Erzählungen

Erzählungen – Jeremias Gotthelf

Jeremias Gotthelf war das Pseudonym des Schweizer Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius. Seine Werke spiegeln in einem zum Teil erschreckenden Realismus das bäuerliche Leben im 19. Jahrhundert. Mit wenigen starken, wuchtigen Worten konnte er Menschen und Landschaften beschreiben. Gotthelf verstand es wie kein anderer Schriftsteller seiner Zeit, die christlichen und die humanistischen Forderungen in seinem Werk zu verarbeiten. Dieser Band enthält die Erzählungen “Elsi, die seltsame Magd”, “Das Erdbeerimareili”, “Barthli der Korber”, “Der Besenbinder von Rychiswyl” u.v.a.

Erzählungen

Erzählungen.

Format: eBook

Erzählungen.

ISBN eBook: 9783849655525.

 

 

Auszug aus “Das Erdbeermareilli”:

Peter Hasebohne, Hase-Peter genannt, war noch nicht lange in der Gemeinde Holderberg und schon Gerichtsäß geworden. Er hielt sehr viel darauf, und eher hätte der Sonntag gefehlt als Peter Hasebohne in der Kirche. Damals hielt man dafür, und jetzt noch täte man wohl daran, der, dem seine Nachbarn ein Ehrenamt anvertrauten, der sei vor aller Welt als Ehrenmann gestempelt und besiegelt. Je höher man das Geld schätzt, desto geringer schätzt man die Ehre, vide Exempel an Völkern und Menschen! Je gieriger man nach bezahlten Ämtern jagt, desto geringer schätzt man und desto mehr verlacht man Ehrenämter, und wer einen wohlbezahlten Posten kriegt, wird siebenmal hochmütiger als früher ein Ehrenmann bei seinem Ehrenamt. Ein Gerichtsäß mußte in seinem Bezirke versiegeln, wo nämlich etwas zu versiegeln war.

Eines Morgens ward Peter Hasenbohne in den Tschaggeneigraben gerufen. Das Erdbeerimareili sei gestorben, er müsse versiegeln, so lautete die Botschaft. Im Tschaggeneigraben war er noch nie gewesen; vom Erdbeerimareili hatte er wohl so im Vorbeigehen gehört, kannte aber weder dessen Umstände noch dessen Person. Die Versäumnis kam ihm ungelegen, er brummte, was es sich nötig hätte, bei solchen Personen zu versiegeln. Indessen, Peter Hasebohne ging, denn er war ein Mann, der sein Amt zu hoch hielt, um dessen Pflichten zu versäumen. Er machte zwar keine Gesetze, alle Tage andere nach Laune und Vorteil, und hielt keine; er bürdete nicht unerträgliche Lasten auf, die er selbst mit keinem Finger berührte; aber die Gesetze, welche für ihn gemacht waren und auf die er beeidigt war, hielt er, denn er war ein Ehrenmann und ein Christ. Peter Hasebohne wußte nichts von »Gesetze hin, Gesetze her, Reglemente hin, Reglemente her«, er trieb nicht Schindluder mit Eid und Gewissen.

Das Erdbeerimareili wohnte an einem wüsten Orte im Tschaggeneigraben zhinterst, wo Füchse und Hasen einander gute Nacht sagen, lauter Weid und Wald, kaum ein eben Plätzchen einer Hand groß ist. Als der wohlachtbare Gerichtsäß hinkam, fand er zu seiner großen Verwunderung keine strube, verwahrloste Hütte, sondern eine wohlerhaltene mit ganzen Fenstern, ganzem Dach, und sauber wars darum herum. Das Stübchen glich auch keinem Stall, manche Bäurin hätte ein Exempel daran nehmen können von wegen der Reinlichkeit. Nachbarsleute waren da wie üblich, ein schlankes Mädchen weinte sehr. Zwei wohlgepflegte Katzen strichen demselben knurrend und tröstend um die Beine, und im Bette lag das tote Erdbeerimareili bereits eingenäht. Es schien, als schliefe es nur, so friedlich lag es im saubern Bette. Im ganzen Stübchen sah es nicht armütig aus. In einer Kommode und einem großen Schranke, welche zu versiegeln waren, fanden sich schöne Kleider, reichliches Leinzeug, Schmucksachen, Schriften und Geld in allen Ecken, in alten Strümpfen unter schmutziger Wäsche usw. Der Gerichtsäß schüttelte bedenklich das Haupt über den Reichtum in diesem abgelegenen Häuschen. Da werde Versiegeln nicht viel helfen, wenn niemand da sei als das Meitschi und jemand stehlen wolle. »Häb nit Kummer, Gerichtsäß«, sagte eine alte Frau. »Öppe alleine wird man das Meitschi nicht lassen, daneben wäre es das erstemal, daß hier gestohlen würde; das ist hie nicht wie in den Dörfern draußen, wo kein Nachbar dem andern seine Sache ruhig lassen kann und ein Strolch am andern hanget. Hieher kommen diese nicht, hier gibts für sie nichts zu schnausen. Aber wenn du den Todesfall beim Pfarrer angeben und das Grab bestellen wolltest, so wäre das uns anständig; es hat niemand Zeit, das zu verrichten, und dir geht es im gleichen Gang zu. Sag dem Pfarrer nur, es sei das Erdbeerimareili; er kennt es gut und weiß dann das andere schon.«

