Die Briefe des Heiligen Johannes (In Bibelstunden für die Gemeinde ausgelegt) – Wilhelm Friedrich Besser
In insgesamt dreizehn Bibelstunden referiert der deutsche lutherische Theologe Besser über die drei Briefe des Johannes. Diese gehören zu den katholischen Briefen des Neuen Testaments, von denen angenommen wird, dass sie zwischen 85 und 100 n. Chr. geschrieben wurden. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass alle drei Briefe von ein und demselben Autor verfasst wurden, auch wenn es umstritten ist, wer dieser Autor ist.
Format: Paperback, eBook
Die Briefe des Heiligen Johannes (In Bibelstunden für die Gemeinde ausgelegt).
ISBN: 9783849666125 (Paperback)
ISBN: 9783849662158 (eBook)
Auszug aus dem Text:
1. Unsre Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo.
Cap. 1, 1 – 4.
Herr Jesu, unsre Freude laß völlig seyn durch den Glauben an Dein Wort. Amen.
Das Evangelium des heiligen Johannes hat mit der Freude des Bekenntnisses: „Wir sahen Seine Herrlichkeit“ uns erfüllen wollen, und wenn anders unsre vorigen Bibelstunden nicht vergeblich an uns gewesen sind, so tragen wir das Bild des eingebornen Sohnes, des ewigen und fleischgewordenen Wortes, als das Bild der Herrlichkeit Gottes, lebendig in der Seele. Es hält uns noch fest; es reizt uns, stets von neuem an dieser Herrlichkeit uns zu ergötzen; wir sind noch voll vom Evangelium Johannes und wünschen, daß sein wundersüßer Ton in uns nimmer verklinge. Wohlan, so bringen wir Herzen mit, welche taugen zum Hören der Stimme desselben Apostels, wie sie in seinen Briefen laut wird. Denn diese Briefe sind geschrieben, um den Eindruck des Evangeliums in den Herzen der Leser zu befestigen und die Bäche des ewigen Lebens, welche im Evangelium fließen, recht reichlich in den Wandel der Gemeinde zu leiten, auf daß sie mit Ueberwinder-Kraft den hereinbrechenden Irrlehren widerstehen und der sie bereits beschleichenden Trägheit sich erwehren möge. „Wider beide Uebel handelt allhier der Apostel“, sagt Luther im Eingange seiner (größeren) Auslegung des ersten Briefs, „und treibt uns zur Bewahrung des Worts und zur Liebe untereinander an. Der Teufel ist immer geschäftig, darum ist der Gebrauch des göttlichen Worts, die Ermunterung zu selbigem, die Uebung darinnen allzeit vonnöthen. Es ist ein lebendiges und kräftiges Wort, wir aber schnarchen und sind faul; es ist ein Wort des Lebens, wir aber sind täglich im Tode. Und weil wir niemals ohne Sünden und Gefahr des Todes sind, so sollen wir auch niemals von der Wiederkäuung des Worts ablassen. Und also ist diese Epistel ermahnungsweise geschrieben.“
Bei der Auslegung des Evangeliums haben an vielen Stellen Aussprüche der Briefe uns Hülfe geleistet; jetzt werden wir finden, daß die Briefe ganz von der im Evangelium strahlenden Herrlichkeit durchleuchtet sind, etwa wie ein Krystallwürfel die Strahlen der Sonne auffängt und zu einem Strahlenbilde sammelt. Und zwar geht es hier recht nach dem Liedesworte: „Ach bleib mit Deinem Glanze bei uns, Du werthes Licht, Dein Wahrheit uns umschanze, damit wir irren nicht!“ Die Irrlehrer-Art, deren Regung der heilige Paulus schon im 2ten Thessalonicherbriefe geschäftig sieht und die er in seinem letzten Briefe, dem zweiten an Timotheus, bekämpft, indem er darin seinem Nachfolger Johannes gleichsam die apostolische Abschiedshand reicht, sie war nun mit Macht auf den Plan getreten zur Verwüstung der Kirche (Cap. 2, 18. vergl. mit 2 Thessal. 