Das christliche Leben

Das christliche Leben – Johann Friedrich Arndt

Johann Friedrich Arndt gilt als einer der bedeutendsten Prediger des 19. Jahrhunderts und hatte sehr großen Einfluss am königlichen Hof. In diesem Buch finden sich dreizehn Predigten, jeweils thematisch bezogen auf einen bestimmten Lebensabschnitt von der Geburt, über weltliche und christliche Erziehung, der ersten Liebe, dem häuslichen, bürgerlichen und christlichen Leben, bis zum Tod.

Das christliche Leben

Das christliche Leben.

Format: Paperback, eBook

Das christliche Leben.

ISBN: 9783849666330 (Paperback)
ISBN: 9783849661908  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

Erste Predigt – Geburt und Taufe

Text: Joh. III, 6.

 

Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.

Die festliche Zeit des Jahres hat vor acht Tagen geendet, g. Z., und es beginnen heute für den bevorstehenden Lauf des Sommers und Herbstes die festlosen Trinitatis-Sonntage. Wenn die erste Hälfte des Kirchenjahres von Christo redete, von den Verheißungen auf ihn im Advent, von seinem Kommen zu Weihnachten, und von seinem dreifachen Amte in der Epiphanias-, Passions- und Osterzeit, so macht diese zweite Hälfte die Anwendung davon auf’s Leben und stellt uns den Christen dar vom Tage seiner Geburt und Taufe an bis zum Tage seines Todes. Der Kreis unserer Trinitatisbetrachtungen ist uns demnach vorgezeichnet, und wir haben uns entschlossen, unter Gottes Hülfe an den nächsten Sonntagen, so oft uns die Vormittagspredigt trifft, bis zum Schluß des Kirchen-Jahres, das Leben des Christen zum Gegenstand unserer frommen Erwägung zu machen, nach den verschiedenen Beziehungen, in welche das Alter, der Beruf, das Christenthum den Menschen setzt, und zu sehen, wie der Geist des Herrn alle diese Verhältnisse durchdringt und heiligt. Heute beginnen wir mit dem Anfange, d. h. mit der Geburt, und betrachten nach Anleitung unseres Textes: 1) die leibliche und 2) die geistliche Geburt des Menschen.

I.

Unbeschreiblich wichtig für den Menschen ist der Tag seiner Geburt an das irdische Leben, denn es beginnt mit demselben ein Dasein, das nimmer wieder endet, und das seine seligen oder schrecklichen Folgen bis in die unendliche Ewigkeit ausdehnt. Monate lang harren die süßesten Hoffnungen auf sein Erscheinen, und zärtliche Herzen und hülfreiche Arme bereiten Alles vor, damit es dem Ankömmlinge an nichts fehle, wessen er bedarf. Tritt er dann selbst ein, der mit Furcht und Hoffnung heiß ersehnte Augenblick, wird die Sehnsucht Gewißheit: „uns ist ein Kind geboren“, welche Thränen der Freude, welche Dankesergießungen gegen Gott, welche Aeußerungen des Glücks und der Rührung begrüßen den Neugebornen! Da heißt es: „Ein Weib, wenn sie gebieret, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist.“ (Joh. 16, 21.) Da ist es Frühling geworden im Hause, und die theure Gabe des Himmels ein neues Unterpfand göttlicher Gnade und Barmherzigkeit, der Eltern Herzen reich zu machen an Freude und ihr Leben reich an Glück, in engerer Liebe sie mit einander zu verbinden, und nicht nur neue Pflichten, sondern auch neue Hoffnungen ihnen zu bereiten.

