Die Heiteretei und ihr Widerspiel

Die Heiteretei und ihr Widerspiel – Otto Ludwig.

“Die Heiteretei” zeigt eine emanzipierte alleinerziehende Tagelöhnerin, die sich gegen die weiblichen Honoratioren der Stadt Luckenbach stellt, die ihr einzureden versuchen, der Schreinermeister “Holder’s Fritz” plane sie zu ermorden, und sie damit zwingen wollen, ihre offensiv vertretene Selbständigkeit aufzugeben.

Die Heiteretei und ihr Widerspiel

Die Heiteretei und ihr Widerspiel.

Format: eBook

Die Heiteretei und ihr Widerspiel.

ISBN eBook: 9783849656355.

 

Auszug aus dem Text:

 

»Auch zum Gründer Markt, Dorle?«

»Noch e bißle weiter, bis zum Zainhammer. Und sagt, Frau Dotin, ob Ihr was hinzubestellen habt. Vielleicht wieder was an den Herrn Faktor? Und dann gebt’s schnell. Dort wird man auch immer länger aufgehalten als nötig wär’. Und zu spät in die Nacht mag ich nicht.«

»Was das für ein Hastigtun ist!« sagte die Wirtin, vor deren Tür dieses Gespräch stattfand. »Man sollt’ meinen, die Mädle von jetzt, das wären erst Mädle. Na, ich bin auch eins gewest, und nicht das langsamst’; aber Zeit zum Atemholen hab’ ich mir alleweil noch gegönnt.«

»Ihr seid auch ein Mädle gewest?« fragte Dorle wie von Verwunderung überwältigt; denn die Wirtin war eine jener Gestalten, die man sich nicht jung denken kann. Die umherstehenden Männer brachen in ein Gelächter aus. Das Mädchen erschien in seiner treuherzigen Verwunderung noch frischer als sonst. Was für gottlose braune Augen sie im Kopfe hat! dachte der Schneider, und ohne Umstände hätte er ihr einen Kuß gegeben, wenn er gewußt hätte, wie das anfangen. Er hatte schon während des ganzen Gesprächs darüber nachgesonnen, allein vergebens. Das Mädchen war hochaufgeschossen, eines ganzen Kopfes länger als der kleine Mann. Selbst auf den Zehen stehend, hätte er nicht über das Grübchen unter ihrem Halse hinaufgereicht. Und ihren Kopf zu sich herabziehen zu können, hätte er viel stärker sein müssen, oder sie viel schwächer.

Des Mädchens Augen lachten jetzt so ehrlich, wie vorhin schalkhaft, als es sagte: »Nichts für ungut, Frau Dotin. Hab’s nicht schlimm gemeint. Ihr müßt denken, heut ist der Gründer Markt; da wird aus manchem ehrlicher Leute Kind ein Spitzbub.«

»Du bist ein Spitzbub das ganze Jahr,« sagte die Wirtin. »Kann sein, daß was da ist für den Herrn Faktor!« Und sie hinkte durch Einfahrt und Hof in ihr Wirtshaus hinein.

Des Schneiders Augen ließen den blonden Zopf und die vollen Lippen des Mädchens los und senkten sich auf ihren Schiebkarren hinab, und verwundert über die Tüchtigkeit des Fuhrwerks und des Strickes darauf fragte er: »Aber was willst du dir nur holen damit?«

»Einen Mann,« lachte der Schmied.

»Einen Schmied,« entgegnete das Mädchen ernsthaft. »Die muß man mit Stricken binden, wenn sie vom Markt heim nicht in jedem Wirtshaus einkehren sollen.«

»Die Schneider nicht?« fragte der Schneider fast neidisch.

»Auch,« sagte das Mädchen; »nicht wegen der Wirtshäuser, nur daß sie der Wind nicht vom Schiebkarren bläst.«

»Du mußt den Holder-Fritz frein,« hustete der Weber. »Wenn Ihr einen Jungen kriegt, der jagt den Kirchturm von der Kirch’ und zur Stadt hinaus.«

»Das käm’ zu spät,« sagte das Mädchen ruhig. »Bis dahin habt Ihr ihn hinausgehustet.«

»Wo stellt Ihr ein auf dem Markt, Annedorle?« fragte der Schmied. »Heimwärts führen wir uns.«

»Ihr werdet wohl einen brauchen, der Euch führt,« sagte das Mädchen, »ich nicht.«

Die Wirtin kam mit einem Paketchen heraus, das schnell auf dem Schiebkarren seinen Platz fand. Die Männer hießen das Mädchen warten; sie würden gleich mitgehen. Gute Unterhaltung sei halber Weg.

