Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften – Ferdinand Wilhelm Weber u.a.
In diesem exegetischen Werk kommt hinsichtlich des Stoffes der doppelte Grundsatz zur Geltung, die Ergebnisse der theologischen Wissenschaft aufs Kürzeste zusammenzufassen, hinsichtlich der Methode aber dem Leser eine Übersicht über den Inhalt der Schrift und ihrer einzelnen Bücher zu verschaffen. Der Verfasser bemüht sich, im Strom der exegetischen Meinungen überall das Gewisse festzuhalten und darzustellen, die Schrift durch die Schrift selbst zu erklären und ihr eigenes Zeugnis immer obenan zu stellen. Zugleich hat er, meist nach Delitzsch und von Hofmanns Arbeiten, den Inhalt disponiert, die Gliederungen nachgewiesen, und insbesondere bei den prophetischen und poetischen Büchern des Alten Testaments und den Briefen und der Apokalypse des Neuen Testamentes den Gedankengang oft bis ins Einzelne wiedergegeben.
Format: Paperback, eBook
Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften.
ISBN: 9783849666156 (Paperback)
ISBN: 9783849661717 (eBook)
Auszug aus dem Text:
Kap. 1. Entstehung und Geschichte des Alttestamentlichen Kanon.
§ 1.
Der Ursprung der h. Schriften des A. T.s ist nach ihrem Selbstzeugnis ein göttlich menschlicher. Der Gott der Offenbarung hat je und je selbst den Befehl gegeben, seine Offenbarungs-Worte und seine Offenbarungs-Thaten aufzuzeichnen und diejenigen, welche seinen Befehl ausrichteten, mit seinem Geist erfüllt. Die heiligen Menschen Gottes, aber haben sich mit ihren Gaben und Kräften Gotte zu Werkzeugen begeben.
Vgl. Ex. 17, 14; 24, 4. Dt. 31, 9. 24. Jos. 24, 25. 26. I. Sam. 10, 25. Jes. 30, 8. Jer. 30, 2; 36, 27, 28. Hab. 2, 2, – aus welchen Stellen das oben Gesagte für einzelne Stücke der h. Schrift bewiesen wird; daß aber für das A. Testament als Ganzes dasselbe gilt, war jederzeit der Glaube der israelitischen Gemeinde, den die Zeugnisse des Herrn und seiner Apostel bestätigen. Vgl. Luc. 24, 44. Joh. 5, 39. Röm. 1, 2. 2. Tim. 3, 15–17. 1 Petri 1, 10–12. 2. Petri 1, 21 u. a.
§ 2.
Wie der Gott der Heilsgeschichte die h. Schriften aufzeichnen ließ, so sorgte er auch für ihre Aufbewahrung. Den Anfang machte das Gesetzbuch, welches Mose neben der Bundeslade niederlegen ließ, Dt. 31, 24–26; diesem Beispiel folgte Josua, indem er den Akt der Bundeserneuerung in Sichem, Jos. 24, 25. 26, und Samuel, indem er das Recht des Königtums dem Gesetzbuch im Heiligtum zufügte, 1 Sam. 10, 25.
§ 3.
Das im Heiligtum aufbewahrte Gesetzbuch wurde, wie schon das Königsgesetz, Dt. 17, 18, 19 mit sich brachte, in Abschriften vervielfältigt. Die vielen direkten und indirekten Beziehungen in den Geschichtsbüchern und Hagiographen, besonders den Psalmen, beurkunden, daß das Gesetzbuch und namentlich das Deuteronomium im Volke bekannt und verbreitet war. Das Gesetzbuch war die Grundlage und blieb für alle Zeiten das Hauptbuch unter den heiligen Büchern Israels.
