Das Leben Jesu

Das Leben Jesu – Georg Wilhelm Hegel.

In dem auf der Königl. Bibliothek zu Berlin befindlichen Hegelschen Nachlass nehmen alle theologischen Fragmente aus Hegels Jugendzeit drei Bände ein. (Bd. 7, Das Leben Jesu, Harmonie der Evangelien nach eigener Übersetzung, 1794 – 95. Bd. 8, Verhältnis der Vernunftreligion zur positiven Religion, 1795 – 9, Bd. II, Theologica, 1793 – 96. Über den Begriff der Religion, 1800). Der vorliegende Band ist ein Abdruck des 7. Bandes des Nachlasses. Ferner sind aus Bd. 11 alle Bruchstücke hinzugekommen, die unzweifelhaft zum Thema des Lebens Jesu gehören, womit alle auf die Person Jesu bezüglichen Fragmente, ausgenommen die in Bd. 8 enthaltenen, enthalten sein dürften. Der vorliegende Band folgt der im Jahr 1906 erschienenen Ausgabe, wobei wichtige Begriffe und Wörter insofern überarbeitet wurden, dass sie der aktuellen Rechtschreibung entsprechen.

Führer zum Himmel. Gebet- und Belehrungsbuch für christliche Eheleute

Führer zum Himmel. Gebet- und Belehrungsbuch für christliche Eheleute.

Format: Paperback, eBook

Das Leben Jesu.

ISBN: 9783849666705 (Paperback)
ISBN: 9783849661427  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

EINLEITUNG

Wertvolle Angaben über das Leben Jesu befinden sich bei Rosenkranz und Haym, denen der ganze Nachlass vorlag, und zwar hat Rosenkranz (Hegels Leben, 1844, S. 49 — 53) hauptsächlich die Entstehungsgeschichte, Haym (Hegel und seine Zeit, 1857, S. 46 — 53) die philosophische Tendenz und das psychologische Interesse von Hegels Jugendwerk berücksichtigt. Keiner der folgenden Biographen aber hat Einsicht in die Manuskripte genommen. Am gründlichsten haben Caird (1883), K. Fischer (190 1) und Drews (Hegels Religionsphilosophie, Diederichs Verlag, 1905, Historische Einführung S. XL — XLVII) das schon vorhandene Material verwertet.

Im Herbst 1793 verließ Hegel nach bestandenem Kandidatenexamen das Tübinger Stift, weilte einige  Wochen in seiner Vaterstadt Stuttgart und nahm darauf eine Hauslehrerstelle bei einem Berner Patrizier, Herrn Steiger von Tschugg, an, die er bis Ende 1796 bekleidete. Aus den damals von Hegel an Schelling geschriebenen Briefen geht hervor, dass Hegel von seinem Amt in Bern sehr in Anspruch genommen war. “Ganz müßig bin ich nicht, aber meine zu heterogene und oft unterbrochene Beschäftigung lässt mich zu nichts Rechtem kommen”(an Schelling, 24. Dez. 1794; vgl. Briefe von und an Hegel, herausg. von Karl Hegel, 1887. S. 7). Dazu kam der Mangel an Lektüre in Bern selbst und noch mehr auf dem Lande, denn im Frühling und Sommer wohnte die Familie des Herrn Steiger aufschloss Tschugg, in der Vogtei Erlach, am Bieler See gelegen. “Meine Entfernung von allen Büchern”, so klagt Hegel, “und die Eingeschränktheit meiner Zeit erlauben mir nicht, manche Idee auszuführen, die ich mit mir herumtrage”(Jan. 1795 ; vgl. Briefe, S. 12). Daraus erklärt sich die bruchstückartige Form der Notizen, die Hegel in dieser Zeit niederschrieb, und die teils das Wesen der Religion und die Möglichkeit einer Volksreligion, teils die christliche Lehre und die Person Jesu zum Gegenstande haben (Nachlass, Bd. 7 und 11). Erst nachdem mehrere von diesen Fragmenten aufgezeichnet waren, schrieb Hegel im Frühjahr 1795 das eigentliche “Leben Jesu” nieder.

