Die Wissenschaften, Teil 2

Die Wissenschaften, Teil 2 – Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., Band 7

 

Die 1914 im Original veröffentliche Reihe “Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. ” gehört zu den umfangreichsten historischen Abhandlungen über die Entwicklung und den Aufbau des Kaiserreiches. Hier in einer Wiederauflage von insgesamt acht Bänden vorliegend, umfasst das Werk auf fast 2000 Gesamtseiten Beiträge der wichtigsten Koryphäen ihrer Zeit zu relevanten Themen. Dies ist Band 7, der die Medizin, die Veterinärmedizin, die landwirtschaftlichen und technischen Wissenschaften behandelt.

Die Wissenschaften, Teil 2

Die Wissenschaften, Teil 2.

Format: eBook/Taschenbuch.

Die Wissenschaften, Teil 2.

ISBN eBook: 9783849663209

ISBN Taschenbuch: 9783849665241

 

Auszug aus dem Werk:

 

Innere Medizin

Von Dr. med. Paul Krause, o. ö. Professor der inneren Medizin an der Universität Bonn

Die innere Medizin hat in den letzten Jahrzehnten außergewöhnlich große Fortschritte zu verzeichnen. Alle Gebiete sind durch große Entdeckungen und durch intensive Durcharbeitung des bisher Bekannten mit neuen Methoden weit vorangekommen. Viele Grenzgebiete haben sich zu selbständigen Fächern entwickelt, so die Laryngologie, Otiatrie, Rhinologie, die Neurologie, die Kinderheilkunde.

Spezialistenfrage.

Die Spezialisierung geht unaufhaltsam weiter, es gibt bereits heute Spezialärzte fast für jedes Organ. Um so wichtiger ist es, daß die allgemeine ärztliche Grundlage auf dem sicheren Boden der Anatomie, der Physiologie, der pathologischen Anatomie und der naturwissenschaftlichen Vorbildung, besonders in Physik, Chemie und Biologie, bestehen bleibe und noch vertieft werde. Jeder Spezialist sollte verpflichtet sein, sich vor dem Übergang in sein Spezialfach eine gute allgemeine ärztliche Ausbildung zu verschaffen, nur dann wird er Gutes leisten und über dem Speziellen das Allgemeine nicht übersehen.

Einfluß der Bakteriologie auf die Entwicklung der inneren Medizin.

 

Den mächtigsten Einfluß auf alle Zweige der Medizin hat in den letzten 2 Jahrzehnten zweifellos die Bakteriologie ausgeübt, sie hat die diagnostische Erkenntnis wie das therapeutische Handeln in weitestgehendem Maße beeinflußt.

Neben dem Franzosen Pasteur ist als größter Pfadfinder Robert Koch, der wissenschaftliche Begründer der Bakteriologie, zu nennen.

Pasteur, welcher als Sohn eines Lohgerbers 1822 zu Dôle (Jura) geboren wurde und 1895 in Garches bei Sèvres starb, war Chemiker (seit 1867 Professor an der Sorbonne, seit 1889 Leiter des nach ihm genannten Instituts in Paris). Seine Arbeiten über die Fäulnis und Gärung, über die Hefebildung und Mikroorganismen bei denselben, bedeuten einen Umschwung in der ganzen wissenschaftlichen Auffassung, sie sind nicht nur in der Geschichte der Chemie, sondern auch in der Geschichte der Medizin als Großtaten ersten Ranges zu verzeichnen. Es wurde dadurch der Nachweis der Abhängigkeit dieses Prozesses von dem Eindringen pflanzlicher, auf der niedrigsten Stufe organischer Entwicklung stehender Gebilde geführt. Diese Arbeiten führten den Engländer Lister zu Entdeckung der Antisepsis und damit zu einer Umwälzung in der Chirurgie und Geburtshilfe.

 Pasteurs weitere Arbeiten betreffen die Schutzimpfungen gegen Tollwut, Milzbrand, Schweinerotlauf, Studien über die Krankheiten des Weins, des Weinessigs, der Krankheiten der Seidenraupe. Für die zuletzt genannten Krankheiten erhielt er 1874 von der Nationalversammlung als Nationalbelohnung eine lebenslängliche jährliche Pension von 12 000 Franken. Nach dem Vorbilde des Pariser Institut Pasteur sind viele andere seinen Namen tragenden in den französisch sprechenden Teilen der Welt errichtet worden.

