Meine schönsten Erzählungen

Meine schönsten Erzählungen – Hermann Kurz

Hermann Kurz war ein deutscher Schriftsteller der Schwäbischen Dichterschule, Publizist und Übersetzer. Dieser Band beinhaltet Erzählungen wie “Eine reichsstädtische Glockengießerfamilie”, “Wie der Großvater die Großmutter nahm”, “Das Witwenstüblein”, “Ein Herzensstreich”, “Das gepaarte Heiratsgesuch”, “Das Horoskop” u.v.a.

Meine schönsten Erzählungen

Meine schönsten Erzählungen.

Format: eBook

Meine schönsten Erzählungen.

ISBN eBook: 9783849656140.

 

 

Auszug aus “Die Zaubernacht”:

 

»Wir Petrus, Guardian und Johannes, Vizeguardian in hiesigem Barfüßerkloster, Sankt Franziskenordens gewest, bekennen öffentlich und tun kund männiglich mit diesem Briefe: Nachdem uns Gott der Allmächtige durch Verkündung des heiligen Evangelii aus der papistischen Irrsal gnädiglich geführt und mit dem Licht seines lebendigmachenden Worts unsere Herzen erleuchtet, daß wir von unsern Zeremonien, Kleidung, Kutten, Kappen und Platten mit gutem Gewissen frei abgestanden und also mit gutem freiem Willen aus dem Kloster gangen sind, dasselbige auch nach getaner Rechnung dem fürsichtigen, ehrsamen und weisen Herrn Bürgermeister und Rate hiesiger des heiligen römischen Reiches Stadt, unsern günstigen Herren, mit aller seiner Zugehör, Nutzung, Renten, Gilten und Einkommen, frei übergeben und zugestellt haben; übergeben und stellen wir ihnen auch dasselbige zu, in Kraft dieses Briefes. Versprechen auch bei unseren wahren Treuen und Eiden, nun fürohin, dieweil wir im Leben seien, unser Leibgeding, so uns von gemeldten Klosters Pflegern jährlich gegeben wird, allhie in der Stadt zu verzehren, und sonst nindert anderswo an keinen Enden, Städten noch Flecken, allda wir unsere Wohnung haben wollten, zu verbrauchen, sondern unser Leben allhie zu verschließen und zu vollenden. Wobei wir uns auch aller Gnaden, Privilegien, Freiheiten, Satzungen, Statuten, Konstitutionen der geistlichen oder weltlichen Rechte, sonderlich unseres vermeinten Ordens, so uns von Päpsten, Konzilien, Kaisern, Königen oder andern Fürsten und Herren, was Gewalts oder Herrlichkeit die wären, gegeben, gänzlich verziehen und begeben haben, in Kraft dieses Briefs« ec.