Nicht spurlos war die Aufklärung an Hegel vorübergegangen. Er war der kirchlichen Dogmatik, dem dumpfen Beharren “im System des Schlendrians” höchst abgeneigt (vgl. Brief an Schelling, Jan. 179 5) und bewegte sich ganz in Lessingschen Anschauungen, als er folgende Einleitung zu einer unausgeführt gebliebenen Darstellung der christlichen Religion schrieb: “In Bezug auf die Sache selbst wird hier bemerkt, dass überall der Grundsatz zum Fundament aller Urteile über die verschiedene Gestalt, Modifikationen und Geist der christlichen Religion gelegt worden sei, dass der Zweck und das Wesen aller wahren Religion und auch unserer Religion Moralität des Menschen sei und dass alle speziellen Lehren des Christentums, alle Mittel dieselben auszubreiten, alle Pflichten zu meinen und sonst an sich willkürliche Handlungen zu beobachten, nach ihrer näheren oder entfernteren Verbindung mit jenem Zweck in Ansehung ihres Wertes und ihrer Heiligkeit geschätzt werden”(Nachlass Bd. 11). Im subjektiven Gefühl schien ihm der Hauptwert der Religion zu liegen : “Inwiefern ist Religion zu schätzen. Als subjektive oder als objektive? In Ansehung der Empfindung vorzüglich? Die objektive ist vielmehr Theologie. — Auf subjektive Religion kommt alles an. Diese hat eigentlich wahren Wert. Die Theologen mögen sich über die Dogmen, über das, was zur objektiven Religion gehört, über die näheren Bestimmungen dieser Sätze streiten; jeder Religion liegen einige wenige Fundamentalsätze zugrunde, die nun in den verschiedenen Religionen mehr oder minder modifiziert, verunstaltet, mehr oder weniger rein dargestellt sind, die den Grund allen Glaubens, aller Hoffnungen ausmachen, welche die Religion uns an die Hand gibt. Wenn ich von Religion spreche, so abstrahiere ich schlechterdings von aller wissenschaftlichen oder vielmehr metaphysischen Erkenntnis Gottes, unseres und der ganzen Welt Verhältnisses zu ihm, usw. Eine solche Erkenntnis bei der sich bloß der räsonierende Verstand beschäftigt, ist Theologie, nicht mehr Religion. Von objektiver Religion spreche ich nur insofern, als sie einen Bestandteil der subjektiven ausmacht”(Bd. 11). Selbst im Jahre 1796, als der Sinn fürs historisch Festgesetzte in ihm lebendig wurde, ließ er zwar der positiven Religion in der Abhandlung : “Über das Verhältnis der Vernunftreligion zur positiven Religion”(Nachlass, Bd. 8) gewissermaßen Recht widerfahren, aber er betonte nicht sowohl ihren dogmatischen als ihren psychologischen Wert; er erklärte sie aus menschlichen Herzensbedürfnissen und fand sie nur als Volksreligion berechtigt. Er war jedem Dogmatismus so sehr abgeneigt, dass er auch den aus der Aufklärung entsprungenen bekämpfte, nämlich die Tendenz des Kantischen Moralismus wieder in Dogmatismus umzuschlagen; die Ethikotheologie schien ihm wieder zur Physikotheologie hinüberzuleiten: “Zu dem Unfug, wovon Du schreibst, hat unstreitig Fichte durch seine Kritik der Offenbarung Tür und Angel geöffnet; er selbst hat mäßigen Gebrauch davon gemacht, aber wenn seine Grundsätze einmal fest angenommen sind, so ist der theologischen Logik kein Ziel und Damm mehr zu setzen. Er räsoniert aus der Heiligkeit Gottes, was er vermöge seiner moralischen Natur tun müsse und solle und hat dadurch die alte Manier, in der Dogmatik zu beweisen, wiedereingeführt”(an Schelling, Jan. 1795, Briefe, S. 11).