Zu dem Gesetzbuche kamen aber im Laufe der Zeit hinzu einerseits die prophetischen Geschichtsbücher, welche die mit dem Tode Moses abbrechende Heilsgeschichte des Gesetzbuches fortführen, und die prophetischen Weissagungsbücher, welche die jedesmalige Gegenwart in das Licht der Gesetzesoffenbarung stellen und nach dem Geiste derselben richten, – andererseits solche Schriften, welche das durch die Offenbarung gewirkte Geistesleben widerspiegeln, wie die Psalmen Davids, die Schriften Salomos nebst denen ihrer Zeitgenossen. Auch diese Schriften verbreiteten sich als heilige Schriften im Volke Israel. Daß die Psalmen frühe gesammelt wurden, lehrt Ps. 72, 20, in welcher Stelle die sichere Spur einer früheren als der gegenwärtigen Psalmensammlung vorliegt; daß die Salomonischen Schriften gesammelt, verbreitet und bekannt waren, ersieht man aus Spr. 25, 1 und aus den Nachklängen derselben, besonders der Sprüche und des Buches Hiob, in den Propheten; daß endlich auch die Weissagungen der Propheten schriftlich vorlagen und in Abschriften verbreitet, als heilige Schriften geehrt wurden, zeigt die Wiederaufnahme der Worte älterer Propheten bei ihren Nachfolgern. Die prophetischen Weissagungsbücher bilden eine stetige Kette in einander greifender und sich wechselseitig Zeugnis gebender Glieder. So erkennen wir, wie allmählich eine große Zahl heiliger Schriften entstand, welche alle in der Thora ihre Grundlage hatten, aber gleichfalls als heilige Bücher galten, wie denn Jeremia für alle vorexilischen Propheten als Zeuge eintritt.
Neben den im Kanon aufbewahrten h. Büchern gab es in alter Zeit auch zwei Sammlungen national-religiöser Lieder und überhaupt Schriftdenkmäler, welche uns nicht erhalten geblieben sind, nämlich das Buch der Kriege des Herrn und das Buch des Frommen (vgl. Num. 21, 14. Jos. 10, 13).
Eine lateinische Schrift über „Jeremia als Gewährsmann für alle älteren h. Schriften.“ (Jeremias vindex etc.) hat August Küper 1837 herausgegeben.
§ 4.
Die Gesamtheit aller dieser Schriften nun nennen wir den Kanon, dessen einzelne Bestandteile, wie oben bemerkt, nur sehr allmählich im Laufe der heilsgeschichtlichen Entwickelung von Mose an bis zum Ausgang der Prophetie entstanden sind. Aber wer nun diese einzelnen Bestandteile zum Ganzen des Kanon zusammenfaßte, und warum er gerade diese und nur diese Schriften aufnahm, darüber ist uns etwas Sicheres nicht bekannt. Es finden sich zwar im A. T. Spuren einer auf die Sammlung der h. Schriften Israels gerichteten Thätigkeit, es ist auch zweifellos, daß Esra, der Schriftgelehrte und Reformator Israels, für die Sammlung der h. Schriften thätig gewesen; aber ob er oder die s. g. große Synagoge dieselbe zum Abschluß brachte, darüber fehlen verlässige Berichte.
a. Die erste oder grundlegende Sammlung h. Schriften geschah durch Mose und die Ältesten, welche unmittelbar auf ihn folgten (vgl. § 25).
b. Daß eine zweite Sammlung h. Schriften von Samuel ausgegangen und von seinen Schülern fortgesetzt worden sei, und zwar so, daß sie die Sammlung der ersten Propheten abschlossen und der Thora somit das Buch Josua, das Richterbuch mit Ruth und das erste Buch Samuelis bis Kap, 11, später noch den Schluß und das zweite Buch Samuelis hinzufügten, ist lediglich talmudische Überlieferung. Vgl. noch § 29, 2.
c. Aus 2 Chron. 29, 25–30 schließen wir, daß in Hiskias Zeit die Psalmen Davids und Asafs für den Tempelkultus gesammelt und im Gebrauch waren. Sprüche 25, 1 heißt es, daß die „Männer des Hiskia“ Sprüche Salomos gesammelt haben. Ob diese Männer eine von Hiskia zum Zweck der Sammlung der h. Schriften niedergesetzten Kommission waren, mag dahingestellt bleiben, ist aber bei dem religiösen Interesse des Königs nicht unwahrscheinlich.