2, 7.): gegen ihre Lügen die Kirche mit dem Wort der Wahrheit zu umschanzen, das war der dem heiligen Johannes vorbehaltene Dienst in der „letzten Stunde“, und Evangelium und Briefe miteinander geben davon Zeugniß, daß er dieses Dienstes treu gewartet hat, damit wir wissen möchten, wo unsre Zuflucht ist, wenn auch für uns das böse Stündlein schlägt – und es hat geschlagen. Noch währt die letzte Weltstunde, und dem Ende aller Dinge sind wir um vieles näher gekommen; der Antichrist ist offenbar geworden, Irrlehrer in allerlei Gestalt haben den Weinberg der Kirche zerwühlt und treiben trotzig ihr teuflisches Wesen in der altgewordenen Welt; das Häuflein der Christen ist wieder fast so klein, wie es war, als Johannes seine Briefe schrieb: wir bedürfen in unsrer Noth apostolischer Hülfe – Halleluja, sie ist vorhanden! Johannes ist auch unser Apostel und Prophet, er ist der apostolischen Kirche Apostel bis ans Ende ihrer Ritterschaft, so wahrhaftig sein Name: Johannes funkeln wird als Edelstein auf den Gründen der neuen, ewigen Stadt. – Das Verhalten seiner beiderlei Schriften, des Evangeliums und der Briefe, zueinander mögen wir auch so bezeichnen: das Evangelium ist der Vordersatz, die Briefe sind der Folgesatz (ähnlich wie in unsern sonntäglichen Perikopenpaaren Evangelium und Epistel mit einander verbunden zu seyn pflegen). Weil das Leben erschienen ist und als wahrhaftiges Licht leuchtet, darum ziemet es uns, in Lebens- und Lichtgemeinschaft mit Ihm zu wandeln. Der Epiphanie der Herrlichkeit Jesu entspreche die Epiphanie der Herrlichkeit Seiner Gemeinde! „Wenn Jehovah man genennet, wird nichts Höhers mehr erkennet, als die Herrlichkeit der Braut.“ Wir sahen Seine Herrlichkeit, so sehe Er nun unsre Herrlichkeit, denn „gleichwie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt“ (Cap. 4, 17.). In Summa: unser Leben sey ein Leben in der Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo.
Dies sey vorausgeschickt und damit der gerade Weg gewiesen zum fruchtbaren Gebrauche der Briefe des heiligen Johannes. Je fleißiger du Erbauung suchst in Johannes Evangelium und in den heiligen Gedankenaufschwung desselben dich einlebst, desto gesalbter wirst du werden zum Verstehen der Briefe; und wiederum, je treulicher du der Briefe Ermahnung hörst und lernst, desto herrlicher und köstlicher wird dir das Evangelium werden und du wirst desto größere Lust und Liebe dazu finden. In diesem Sinne wollen wir nun in unsern apostolischen Text eingehen. War dieser Brief für die Ephesinischen Empfänger des Evangeliums etwa auch nicht ein „Zueignungs – und Begleitschreiben“, so sey er’s doch für uns. Die Gnade des Heiligen Geistes sey mit uns, der Thürhüter thue unserm Anklopfen die Schrift auf. Amen.
Der heilige Johannes, durchleuchtet von der Herrlichkeit des erhöheten Menschensohnes, rein durch Sein Gnadenwort und tägliches Vergeben, entzündet von dem Feuer Seiner göttlichen Liebe zu nacheifernder Liebe gegen die Brüder und Alle, die verloren sind ohne Ihn; anbetend Seine göttliche Majestät und leutselige Freundlichkeit, umschauend auf der Erde, diesem Felde voller Todten, die da meinen, sie leben; vor Augen den brüllenden Löwen, der umher würgt mit Lügen und Mord; aus schmerzlicher Erfahrung und göttlicher Offenbarung wohlbekannt mit der Tiefe, Kraft und Masse des sündlichen Verderbens, welches im Fleische wohnt, und erwägend die Ewigkeit der Verdammniß der für die ewige Seligkeit geschaffenen unsterblichen Seelen: – in die Ewigkeit hinaus wendet er unsern Blick, damit das Anschauen dessen, der ewig und allmächtig ist, unsre Seelen bewege Ihm zuzutrauen, daß Er aus dem ewigen Tode helfen, daß Er allein erretten kann; zugleich aber hinunter in die Tiefe Seiner Erniedrigung, zur Zeit Seiner Erscheinung auf Erden, wo die Apostel Ihn gesehen und mit ihren Händen betastet haben in Seiner Knechtsgestalt, die Er angenommen. Seine Heilandswilligkeit zu bethätigen und zu bezeugen, und zwar mit einem menschlich handgreiflichen Zeugniß, auf daß kein Zweifel ein blödes Gewissen abhalten möchte zu Ihm seine Zuflucht zu nehmen, jetzt im Glauben, um einst Ihn auch zu schauen in reiner Seligkeit mit Johanne und Allen, die durch das apostolische Wort Gemeinschaft haben mit dem Vater und untereinander. So hebt er seinen Adlersflug, wie im Anfang des Evangeliums, von neuem an von der Gotteshöhe der Ewigkeit, wo unser Heil entspringt, uns mit sich zu nehmen in Jesu Christo hin zur Ewigkeit, wo unser Heil sich vollendet.