Damit aber war Hegel über die Aufklärung hinaus. Die Aufklärung trug noch viel Verstandesmäßiges, Positives in sich, viel moralische Wertmaßstäbe und Nutzanwendungen ; Hegels Standpunkt aber war nicht der der diskursiven, sondern der intuitiven Erkenntnis. Dies erhellt z. B. in seinem “Leben Jesu” aus seiner Besprechung des Eingangs des Johannesevangeliums, wo es heißt: “Im Anfang war der Logos, der Logos war bei Gott und Gott war der Logos”; aber diese Sätze, meint Hegel, sind nicht als gewöhnliche Urteile aufzufassen, in welchen einem Subjekt ein Prädikat hinzugefügt wird; Prädikat und Subjekt sind ein und dasselbe, ein Seiendes, Lebendiges, denn jedes über Göttliches in Form der Reflexion Ausgedrückte wäre widersinnig. Desgleichen ist das Verhältnis Gottes zur Welt kein toter Zusammenhang, keine Entgegensetzung des Vernünftigen gegen das Sinnliche, sondern eine Verbindung, die wahrhaft nur als lebendiger Zusammenhang genommen und bei welcher von den Verhältnissen der Bezogenen nur mystisch gesprochen werden kann. Daher durfte sich Jesus als Sohn Gottes bezeichnen ; dies Verhältnis des Sohnes zum Vater ist nicht bloße Vereinigung im Begriffe, sondern lebendige Beziehung Lebendiger, gleiches Leben, nur Modifikationen desselben Wesens; Gottes Sohn ist dasselbe Wesen, das der Vater ist, zwar für jeden Akt der Reflexion, jedoch auch nur für einen solchen ein Besonderes. Im selben Sinn leugnete Hegel das Wunder. Er versuchte nicht, es durch verstandesmäßige Reflexion, etwa als von den Jüngern Jesu nicht verstandene Naturerscheinungen hinzustellen ; er leugnete es einfach deshalb, weil es der Vernunft widerstreite. Im Wunder als einzelnem Geschehnisse, meinte er, könne sich unmöglich das Göttliche offenbaren, denn Göttliches sei nicht Geschehendes, sondern Allgemeinseiendes; es heiße die Vernunft herabwürdigen, wenn man die Wunder exegetisch zu erklären versuche, denn man tue schon dadurch, dass man mit den Wunderverteidigern auf das Feld des Verstandes heruntersteige, der Autonomie der Vernunft Abbruch: “Denn, wenn man auch schon von jedem einzelnen Wunder zeigen könnte, dass es sich natürlich erklären lasse, so hat man dem Verteidiger schon zu viel eingeräumt. Auf die Führung des Streites vor den Richterstuhl des Verstandes sich einzulassen, beweist schon, dass uns die Erzählung von Wunderbegebenheiten stutzig gemacht hat, dass wir es nicht allein vom Standpunkt der Vernunft aus wagen, sie von der Hand zu weisen, sondern dass die Tatsachen, die man uns als Wunder ausgibt, fähig sein könnten, jene Selbständigkeit der Vernunft umzustoßen”(Vgl. Rosenkranz, S. 511). Dieselbe Neigung Hegels nur nach dem Ganzen hinzustreben, das Einige, Lebendige hervorzukehren, macht sich auch in seinem Wegwerfen jeder positiven Moral, jeder Sittenrichterei, ja selbst des Kantischen Imperativs geltend. Moralprinzipien sind für den Menschen ein Fremdes, Äußerliches, ein Entgegensetzen des Seinsollenden und der Natur. Am Kantischen Sittlichkeitsbegriffe hielt doch Hegel insofern fest, als er dem Menschen das Bewusstsein seines absoluten Wertes, seiner Gottähnlichkeit verschaffe. “Vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung erwarte ich eine Revolution in Deutschland. Man wird schwindeln bei dieser höchsten Höhe, wodurch der Mensch so sehr gehoben wird; aber warum ist man so spät daraufgekommen, die Würde des Menschen höher anzuschlagen, sein Vermögen der Freiheit anzuerkennen, das ihn in die gleiche Ordnung der Geister setzt?”(An Schelling, 16. April 1795. Briefe, S. 15).

