Verkehr, Kirche, Schulwesen

Verkehr, Kirche, Schulwesen – Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., Band 5

 

Die 1914 im Original veröffentliche Reihe “Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. ” gehört zu den umfangreichsten historischen Abhandlungen über die Entwicklung und den Aufbau des Kaiserreiches. Hier in einer Wiederauflage von insgesamt acht Bänden vorliegend, umfasst das Werk auf fast 2000 Gesamtseiten Beiträge der wichtigsten Koryphäen ihrer Zeit zu relevanten Themen.  Dies ist Band 5, der unter anderem das Verkehrswesen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, den Staat und die evangelische sowie katholische Kirche sowie das Schulwesen behandelt.

Verkehr, Kirche, Schulwesen

Verkehr, Kirche, Schulwesen.

Format: eBook/Taschenbuch.

Verkehr, Kirche, Schulwesen.

ISBN eBook: 9783849663186

ISBN Taschenbuch: 9783849665227

 

Auszug aus dem Werk:

 

Die Eisenbahnen.

I. Die Eisenbahnpolitik.

 

Die Verstaatlichungspolitik.

Die großen Verstaatlichungsaktionen in den deutschen Ländern, vornehmlich in Preußen, waren schon vor 1888 im wesentlichen abgeschlossen. Es gab in Deutschland sieben größere in sich geschlossene und selbständig nebeneinander bestehende Staatsbahnsysteme: die Reichseisenbahnen, die preußische, bayerische, sächsische, württembergische, badische und oldenburgische Staatsbahnverwaltung.

In Preußen wurden in der Folge noch etwa 2400 km Privatbahnen verstaatlicht. Auch in Mecklenburg wurde der größte Teil der Privatbahnen des Landes in das Eigentum und den Betrieb des Staates genommen, Bayern erwarb 1909 die pfälzischen Eisenbahnen.

Der hessische Staat löste 1897 den in seinem Gebiet liegenden Anteil der hessischen Ludwigsbahn ein, nahm sie aber nicht in eigenen Betrieb, sondern übergab sie dem preußischen Staat zur gemeinsamen Mitverwaltung (siehe folgende Seite).

So stand am Ende des Rechnungsjahres 1911[1] in Deutschland einem Staatsbahnnetze von 57 541 km ein Privatbahnnetz von nur 4731 km und ein Kleinbahnnetz von 10 131 km gegenüber.

 

Die Lokal- und Kleinbahnpolitik.

Gegen das Ende der 1860er Jahre war das deutsche Hauptbahnnetz in seinen wesentlichsten Bestandteilen vollendet. Schon damals begann man für den Bau von Eisenbahnen, die weniger dem allgemeinen Verkehr als der örtlichen Erschließung der durchzogenen Gebietsteile dienen sollten, Erleichterungen wirtschaftlicher und technischer Art zuzugestehen.

Die Zeiten, da die Leute die Eisenbahnen noch bekämpften, waren längst vorüber. Überall in Stadt und Land war man sich der großen wirtschaftlichen Vorteile des Eisenbahnverkehrs klar bewußt geworden.

Um so mehr drängten nun auch die abseits von den großen Hauptlinien gelegenen Gebiete darnach, der Schienenverbindung teilhaftig zu werden, zumal sie durch die Ablenkung des Verkehrs von der Straße auf die Eisenbahn und durch den Wettbewerb der an der Bahn gelegenen Wirtschaftsgebiete zum Teil schwer gelitten hatten.

Bei der Lösung des Lokalbahnproblems schlug die Eisenbahnpolitik der deutschen Bundesstaaten nicht die gleichen Wege ein.

Ein stattliches Netz staatlich betriebener, vorwiegend schmalspuriger Lokalbahnen ist in Sachsen aus staatlichen Mitteln ohne Heranziehung der Interessenten erbaut worden. Auch in Bayern ist ein engmaschiges Netz staatlicher Lokalbahnen entstanden, bei dessen Herstellung aber die Interessenten die Grunderwerbungskosten aufbringen mußten. Württemberg verfolgte in seiner Lokalbahnpolitik ein gemischtes System, indem es teils staatliche Lokalbahnen unter Heranziehung der Interessenten zu den Grunderwerbungskosten baute, teils private Lokalbahnen genehmigte, deren Bau es vielfach durch einmalige feste Staatszuschüsse förderte. Die Badische Eisenbahnpolitik bevorzugte den privaten Lokalbahnbau, wobei die Unternehmungen gleichfalls zum Teil durch Zuschüsse à fonds perdu unterstützt wurden.