Der Gerichtsäß übernahm den Auftrag, und als er ihn ausrichtete, betrübte er den Pfarrer sehr. »Tot, das Erdbeerimareili«, sagte er, »und ich wußte nicht einmal, daß es krank war. Wieder ein Mensch weniger auf der Welt, der mir lieb war wegen seinem Gemüte.« Der Gerichtsäß berichtete, daß Mareili nicht eigentlich krank gewesen, sondern ausgeloschen sei wie ein Licht, und ganz friedlich, als ob es schlafe, in seinem Bette liege. Es müsse eine seltsame Person gewesen sein; er sage aufrichtig, wenn er schon Gerichtsäß sei und just nicht der Dümmst, so hätte er doch nicht gesucht, was er gefunden an Kleidern und Kleinodien und sonst alles so gut zweg. Dahinten sei es allweg zu solchen Sachen nicht gekommen; aber daß es mit solchen Sachen zuhinterst im Tschaggeneigraben, wo man selbst eine halbe Geiß sein müsse, um da wohlzuleben, habe wohnen mögen, das dünke ihn kurios. »Daneben hat mancher Mensch einen guten Grund, daß er sich nicht gerne vor den Leuten zeigt und lieber da ist, wo er niemand vor die Augen kommt und vielleicht gar meint, er sei auch unserm Herrgott aus dem Gesicht.«

»Nit, nit, Grichtsäß«, sagte der Pfarrer, »nicht immer das Böste geglaubt und der Nächste gerichtet! Wer vom Erdbeerimareili was Böses sagt, versündigt sich, Mareili war besser als Ihr und ich. Ja, Grichtsäß, so ists, und macht nur Augen wie zweizentnerig Käse, es bleibt doch so. Ein schöneres, reineres Gemüt wüßte ich in der ganzen Gemeinde nicht, Euere und meine Frau nicht ausgenommen.«

Wegem Pfarrer, daß Erdbeerimareili besser sein sollte, dagegen hätte Peter Hasenbohne nichts gehabt, aber daß es besser sein sollte als ein Grichtsäß, selb war starker Tubak. Der Pfarrer werde wohl wissen, was er rede; daneben wundere es ihn doch, was so Bsunderbares an der Person gewesen sei, daß es keine solche mehr geben solle wie die, sagte Peter Hasebohne. »Ja, mein lieber Gerichtsäß«, sagte der Pfarrer, »das war nicht so eins von denen, wie die Welt sie bald rühmt, bald richtet. Sein Leben war kein äußeres, welches in die Augen fiel, es prangte nicht mit Hoffart, verrichtete keine Heldentaten, weder mit dem Spieß noch mit der Zunge; sein Leben war ein inneres, sein Wesen war gering vor der Welt, und auf solche Wesen versteht die Welt sich nicht.«

Das werde sein, sagte Grichtsäß Hasebohne. Er habe schon mehr als sieben Jahre in der Gemeinde gewohnt und vom Erdbeerimareili nichts Apartes gehört. Daneben achte er sich des Geschwätzes der Leute nicht viel, er habe Besseres zu tun, als allem abzulosen. »Und hättet Ihr Euch auch dessen geachtet, Ihr hättet nicht viel gehört. Mareili war seit Langem nicht mehr in den Mäulern der Menschen, und doch, wenns nicht mehr ist, werden Viele es vermissen, Viele nach ihm fragen.«