V. 1. Das da war von Anfang, das wir gehört haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschaut haben, und unsre Hände betastet haben: vom Worte des Lebens – (verkündigen wir euch, V. 3.). Der Gegenstand seiner evangelischen Verkündigung steht in überschwänglicher Herrlichkeit vor einer anbetenden Seele: recht hell will er denselben uns vor Augen stellen, zur Mitfreude recht nahe bringen. Das Wort des Lebens: das ewige Wort, welches im Anfang war und in Ihm war Leben, lauter Leben (Ev. Cap. 1, 4), und welches Fleisch ward, damit Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des Lebens, erscheinen und von Jüngeraugen gesehen werden möchte: dies ist ja der Inhalt der johanneischen Verkündigung. Das, was der Apostel zu verkündigen hat, ist jenes von Ewigkeit Seyende und in der Zeit Erschienene, wovon ein Herz voll ist, das Wunderbare, dessen Name in dem Wunderbaren, in Gottes und Marien Sohne, offenbar geworden.1) Vergl. Luc. 1, 35. Anstatt: Der da war, schreibt er: Das da war von Anfang, das wir gehöret haben, damit recht deutlich erkannt werde, wie nahe Christus und die Predigt von Christo mit und bei einander sind, so nahe, wie Sonnenglanz und Sonnengluth. Die in der Fülle der Zeit erschienene Sonne strahlte schon rückwärts in die Vergangenheit, da die Gläubigen Ihn hatten im Wort der Verheißung, und sie strahlt hinein in die Zukunft, wir haben. Ihn wieder im Wort des Evangeli. Von Christo redend, darf man mithin zugleich im Maskulinum und im Neutrum reden: was wir hörten, das war Er; was wir sahen, das war Er; was wir (Christen) jetzt noch reden und hören, das ist Er, oder darinnen und darunter ist Er. Rede ich von einem Menschen, so ist der nicht bei der Rede, das Geredete ist etwas Anderes, als die beredete Person, obgleich meine Rede wahr seyn mag; rede ich aber, und zwar richtig, von Christo, so ist Christus wahrhaftig bei meiner Rede, und ist, was ich rede. Vergl. Ev. 8, 25. Von Anfang war das Wort des Lebens; nicht einen Anfang hat Es genommen, sondern Es ist der lebendige Anfänger aller Dinge. Dem heiligen Johannes, den die Jesusliebe im Suchen in der Schrift unterwiesen hat, war das erste Schriftwort (1 Mos. 1, 1.) tief ins Herz gedrückt. Und der Christum erkannte, wie Er von Anfang war als das ewige, schöpferische Wort; der Ihn mit Augen seliger Freude sah als das im Fleische gekommene Wort, in der Mitte der Zeiten: der ist auch gewürdigt worden im Geist Ihn zu schauen, wie am Ende Er kommen wird, wenn Sein Name: „das Wort Gottes“ leuchten wird in richterlicher, die Welt verzehrender Herrlichkeit (Offenb. 19, 13.). Dasselbige Wort, das von Anfang war, der eingeborne Sohn, ist Fleisch geworden, und die Apostel sahen Seine Herrlichkeit. Hiebei verweilt Johannes mit großem Zeugenernste. Es ist ihm ein inniges Anliegen, die Selbigkeit des Menschen Jesus Christus mit dem uranfänglichen Worte des Lebens zu bezeugen und die Phantasten Lügen zu strafen, welche Jesum von Nazareth und das Wort des Lebens auseinanderreißen und auf einem Wege neben Bethlehem und Golgatha vorbei des göttlichen Lebens habhaft werden wollten. Auch im Evang. Cap. 19, 25. und 21, 24. beruft sich Johannes mit sonderlichem Nachdruck aus das Sehen und Hören (vergl. zugleich Offenb. 22, 8.); als gewisser, unverwerflicher Zeuge tritt er für die Wahrhaftigkeit seiner Verkündigung ein: Das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschauten und unsre Hände betasteten. Er häuft die Ausdrücke, denn er kann dem Bedürfnisse seiner Liebe kaum genug thun, die Offenbarungsfreudigkeit des Sohnes Gottes, Seine willige Herablassung ins Fleisch zum Wohnen unter uns voller Gnade und Wahrheit zu preisen. Vom Hören zum Sehen, vom Sehen zum Beschauen, vom Beschauen zum Betasten steigt Stufe um Stufe aufwärts seine immerjunge Erinnerung an jene Gnadenzeit, da die Jünger aus dem Munde Jesu Worte des ewigen Lebens gehört, mit ihren Augen Ihn und Seine Werke väterlicher Kraft gesehen, und durch solch Hören und Sehen gezogen beschauten mit dem weilenden Blicke der Liebe Seine Herrlichkeit und betasteten mit ihren Händen den Leib des Lebens, der gestorben am Kreuze hing und der auferstanden und aufgefahren ist gen Himmel (Evang. Cap. 20, 27; Luc. 24. 39.).
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