Die Gottesfreundin

Die Gottesfreundin – Karl Gjellerup

Ein historischer Roman und die Geschichte einer Liebe zwischen Häresie und Inquisition. Der dänische Schriftsteller Gjellerup erhielt im Jahre 1917 den Literaturnobelpreis.

Die Gottesfreundin

Die Gottesfreundin.

Format: eBook

Die Gottesfreundin.

ISBN eBook: 9783849655471.

 

 

Auszug aus dem Text:

Das Burgzimmer ist klein und beklommen.

Ein gemischter, häuslicher Geruch von Eingemachtem, frischer Wäsche, Lavendel, Salbei, Gewürz und getrockneten Kräutern erfüllt es. Durch das offenstehende Fenster dringt nur wenig Luft herein, und die ist heiß und schwer, mit Rauchdunst beladen.

Die Frau, die an die zurückgeschlagenen Butzenscheiben gelehnt steht – eine noch jugendlich-schlanke Gestalt – blickt in das Tal hinaus, dessen regungslose weißgelbe Kornfelder etwa eine halbe Meile entfernt von tannendunklen Hügeln eingefaßt werden. Ein gemächlich dahingleitendes Flüßchen durchzieht es in großen Schleifen.

Unten, wo die Felsmasse, auf der die Burg steht, steil herabstürzt, drängen sich die Schindeldächer des Städtchens zusammen. Im Schatten zweier mächtiger Roßkastanien watet eine Brücke gar gewaltig auf steinernen Pfeilern bis zur Mitte des Flußbettes hinaus, um dann dort, wo die Flut im Sonnenlichte glitzert, auf Holzstelzen bescheiden das diesseitige Ufer zu erreichen. wo das Wasser am schattengrünsten ist, blinkt ein Goldstreifen – die Spiegelung eines Wirtshausschildes, das sich hinter dem Laube verbirgt.

Vom stämmigen Kirchturme läutet die Vesperglocke.

Ein liebliches, idyllisches Bild! Aber die schöne Burgfrau, die es betrachtet und dabei oft mit ungeduldigen Blicken den die Burgklippe erklimmenden Weg absucht, sie weiß nur zu wohl, warum dieser Anblick keine friedliche Stimmung bei ihr auslöst. Nur zu lebhaft fühlt Frau Renata, wie dies Abendläuten sie an ein Sterbeglöcklein gemahnt; und der bläuliche Dunst, der, aus hundert Schornsteinen sich emporfädelnd, über dem Neste lagert, kommt ihr wie das Fangnetz einer ungeheuren Spinne vor.

Sogar das wie Dukatengold aufglitzernde Wasserbild des sich verbergenden Wirtshausschildes erscheint ihr als ein freches Späherauge, das bis in ihr Geheimgemach dringt, an dessen niedriger Deckenwölbung die Reflexe spielen.

Noch einmal durchforscht ihr Blick die verschiedenen Windungen des Pfades, die zwischen Felsstücken und Buschwerk sichtbar sind.

»Wenn er nur bald zurückkäme!«

Mit diesem Stoßseufzer wendet sie sich in das Zimmer.

Fast ein Drittel davon ist durch die offenstehende Tür eines großen Eichenschrankes verdeckt.

Vor diesem kniet ein junges Mädchen. Ein Ritterfräulein scheint sie zu sein, obwohl ihr Werkeltagskleid recht einfach ist. Sie ist eifrig damit beschäftigt, einen Koffer und ein paar Sattelsäcke mit Sachen voll zu packen, die sie aus dem Schranke hervorgeholt hat. Auf einem Tische neben ihr liegt Wäsche, stehen Büchsen und Flaschen. Ein Stuhl trägt einen offenen Ebenholzschrein.

»Renata,« sagt sie aufblickend und ein paar schwarze Locken sich aus der Stirn streichend, – »wenn uns der Meier nun die Nachricht bringt, daß es wirklich der schwarze Tod ist, gehst du dann auch zu den Kranken hinunter?«

»Gewiß.«

»Ich auch. Ich begleite dich.«

»Nein, du bleibst hier, Gertrud. Du könntest zu leicht angesteckt werden, denn du fürchtest dich.«

»Und wer sich nicht fürchtet, der wird auch nicht angesteckt?«

»Wenn die Lebensgeister gesund sind, so wehren sie die bösen Kräfte ab. Aber wenn du von Angst geschüttelt wirst, dann ist deine Imaginatio schon krank und bindet die Lebenskräfte in Ohnmacht. Das ist, wie wenn ein Zauberer sie mit seinem Willen bannte, daß sie sich nicht rühren können, und die Krankheit dringt in deinen Körper ein, wie der Feind in eine Festung, wenn die Wache schläft. So ist das zu verstehen, und deshalb kann ein Furchtsamer nicht mitgehen, wo solche teuflische Krankheiten wüten.«

»Und du? Du fürchtest dich also wirklich gar nicht? Wie ist das möglich?«

»Ich weiß nicht, vielleicht mache ich mir wenig daraus, ob ich krank werde und sterbe«

Die großen schwarzbraunen Mädchenaugen starren Frau Renata an mit einem Blick, in dem der Ausdruck scheuer Bewunderung sich mit dem ausgesprochenen Gefühl des Unheimlichen mischt.

…..

 

 

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