Es nehme ihn doch jetzt dann bald wunder, was Merkwürdiges an der Person gewesen, sagte Peter. Den Kleidern an hätte er wohl gesehen, daß die einmal gute Zeiten müsse gehabt haben. Es wäre ihm anständig, wenn der Pfarrer Zeit nehmen wollte und es ihm verzählen. »Warum nicht«, sagte der Pfarrer; »es hat es wohl verdient, daß man ihm zu Ehren eine Stunde verbraucht, man braucht hundert unnützer. Da, Grichtsäß, ist Tabak, stopft eine Pfeife, von wegen, so was muß mit Verstand erzählt und angehört werden. Frau bring eine Flasche vom Bessern, Merliger Siebenundvierziger!«

Als alles eingerichtet war, um mit Behagen zu erzählen und zu hören, und die Frau Pfarrerin die Erlaubnis erhalten hatte, dazubleiben, weil keine geheime Verhandlungen obschwebten, und ihre Lismete in Gang gesetzt war, erzählte der Pfarrer, was folgt.

Vor vielen Jahren, ehe Ihr und ich von Holderberg etwas wußten, kam Mareilis Mutter hieher in den Tschaggeneigraben. Sie hatte mit ihrem Mann in Bern gelebt, wo derselbe einen schönen Verdienst hatte; Beide ließen sich wohlsein dabei. Da starb der Mann, eben weil er, wie man sagt, sich zu wohl sein ließ. Der Verdienst blieb dahinten, für die Zukunft war nicht nur nicht gesorgt, sondern auf die Zukunft hin verzehrt, was einen beträchtlichen Unterschied ausmacht. Was da war, nahmen die Gläubiger, bis an die Kinder. Mit diesen wußte die Mutter in der Stadt nichts anzufangen und kam mit ihnen der Gemeinde zu. Sie war eine gute Frau, gönnte Andern, was sie hatten, arbeitete, was man ihr in die Hand gab; aber unternehmend, angreiflich war sie nicht, hatte nicht besondere Einfälle, und hätte sie deren auch gehabt, so hätte sie doch nicht gewußt, wie dieselben ins Werk setzen. So hatte sie, als der Mann in Bern vollauf verdiente, in Bern eben nur gelebt und nicht geschafft. Sie hatte daher keinen Verdienst, der ihr blieb, stund mit niemand in Arbeitsverkehr, hatte daher keine Leute, welche Vertrauen in sie setzten, Erbarmen mit ihr hatten, sie konnte nicht mehr in der Stadt leben, sie mußte heim aufs Land. So geht es noch vielen Leuten, welche an einem Orte eben nur leben, durch keine bestimmte Tätigkeit einwurzeln; kommt ein Windstoß, bläst er sie fort.

Als die arme Witwe mit ihren Armseligkeiten in den Tschaggeneigraben kam, war es Frühling. Die Gemeinde hatte ihr für das erste Jahr den Hauszins versprochen und erklärt: Dernebe mueßt du luege, wie du dKing und dih dürebringst, das ist dy Sach. Das waren harte Worte, gaben der Frau zu denken, machten ihr das Herz schwer; sie hatte guten Willen, nur wußte sie nicht recht, was mit machen. Sie begriff, daß sie im Tschaggeneigraben nicht bloß leben konnte, daß sie, um zu leben, erst etwas vornehmen müßte. Was, das ist eine strenge Frage, wenn davon das Dasein abhängt, und besonders, wenn sie zum erstenmal jemand gestellt wird. Und hat man auch endlich das Was ersonnen, kommt erst noch das Wie und am Ende noch die Hauptsache, die Energie und das standhafte Ausharren, was so Wenigen gegeben ist. Die gute Frau sann manch lieben, langen Tag und ersann nicht viel. Sie pflanzte, wie auf dem Lande es üblich ist. Sie konnte dieses noch von ihrer Jugend her, doch gings mühsam. Das Land zum Pflanzen gaben gute Leute unentgeltlich, aber begreiflich nicht besser, als mans im Tschaggeneigraben hat. Aber Verdienst und Geld fürs Übrige hatte sie damit doch nicht.

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter G, Gotthelf-Jeremias, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.