Ein tödliches Spiel

Ein tödliches Spiel – Richard Connell

“Ein tödliches Spiel”, auf Englisch “The Most Dangerous Game”, ist eine Kurzgeschichte, die erstmals am 19. Januar 1924 veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt von einem Großwildjäger aus New York City, der von einer Yacht fällt und zu einer scheinbar verlassenen und einsamen Insel in der Karibik schwimmt, wo er von einem russischen Aristokraten gejagt wird. Die Geschichte wurde schon die als die “beliebteste Kurzgeschichte, die je in englischer Sprache geschrieben wurde” bezeichnet und bekam direkt nach ihrer Veröffentlichung den O. Henry Award.

Ein tödliches Spiel

Ein tödliches Spiel.

Format: Print/eBook

Ein tödliches Spiel.

ISBN Print: 9783849669171.
ISBN eBook: 9783849657239.

 

Auszug aus dem Text:

Er hob den Klopfer an, der vor Steifheit knarrte, als ob er noch nie benutzt worden wäre. Dann ließ er ihn fallen, und sein lauter Knall erschreckte ihn. Er dachte, er hörte Schritte im Inneren, aber die Tür blieb geschlossen. Wieder hob Rainsford den schweren Klopfer an und ließ ihn fallen. Da öffnete sich die Tür plötzlich – so plötzlich, als wäre sie auf einer Sprungfeder montiert – und Rainsford stand blinzelnd mitten in dem grellen, goldenen Licht, das herausfloss. Das erste, was Rainsfords Augen erkannten, war der größte Mann, den er je gesehen hatte – eine gigantische Kreatur, massiv und stabil, und mit einem schwarzem Bart, der bis zur Taille reichte. In seiner Hand hielt der Mann einen Revolver mit verlängertem Lauf, und dieser zeigte direkt auf Rainsfords Herz.

Aus dem Gewirr des Bartes sahen Rainsford zwei kleine Augen an.

“Keine Sorge”, sagte Rainsford mit einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es entwaffnend war. “Ich bin kein Räuber. Ich bin von einer Jacht gefallen. Mein Name ist Sanger Rainsford aus New York City.”

Der bedrohliche Blick in den Augen seines Gegenüber änderte sich nicht. Der Riese hielt den Revolver so starr, als wäre er eine Statue. Er machte keine Anstalten, als hätte er Rainsfords Worte verstanden, ja, noch nicht mal gehört. Er trug eine Uniform – eine schwarze Uniform, die mit grauem Karakulfell besetzt war.

“Ich bin Sanger Rainsford aus New York”, begann Rainsford erneut. “Ich bin von einer Jacht gefallen. Und ich habe Hunger.”

Die einzige Antwort des Mannes bestand darin, mit dem Daumen den Hahn seines Revolvers zu entspannen. Dann sah Rainsford, wie die freie Hand des Mannes in einem militärischen Gruß zur Stirn ging, und er sah, wie er seine Fersen zusammenschlug und Haltung annahm. Ein anderer Mann kam die breite Marmortreppe herunter, ein aufrecht gehender, schlanker Mann in Abendkleidung. Er ging zu Rainsford und streckte seine Hand aus.

Mit kultivierter Stimme, die von einem leichten Akzent geprägt war, der ihr mehr Schärfe und Entschiedenheit verlieh, sagte er: “Es ist mir eine sehr große Freude und Ehre, Herrn Sanger Rainsford, den berühmten Jäger, in meinem Haus willkommen zu heißen.”

Automatisch schüttelte Rainsford dem Mann die Hand.

“Ich habe Ihr Buch über die Jagd auf Schneeleoparden in Tibet gelesen”, erklärte der Mann. “Ich bin General Zaroff.”

Rainsfords erster Eindruck war, dass der Mann außergewöhnlich gut aussah; sein zweiter war, dass irgendetwas in seinem Gesicht merkwürdig, fast schon bizarr war. Er war ein großer Mann, etwas jenseits des mittleren Alters, denn sein Haar war von einem leuchtenden Weiß; aber seine buschigen Augenbrauen und sein spitzer, militärischer Schnurrbart waren so schwarz wie die Nacht, aus der Rainsford gekommen war. Auch seine Augen waren schwarz und extrem glänzend. Er hatte hohe Wangenknochen, eine scharfe Nase, ein ruhiges, dunkles Gesicht – das Gesicht eines Mannes, der gewohnt war, Befehle zu geben, das Gesicht eines Aristokraten. Der General wandte sich dem Riesen in Uniform zu und machte ein Zeichen. Der Riese legte seine Pistole weg, salutierte, und zog sich zurück.

“Iwan ist ein unglaublich starker Kerl”, bemerkte der General, “aber leider ist er taubstumm. Ein einfacher Kerl, aber ich fürchte, wie seine ganze Rasse, fast ein Wilder.”

“Ist er Russe?”

“Er ist ein Kosake”, sagte der General, und in seinem Lächeln zeigten sich rote Lippen und spitze Zähne. “Ich auch.”

“Kommen Sie”, sagte er, “wir sollten hier nicht rumstehen und plaudern. Wir können später reden. Jetzt brauchen Sie Kleidung, Essen, Ruhe. Sollen Sie alles haben. Das ist ein sehr ruhiger Ort.”

Iwan war wieder aufgetaucht, und der General sprach zu ihm mit Lippen, die sich bewegten, aber keinen Ton von sich gaben.

