Auslegung des Johannes-Evangeliums

Auslegung des Johannes-Evangeliums – Johannes Calvin

Johannes Calvin (10. Juli 1509 – 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden “Unterweisung in der christlichen Religion” schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. Das vorliegende Werk umfasst seine umfassende Auslegung des Evangeliums nach Johannes.

Auslegung des Johannes-Evangeliums

Auslegung des Johannes-Evangeliums.

Format: Paperback, eBook

Auslegung des Johannes-Evangeliums.

ISBN: 9783849664992 (Paperback)
ISBN: 9783849663261  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Kapitel 1.

V. 1. Im Anfang war das Wort. Mit diesen einleitenden Sätzen predigt Johannes die ewige Gottheit Christi; wir sollen wissen, dass der, welcher sich im Fleisch offenbart hat, ewiger Gott ist. Der Evangelist will uns einprägen, dass die Erneuerung der Menschheit durch den Sohn Gottes geschehen musste. Durch seine Kraft ist alles geschaffen worden; er allein hat allen Geschöpfen durch seinen Hauch das Leben und die Fähigkeit, fortzubestehen, verliehen. Er hat zumal im Menschen selbst einen einzigartigen Beweis seiner Macht und Huld gegeben. Ja, selbst nach dem tiefen Falle Adams ist er noch immer der unermüdliche Freund und Wohltäter auch gegen dessen Nachkommen geblieben. Das Verständnis der hier enthaltenen Lehre ist dringend notwendig. Außerhalb der Gemeinschaft mit Gott gibt es sicherlich weder Leben noch Heil. Wie sollte dann aber unser Glaube sich auf Christum stützen können, wenn das nicht vollkommen fest begründet wäre, was hier gelehrt wird? Der Evangelist bezeugt also in diesen Worten, dass wir uns keineswegs von dem einen ewigen Gott trennen, wenn wir an Christum glauben: vielmehr wird jetzt durch ein und denselben, der schon vor dem Sündenfall Quell und Urheber des Lebens war, den Erstorbenen das Leben wiedergeschenkt. Der Grund, dass er den Sohn Gottes „das Wort“ nennt, scheint mir einfach darin zu liegen, dass zuerst Gottes ewiger allweiser Wille und dann die ausgeprägte Darstellung seines Rates existiert. Denn wie bei Menschen das Wort der Ausdruck der Gesinnung ist, so überträgt man das mit gutem Grunde auch auf Gott und sagt: durch sein Wort macht er sich für uns verständlich. Freilich kann der entsprechende griechische Ausdruck („Logos“) nicht bloß das Wort, sondern auch die Vernunft und dergl. bezeichnen. Wollten wir aber hierauf weiter eingehen, würden wir uns in Spekulationen verlieren, die den Umkreis des schlichten Glaubens weit überschreiten. Auch Gottes Geist ist offenbar dergleichen spitzfindigen Erörterungen durchaus abgeneigt; er redet mit uns in der Schrift eine gar kindliche Sprache und ruft, ohne dazu überflüssige Worte zu machen, uns zu: Nur so nüchtern wie möglich über diese großen Geheimnisse denken!

Wenn Gott nun bei der Erschaffung der Welt sich durchs Wort kundgetan hat, so war dies Wort selbstverständlich zuvor bei ihm verborgen. Es steht in einer zweifachen Beziehung:

erstens auf Gott, zweitens auf die Menschen. Servede[1], der stolze Spanier, ein unklarer Kopf, behauptet, dies ewige Wort sei damals, als es sich bei der Weltschöpfung zeigte, überhaupt erst entstanden. Als sei es undenkbar, dass es existierte, ehe sich durch seine Wirksamkeit sein Vorhandensein nach außen hin zu erkennen gab! Etwas ganz anderes lehrt hier der Evangelist. Er bestimmt dem Worte keinen zeitlichen Anfang, sondern schreitet weit über alle Jahrhunderte hinweg, indem er sagt, es sei von Anfang an gewesen. Worauf die angeführte falsche Auslegung, die man übrigens schon bei den Anhängern des Arius[2] findet, sich beruft, weiß ich recht gut: Gott habe doch im Anfang Himmel und Erde gemacht, und diese seien gewiss nicht ewig, – das Wort „Anfang“ werde mehr in Rücksicht auf die Reihenfolge, als zur Bezeichnung der Ewigkeit angewendet. Diesem Einwand ist indes der Evangelist von vornherein begegnet, indem er sagt, das Wort sei „bei Gott“ gewesen. Wenn das Wort erst von einem bestimmten Zeitpunkt an existiert haben soll, dann muss man in Gott selbst eine zeitliche Aufeinanderfolge finden. Sicherlich hat durch das letztgenannte Satzglied Johannes das Wort geflissentlich von allen geschaffenen Dingen unterscheiden wollen. Es waren nämlich vielerlei Fragen möglich: Wo befand sich denn dies Wort? Wie zeigte es sein Vorhandensein? Wie war es beschaffen? Woran war es zu erkennen? Deshalb betont er, man dürfe nicht an der Welt und den Bestandteilen der Schöpfung haften: es sei vor dem Dasein der Welt stets mit Gott vereinigt gewesen. Stellen denn die, welche „Anfang“ auf den Ursprung von Himmel und Erde beziehen, nicht Christum auf eine Stufe mit der Welt, von der er hier gerade so fein ausgenommen wird? Sie tun nicht allein dem Gottessohn, sondern auch seinem ewigen Vater damit großes Unrecht, indem sie diesen seiner Weisheit berauben. Sich Gott geschieden von seiner Weisheit vorzustellen wäre frevelhaft; also muss man auch bekennen, dass der Ursprung des Wortes nirgend anderswo, als in Gottes ewiger Weisheit zu suchen ist.

