Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon

Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon – Alphonse Daudet.

Der erste Teil des Tartarin-Zyklus ist zugleich der berühmteste. Der Roman ist geschrieben im Ton spöttisch-übertriebener Bewunderung für den “heldenmütigen” Tartarin. Daudet nennt den “wackeren, kleinen Rentner” fortwährend ironisch “großer Mann”, “Teufelskerl”, “der unerschrockene, der unvergleichliche Tartarin”. Doch er ist nur ein Aufschneider und Säbelrassler, ein Maulheld, der kaum je aus seiner Vaterstadt herausgekommen ist und seine Abenteuer nur in der Fantasie erlebt. Aber “der Südländer lügt nicht, er erliegt einer Täuschung.” Daudet beschreibt Tartarin als Don Quijote und Sancho Pansa in einer Person – hin und her gerissen zwischen Abenteuerlust und wehleidiger Bequemlichkeit.

Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon

Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon

Format: eBook

Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon

ISBN:  9783849652852

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Der erste Besuch, den ich Herrn Tartarin in Tarascon abstattete, war für mich ein Ereignis, das ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Es sind seitdem zwölf bis fünfzehn Jahre vergangen, aber ich erinnere mich an alles noch so genau, als wäre es gestern gewesen. Der unerschrockene Tartarin wohnte damals ziemlich am äußersten Ende der Stadt, im dritten Hause linker Hand an der Straße, die nach Avignon führt. –Es war eine hübsche, kleine tarasconische Villa mit einem Vorgarten, einem Balkon auf der Rückseite, mit sehr weißen Mauern und grünen Fensterläden. Auf der Treppenstufe vor dem Eingange lagerte gewöhnlich eine ganze Bande kleiner Savoyarden, die ihre Zeit mit Murmelspielen totschlugen, oder auch, wenn die Sonne gar zu heiß schien, die Köpfe auf ihre Kasten mit Stiefelwichse lehnten und sanft und selig schlummerten.

Von außen hatte das Haus also gar nichts so Absonderliches und Außergewöhnliches und nach diesem äußern Eindrucke würde man auch niemals auf die Vermutung gekommen sein, vor der Wohnung eines Helden zu stehen.

Wenn man das Haus aber betrat – Himmel und die Welt! Wie sah es da aus!

Vom Keller bis zum Boden hatte das ganze Gebäude etwas Großes, Mächtiges, Heroisches; sogar der Garten war davon angehaucht!

Solch einen Garten wie den Tartarins gibt es überhaupt nicht zum zweiten Male in ganz Europa. Da war nicht ein inländischer Baum, nicht eine einheimische Pflanze, da gab’s nur exotische Gewächse, Gummibäume, Flaschenkürbisse, Baumwollenpflanzen, Kokospalmen, Magnolien, Bananen, Fächerpalmen, einen Baobab, Feigenbäume, Kakteen – man hätte meinen mögen, man befinde sich mitten in Afrika, was von Tarascon bekanntlich so ungefähr zehntausend Wegstunden entfernt ist. Alle diese Bäume und Sträucher waren selbstredend hier nicht in natürlicher Größe zu sehen – so waren die Kokospalmen z. B. nicht größer, als es gemeiniglich die roten Rüben zu sein pflegen, und der Baobab, der doch schon zu den Riesenbäumen zählt, ging bequem in einen Resedatopf; aber das ist doch schließlich gleichgültig und auch völlig nebensächlich. Für Tarascon war es so, wie es nun einmal war, jedenfalls sehr hübsch, und die Leute aus der Stadt, die an Sonn- und Feiertagen die Ehre hatten, Tartarins Baobab zu betrachten, waren stets des höchsten Lobes voll und traten dann befriedigt und bewundernd wieder den Heimweg an. Man kann sich nun einigermaßen vorstellen, welch tiefes Gefühl der Bewunderung und des Staunens mich erfüllte, als es mir zum ersten Male vergönnt war, diesen Wundergarten zu durchwandern. Und dennoch wurde dieses Gefühl noch gesteigert, als ich das Kabinett des Helden betrat.

Dieses Kabinett, eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, lag zum Garten hinaus; durch eine Glastüre genoß man den Anblick des Baobab.

Man denke sich einen ziemlich großen Raum, dessen Wände von oben bis unten mit Flinten und Säbeln bedeckt sind. Da sah man Waffen aller Zeiten und Länder, Karabiner, Rifles, Tromben, korsische Messer, Bowiemesser, Revolver, Dolche, malaiische Krise, karaibische Bogen, Speere, Totschläger, Keulen, mexikanische Lassos und viele andere ähnliche Dinge. Von oben fiel ein heller Sonnenstrahl auf alle die Waffen, so daß die Degenklingen und Gewehrläufe blitzten und blinkten und man eine Gänsehaut bekommen konnte; was einen jedoch wieder etwas beruhigte, war die Ordnung und Sauberkeit, die in diesem Privatzeughaus herrschte. Alles war geordnet und sorgsam geputzt, und etikettiert wie im Apothekerladen. Hier und da hing an einem Gegenstande ein kleiner Zettel, auf dem zu lesen war:

Vergiftete Pfeile! Nicht berühren!
Geladene Waffen! Vorsicht!…..

 

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