In seinen Leistungen und Erfolgen ist Robert Koch Pasteur ebenbürtig. Robert Koch (geb. 11 Dezember 1843 in Clausthal im Harz, gestorben 1910 in Berlin) machte seine ersten epochemachenden Arbeiten als Physikus in Wollstein im Kreise Bombst. Sie handeln über die Ätiologie des Milzbrandes (1876), über Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten (1878). Seine größte Entdeckung ist in seiner Arbeit „Beiträge zur Ätiologie der Tuberkulose“ (1882) niedergelegt, in der er mitgeteilt, daß es ihm gelungen, in tuberkulösen Organen einen bestimmten, durch Färbung sich genau differenzierenden Bazillus („Tuberkelbazillus“) zu finden, diese Bazillen in Reinkultur zu züchten und mit den Reinkulturen bei Tieren wieder Tuberkulose zu erzeugen. Diese und andere Arbeiten über die Tuberkulose werden für immer zu den klassischen Werken der medizinischen Literatur gehören.

1883 entdeckte R. Koch den Cholerabazillus. Er erfand das „Tuberkulin“ , welches aus den Tuberkelbazillen hergestellt, für die Diagnose und Behandlung der Tuberkulose von großer Bedeutung ist. Er wurde damit der Erfinder der ätiologischen Therapie. Seit 1896 ist Koch mehrfach in den Tropen, besonders in Afrika gewesen, um Tropenkrankheiten (Rinderpest, Malaria, Schlafkrankheit) zu studieren, auch hierbei hat er wertvolle Beobachtungen gemacht.

Entdeckungen von wichtigen Krankheitserregern.

Bleibendes Verdienst erwarb sich Koch durch den Ausbau der bakteriologischen Methodik, von ihm rührt vor allem die Einführung der festen Nährböden (Gelatine, Blutserum) her, wodurch erst eine Reinzüchtung der verschiedenen pathogenen Keime ermöglicht wurde. Es seien einige der wichtigsten genannt: der Typhusbazillus (entdeckt von Eberth, reingezüchtet von Löffler), der Ruhrbazillus (von Kruse und Shiga, Flexner), der Influenzabazillus (1892 von R. Pfeiffer), der Pestbazillus (von Yersin und Kitasato), der Rotzbazillus (von F. Löffler), der Diphtheriebazillus (von Klebs und F. Löffler 1884), der Tetanusbazillus, der Erreger des Starrkrampfs, (von Nicolaier und Kitasato), der Pneumokokkus, der Erreger der Lungenentzündung (von Fraenkel und Weichselbaum) der Gonokokkus, der Erreger des Trippers (von Neißer). Von den genannten Forschern sind Löffler, Pfeiffer, Fraenkel, Kruse, Kitasato Schüler von Koch.

Als weitere Großtat der Bakteriologie soll hier die Entdeckung des Erregers der Syphilis durch Schaudinn und E. Hoffmann (1905) genannt werden, wodurch diese verbreitete Krankheit in ihrem Wesen beträchtlich bekannter und der Bekämpfung zugänglicher geworden ist.

Bekämpfung der Infektionskrankheiten.

Noch sind eine große Anzahl von Krankheiten vorhanden. deren Erreger wir nicht kennen, dazu gehören vor allem die sogenannten exanthematischen Krankheiten (Masern, Scharlach, Pocken, Windpocken, Fleckfieber), die Leistungen der letzten Jahrzehnte sind aber außergewöhnlich groß; sie haben unsere Anschauungen über die Infektion von Grund aus geändert und damit die Grundlage geschaffen zur Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Das Gesetz vom 30. Juli 1900, welches die staatlichen Maßnahmen bei Pocken, Flecktyphus, Gelbfieber, Pest, Cholera und Lepra enthält, gibt davon Kunde.

Der Hauptsache nach handelt es sich um eine Verbreitung, respektive Einschleppung dieser Krankheiten zu verhindern, um eine Überwachung des Personenverkehrs (Überland-, Schiffahrts-, Flußverkehr, Binnenverkehr), des Warenverkehrs (besonders bei häufig infizierten Waren, wie Hadern, Lumpen) die Schiffe werden bei Pestverdacht auf infizierte Pestratten untersucht), Wohnungsüberwachung, Schaffung geeigneter Transportmittel (Infektionskrankenwagen), schnelle Unschädlichmachung von infizierten Leichen (Einschlagen in Sublimattücher, schnelle Entfernung aus den Häusern), Überwachung von Trinkwasserleitungen ist in guter Weise organisiert.

