Bittersüß

Bittersüß – Ilse Frapan

Die 1852 in Hamburg geborene Schriftstellerin Ilse Frapan, eigentlich Ilse Lévien, war Zeit ihres Leben eine eifrige Novellenschreiberin, von denen sie immer wieder einige in Sammelbänden veröffentlichte – unter anderem auch in dem 1891 erstmals erschienenen “Bittersüß”, das von ihrer Münchner Zeit geprächt ist. Die enthaltenen Novellen “Frauenliebe”, “Monika” und “Klärchen’s Frühlingsfahrt” wurden insofern überarbeitet, dass die wichtigsten Begriffe und Worte der heute aktuellen Rechtschreibung entsprechen.

Bittersüß

Bittersüß.

Format: Taschenbuch/eBook

Bittersüß.

ISBN Taschenbuch: 9783849666682

ISBN eBook: 9783849661403

 

Auszug aus dem Text:

Frauenliebe.

 Es lag noch Schnee auf den schwerer zugänglichen Plätzen, in den Winkeln, welche die Sperrketten und Prellsteine vor den Seiten der Kirchen und der Museen bilden, aber der Schnee war staubig und mürb, und auf den Sperrketten saßen die kleinen Mädchen und hatten beim Schaukeln die Winterjacken ausgezogen. In der Mitte der Straße floss das Schneewasser wie ein Bächlein bergab und rauschte ordentlich, und um die leeren Baumkronen lag ein verheißungsvoller Schein, wie der Schatten künftiger Belaubung.

Ein junger Mann, ein schlanker, hübscher Mensch mit einer Mappe unter dem Arm, schlenderte die Straße hinab, mit jener wohligen Lässigkeit, die uns so gern im Frühling überfällt, und streifte mit träumerischen Augen die sonnenbeschienenen Häuser mit den halboffenen Fenstern, dann wieder die Amseln auf den Bäumen, die es mit Hüpfen und Flöten höchst eifrig hatten, endlich die schaukelnden Mädchen auf den Sperrketten, die nicht minder als jene kicherten und lärmten.

Endlich wandte er sein ganz in Freude getauchtes Gesicht zu einer der Kleinen nieder und fragte nach einem Hause und einem Namen, die er hier in der Adalbertstraße zu suchen gekommen. Die kleine Münchnerin verstand nicht sogleich, denn er kam aus dem Norden, war erst am vorigen Abend in der schönen Isarstadt angekommen, und das Kind lachte verlegen, statt zu antworten. Ein größeres Mädchen trat dienstfertig herzu und gab ihm die gewünschte Auskunft.

“Die Frau Brückner wohnt da, aber ‘s wird Alles besetzt sein; sie hat sieben Zimmerherren, lauter Maler und Studenten.”

“Du weißt ja gut Bescheid,” sagte er lächelnd, “ist sonst kein Zimmer in der Nähe zu vermieten?”

“Es gibt schon, wenn der Herr mitgehen will,” sagte die Kleine geschmeichelt.

Sie führte ihn in ein Haus, das bescheiden und schmucklos mit seinen kleinen karierten Scheiben zwischen den neuen hohen erkerreichen Gebäuden stand. Unten war eine geringe Wirtschaft.

“Über eine Stiege, da wohnt meine Bas’, die hat Platz.”

Eine muntere Bürgersfrau begrüßte die Ankömmlinge, aus der Küche tretend, die wie eine appetitlich duftende Nebelhöhle aussah. Sie riss sich die nasse Schürze ab und schleuderte sie hinter sich; dann ging sie mit einladendem Rückwärtsblicken den etwas dunklen Gang hinab und öffnete die letzte Tür. Mit einem gewissen Stolz wies sie ihm das hochgetürmte Bett mit dem bunten Zitzüberwurf, den breiten blau und weißen Kachelofen, das Haartuchsofa neben dem Fenster und den verhängten Rahmen in der Ecke, der statt eines Kleiderschranks diente.

“Und a Stiefelknecht kommt au no doher; schaug’ns, ‘s is a Fräulen dogewesen, die hat koa braucht, — und a Kerzen; und dös Waschschüsserl, was do herein g’hört, is in der Kuchel; ‘s Fräulen hat a eigenes gehabt, wissens; Emerenz, bring’ doch g’schwind ‘m seligen Herrn Panther sein Waschschüsserl her, dass der Herre siecht, dass alles in der Ordnung is.”

Der junge Mann war ans Fenster getreten und hatte eine der Scheiben geöffnet, die bei jedem Schritt auf dem schwächlichen Fußboden und bei jedem Wagengerassel draußen surrend erzitterten. Ein voller Strahl der Märzsonne kam herein und dem Fremden in die Augen, dass er sie blinzelnd wegdrehen musste.

Dieser warme Gruß überzeugte ihn vollends, dass er’s hier sehr gut getroffen habe, und über der Waschschüssel, die Emerenz wie ein Opfergefäß zwischen sie beide hielt, ward er mit der Wirtin einig. Er gab ihr seine Karte, von der sie ihm seinen Namen “Alfred Heuvels, Bildhauer,” stotternd vorlas, und die dienstfertige Emerenz schickte ihm ihren Bruder, den Buben heraus, dass er für seinen Handkoffer doch keinen Fiaker zu nehmen brauche.