“Folgen Sie bitte Iwan, Mr. Rainsford”, sagte der General. “Ich wollte gerade mein Abendessen zu mir nehmen, als Sie gekommen sind. Ich werde auf Sie warten. Ich denke, dass meine Sachen Ihnen passen, werden..”

Rainsford folgte dem stummen Giganten zu einem riesigen Schlafzimmer mit Balkendecke und einem Himmelbett, das groß genug für sechs Männer war. Iwan legte einen Abendanzug raus, und als er ihn anzog, bemerkte Rainsford, dass dieser von einem Londoner Schneider kam, der normalerweise für niemanden unter dem Rang eines Herzogs schnitt oder nähte.

Der Speisesaal, in den Iwan ihn führte, war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Es lag eine mittelalterliche Pracht in ihm; seine Täfelung aus Eiche, seine hohen Decken und seine riesigen Speisesaaltische, an die sich mehr als zehn Männer zum Essen setzen konnten, erinnerten an einen herrschaftlichen Saal aus der Feudalzeit. Rund um den Saal waren Köpfe vieler Tiere befestigt – Löwen, Tiger, Elefanten, Elche und Bären; größere und perfektere Exemplare, als Rainsford sie je gesehen hatte. Am großen Tisch saß der General, ganz allein.

“Trinken Sie einen Cocktail, Mr. Rainsford”, schlug er vor. Der Cocktail war überaus gut; und, wie Rainsford feststellte, war auch die Ausstattung der Tafel von höchster Qualität – die Tischdecke, das Kristall, das Silber und das Porzellan.

Sie aßen Borschtsch, die reichhaltige, rote Suppe mit Schlagsahne, die russische Gaumen so sehr mögen. Fast schon entschuldigend sagte General Zaroff: “Wir tun unser Bestes, um hier draußen die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu bewahren. Bitte verzeihen Sie, wenn etwas fehlen sollte. Wir sind weit weg von allen ausgetretenen Pfaden, wissen Sie. Glauben Sie, der Champagner hat unter seiner langen Seereise gelitten?”

“Nicht im Geringsten”, erklärte Rainsford. Er fand, dass der General ein aufmerksamer und freundlicher Gastgeber war, ein wahrer Kosmopolit. Aber es gab eine kleine Eigenschaft des Generals, die Rainsford unangenehm war. Wann immer er von seinem Teller aufblickte, sah er, wie ihn der General beobachtete und genau taxierte.

“Vielleicht”, sagte General Zaroff, “waren Sie überrascht, dass ich Ihren Namen erkannt habe. Wissen Sie, ich habe alle Bücher über die Jagd gelesen, die jemals auf Englisch, Französisch und Russisch veröffentlicht worden sind. Es gibt nur eine Leidenschaft in meinem Leben, Mr. Rainsford, und das ist die Jagd.”

“Sie haben hier einige wunderbare Köpfe”, sagte Rainsford, als er ein besonders delikates Filet Mignon aß. ” Dieser Kaffernbüffel ist der größte, den ich je gesehen habe.”

“Ach, dieser Kerl. Ja, das war ein Monster.”

“Hat er Sie angegriffen?”

“Er schlug mich gegen einen Baum”, sagte der General. “Hat mir den Schädel gebrochen. Aber ich habe das brutale Tier dennoch erlegt.”

“Ich war schon immer der Meinung”, sagte Rainsford, “dass der Kaffernbüffel das gefährlichste Großwild ist.”

Der General antwortete einen Moment lang nicht; in seinem Gesicht stand dieses merkwürdige Lächeln, das um seine roten Lippen spielte. Dann sagte er bedachtsam: “Nein. Sie irren sich, Sir. Der Kaffernbüffel ist nicht das gefährlichste Großwild.” Er trank einen Schluck Wein. “Hier, in meinem Revier, auf dieser Insel”, sagte er im gleichen, langsamen Ton, “jage ich gefährlicheres Wild.”

Rainsford brachte seine Überraschung zum Ausdruck. “Gibt es auf dieser Insel Großwild?”

Der General nickte. “Das Größte.”

“Wirklich?”

“Oh, es ist hier natürlich nicht heimisch. Ich musste die Insel erst damit ausstatten.”

“Was haben Sie hierher gebracht, General?”, fragte Rainsford. “Tiger?”

Der General lächelte. “Nein”, sagte er. “Die Jagd auf Tiger interessiert mich schon seit Jahren nicht mehr. Ich habe alles erlebt, was es zu erleben gibt, wissen Sie. Tiger bieten keinerlei Nervenkitzel mehr, keine echte Gefahr. Ich lebe für die Gefahr, Mr. Rainsford.”

Der General nahm ein goldenes Zigarettenetui aus seiner Tasche und bot seinem Gast eine lange, schwarze Zigarette mit silberner Spitze an; sie war parfümiert und roch nach Weihrauch.

“Wir beide werden eine großartige Jagd genießen, Sie und ich”, sagte der General. “Ich würde mich sehr glücklich schätzen, Ihre Gesellschaft beanspruchen zu dürfen.”

“Aber welches Wild –”, begann Rainsford.

“Ich sage es Ihnen”, erklärte der General. “Sie werden amüsiert sein, das weiß ich. Ich glaube, ich kann in aller Bescheidenheit sagen, dass mir etwas sehr Seltenes gelungen ist: Ich habe eine neue Sensation erfunden! Darf ich Ihnen noch ein Glas Portwein einschenken?”

“Danke, General.”

….

 

 

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