Bei Masern, Scharlach, Keuchhusten, Diphtherie, Zerebrospinalmeningitis, Influenza, Abdominaltyphus, Dysenterie und Tuberkulose bestehen keine Reichsbestimmungen. Die Bundesstaaten gehen sehr verschieden vor. Die preußischen Bestimmungen sind in den Anweisungen des Kultusministers zur Ausführung des Gesetzes betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 enthalten. Auf Grund der bakteriologischen Kenntnisse ist die Isolierung des infizierten Kranken als das zuverlässigste Mittel zur Einschränkung der Infektionskrankheiten immer mehr in Aufnahme gekommen. Die größeren Krankenhäuser haben heute alle Isolierabteilungen; auch das Publikum hat sich von Jahr zu Jahr mehr daran gewöhnt, bei Infektionen wie Diphtherie, Scharlach usw. selbst die Kinder freiwillig in die Krankenhäuser zu überweisen.

Die Überwachung der Schule, welche durch die Schulärzte sehr erleichtert wird, ist bei epidemischen Krankheiten unbedingt erforderlich.

Die bakteriologische Untersuchung hat uns auch die Kenntnis darüber gebracht, daß es gesunde Personen gibt, welche pathogene Keime beherbergen und dadurch ihrer Umgebung gefährlich werden, sie werden als „Bazillenträger“ bezeichnet und spielen besonders bei Verbreitung der Genickstarre, der Diphtherie und des Typhus abdominalis eine Rolle.

Durch Anlegen von guten Wasserleitungen, Regelung des Abfuhrwesens (Kanalisation), durch Wohnungshygiene wurde viel auch zur Vermeidung von Infektionskrankheiten geleistet. In Preußen sind überall als beratende Instanz zur Unterstützung der Kreisärzte „Gesundheitskommissionen“ eingesetzt, welche die Verhältnisse an Ort und Stelle jahraus, jahrein zu bessern suchen.

Viele Gemeinden führen die Desinfektion von infizierten Wohnungen kostenlos bei der ärmeren Bevölkerung durch. In Preußen bestehen in jedem Regierungsbezirke Untersuchungsämter zur kostenlosen Untersuchung von infektiösem Materiale.

Es war eine große Arbeit notwendig, um alle diese Einrichtungen zu schaffen, sie haben sich in vielen Hunderten von Fällen trefflich bewährt und mit dazu beigetragen, daß die Zahl der Infektionskrankheiten in Deutschland so beträchtlich heruntergegangen ist. Es muß hier auch in Dankbarkeit des Begründers der modernen Hygiene in Deutschland, Max von Pettenkofers, welcher als Professor der Universität München wirkte (gest. 1897) gedacht werden. Die Gesetzgebung hat entsprechend den gewaltigen Umwälzungen, welche das moderne Verkehrswesen erfahren hat, auch vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege aus Rechnung getragen. Die Vorschriften des Bundesrates über die gesundheitliche Behandlung der Seeschiffe in deutschen Häfen vom 29. August 1907, die neue Eisenbahnverkehrsordnung vom 23. Dezember 1908 und die vom Reichseisenbahnamt 1910 neu herausgegebene Anweisung zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten im Eisenbahnverkehr, ebenso die Bestimmungen über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten im Post- und Telegraphenverkehr (1908) beweisen, daß die Arbeit der medizinischen Wissenschaft in die Praxis des Lebens umgesetzt worden ist und zum Segen des Volkes alltäglich wirkt.

Planmäßige Bekämpfung des Typhus im Südwesten des Reichs.

Eine besondere Hervorhebung verdient es, daß, während bisher der Kampf gegen den Unterleibstyphus nur örtlich geführt wurde, seit 1904 durch ein einheitliches Vorgehen von mehreren Bundesstaaten (Preußen, Bayern, Oldenburg, Elsaß-Lothringen) unter Leitung eines Reichskommissars eine planmäßige Bekämpfung des Typhus im Südwesten des Reiches möglich geworden ist, welche infolge des großzügigen Vorgehens bereits große Erfolge erzielt hat. Ein solches planmäßiges Vorgehen hat sich auch bei Bekämpfung der Wurmkrankheit im rheinisch-westfälischen Bergrevier glänzend bewährt. Diese gefährliche Krankheit ist dadurch eingeschränkt worden, so daß die Gefahr einer neuen Ausbreitung als beseitigt gilt.

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