Was „bei Gott“ war, muss ewig sein: es existierte längst, ehe es äußerlich hervortrat. Einige Ausleger wollen dies schon aus dem Gebrauch der Vergangenheitsform erschließen: „es war“ (im Unterschied von „es ist gewesen“) soll auf einen bleibenden Zustand deuten. Aber wo so viel auf dem Spiel steht, gilt es zuverlässigere Gründe heranzuziehen. Uns muss genug sein, was ich angeführt habe, nämlich, dass der Evangelist uns in das ewige Heiligtum Gottes, das nie ein Fuß betrat, hineinführt, damit wir es wissen sollen: dort ist das Wort gleichsam verborgen gewesen, bevor es sich durch die Herstellung der Welt kundgab. Richtig bemerkt daher Augustin, der hier erwähnte Anfang habe keinen Anfang. Ist auch in unserem Denken erst der Vater zu setzen und dann seine Weisheit, so würde man ihn doch seiner Ehre berauben, wollte man sich irgendeinen Zeitpunkt vorstellen, in welchem er noch ohne Weisheit gewesen. Das ist eben die ewige Zeugung, welche, wenn man die Worte gebrauchen darf, unermesslich lange in Gott verborgen blieb, um danach lange Jahre hindurch den Vätern unter dem Gesetz dunkel angedeutet und endlich leibhaftig im Fleische dargestellt zu werden.

Und das Wort war bei Gott. So bekommt, wie schon gesagt, der Sohn Gottes seinen Platz angewiesen über der Welt und allen Geschöpfen und vor allen Jahrhunderten. Aber zugleich wird ihm mit dieser Redewendung eine vom Vater unterschiedene Seinsweise zuerteilt. Es würde von dem Evangelisten recht verkehrt sein, zu sagen, der Sohn sei immer „mit“ oder „bei“ Gott gewesen, wenn er nicht irgendwie eine eigene Existenz in Gott hätte. Es hat also diese Stelle Beweiskraft gegen die Irrlehre, nach welcher Vater und Sohn ganz dasselbe sein sollen, da sie zeigt, dass ein Unterschied zwischen Vater und Sohn ist. Ich habe schon oben die Mahnung einfließen lassen, bei so großen Geheimnissen nüchtern zu denken und bescheiden zu reden. Jedoch müssen wir die alten Schriftsteller der christlichen Kirche gegen den Vorwurf unbescheidenen Vorwitzes in Schutz nehmen; wo es ihnen unmöglich war, in anderer Weise die rechte und reine Lehre gegen die aalglatten Beweisführungen sich auszudenken, die nicht genau so in der Bibel zu finden sind. Aussagen wollten sie damit ja nichts anderes, als was nur in anderer Form in der heiligen Schrift selbst vorkommt. So haben sie gesagt: In dem einen und einfachen Wesen Gottes sind drei Hypostasen oder Personen. So haben sie die unterscheidbaren Eigentümlichkeiten in Gott genannt, welche sich unserem Nachdenken zur Betrachtung anbieten. Wie Gregor von Nazianz[3] sagt, es sei ihm unmöglich an den Einen zu denken, ohne dass alsbald Drei in dem einen und um den einen Gott aufstrahlten.

Und das Wort war Gott. Damit niemand über Christi Gottheit in Ungewissheit bleibe, sagt Johannes klar heraus, er sei Gott. Da nun Gott der Einige ist, so ergibt sich, dass Christus eines Wesens mit dem Vater und doch in irgendeinem Punkte von ihm verschieden ist. Was nun die Einheit des Wesens anbetrifft, so war es von Arius ein starkes Stück, wenn er, um nicht zum Bekenntnis der ewigen Gottheit Christi gezwungen zu sein, vorbrachte, dieser sei nur so eine Art Gott. Wir haben, wenn wir hören, das Wort sei Gott gewesen, keinerlei Anlass, des Weiteren hier über sein ewiges Wesen Streitverhandlungen zu führen.

V. 2. Dasselbige war im Anfang bei Gott. Um uns das Vorhergesagte fester einzuprägen, fasst der Evangelist noch einmal die beiden Gedanken kurz zusammen: das Wort ist immer gewesen, und zwar bei Gott. Es soll uns dadurch einleuchten, dass der Anfang, von dem er spricht, aller Zeit vorhergeht.

