Der Sonnenwirt

Der Sonnenwirt – Hermann Kurz

Dieser kulturhistorische Roman spinnt sich rund um die Figur des Zigeuners und Räubers Hannikel, der in Schillers Werk eine tragende Rolle spielt und immer wieder in der Literatur verarbeitet wurde.

Der Sonnenwirt

Der Sonnenwirt.

Format: eBook

Der Sonnenwirt.

ISBN eBook: 9783849656164.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

»Nun, Meister Schwan, für diesmal ist Er christlich durchgekommen, straf mich Gott! Ohne Willkomm und Abschied! Herr Gott von Dinkelsbühl, tut mir fast leid, daß ich Ihm nicht ein paar aus dem ff auf Sein gesundes Leder aufmessen darf, aus purer Freundschaft. Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff, so ein heißgrätiger Bursch wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unserer lustigen Kartaus bekommen. Aufs Frühjahr spätestens, wenn die Bäum ausschlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil ein paar tüchtige Haselstöcke ins Wasser legen, damit sie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn’s heißen wird: ›des Ebersbacher Sonnen wirts sein Gutedel ist wieder da.‹ Adjes, Meister Schwan, glückliche Reise und nichts für ungut.«

Es war unter dem Tore des Ludwigsburger Zucht-und Arbeitshauses, wo einer der Aufseher einem jungen Menschen dieses spöttische Lebewohl sagte. Dem untersetzten stämmigen Burschen konnte niemand im Ernste den Meistertitel geben, denn er schien kaum zwanzig Jahre alt zu sein. Auch sah er sehr sauer zu der Ehrenbezeigung, die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam; sein breites rotwangiges Gesicht spannte sich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen, wie aus Verachtung, zu Boden geheftet, aber dann und wann schoß er seitwärts einen Blick hervor, der wie ein bloßes Messer funkelte. Der Aufseher gab ihm statt des »Abschieds«, den er ihm gerne zugedacht hätte, einen derben Schlag auf die Schulter und ging lachend hinweg. Der entlassene Sträfling ballte die Faust und sah ihm mit ingrimmigen Blicken nach.

Eben wollte er mit einer Gebärde, welche ein nichts weniger als anständiges, aber um so aufrichtigeres Gesinnungsbekenntnis enthielt, dem Zuchthause den Rücken kehren, als er, noch einmal umschauend, einen Gegenstand gewahrte, der den Haß auf seinem derben lebhaften Gesichte plötzlich in das entschiedenste Widerspiel verwandelte. Es war ein Greis, der in der Gebrechlichkeit des Alters an einem Stabe über den Hof gegangen kam; er trug schwarze Kleidung, und die beiden weißen Überschlägchen, die ihm von der Halsbinde herabhängend auf der Brust spielten, bezeichneten seinen geistlichen Stand. Seine Erscheinung machte einen sichtlichen Eindruck auf alle Begegnenden; die ausgelassensten Züchtlinge verstummten, als er im Vorübergehen einen Blick auf ihre Arbeiten warf; der rohe Aufseher wich ihm von weitem aus. Jedem bot er seinen zuvorkommenden Gruß; er war immer der erste, der das schwarze Käppchen über den spärlichen weißen Haaren lüpfte, und doch sollte es ihm offenbar dazu dienen, sein greises Haupt vor der Herbstluft zu schützen; denn neben dem Käppchen trug er den dreieckigen Hut unter dem Arm.

Der junge Mensch war unter dem Tore des Zuchthauses stehengeblieben. In seinen Mienen zuckte es wie Gewitter und Regenschauer; aber zum Weinen schienen diese Züge zu derb. Unwillkürlich bewegte er den Fuß, um dem alten Geistlichen entgegenzulaufen; er besann sich jedoch wieder und blieb schüchtern stehen. Als jener näher kam, zog er die Mütze und trat ihn mit einer linkischen Verbeugung an. Man konnte denken, wenn er ein Hund gewesen wäre, so wäre er mit freudigem Winseln an ihm emporgesprungen und hätte ihm Gesicht und Hände geleckt. So aber war er ein Wesen, um das der Zuchthausaufseher schwerlich seinen Pudel hergegeben hätte, ein entlassener Sträfling, ein unbändiger Mensch, voll Trotz und Roheit; und doch regte sich in seinem Herzen etwas, das wir auch in den winselnden Tieren ahnen und das die Bibel mit den Worten bezeichnet: das Seufzen der Kreatur.

