Predigten über die alten Episteln

Predigten über die alten Episteln – Sixtus Carl von Kapff

Der 1879 in Stuttgart verstorbene Sixtus Carl von Kapff war ein deutscher evangelischer Theologe und Pietist. In theologischer Hinsicht stand er auf entschieden biblisch-orthodoxen Standpunkten, der Supranaturalismus der Tübinger Storrschen Schule durchdrungen von württembergischem Pietismus samt dessen chiliastistischen Anschauungen bildete den Inhalt seiner Anschauung. Trotz seiner vielen Ämter und einer außerordentlich großen Korrespondenz entfaltete er eine bedeutende schriftstellerische Tätigkeit, besonders im erbaulichen und praktisch-theologischen Gebiet. Seine Gebet- und Predigtbücher erschienen in vielen Auflagen und sind in Tausenden von Exemplaren verbreitet.

Predigten über die alten Episteln

Predigten über die alten Episteln.

Format: Paperback, eBook

Predigten über die alten Episteln.

ISBN: 9783849664398 (Paperback)
ISBN: 9783849663520  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Am ersten Sonntag des Advents.

Text: Röm. 13, 11-14.

 

Weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf: sintemal unser Heil jetzt naher ist, denn da wir es glaubten, die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen; so laßt uns ablegen die Werke der Finsterniß, und anlegen die Waffen des Lichts. Lasset uns ehrbarlich wandeln, als am Tage; nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesum Christum, und wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde.

Machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe. Wer ist derselbige König der Ehren? Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit, der Herr Zebaoth (Ps. 24). Er ist der König der Ehren, der König, den alle Engel Gottes anbeten, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, Jesus Christus, der Heiland der Welt. Dieser König der Gerechtigkeit und des Lebens will seinen Advent, d. i. Ankunft, wieder bei uns halten, will zu uns kommen und bei uns eingehen, wie er in Jerusalem einzog, und einer jeden gläubigen Seele gilt das Wort des Propheten Sacharia (9, 9.): „Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze, siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“

Wie Er vom Himmel herabgekommen ist in unser armes Fleisch und Blut und hat die Menschheit in sich mit der Gottheit vereinigt, und wie Er gekommen ist zu seinem Volk Israel und hat sich mit wunderbaren Worten und Thaten als das Licht und Leben erwiesen, so will Er heute noch kommen in unsere Herzen und Wohnung machen in ihnen durch den heiligen Geist. Daher sagt Er Offenb. 3, 20.: „Siehe, Ich stehe vor der Thüre und klopfe an; so Jemand meine Stimme hören wird und die Thür aufthun, zu dem werde Ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit Mir.“

O Geliebte, wir wollen seine Stimme hören und die Thüren unserer Herzen aufthun und Ihn so empfangen, wie das Volk Ihn empfing, da Er in Jerusalem einzog. Sie warfen Jesu zu Ehren ihre Kleider auf den Weg und riefen: Hosiannah dem Sohne David! Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosiannah in der Höhe! Haben Leute, die Ihn kaum kannten, Ihn so geehrt, wie viel mehr müssen unsere Herzen Ihm offen stehen. Wir wissen, daß mit seinem Kommen oder Advent eine neue Zeit anfängt, ein neues Kirchenjahr im Großen und ein neuer Tag in jedem einzelnen Herzen, wie das unsere Epistel sagt mit den Worten: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.“ Mit dem Kommen Jesu wird es helle in den Herzen und in der Welt. Der Advent des Herrn ist eine Ankunft von Licht und Leben, von Friede und Freude, von Gerechtigkeit und neuer Geisteskraft.

Dieser lebensvolle Gnadenadvent wird uns auf’s Neue geschenkt. Die heilige Weihnacht naht heran, und da dürfen wir nicht blos die äußerliche Geburt Christi feiern, sondern innerlich in uns soll Er geboren werden, und als die Sonne der Gerechtigkeit will Er mit allerlei geistlichen Segnungen in himmlischen Gütern uns erfüllen. Darum ergeht auch an uns die Stimme: Bereitet dem Herrn den Weg, machet eine ebene Bahn unserem Gott (Jes. 40,3.). Wie das geschehen soll, sagt uns unsere Epistel; ihr gemäß betrachten wir unter dem Segen des Herrn

Die Adventsbotschaft

1.       als eine Botschaft des Heils und der Freude,

2.       als eine Botschaft zur Buße und Erneuerung.

Jesu, komm doch selbst zu mir

Und verbleibe für und für,

Komm doch, werther Seelenfreund,

Liebster, den mein Herze meint!

Keine Lust ist auf der Welt,

Die mein Herz zufrieden stellt.

Dein, o Jesu, bei mir seyn

Nenn’ ich meine Lust allein.

Nimm nur Alles von mir hin;

Ich verändere nicht den Sinn:

Du, o Jesu, sollst allein

Ewig meine Freude seyn! Amen.

