Jenseits des Äquators

Jenseits des Äquators – Ferdinand Emmerich

Emmerich gehört zu den bekanntesten deutschen Reise- und Abenteuerautoren des beginnenden 20. Jahrhunderts. Dieses Buch führt ihn in die Anden nach Bolivien und Peru.

Jenseits des Äquators

Jenseits des Äquators.

Format: eBook

Jenseits des Äquators.

ISBN: 9783849652944

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Würden wir diesmal Glück haben? – Diese Frage spannte all unsere Sinne. Wir, der peruanische Forscher und Kollege Dr. Perez und ich, zogen schwer bepackt dem Ziel unserer brennendsten Sehnsucht entgegen.

Ganz unversehens hatten wir es gestern entdeckt, dieses augenscheinlich völlig unversehrte altindianische Grabmal, das eine herrliche wissenschaftliche Ausbeute versprach. Als wir das erstemal eine solche »Chulpa« durchforschen wollten, hatten uns die Indianer einen bösen Strich durch die Rechnung gemacht und uns gezwungen, unverrichteterdinge abzuziehen. Unsere Auftraggeber aber, ebenso wie wir, legten besonderen Wert auf die Funde solch letzter Überreste der uralten Vor-Inkakultur, und unser eigener Ehrgeiz und Forschertrieb spornten uns besonders an, die Erwartungen noch zu übertreffen.

Gern hätten wir uns sofort in die Arbeit gestürzt. Leider aber hinderte uns die zwar liebenswürdige, aber reichlich unbequeme Gesellschaft, die seit einigen Tagen mit uns reiste, am sofortigen Beginn.

Eine eben in Peru ausgebrochene Revolution hatte nämlich den derzeitigen Staatspräsidenten veranlaßt, sich mit einiger Geschwindigkeit zurückzuziehen.

Mit der gesamten Umgebung, deren Damen und einem großen Troß von Beamten, Bedienten und Gepäck wollte man versuchen, die Grenze zu erreichen.

Natürlich hatte keiner von ihnen von den Gefahren und besonderen Anforderungen einer Urwaldreise über das Gebirge eine richtige Vorstellung.

Heilfroh war die ganze Gesellschaft, als sie nach der ersten »Fühlungnahme« – Gewehr im Arm, Finger am Abzug – feststellte, daß wir nicht nur keine Wegelagerer, sondern Forscher waren, deren Erfahrungen dem ganzen »Hofstaat« von größtem Nutzen waren.

Um sie überhaupt wieder loszuwerden, hatten wir ihnen für ihren weiteren Weg, von den Höhen des bolivianischen Gebirges hinab zum Titicacasee, unsere drei Diener als Führer und Beschützer mitgegeben, und heute früh waren sie mit erheblichem Aufwand von Dankesbezeugungen und Freundschaftsversicherungen endlich abgeritten. Felipe, mein getreuer Helfer und Freund, sollte zusammen mit Carlos, dem Diener des Dr. Perez, unten in dem kleinen Uferdorf Maiquia für uns Quartier machen und uns dann wieder bei der Chulpa treffen.

Da lag nun das alte Grabmal!

Der mit Ranken und Schlingpflanzen überwucherte, durch feine Einfachheit imponierende Bau hatte den Grundriß einer Ellipse. Das Gemäuer bestand auch hier aus mächtigen, gut behaltenen Trachyt- und Porphyrblöcken, die bis zu einer Höhe von acht Meter aufeinandergetürmt lagen. Als Dachverschluß diente eine einzige, riesige Porphyrplatte von vielleicht dreißig Zentimeter Dicke. Sie war in geneigter Lage über das etwazwei Meter im Durchmesser haltende Grabmal gebettet. – Ein tatsächlich für die Ewigkeit bestimmter Bau!

Zuerst suchten wir die an jeder Chulpa befindliche Öffnung nach Osten zu entdecken, aus der, nach dem Glauben der Indianer, die Seelen der Toten emporsteigen sollen. Wir fanden sie, unter Brombeeren versteckt, genau an der Stelle, wo die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne sie in jeder Jahreszeit treffen mußten. Sie befand sich vier Meter über dem Erdboden und war rechteckig – groß genug, um einem Menschen das Eindringen zu ermöglichen. – Gegenseitig unterstützten wir uns bei der Überwindung der trennenden, durch Stacheln und Dornen geschützten Höhe. Noch eine letzte Anstrengung, dann konnten wir einen ersten Blick in das geheimnisvolle Halbdunkel des Grabes werfen.

Ein Gefühl der Unsicherheit beschlich mich, als wir uns anschickten, das Innere der Chulpa zu betreten. Ich hatte das Empfinden, etwas Ungehöriges zu tun. Es war weder Furcht noch Abscheu, sondern wohl Scheu und Ehrfurcht vor dem Heiligtum eines fremden Volkes. Ähnlich erging es meinem Begleiter. Doch kurz entschlossen warf ich die Strickleiter in den Raum und stieg langsam hinunter …..

 

Dieser Beitrag wurde unter E, Emmerich-Ferdinand, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.