d. Was den Abschluß der Sammlung heiliger Schriften betrifft, so ist uns von einem förmlichen Akte, durch welchen derselbe erfolgt wäre, nichts bekannt. Ja es ist ein solcher Akt gar nicht wahrscheinlich. Angenommen, Esra hat sich mit der Sammlung der h. Schriften seines Volkes beschäftigt, und zugegeben, daß niemand so wie er zu beurteilen vermochte, welche Schriften zu den heiligen zu rechnen seien, so wird ihm doch kaum der Abschluß des Kanons zugeschrieben werden dürfen. Esra konnte ja nicht wissen, daß nunmehr kein Prophet mehr auftreten werde. Es wird sich eben die Sammlung von selbst geschlossen haben, indem nichts mehr zu ihr hinzukam. Unter der Voraussetzung aber solch einer thatsächlichen, nicht förmlichen, Schließung hat die jüdische Tradition, derzufolge die durch Esra und Nehemia ins Leben gerufene s. g. große Synagoge die Sammlung in die Hand nahm und zu Ende führte, vieles für sich.
Für sie spricht zum ersten der Kanon selbst. Die Redaktoren desselben haben bei der Zusammenstellung der heiligen Schriften zu einem Ganzen nicht nach chronologischen, sondern inneren sachlichen Motiven gehandelt. Die Thora als die Grundlage aller Offenbarung bildet einen Hauptteil für sich, und zwar den ersten. Im zweiten Hauptteile folgen zuerst die Bücher, welche in prophetischem Geiste die geschichtliche Entwicklung des Bundesverhältnisses bis zum Exile darstellen, sodann die Bücher, welche die Weissagungen vom Untergang des alten Reiches Israel und der Zukunft des Reiches Gottes enthalten. Eine so einheitliche Idee ergab sich für die dritte Hauptabteilnng nicht. Doch fehlen auch hier nicht die sachlichen Gesichtspunkte. Das dem Pentateuch entsprechende fünfgliedrige Gebetbuch der Gemeinde (Psalter) eröffnet es, Bücher der Chokma oder sinnenden Betrachtung (Sprüche und Hiob) folgen, die fünf nach dem Festkalender geordneten Megilloth (Hoheslied, Ruth, Klagelieder, Prediger, Esther) reihen sich an, das apokalyptische Buch Daniel als das Buch der Geheimnisse sollte den Kanon offenbar abschließen. Kein Bestandteil dieses Urkanons reicht, wie die spezielle Einleitung zeigen wird, unter die Esra-Nehemianische Zeit herab. – Nun waren aber von der Hand des Esra und Nehemia selbst Aufzeichnungen über denkwürdige Begebnisse vorhanden, die der neukonstituierten Gemeinde von höchster Wichtigkeit waren. Sie wurden später ergänzt und sind namentlich die darin vorkommenden genealogischen Reihen bis zu der Zeit des Redaktors fortgeführt worden. Was geschah nun mit diesem Schriftwerk? Es ist dem Kanon nicht mehr organisch, d. h. etwa nach dem zweiten Königsbuche eingefügt, sondern am Schlusse, d. h. nach dem Buche Daniel, ganz äußerlich angefügt worden.[1] Denn wenn die Massora und die Handschriften spanischer Klasse im Unterschiede von den Handschriften deutscher Klasse die Chronik (getrennt vom Buche Esra und Nehemia) vor den Psalter stellen – vielleicht weil sie so viel von David erzählt und so als Einleitung zum Psalter Davids zu gehören schien – so war das nicht die ursprüngliche Stellung der Chronik. Unsere ältesten geschichtlichen Belege für die Stellung des Psalters im Kanon deuten darauf hin, daß er die dritte Hauptabteilung des Kanons eröffnete (mit Vorausgehen von Ruth), da man diese Abteilung nach ihm benannte, siehe 2 Makk. 2, 13, Luk. 24, 44, auch Philo. Die Chronik, Esra und Nehemia wurde also in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. einer schon bestehenden Sammlung heiliger Schriften noch angefügt, welche damals, in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, bereits als ein unantastbares Heiligtum galt. Und wer sollte nun damals die Autorität gehabt haben, ein solches zu schaffen, wenn nicht Esra, der Mann, der überhaupt die religiösen Institutionen schuf, auf denen das neujüdische Gemeinwesen ruht?
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