V. 3. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht. Nachdem Johannes erklärt hat, das Wort sei Gott, und sein ewiges Wesen gepredigt hat, tut er nun an den Werken seine Gottheit dar. Damit führt er einen praktischen Beweis, der unserem Verständnis am besten entspricht. Es würde uns frostig berühren, wollte man ohne weiteres Christo den Namen „Gott“ beilegen, ohne dass unser Glaube an greifbarer Wirklichkeit merken könnte, dass er das tatsächlich ist. Darum wählt der Apostel überaus passend den vorliegenden Ausdruck, welcher die dem Sohne Gottes eigentümliche Tätigkeit beschreibt. Bisweilen freilich sagt Paulus schlichtweg: alles ist durch Gott (Römer 11, 36). Aber sobald es auf einen Vergleich des Sohnes mit dem Vater ankommt, pflegt er genau so zu unterscheiden wie Johannes hier tut (Kol. 1, 16). Es ist also gebräuchlich zu sagen: der Vater hat alles durch den Sohn gemacht, und: von Gott ist alles durch denselben, den Sohn. Darauf aber zielt, wie gesagt, der Evangelist ab, dass alsbald bei der Weltschöpfung das Wort oder der Sohn Gottes in äußere Wirksamkeit hervorgegangen ist. Während er früher in seinem Wesen unerfasslich war, ist damals seine Kraft durch eine Wirkung öffentlich bekannt geworden. Auch einige Philosophen beschreiben Gott als den Baumeister der Welt; sie gesellen ihm bei Ausführung dieses Werkes die Vernunft zu. Das ist zwar richtig, denn es stimmt mit der Schrift überein. Aber wir brauchen ihre Zeugnisse nicht besonders zu begehren, denn neben solchen Lichtblicken finden sich bei ihnen viele eitle Gedankengespinste. Vielmehr wollen wir uns gegenwärtig halten, dass wir uns mit diesem Spruch, der ja vom Himmel herrührt, begnügen dürfen, – ist doch auch viel mehr darin gesagt, als unser Verstand zu fassen vermag.

Und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist. Es gibt für diese Stelle verschiedene Lesarten. Ich lese, ohne darüber mit einem, der anderer Meinung ist, zu streiten, in ununterbrochenem Zusammenhange so: Nichts ist gemacht worden, was gemacht worden ist. In diese Lesart vereinigen sich fast sämtliche griechische Handschriften, wenigstens die maßgebenden. Außerdem fordert sie der Gedankengang. Die Schriftforscher, welche das Satzglied „was gemacht worden ist“ vom Vorhergehenden durch einen Punkt trennen, um es zum Folgenden zu ziehen, bringen einen gezwungenen Sinn heraus: Was gemacht worden ist, in dem war Leben, d. h.: es lebte oder blieb am Leben. Ja, wenn sich nur ein Beispiel dafür beibringen ließe, dass irgendwo anders in der Bibel so von den Geschöpfen geredet würde! Bei der Verbindung mit dem vorigen entsteht auch keineswegs eine unnütze Häufung der Worte. Auf jedem Wege sucht Satan Christo etwas zu entreißen; da hat denn der Evangelist es ausdrücklich betonen wollen, dass unter den Dingen, die gemacht worden sind, durchaus keines eine Ausnahme bildet.

V. 4. In ihm war das Leben. Bis hierher ist gelehrt worden: durch das Wort Gottes wurde alles geschaffen. Jetzt erteilt ihm Johannes in gleicher Weise auch die Erhaltung aller Dinge zu. Er will sagen: die Kraft des Wortes war nicht bloß augenblicklich, um bald wieder zu verschwinden, bei der Weltschöpfung wirksam; sie ist noch heute daran zu erkennen, dass es eine beständige, feste Naturordnung gibt, – wie es Hebr. 1, 3 heißt: Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort (oder Befehl). Übrigens kann man je nachdem dies Leben ausdehnen auf die unbeseelte Schöpfung, welche ja auch eine Art Leben, obgleich ohne Empfindung, besitzt, oder auch allein auf die beseelte beschränken. Es kommt wenig darauf an, wofür man sich entscheidet. Der einfache Sinn ist der: das Wort Gottes war nicht nur der Quell des Lebens für alle Geschöpfe, so dass das, was noch nicht war, zu sein anfing, – mehr noch: durch seine lebenspendende Kraft kommt es dahin, dass sie dauernden Bestand haben. Wenn nämlich sein Hauch nicht fortwährend die Welt belebte, würde notwendigerweise sofort alles Lebendige zusammensinken oder vernichtet werden. Was Paulus (Apg. 17, 28) Gott zuschreibt: „In ihm leben, weben und sind wir“, – das verdanken wir, wie Johannes bezeugt, dem Wort. Natürlich ist es Gott, der uns das Leben spendet, aber: durch sein ewiges Wort.

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