Griechische Lyrik – Eduard Mörike
Mörike war ein exzellenter Kenner der griechischen und römischen Poesie und veröffentlichte mehrere Übersetzungen. Dieser Band beinhaltet viele seiner herausragenden Schriften.
Format: eBook
Griechische Lyrik.
ISBN eBook: 9783849656621.
Auszug aus dem Text:
Denken und nimmer vergessen Apollons will ich, des Schützen,
Den zum Palaste des Zeus eingeh’nd die Unsterblichen fürchten;
Und sie erheben sich alle sogleich, wiebald er herankommt,
Flugs von den Sitzen zumal, da den glänzenden Bogen er spannet.
Leto bleibet allein bei dem donnererfreuten Kronion,
Welche die Senn’ ihm sofort abspannt und den Köcher verschließet
Und von den mächtigen Schultern herab ihm dann mit den Händen
Nehmend den Bogen, ihn hängt an die Säul’ in des Vaters Gemache,
Auf an den goldenen Pflock; ihn führet sie aber zum Throne.
Nektar gibt ihm sodann in der goldenen Schale der Vater,
Bringend dem Sohn ihn zu, und die anderen Seligen setzen
Sich dann wiederum hin, und es freut sich die heilige Leto,
Daß sie den bogenbewehrten, den mächtigen Sohn sie geboren.
Heil dir, selige Leto, die herrliche Kinder geboren,
Phöbos Apollon, den König, und Artemis, die das Geschoß freut,
In Ortygia sie, doch ihn in der felsigen Delos,
An den gewaltigen Berg und den Kynthischen Hügel gelehnet
Neben dem Palmbaum an des Inopos strömenden Wogen.
Wie doch soll ich dich preisen, den vielfach preislichen Herrscher?
Denn allwärts dir, Phöbos, erschallt vieltöniger Jubel
Auf rindweidenden Triften des Festlands wie auf den Inseln;
Dir sind alle die Warten geliebt und die spitzigen Kuppen
Hoher Gebirg’ und hinab in das Meer sich ergießende Ströme
Und zu dem Meer gesenkte Gestad’ und die Buchten der Salzflut.
Sing ich, wie Leto zuerst dich gebar zu der Freude der Menschen,
Hin zu des Kynthos Berge gelehnt in der felsigen Insel
Delos, der meerumwogten? es rauscheten dunkele Wellen
Rings an das Land von dem Hauch scharfwehender Winde getrieben,
Von woher du entsprossen den sämtlichen Menschen gebietest.
Wie viel Kreta in sich faßt und das Volk von Athenae
Und Eiland Aegina und, segelberühmt, Euböa,
Aegae, Eiresiae auch und nahe dem Meer Peparethos,
Ferner der thrakische Athos und Pelions ragende Häupter
So wie die thrakische Samos und Idas schattige Berge,
Skyros auch und Phokaea mit Kanes hohem Gebirge,
Imbros, die trefflich bebaute sodann und die neblige Lemnos
So wie die herrliche Lesbos, der Sitz des aeolischen Makar,
Chios sodann, die der Inseln gesegnetste lieget im Meere,
Ferner der zackige Mimas und Korykos’ ragende Häupter,
Klaros, die glänzende, dann und Aesageas hohes Gebirge
Und die bewässerte Samos und Mykales ragende Häupter,
Auch Miletos und Koos, die Stadt der Meropischen Menschen
Und die erhabene Knidos und Karpathos windumwehet,
Naxos und Paros auch und die felsumstarrte Rhenaea:
Diese betrat allsamt Leto mit dem Bogner in Wehen,
Ob wohl eines der Länder dem Sohn Wohnstätte verliehe.
Aber sie fürchteten sich und bebeten; keins von denselben
Wagte den Gott zu empfangen, wie fruchtbar immer es wäre,
Ehe bevor nach Delos die heilige Leto gekommen;
Und sie befragend, begann sie zu ihr die geflügelten Worte:
»Delos, wenn du fürwahr doch ein Wohnsitz wolltest dem Sohne
Phöbos Apollon sein und den herrlichen Tempel empfangen!
Nicht ja wird dich berühren ein anderer oder dich ehren,
Reich nicht wirst du an Stieren, so deucht mir’s, oder an Schafen,
Noch auch bringest du Wein, noch sprossest du Pflanzen in Unzahl;
Hättest du aber den Tempel des fernhinschießenden Phöbos,
Brächten fürwahr dir alle die Menschen zumal Hekatomben,
Kommend zusammen hieher, und es dampfte der Opfergeruch stets.
[Immer ernährte der Gott, und die Himmlischen immer erhielten
Dich von den Händen der Fremden, da nicht dein Boden gesegnet.«]
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