösten. Ich beugte mich hinunter, und als die Blätter durch meine plötzliche Bewegung raschelten, blickte die Kaiserin auf und erkannte mich. Sie fasste sich schnell wieder und sagte mit ihrer süßen Stimme:

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