Aus jenem fortwährenden Betonen des Vernünftigen und jenem Vertrauen auf die Allmacht des menschlichen Geistes lässt sich erkennen, dass Hegel sich schon damals über das Grundproblem seiner spätem Philosophie, nämlich das Wirklichwerden von Vernunft und Freiheit durch Überwindung aller beschränkenden Bestimmungen klar geworden war. Aber er hatte noch nicht die ganze spekulative Kraft seines späteren Denkens erreicht; daher hat die Art, wie er jetzt die das menschliche Denken und Wirken hemmenden Schranken aufzuheben versuchte, noch wenig von der späteren Dialektik an sich. Vielmehr hat sein Philosophieren einen starken Zug ins Mystisch-poetische ; seine Weltanschauung ist eine überwiegend ästhetische; ist doch Schönheit, wie Vernunft, Versöhnung der Gegensätze, Offenbarung des Absoluten. Am tiefsten ist Hegel damals von Dichtern beeinflusst worden. Schiller, den er eifrig las, hatte eben durch seinen ästhetischen Idealismus die Gegensätze überwunden, bei denen Kant stehen geblieben war; er hatte im Ideal der “schönen Seele” Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Neigung und Pflicht, Notwendigkeit und Freiheit, Natur und Geist versöhnt. Hölderlin, mit dem Hegel sich auf dem Tübinger Stift befreundet hatte, begeisterte ihn für die Schönheit der griechischen Welt; unzweifelhaft schwebte Hegel das Griechentum vor, als er von jeder positiven Religion eine lebendige Harmonie von Kirche und Staat, ein schönes Verhältnis des Gottesdienstes und der übrigen Lebensformen, sowie Befriedigung des Gemüts und der Phantasie in den Grenzen vernünftigen Glaubens verlangte (Nachlass, Bd. ii). Mit Schelling endlich, den er ebenfalls auf dem Stifte kennen lernte, hatte er das Bedürfnis nach Totalität, nach Auflösung aller Gegensätze in unmittelbarer Einheit gemein; bekanntlich hörte er erst ums Jahr 1803 auf, der Schellingschen Identitätsphilosophie zu huldigen und versuchte, nicht durch mystische Anschauung des Absoluten, sondern durch schrittweise durchgeführte Dialektik zur Idee vorzudringen.

So mischen sich in Hegels damaliger Bildung der Rationalismus der Aufklärung, ästhetische Weltanschauung und überschwängliche Mystik. Alles dies tritt in den vorliegenden Fragmenten deutlich hervor. Unter denselben nimmt das eigentliche Leben Jesu eine eigene Stelle ein. Kein Bruchstück ist es, sondern ein vollständiges Manuskript in Reinschriftform. Obgleich Hegels Anlage zum Erzählen gering war, bequemte er sich doch, das rein Faktische des Lebens Jesu vorzutragen, ohne dasselbe begrifflich zu deuten. Die schlichte Erzählung macht eben deswegen einen starken Eindruck, weil Hegel völlig unbefangen die Geschichte Jesu erzählt. Ihm war Jesus ein bloßer Mensch, dem zwar das Göttliche rein zum Bewusstsein gekommen war, der aber als Mensch lebte und starb. Von den Wundern sah Hegel gänzlich ab, legte aber das Gewicht auf das Predigen Jesu. Er stellte keinen exegetischen Vergleich der Evangelien an, da ihm wenig am geschichtlichen Detail lag und er das kirchlich-dogmatische Interesse des Neuen Testaments nicht ins Auge fassen wollte. Nie erregt er durch persönliche Bemerkungen Anstoß; die Erzählung schreitet ruhig vorwärts; in voller Wirklichkeit erscheint der Mensch Jesus, wie er mitten unter den Juden lebte und webte. Einfach realistisch ist die Darstellung. Nach der Harmonie der Evangelien fasste Hegel die Hauptereignisse des Lebens Jesu und die Hauptzüge seiner Lehre zusammen, als wäre Jesus ein Sokrates gewesen. Auch hier schwebten ihm in der Tat griechische Ideale vor: nicht als Erlöser der leidenden Menschheit im Sinne des Christentums, sondern als Philosoph und Held wird Jesus hingestellt.

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