Und in der That, es ist doch auch etwas Großes um die Geburt eines Menschen. Schon David singt: „Ich danke Dir darüber, daß ich wunderbarlich gemacht bin; wunderbarlich sind Deine Werke, und das erkennet meine Seele wohl. Es war Dir mein Gebeine nicht verhohlen, da ich im Verborgenen gemacht ward, da ich gebildet, ward unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war; und waren alle Tage auf Dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, als derselben keiner da war. Aber wie köstlich sind vor mir, Gott, Deine Gedanken! Wie ist ihrer so eine große Summa! Solches Erkenntniß ist mir zu wunderlich und zu hoch, ich kann’s nicht begreifen“ (Ps. 139,14-17. 6.) und Luther sagt: „Wenn nur alle hundert Jahre ein Mensch geboren würde, wie würden sich nicht die Leute darüber höchst verwundern.“ In verborgener Werkstatt geheimnißvoll und unerklärlich gebildet, fügt sich künstlich Glied an Glied und verbindet sich ein Sinn mit dem andern, Geist und Odem kommt in den irdischen Körper und setzt ihn in Bewegung, und der Mensch fängt an, nach Seele, Geist und Leib zu seyn und zu leben. Jeder Mensch ist eine Welt im Kleinen, und. die Erschaffung desselben nur eine Wiederholung und Fortsetzung der großen Schöpfung der Welt. Anlagen, Gaben, Fähig, leiten schlummern in dem kleinen Wesen, deren Wirkungen und Entwicklungen kein Erwachsener berechnen kann; wartet einige Jahrzehnte, und der unscheinbare Säugling ist ein Mann geworden, der die Erde durchdringt bis in ihre innersten Schachten und mit ihren Erzeugnissen tausende von Zwecken erreicht, der das Wasser der Weltmeere gangbar macht und die Elemente, Lust, Wasser, ja, das Feuer zwingt, gleichsam für ihn zu arbeiten, der Felsen spaltet, Berge versetzt, Sterne mit ihren Bahnen ausmißt und seine Gedanken in Worten verewigt, die nie wieder vertilgt werden können. Das Auge, welches jetzt meist noch sich schließt auf dem Schöße der Mutter, bald wird es sich öffnen, um die Sonne in ihrer Majestät und das Licht überhaupt in seinem Farbenspiel zu suchen und an den Wundern des Allmächtigen in der Natur sich zu weiden und zu erfreuen; das Ohr, jetzt noch wenig empfänglich für die ihm fremden Aeußerungen der Theilnahme und der Liebe, bald wird es sich erschließen, und die verschiedensten Stimmen, Töne, Klänge, das Rollen des Donners und das Brausen des Meeres, das Brüllen des Löwen und der Lobgesang der Lerche, der wunderbare Klang der Glocken und der bedeutungsvollere Menschenlaut werden durch seine Wölbungen und Windungen bis in seine Seele hineindringen; der ganze bewunderungswürdige Bau des Körpers mit seinen Nerven, Muskeln, Gelenken und Gliedern, und der noch bewunderungswürdigere Bau des Geistes, dieser Verstand, der von einer Stufenleiter zur andern bis zu den höchsten und heiligsten Vorstellungen emporsteigt; dieses Herz, das unbeschreiblich sich sehnt nach etwas Unendlichem und nur in der Liebe, nur im Frieden Gottes seine Seligkeit findet; dieses Gewissen, das unaufhörlich predigt in der Brust und gewaltig mahnet und warnt, spornt und ermuntert; dieser Wille, der geregelt durch Gottes Gesetz zu jeder Kraftanstrengung und Thätigkeit fähig ist – bald werden sie sich in Bewegung setzen und beide Welten, die sichtbare und die unsichtbare, durchschreiten und beherrschen. Fürwahr, wir müssen bekennen: „Der Mensch, ein Leib, den Gottes Hand so wunderbar bereitet; der Mensch, ein Geist, den sein Verstand ihn zu erkennen leitet; der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von Gottes Güte und Größe.“ Die Ewigkeit ist ihm in die Seele gelegt und er ist nicht eigentlich für diese, sondern für eine andere Welt erschaffen.