»Mit Verlaub!« stammelte er, – »ich wollte nur dem Herrn Waisenpfarrer Adieu sagen, weil der Herr Waisenpfarrer immer so gut gegen mich gewesen ist – ich hätt ja nicht fortgehen können ohne das.«

Der Waisenpfarrer – denn dieser war es, dem die Seelsorge im Zuchthause oblag – neigte sich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er hatte aus den verlegenen, halb verschluckten Worten des sonst sehr anstelligen Burschen den rechten Kern herausgehört. »So ist Er denn also jetzt frei, Friedrich?« sagte er zu ihm. »Ich wünsch Ihm von Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch seine Freiheit so, wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß.«

»Ich versteh schon, Herr Waisenpfarrer!« erwiderte der Jüngling, der mit der ersten Anrede seine Beengung weggesprochen und sich in einen Ton bescheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. »Ich versteh schon. Das ist wie mit dem Wein. Der ist auch eine Gottesgabe. Wenn man aber solche Gottesgabe zu hart strapaziert, so wirft sie den Menschen hin, daß er gleichsam wie vierfüßig wird. Dagegen, wenn man sie mit Maß genießt, so erfreut sie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf. Grade so ist’s auch mit der Freiheit. Wenn man von der über Durst trinkt, so kann sie einen auch wohin werfen, wo zum Beispiel keine Freiheit mehr ist.«

Bei diesen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude, das er soeben verlassen hatte, und seine weißen Zähne blinkten lachend zwischen den kirschroten Lippen hervor.

»Ja, so ist’s, mein Freund«, versetzte der Geistliche. »Man pflegt wohl zu sagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu tun. Das ist nur so eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt sich mehr Freiheit, als er einem andern gönnt, und tut einem andern etwas, was er sich selbst nicht angetan wissen will. Das aber ist zu viel Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel ist, das ist vom Übel. Eigentlich sollten wir unsere Freiheit bloß dazu anwenden, um einander lauter Liebes und Gutes zu tun; denn wenn die Menschen alle einander dienen würden, dann wäre ja ein jeglicher so wie ein Diener auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt.«

»Ja, wenn alle so wären, wie der Herr Waisenpfarrer, dann wär’s keine Kunst, ihnen zu dienen. Aber so ist’s nicht in der Welt. Da ist viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß solche, die den Nebenmenschen übervorteilt, sondern auch Bosheit, die ihm ohne allen Grund die Milch sauer macht, und wenn man auf so einen Giftmichel trifft, so meint eben die Faust gleich, sie müsse ein Wörtlein mit ihm reden.«

»Mein Sohn«, sagte der alte Geistliche, »man hat den Verstand dazu, daß man der Faust nicht ihren Willen läßt. Und es kommt nur darauf an, daß man einem Menschen seine gute Seite abgewinnen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmste. Wenn man aber einmal diese gefunden hat, so ist’s, als hätte man den Schlüssel zu einer sonst verschlossenen Türe, und wenn man hineingeht, so trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieser Türe gesucht hätte. Da ist zum Exempel ein gewisser Friedrich Schwan. Den hat man mir geschildert als einen rohen, verworfenen Burschen, dessen Herz keiner guten Regung fähig sei – Faust in Sack! Die Leute urteilen eben nach der Außenseite – und wie ich ihn nun selber kennenlernte, da fand ich in ihm einen Menschen, dessen Herz wie ein wild aufgeschossenes Reis ist, trotzig und aufrührisch gegen jedes rauhe Lüftchen, weich und geschmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenstrahl, einen Menschen, der gegen harte Worte und Behandlungen störrisch bleibt und den man mit Güte um den Finger wickeln kann. Ist’s nicht so?«

»Ja, so ist’s, Herr Waisenpfarrer«, antwortete der junge Mensch verlegen und gerührt.

»Nun, das ist aber auch keine Kunst, gegen Gute gut zu sein. Wenn’s weiter nichts wäre als das, so würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen, statt durch die schmale.«

»Das ist wahr, Herr Waisenpfarrer«, erwiderte der junge Mensch bedenklich. »Aber wenn alle Menschen unterdiensthaft gegeneinander wären, wie Sie vorhin gesagt haben, so wäre es gerade dasselbe Ding.«

»Allerdings. Aber da die Menschen im allgemeinen bis jetzt nicht geneigt sind, uns die Himmelspforte so breit und bequem zu machen, so dürfen wir deshalb der schmalen nicht untreu werden. Wir müssen gegen unsere Nebenmenschen gerade so liebreich und dienstfertig sein, wie sie eigentlich gegen uns sein sollten, unangesehen, ob sie es sind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir sie dadurch und bewegen sie, unser Beispiel nachzuahmen.«

»Ja, ja, Herr Waisenpfarrer«, fiel der junge Mensch lebhaft ein, »das ist gerade, wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen werden soll. Da kommt es nur drauf an, daß einmal ein Anfang gemacht wird, der für den Fortgang und fürs Fertigwerden Bürgschaft gibt, und ist also ein kleines umgepflügtes Flecklein fast schon so wichtig wie das ganze künftige Neubruchland.«

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