Deutscher Novellenschatz, Band 2

Deutscher Novellenschatz, Band 2

Der “Deutsche Novellenschatz” ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 2 von 24. Enthalten sind die Novellen: Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. Stifter, Adalbert: Brigitta. Tieck, Ludwig: Die Gemälde. Wolf, August: Der Stern der Schönheit.

Deutscher Novellenschatz, Band 2

Deutscher Novellenschatz, Band 2.

Format: eBook/Taschenbuch

Deutscher Novellenschatz, Band 2.

ISBN eBook: 9783849660956

ISBN Taschenbuch: 9783849667351

 

Auszug aus dem Text:

Treten Sie nur indes hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er den jungen Eduard herein ließ, der alte Herr wird gleich zu Ihnen kommen.

Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Türe. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, dass ich mich zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte sein. Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, dass ich von mir und der Welt anders denke.

Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann und einzig in ihnen und für sie da sein! so setzte er seine stummen Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte, war für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter dem Pole vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin führt, unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.

Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der oberen Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten Locken und mutwilligem Lächeln guckte herab, im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend roten Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es sein muss, so hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister übertroffen! Das lebt, das atmet! Wie die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Nöthe beider ineinander leuchtet und doch so sicher getrennt ist! Und dieser Glanz der vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da all das andere Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?

Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren; wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? Sieht man nicht den Busen atmen? die Finger und den runden Arm sich bewegen?

Und so war es auch in der Tat: denn in diesem Augenblick erhob sich das reizende Bild und warf mit dem Ausdruck schelmischen Mutwillens die Rose herab, die dem jungen Mann ins Gesicht flog, trat dann zurück und verschloss klirrend das kleine Fenster.

Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem Saale weglief und zu den höheren Zimmern des Hauses führte; die übrigen kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Galerie besuchen wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser Umstände erinnert hatte, dass die kleine Sophie in einem Zerrraume von vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? — Er drückte unbewusst und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer und bemerkte nicht, dass der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie, junger Mann? sagte er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat.

So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, dass ich Ihnen mit meinem Besuche lästig falle.

Wir sollten uns nicht so fremd sein, junger Freund, sagte der Alte herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, dass Sie mein Haus nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren ehemaligen Vormund, der es gewiss immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir gleich damals einige Differenzen miteinander hatten, so ganz zu vergessen?

Eduard ward rot und wusste nicht gleich, was er antworten sollte. Ich glaubte nicht, dass Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es könnte vieles, alles anders gewesen sein; allein die Irrtümer der Jugend —

Lassen wir das, rief der Alte im frohen Mut; was hindert uns, unsre ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie jetzt zu mir?

Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermutet in der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das in einem Bücherschränke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, dass es ein trefflicher Salvator Rosa sei.

So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten Blicken. Ei, das ist ein herrlicher Fund! Ein Glück, dass Sie es so unvermutet entdeckt haben. Ja, mein verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem Hause, und er wusste selber nicht, was er alles besaß.

Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht zu teuer ist.

Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in einer Verlassenschaft gefunden haben?

Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd, dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden Künstler vermuten ließen.

So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem stolzen, rauen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz neu, wenigstens gewiss nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.

Ich muss mich sehr über diese Anmaßung verwundern, rief Eduard aus, ganz aus aller Fassung gesetzt. Im Nachlasse meines Vaters befanden sich lauter gute Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther galten immer für die besten Kenner in der Stadt. Und was wollen Sie? Bei unserm berühmten Kunsthändler Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für welchen vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große Summe geboten hat. Man halte beide zusammen und man wird sehen, dass sie von Einem Meister sind und zusammen gehören.

So? sagte der Fremde mit langgedehntem Tone. Sie kennen also oder wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters vertraut und gebe Ihnen mein Wort, dass er diese Bilder nicht berührte, sondern dass sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen hintergehen will.

Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röte; Ihr Wort! Ich sollte denken, dass das meinige hier eben so viel, und noch mehr gelte!

Gewiss nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muss ich noch bedauern, dass Sie Sich so von Ihrer Hitze übereilen und verraten lassen. Sie wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks und kennen den nicht ungeschickten Nachahmer?

Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.

Der Geheimrat Walther war in der größten Verlegenheit, dass diese Szene in seinem Hause vorfallen musste. Er stand prüfend vor dem Bilde und hatte sich schon überzeugt, dass es eine moderne, aber treffliche Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, dass der junge Eduard in diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so heftig erzürnt, dass jede Vermittlung unmöglich wurde.

Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem Tone; Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, dass ein Zufall mich in diese Galerie geführt hat, um zu verhüten, dass ein würdiger Mann und Sammler hintergangen wurde.

Eduard schäumte vor Wut. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte begütigend der Alte.

Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe wert gefunden hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen sogenannten Salvator Rosa; der Eigentümer hielt ihn für echt und wurde noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein sehr vornehmer Mann sein konnte, einen hohen Preis für das Bildchen bot; er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen und bat sich vom Kunsthändler aus, dass dieser das Gemälde wenigstens vier Wochen nicht aus den Händen geben sollte. — Und wer war dieser vornehme Herr? der weggejagte Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So ist es klar, dass das Spiel, von wem es auch herrühre, auf Sie, Herr Walther, und Ihren Freund Erich abgekartet war.

Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder eingewickelt: er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur Türe hinaus und bemerkte nicht, dass das Mädchen wieder von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbeigezogen worden war.

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