Sonderbar angeheimelt, obgleich ihm doch hier Alles fremd war, und berauscht von dem immerwährenden Bewusstsein: das ist nun München, nach dem ich mich so gesehnt habe, sah sich Alfred bald wieder in der prächtigen Bahnhofshalle und las mit lächelnden Blicken die Aufschriften an den großen Tafeln: “Nach Starnberg;” “nach Salzburg;” “nach Innsbruck,” — Da geh ich überall hin, sagte er sich heimlich, und es schien ihm, als lache Italien ganz nahe zu ihm herüber, und er dürfe nur die Hand ausstrecken und sich hineinschwingen. Freilich einstweilen noch nicht, — erst wollte er hierbleiben, genießen, sehen, lernen, arbeiten. Aber er fühlte, dass er das Sehen am nötigsten habe.

Vielleicht öffnete ihm ein bedeutender Künstler sein Atelier. Ihm klopfte das Herz vor Freude und Bangen, wenn er an seine eigenen geringen Entwürfe und an die überschwängliche Fülle des Schönen dachte, die ihn hier erwartete. Eine dankbare Regung überkam ihn gegen den unfreundlichen, geizigen Onkel, der ihm nun doch in seinem Testament dreitausend Taler vermacht hatte. Solch einen Schatz in der Tasche, und dazu fünfundzwanzig Jahre, Gesundheit, leichtes Herz und Augen, die nach Schönheit dürsteten und weit offen waren für die Lieblichkeit der Welt — er genoss sein Glück mit gerührter Seele. Übermut war ihm fremd.

Er war hart auferzogen worden, hatte früh ums Brot arbeiten müssen, seinem Vater, der Steinmetz und schwach auf der Brust war, früh beispringen müssen. Und wenn der Vater ein Grabkreuz zu meißeln bekam, da war allemal Jemand gestorben, den der kleine Alfred auch gekannt hatte, und zugleich mit der Freude über den Auftrag kam eine weinende Nachbarin in die Tür, und der Kleine sah lieber frohe Gesichter. So ging ihm der Ernst des Lebens frühzeitig auf. — Nun lebten die Eltern wohlversorgt bei seiner älteren Schwester, die einen vermögenden Holzhändler geheiratet hatte, und ihm war durch das Vermächtnis des Onkels der heißeste Lebenswunsch erfüllt. Was hatte er denn bis jetzt gelernt? Er war der beste Schüler gewesen in der Gewerbeschule, zu der er zwei Stunden weit täglich hatte marschieren müssen. Pah, eine Gewerbeschule, die ‘s ja schon durch ihren Namen ansagt, dass sie nichts mit der Kunst zu schaffen habe. Danach freilich hatte er bei einem tüchtigen Bildhauer in Hamburg arbeiten dürfen, fünf Jahre lang. Aber hatte nicht auch dieser wackere Lehrer ihm vertraut, er sei “dort oben” wie im Exil und könnte gar nimmer fortmachen, wenn er nicht so oft als tunlich im künstlerischen Süden neue Anregung und Erfrischung hole? Und wie hatte ihm die teilnehmende Freude vom Gesicht geleuchtet, als ihm Alfred den Glückszufall mit der Erbschaft erzählt.

“Gut, gut, da machen Sie geschwind, dass Sie fortkommen, es ist hohe Zeit für Sie. Dreitausend Taler? Das muss für acht, für zehn Jahre reichen, wenn Sie solid bleiben. Und nur nicht gleich heiraten! dann ist’s verspielt,” hatte er seufzend hinzugefügt. Und als der Schüler kopfschüttelnd gelacht: “Ja, jetzt hat’s Lachen keinen Wert, lachen Sie, wann Sie verliebt sind! Eh glaub’ ich’s nicht. Ein Hitzkopf sind Sie auch.” Und dann noch einmal beim Abschied: “Also Briefe, Berichte willkommen, aber — Verlobungsanzeig’ verbitt’ ich, vor Ihrem fünfzigsten Geburtstag.”

Warum kamen ihm diese ganz überflüssigen Worte jetzt wieder in den Sinn, während er sie beim Anhören nicht groß beachtet hatte? War es nicht vielleicht schon ein Gefühl der Einsamkeit in all dem neuen Glück, die Empfindung: hätt’ ich nur Jemand, dem ich’s sagen dürfte, wie schön das alles hier ist? Er ertappte sich darauf, dass er einem jungen, eifrig plaudernden Paare mit langem Halse nachsah und errötete, denn er hatte an die Stelle des jungen Mannes, der so lebhaft auf das Mädchen an seinem Arm einredete, sich selbst gesetzt In der Beschämung darüber machte er auf einmal so weite Schritte wie um sich selbst zu entlaufen, dass der kleine Kofferträger kläglich zu schnaufen begann und sein Gepäck zuletzt ratlos und zornig auf den Boden stellte. Nun kam ihm der Gutmütige schnell zu Hilfe. Er griff selbst nach dem schwersten Stück, ja drückte dem Buben gar die schmierige Mütze, die ihm entfallen war, wieder auf die schwarzen Haare und scherzte so freundlich mit ihm, dass der breite Mund sich noch breiter zog, und die schiefen gelben Zähne hervorbleckten wie bei einem Teckel, den man streichelt. Es war ein garstiger Junge, aber heut’ sollte keiner ein klägliches oder böses Gesicht machen seinetwegen. Er gab ihm ein so reiches Geldgeschenk, dass der kleine Träger ohne Dank davonrannte und gleich mit einer Hand “voll Münz” zurückkam; er hatte wechseln lassen, weil er nicht geglaubt, das Alles sei für ihn. Als er es zuletzt begriff, schoss ein warmer dankbarer Hundeblick aus seinen kleinen Augen; der war von Stund’ an dem Fremden zugetan, das fühlten sie alle Beide.

Sobald er sich’s etwas behaglich gemacht, schloss Alfred seinen Koffer auf, um an die Eltern zu schreiben.

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