Grundsätzlich verschieden war die Richtung der preußischen Kleinbahnpolitik. Sie schuf neben dem Haupt- und Nebenbahnnetz ein drittes Netz von Bahnen, das unter der Bezeichnung Kleinbahnen die Bahnen niederster Ordnung umfaßt. Das Kleinbahngesetz vom 28. Juli 1892 versteht unter Kleinbahnen Eisenbahnen, die vornehmlich den örtlichen Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benachbarter Gemeindebezirke vermitteln. Die beiden wichtigsten Gattungen der Kleinbahnen sind die städtischen Schnell- und Straßenbahnen und die sogenannten nebenbahnähnlichen Kleinbahnen. Die städtischen Verkehrsmittel sollen in einem besonderen Abschnitt betrachtet werden. Die nebenbahnähnlichen Kleinbahnen verbinden die abgelegenen Gebietsteile mit dem nächsten Absatzmarkt und mit den Haupt- und Nebenbahnen des Landes. Sie werden bei Erfüllung der im Gesetze vorgeschriebenen Bedingungen zur Ausführung im Wege des Privatunternehmens genehmigt und gegebenenfalls durch staatliche Beihilfen aus besonderen Fonds unterstützt. Voraussetzung für die staatliche Beihilfe ist eine angemessene Beteiligung der höheren Kommunalverbände und der Interessenten. Die staatliche Beihilfe wird meist in gleicher Höhe wie die Beteiligung der Provinz bemessen und erfolgt in der Regel durch Eintritt des Staates in die Gesellschaft.

Das preußische Kleinbahngesetz ist für die Regelung des Kleinbahnwesens in anderen deutschen Bundesstaaten (insbesondere Baden, Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg) und auch in außerdeutschen Ländern vorbildlich geworden.

Unter der Herrschaft des Gesetzes hat sich das Kleinbahnwesen in Preußen rasch entwickelt. Der preußische Staat hat bis zum 1. April 1912 insgesamt 109 Millionen Mark an staatlichen Beihilfen für Kleinbahnen aufgewendet. Im ganzen gab es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland rund 10 000 km nebenbahnähnliche Kleinbahnen mit einem Anlagekapital von über 700 Millionen Mark.

Das gesamte deutsche Neben- und Kleinbahnnetz hat sich von 1888–1911 von 9900 auf 35 600 km vermehrt und damit an Länge das Hauptbahnnetz mit 34 500 km bereits überholt.

Es ist in den Entwicklungsgesetzen des modernen Verkehrs begründet, daß sich die Eisenbahnen durch eine stets fortschreitende Differenzierung immer enger den vielgestaltigen Verhältnissen und Bedürfnissen unseres Wirtschaftslebens anpassen, und es ist ein unbestreitbares Verdienst der preußischen Verkehrspolitik, daß sie diese Tendenz fortschreitender Arbeitsteilung in unserer Volkswirtschaft richtig erkannt hat und ihr bei der Organisation des Eisenbahnwesens praktisch entgegengekommen ist.

Reichen Segen haben die in immer engeren Maschen das Land überziehenden Neben- und Kleinbahnen allerorten verbreitet. Die Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft konnten zu günstigeren Preisen abgesetzt, die unausgenutzten Schätze des Bodens gehoben werden. Neue Industrien entstanden, die der Bevölkerung lohnende Beschäftigung brachten. Zahlreiche unrentierliche Postverbindungen konnten aufgelassen, die Kosten der Straßenunterhaltung gemindert werden, den großen Hauptbahnlinien wurden neue Transportmengen zugeführt.

Der Einheitsgedanke in der deutschen Eisenbahnpolitik.