I. Zuerst betrachten wir die Adventsbotschaft als Botschaft des Heils und der Freude.

Nach unserem Text ist dadurch, daß unser Heil nahe gekommen ist, die Nacht vergangen, der Tag aber herbeigekommen, und wie man nach dunkler Nacht sich des hellen Tages freut und dankbar die Sonne begrüßt, so und noch unendlich mehr gereicht das Kommen des Heils uns zur Freude und Wonne, und der Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit ist uns der Anfang einer neuen Zeit. Denn was ist unser Leben, wenn es nicht von dieser Sonne erleuchtet ist! Unser Text stellt es dar als Nacht, als Finsterniß, als Todesschlaf und als ein Leben in mancherlei Sünden, von denen der Apostel Gal. 5,21. sagt, daß, die solches thun, werden das Reich Gottes nicht ererben. Fressen, Saufen, Kammern und Unzucht, Hader, Neid und allzu weichliches Warten des Leibes – das nennt unser Text als die Werke der Finsterniß, in deren Gefangenschaft die Seele in einem geistlichen Todesschlafe liegt, aus dem es außer Christo kein Erwachen gibt, als zu den Schrecken der Hölle. In solchem Todesschlaf und düsterer Finsterniß ist der natürliche Mensch nach seinem angeborenen Sündenverderben, bald mehr auf gröbere, bald mehr auf feinere Weise.

Nicht blos Fressen und Saufen sind Werke der Finsterniß, nicht blos offenbare Unzucht und wilder Zorn und Hader, auch die feineren Regungen der Selbstsucht und Eigenliebe, auch der Mangel an wahrer Bruderliebe und an stillem, sanftmüthigem Geist, der Mangel an Verläugnungskraft und Enthaltsamkeit, überhaupt so vielfache Nachgiebigkeit gegen das Fleisch – das Alles schläfert den Geist auch ein und macht, daß er des hellen Tages nicht theilhaftig wird. Wie Mancher hat zuerst blos des Leibes zu viel gewartet, und einer gewissen Weichlichkeit, Genußsucht und Eitelkeit Raum gelassen, ist aber dadurch immer mehr in Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben hineingekommen und hat vielleicht bald durch Unkeuschheit sich an Leib und Seele verderbt! Und wie Mancher kann äußerlich ganz freundlich und liebreich scheinen, aber im Herzen nagt an der Wurzel des Lebens ein geheimer Neid, grämliche Eifersucht und Unzufriedenheit, oder bitterer Hader und Haß.

O prüfe sich doch ein Jedes unter uns, ob es nichts von diesen Werken der Finsterniß an sich habe, oder doch, ob wir sie bekämpfen und sie uns innerlich zur schweren Last geworden sind. Denn wohl ist es einer Seele nie wahrhaft, so lange sie noch in der Nacht des natürlichen Lebens sich befindet. Jesaias schildert (59, 9 ff.) diese traurige Nacht mit den Worten: „Das Recht ist ferne von uns, und wir erlangen die Gerechtigkeit nicht. Wir harren auf das Licht, siehe, so wird es finster, auf den Schein, siehe, so wandeln wir im Dunkeln. Wir tappen nach der Wand, wie die Blinden, und tappen, als die keine Augen haben. Wir stoßen uns im Mittag als in der Dämmerung, wir sind im Düstern, wie die Todten. Unserer Uebertretung vor Dir ist zu viel und unsere Sünden antworten wider uns.“

Für diesen jammervollen Zustand des natürlichen Menschen hatte der Alte Bund keine eigentliche Hülfe. Mit allen seinen Gnadenanstalten ist er doch nur die Morgendämmerung, noch immer mit dunklem Schatten, wie wir Ebr. 10,1. lesen: Das Gesetz hat den Schatten von den zukünftigen Gütern, nicht das Wesen der Güter selbst. Wenn daher unser Text sagt: die Nacht ist vergangen, so können wir unter dieser Nacht nicht blos den Zustand des natürlichen Menschen verstehen, sondern auch die Dunkelheit unter dem Alten Bund, da es fehlte an der wahren Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, an lebendiger Gemeinschaft mit Gott und an freudiger Hoffnung auf die Ewigkeit.

Deßwegen zieht sich durch den ganzen Alten Bund der Sehnsuchts- und Schmerzensruf hindurch: „Ach, daß die Hülfe aus Zion über Israel käme und der Herr sein gefangen Volk erlösete, so würde Jakob fröhlich seyn und Israel sich freuen.“

Nach dieser Freude sehnten sich Könige und Propheten, und wenn der Geist des Herrn ihnen den Sohn Davids als den großen Erretter zeigte, so war es ihnen, als müsse sein ganzes Heil jetzt alsbald erscheinen. Aber erst als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn, und in Ihm ging die Sonne der Gerechtigkeit auf über der finstern Erde. Nur, wer Jesum hat, nur der kann sagen: die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen. Denn nach unserem Texte ist Er unser Heil, d, h. unsere vollkommene Hülfe, durch die wir errettet werden aus den tiefsten Nöthen unseres Sündenverderbens.

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