»Das glaub’ ich,« sagte das Mädchen, »und drum geh’ ich allein. Wenn ich wieder etwas an Euch mitkriege dort, Frau Dotin, komm ich auf dem Rückwege herein. Und es soll mir nicht darauf ankommen, so kriegt Ihr einen gebackenen Mann von mir zum Markt. Gott zum Gruß, Frau Dotin.«

Die letzten Worte kamen schon aus einiger Entfernung. Das Mädchen war schneller und leichter auf den Füßen, als man der großen Gestalt zugetraut hätte. Unwillkürlich sahen ihr alle nach.

»Immer heiter,« hustete fast ärgerlich der Weber hinter ihr drein.

»Dafür heißt sie auch die Heiteretei,« lachte die Wirtin.

Der Schneider sann über etwas, dann sagte er: »Man sollt’ doch keinen eher taufen, als bis man ihm einen Namen geben könnt’, der auf ihn paßt. Da würd’s nicht vorkommen, daß ein Spaßvogel Ernst und ein Saufaus Nüchtern hieß, und man wüßt’ gleich, wenn man nur den Namen hört, wie der Mann beschaffen ist. Heiteretei! Guckt! Der Name tanzt ordentlich wie das Mädle selber«.

»Da sorgt ja,« sagte der Schmied, »daß Ihr einmal Eure Mädle, wenn Ihr welche habt, auf die Art taufen laßt. Wenn sie sonst niemand aufzieht, können sie mit ihrem Namen tanzen. Aber wer was Aparts an sich hat, dem braucht’s nicht leid zu sein darum, den taufen die Leut’ ohnehin noch einmal.«

Auf des Schneiders Gesicht hätte man lesen können, daß die Rede des Schmieds auf ihn gemünzt war, wenn es auch das Lachen der übrigen nicht verraten hätte.

Er seufzte nämlich trotz seiner dreißig Jahre noch unter der Tyrannei einer baumlangen Stiefmutter. Sie nannte ihn nicht anders als den »Jung«. Natürlich hieß er von Stund an, wo dies bekannt wurde, im ganzen Städtchen so. Man erzählte sich, sie behandle ihn durchaus jenem Ausdrucke entsprechend. Und mehr als einer wollte gesehen haben, wie die starke Frau ihn über einen Stuhl gelegt, ihm die Höslein mit der Linken straff gezogen, während ihre Rechte die Festigkeit eines spanischen Rohres an dem Teil gemessen hätte, auf dessen Ausdauer bei der Schneiderei soviel ankommt. Aber was will nicht der und jener Spottvogel gesehen haben, den ein Verhältnis der Art zum Weiterausmalen einlud! Freilich, wenn der Schneider zuweilen wie ein Pfeil aus der Haustür herausschoß und dann hineindrohte: »Respekt muß im Hause sein!« dachten die Vorübergehenden dazu: »Aber jetzt steht er vor der Tür.«

Der Schneider achselzuckte ein stummes: »Man kennt den Morzenschmied, was für ein Schabernacker der ist, so duchsig er tut.«

Die Wirtin aber erinnerte der fliegende Saum des rotflanellenen Unterrocks, der eben um die Straßenecke verschwand, wieder an die Heiteretei. »Aber sie könnte«, sagte sie, »ebensogut die Bravetei heißen als die Heiteretei. Denn: kein braver Mädle im ganzen Städtle, wie der blinde Orgelmann singt; wennschon ein bißle wunderlich dabei. Wie ihre ältere Schwester Mutter geworden ist von dem dicken Semmelbeck in der Stadt, wo sie gedient hat, da hat die Heiteretei sie fortgeholt und hat ihr einen andern Dienst verschafft, ich weiß nicht, wo, aber weit von hier. Wenn du fünf Jahre dich ordentlich gehalten hast, hat sie zu ihr gesagt, dann will ich wieder deine Schwester und soll das Liesle dein Kind wieder sein. So lang’ aber kommst du mir nicht wieder ins Häusle, daß du’s weißt. Das Kind aber hat sie behalten, und nicht viel Mütter sind so brav gegen ihr eigen Kind, wie die Heiteretei gegen das Liesle ist.«

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter L, Ludwig-Otto, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.