Die Erkenntnis der überlegenen Macht der größeren Wirtschaftseinheit führte im Jahre 1896 Hessen dazu, für seine Staatseisenbahnen eine unkündbare Betriebs- und Finanzgemeinschaft mit Preußen abzuschließen, innerhalb deren die Bahnen beider Staaten als einheitliches Netz verwaltet und die Reinüberschüsse aus dem Betrieb nach einem ein für allemale vereinbarten Schlüssel verteilt werden. Auf ähnlicher Grundlage beruht auch ein zwischen Preußen, Baden und Hessen im Jahre 1901 für den Betrieb der Main-Neckarbahn abgeschlossener Staatsvertrag. In beiden Fällen war die Gemeinschaft für die beteiligten Staaten von günstigen Wirkungen begleitet.

Auch die deutschen Mittelstaaten haben zu Beginn der 1900er Jahre mit Preußen über die Frage eines engeren Anschlusses ihrer Eisenbahnunternehmungen an den preußischen Großbetrieb verhandelt. Für sie konnte jedoch nur ein Gemeinschaftsverhältnis in Fragen kommen, bei dem der selbständige Fortbestand ihrer Eisenbahnen gewahrt blieb. Die Verhandlungen führten zunächst zum Plane einer Betriebsmittelgemeinschaft. Dieser Gedanke kam indessen nicht zur Verwirklichung, da über die beiden wichtigsten Grundfragen, die Organisation und den Teilungsschlüssel keine Einigung erzielt werden konnte. Man suchte daher eine minder weitgehende Vereinheitlichung zu erreichen und faßte den Abschluß einer Güterwagengemeinschaft ins Auge. Und diese gelang. Am 1. April 1909 trat ein Übereinkommen aller deutscher Staatsregierungen mit Eisenbahnbesitz über die Bildung eines deutschen Staatsbahnwagenverbandes ins Leben.

Deutscher Staatswagenverband.

Nach diesem Übereinkommen wird der gesamte Güterwagenpark der deutschen Staatseisenbahnen der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Jede Verbandsbahn benutzt die Güterwagen jeder anderen Verbandsbahn wie ihre eigenen zur beliebigen Beladung nach dem In- oder Auslande, es gibt keine Aufschreibungen und keine Übergabe oder Untersuchung der Wagen an den Grenzen und keine Rückleitung der Wagen an die Heimatbahn nach der Benutzung. Die Verbandsbahnen zahlen an den Verband eine Vergütung nach der Zahl der auf ihren Strecken geleisteten Achskilometer und der Gesamtbetrag, den sie einzahlen, wird unter sie wieder verteilt nach der Zahl der von ihnen vorgehaltenen Wagenachsen.

Die Wirkung war ausgezeichnet. Die Leerläufe der Güterwagen in Deutschland gingen zurück, der Wagenpark konnte besser ausgenutzt, der Ausgleich zwischen Wagenbestand und Wagenbedarf einheitlich geregelt, dem Wagenmangel konnte erfolgreicher entgegengewirkt werden. Die Verwaltungen sparten Leerführungs- und Rangierkosten, Abrechnungspersonal in den Wagenbureaus und Übergabspersonal an den Grenzen.

Weitergehende Bestrebungen.

Aber die öffentliche Meinung gab sich mit dem Erreichten nicht allenthalben zufrieden. In Presse und Parlament forderte man eine weitgehende Vereinheitlichung der deutschen Eisenbahnen, allerdings nicht ohne Widerspruch. Die Meinungen blieben geteilt. Im Mittelpunkt der Erörterungen steht dermalen das Problem der sog. „föderativen Eisenbahngemeinschaft“. Die deutschen Eisenbahnen sollen eine volle Betriebs- und Finanzgemeinschaft schließen, deren Organ ein unter preußischer Spitze stehendes, im übrigen aber mit Vertretern aller deutschen Eisenbahnen besetztes Gemeinschaftsamt und ein aus Delegierten der Einzellandtage bestehendes Eisenbahnparlament sein soll.

Die Gemeinschaftsidee wurde von einem Teil der deutschen, insbesondere der süddeutschen Handelskammern lebhaft unterstützt. Der deutsche Handelstag setzte sogar eine Kommission nieder, die über die Frage der Vereinheitlichung der deutschen Eisenbahnen auf Grund eines zu sammelnden umfassenden Unterlagenmaterials eine Denkschrift ausarbeiten soll.

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