Doch das ist nur die eine Seite der Betrachtung; wollten wir dabei stehen bleiben, so kämen wir bald dahin zu übertreiben, aus dem Menschen einen Engel zu machen und in vermessenem Stolz uns selbst und unsere Natur zu überheben. Die Schrift öffnet uns auch noch eine andere, nicht minder, ja noch mehr zu berücksichtigende Seite, und demüthigt uns eben so sehr, als sie uns erhebt. Der Herr sagt nämlich im Texte: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Seitdem das Ebenbild Gottes verloren gegangen ist in der menschlichen Natur, hat alles Fleisch seinen Weg verderbet vor dem Herrn, und wohnet in uns, b. i. in unserm Fleische, nichts Gutes; wenn auch das neugeborene, unmündige Kind noch keine wirklichen Sünden begeht, und in sofern unschuldig genannt werden kann, so liegt doch der Keim zu allem Bösen, die Sündhaftigkeit, schon in seiner Natur; angeschaffen und angeerbt ist ihm der Trieb und die Neigung, sich selbst Gotte gegenüber zu stellen; mit den ersten Regungen der Willenskraft, mit dem ersten Weinen des Auges und Schreien des Mundes offenbart sich schon der Eigensinn, und ein paar Monate später erblickt ihr die Begehrlichkeit, den Neid, die Rechthaberei in vollem Ausbruch. Ein verborgener Zunder der Sünde liegt in jeder menschlichen Brust, und es bedarf kaum äußerer böser Beispiele oder Verführungsworte, so fängt der Zunder Feuer, und die Erbsünde wird wirkliche Sünde in Gedanken, Worten und Werken. David sagt: (Ps. 51, 7.) „Ich bin aus sündlichem Samen gezeugt und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ Die Anlage zu allem Guten ist vorhanden in jedem Säugling; aber die Anlage zum Bösen ist größer, stärker, und nicht nur Anlage, sondern Trieb, Neigung, Lust. Die Fähigkeiten schlummern, aber die Sünde weiß sie zu mißbrauchen, und statt Gott zu dienen, sich selbst dienstbar zu machen und zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit zu gestalten. Darum hat jeder Vater und jede Mutter, wenn sie das Kind ihres Herzens auf den Armen tragen, eben so sehr für dessen Zukunft zu zittern, als zu hoffen, und mit unermüdlicher Weisheit, Liebe und Treue ihm nachzugehen, daß es nicht Schaden nehme an seiner Seele. Darum ist der Anblick eines Kindes allezeit nicht bloss ein froher, sondern zugleich ein wehmüthiger, weil er an unser tiefes Verderben uns erinnert, das bis in die zartesten Jahre des menschlichen Lebens hineingedrungen ist und Alles mit seinem Gifte vergiftet hat, und nun auch die Quelle geworden ist alles Elends, das in der Welt herrscht und schon in den ersten Tagen unseres Daseins sich anmeldet. Sehet doch das Kindlein, wie es da liegt, so Hülflos und hülfsbedürftig, so nackt und bloß, wie kein Wesen in der Schöpfung; wie sein erster Laut ein Laut des Weinens und Klagens ist, als ahnete es schon die unermeßliche Fülle von Jammer und Noth, die in diesem Jammerthal sein warten, und alle die Thränen, welche später noch über seine Wangen fließen werden. Seitdem aus dem Paradiese der Fluch erscholl über die Mutter der Lebendigen: „Ich will dir viel Schmerzen machen, wenn du schwanger bist, du sollst mit Schmerzen Kinder gebären,“ seitdem ist es ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben von Mutterleibe an, bis sie wieder in der Erde begraben werden, die unser Aller Mutter ist; da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod (Sirach 40, 1. 2.) „Es währt siebenzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre, und wenn‘s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ (Ps. 90,10.) Könntet ihr das Alles erwägen, ohne Mitleid zu haben mit jedem Neugebornen, der gleich wie ihr die Bahn des Elends betreten und durchschreiten soll, und ohne die Freude über die Geburt zu mäßigen durch den Gedanken an die Sünde und das Elend, die mit dieser Geburt an das Erdendaseyn einmal unabänderlich geknüpft sind?

So oft sie denn wiederkehren in eurem Leben, die Jahrestage eurer Geburt, feiert sie in fröhlicher Stimmung mit Dank gegen den Herrn beim Ruckblick auf das, was Er an euch gethan, und laßt gerührten Herzens an euch vorübergehen den Ort, wo eure Wiege stand und euer kindlicher Fuß gewandelt und ihr die glücklichsten Tage des Lebens am Herzen der Vater- und Mutterliebe sorglos und freudenreich verlebtet, und alle die folgenden Tage und Jahre mit den Lehren, die sie euch gegeben, mit den Wohlthaten, die euch zugeflossen, den Vorzügen vor vielen Hunderten, die euch zu Theil geworden, und den Bewahrungen, Errettungen, Durchhülfen, deren ihr euch zu rühmen habt, und jubelt laut und fröhlich: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat. Ich will den Herrn loben, so lange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, weil ich hier bin.“ (Ps. 103, 1. 2. 146, 2.) Dann aber denkt auch mit Ernst an eure gehäuften Sünden, und vergesset es nicht, daß ihr um ein Jahr wieder euerm Ziele näher gekommen, daß Tod und Ewigkeit, Gericht und Rechenschaft unabweislich und vielleicht bald euch bevorstehen, prüfet euch selbst, ob ihr die euch verliehenen Kräfte und Fähigkeiten zur Ehre Gottes und zum Heil eurer Seele gebraucht, ob ihr Ihn allezeit vor Augen und im Herzen gehabt, ob ihr seine Fügungen unterwürfig und ergeben angenommen, ob ihr im Kleinen wie im Großen treu gewesen, und mit dem Pfunde gewuchert habt, das Gott euch anvertraute.

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