Hass

Hass – Artur Landsberger

Landsbergers Kriegsroman aus dem Jahre 1915 sprüht vor Chauvinismus und setzte sich damals schon der aufsteigenden Ideologie entgegen. Der aus Berlin stammende und 1933 dort verstorbene Landsberger gehörte zu den meist gelesenen Autoren seiner Zeit.

Hass

Hass.

Format: eBook

Hass.

ISBN eBook: 9783849656195.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Es war einer der heißen Sommerabende in Luzern. Ende Juli neunzehnhundertundvierzehn.

Die Dinerstunde war vorüber.

Aus allen Hotels strömten die Gäste auf die Promenade.

Die Sprachen aller Herren Länder surrten durcheinander.

Am Straßenrand standen ein paar deutsche Touristen, rissen die Augen auf und bestaunten das glänzende Bild.

Von denen, die dies Bild stellten, schien sich keiner um den anderen zu kümmern. Jeder mied ängstlich den Schein, als achte er auf den anderen.

Aber wer genau hinsah, erkannte: die gleichgültige Geste war Verstellung. Jeder war interessiert und voll Neugier. Und dieser scheinbar ungezwungene Abendspaziergang war im Grunde nichts anderes als eine bewußte Schaustellung. Je zwangloser sich einer gab, um so gespreizter wirkte er.

Das wiederholte sich jedes Jahr, den ganzen Sommer über, Abend für Abend.

Ein-, zweimal ging man im gleichen Tempo, das keiner angab, und das doch jeder kannte, auf und ab. Die Herren im kurzen Smoking, den Strohhut im Genick, die Hände in den Taschen. Die Damen ohne Hut, das Diadem im Haar, kostbare Brillanten auf den Seidenschuhen, schwere Perlenschnüre unter dem Cape, das wie zufällig, raffiniert über die bloßen Schultern hing.

Wie auf ein Zeichen, das doch keiner gab, verschwand jetzt Gruppe nach Gruppe im Vorraum des Hotel National.

Der seit Wochen in aller Welt verkündete Concours dansant kam heute abend zum Austrag.

Der große Saal lag in einem Meer von Licht. In der Mitte war für die tanzenden Paare ein nicht eben breiter Raum gelassen. Unzählige kleine Tische bekränzten ihn, die bis an die bespiegelten Wände kreisförmig dicht beieinander standen.

An den Schmalseiten rechts und links war je ein bühnenartiger Aufbau. Auf dem einen spielte unter der beweglichen Leitung eines exotischen Maestro, in roten Fracks und schwarzen kurzen Seidenhosen, die berühmte Kapelle Cigellini; auf dem anderen saß hinter einem Tisch die Jury. Die Gattin eines Frankfurter Industriellen neben der Komtesse Ephrussi aus Paris; ein Berliner Assessor neben einem belgischen Baron; ein Wiener Sportsmann neben einem französischen Diplomaten.

Unten tanzten vier Paare um die Entscheidung.

An einem Tisch in der vordersten Reihe saß mit Bekannten der Staatsanwalt von Stoelping. Daneben stand der Kellner mit einer Magnumflasche Henckel trocken. Er öffnete, goß einen Schluck ins Glas, schnüffelte, verzog den Mund, kostete, schüttelte sich, sagte: » dégoutant!« und wandte sich ab.

»Nanu?« fragte Stoelping, »nach’m Proppen? Oder was is damit?«

» Mais non!« widersprach der Kellner – » pas du tout! Mais …«

»Nun?« fragte der Staatsanwalt ungeduldig.

Der Kellner zog die Schultern hoch und sagte: » Pardon, Monsieur, c’est seulement le gout du vi de Champagne d’ Allemagne, qui me frappe.«

Deutsche am Nebentisch, die Pommery Greno tranken und schlecht, aber ausschließlich Französisch sprachen, lachten spöttisch.

»Esel!« sagte Stoelping und nahm dem Kellner, der sich höflich verbeugte und erwiderte: » Je ne comprends pas, Monsieur!« die Flasche aus der Hand und goß selbst ein.

Während die Paare noch um die Entscheidung tanzten, kam aus dem Grill Room eine Gesellschaft von Engländern, meist Herren, für die in dem vollen Saal kein Platz mehr war. Sie schlenderten, unbekümmert um die tanzenden Paare, die Hände in den Taschen, quer durch den Saal; der Direktor und sämtliche Kellner ließen ihre Tische im Stich und mühten sich um die englischen Gäste.

So eng an sich schon der zum Tanzen freie Raum war – die Engländer wichen nicht. Und so schob man ihnen vor die vorderste Tischreihe Stühle, auf die sie sich, ohne Rücksicht auf die Tänzer und die Gäste, die hinter ihnen saßen, die Beine in den Saal gestreckt, hinrekelten.

Ein paar Engländer traten sogar an den Tisch, an dem die Französisch sprechenden Deutschen seit über einer Stunde beim Champagner saßen und sagten, ohne sich zu verbeugen oder zu entschuldigen: »Der Tisch gehört uns!« worauf die Herren und Damen aufsprangen, auf englisch um Entschuldigung baten und ihren Champagner im Stiche ließen.

Aber der eroberte Tisch reichte nicht aus.

»Ranschieben!« befahl einer der Engländer mit einem Blick an den Nebentisch und trat, da der Kellner zögerte, selbst an den Tisch heran, an dem Stoelping mit seinen Freunden saß.

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter L, Landsberger-Artur, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.