Die beiden geistlichen Obern unterzeichneten diese Urkunde, nachdem der Stadtschreiber sie verlesen hatte, in Gegenwart einer Ratsdeputation und schickten sich hierauf an, der Obrigkeit die bisher bewohnten Räume zu übergeben. Hiermit hatte die Reformation in der Reichsstadt den letzten Boden erobert; sie war, von den demokratischen Zünften mit rascher Hand ergriffen, dem Magistrat bald über den Kopf gewachsen, so daß dieser an die Spitze der Bewegung treten mußte und auch in anfänglich kräftiger Einung mit den Fürsten und Städten sich bei diesen das Lob entschiedenen Beharrens erwarb. Die Stadt hielt fest, auch als nachher in Deutschland die Gesinnungen herüber und hinüber schwankten. Das alte Franziskanerkloster, mitten in ihr gelegen und von den Fluten der neuen Zeit umrauscht, sah allmählich die alten geistlichen Dämme brechen. Der junge kecke Geist war auch in die festen Zellen gedrungen; selbst die schweigsamen Bewohner der nahegelegenen Kartause konnten ihn nicht von sich abhalten, und von den Barfüßern trat bald einer um den anderen aus, als Prädikant oder in anderen rührigen Verrichtungen sich seinen Weg durch die Welt zu bahnen. Andere, welche treu an der Regel hielten, hatten sich in entferntere Kloster auf sicheren Boden zurückgezogen, und so blieb ein kleiner Rest der Bruderschaft, der jetzt mit den Vorstehern den letzten Schritt in die Welt hinaus zu tun sich bereitete. Es geschah mit jenem Ernst, mit welchem besonnene Männer einem neuen Leben und einer völlig veränderten Gestalt der Zeit entgegentreten. Auch die Ratspersonen, obgleich sie das vergnügliche Bewußtsein, für den gemeinen Säckel gesorgt zu haben, kaum verbergen konnten, ehrten den Abschied der Bruderschaft von ihrem Stand und Herd. Die geistlichen Herren schwiegen; der Guardian gab von Zeit zu Zeit die nötigen Anordnungen und Nachweisungen mit gehaltener Stimme. Er war ein frisch aussehender Mann in mittleren Jahren, dessen freimütiges Gesicht den Ausdruck der Überzeugung trug. Seit Jahren hatte er sich innerlich dem neuen Lichte angeschlossen, dabei aber sein persönliches Meinen und Wollen von der ihm auferlegten Stellung wohl unterschieden und gewissenhaft für seine Gemeinde gesorgt, bis nichts mehr zu sorgen übrig war und er in Freiheit mit seinem eigenen Bekenntnis hervortreten konnte. Er hatte der Stadt seine Dienste als Lehrer angeboten, und sein Benehmen war so allgemein mit Wohlgefallen aufgenommen worden, daß ihm der Stadtschreiber seine Tochter, die er aus Anlaß vielfältiger Besprechungen in dessen Hause kennen gelernt und deren verständiges Gesicht Eindruck auf ihn gemacht hatte, von freien Stücken zur Ehe gab. An dem Tage, da das Kloster übergeben wurde, sollte zugleich die Hochzeit gefeiert und die neue Heimat eingeweiht werden.

Eben hatte er die letzten Schlüssel den Ratsherren übergeben, als sein bisheriger Amtsgenosse zu ihm herantrat, »Herr Guardian – Herr Petrus,« sagte er etwas verlegen, »der Bruder Severin will nicht aus seiner Zelle weichen.«

»Bruder Severin! Den hätten wir beinahe vergessen!« rief der Guardian, und auf die fragenden Blicke der Ratsherrn, erwiderte er: »das ist ein alter Laienbruder, der sich seit undenklichen Zeiten im Kloster befindet. Keiner weiß, wie er hereingekommen ist. Die älteren Brüder erinnerten sich noch seines Fleißes und seiner unablässigen Dienstleistungen. Nun ist aber seit Jahren sein Körper und sein Geist in eine Art Schlummer versunken, aus welchem ihn niemand stört. Die Zeit hat ihr Antlitz umgewandelt, ohne daß er es gewahrte, und es wäre schwer, ihm begreiflich zu machen, daß die alte Ordnung hier aufgehört habe und der Konvent säkularisiert worden sei.«

»Was fangen wir aber mit ihm an?« fragte der Vizeguardian.

»Ich muß mich schelten,« sagte der Guardian, »daß ich im Gedränge dieser neuen Sorgen und Geschäfte nicht an ihn gedacht habe. Wenn ich nur wüßte, wo man ihn unterbringen konnte. Er war mir immer gehorsam und sonderbar anhänglich, ich denke, wir schaffen ihn doch noch ohne Mühe hinaus.«

Einer der Zunftrichter von der Ratskommission erbot sich, dem Gebrechlichen ein Hinterstübchen einzuräumen, welches einer Zelle nicht ganz unähnlich sehe. Der Guardian dankte sehr erfreut und schritt alsogleich zum Werke. Die anderen schlossen sich ihm an. Über mehrere lange Gänge, wo ihre Tritte öde und einsam widerhallten, gelangten sie zu einer Zelle, welche der Guardian öffnete. Hier lag ein Greis in der Barfüßerkutte. Er schien zu beten. Unverständliche Worte durch den struppigen Bart murmelnd, warf er unter den buschigen Augenbrauen hervor einen scheuen Blick auf die Eintretenden.

»Bruder Severin!« rief der Guardian mit sanfter, aber ernster Stimme. Der alte Mönch erhob sich rasch, verbeugte sich vor seinem Obern, und als dieser fortfuhr: »Kommt und tut, wie ich Euch heißen werde –« so folgte er mit klösterlichem Gehorsam und wurde ohne Schwierigkeit hinausgebracht. Er schritt ruhig durch die Straßen mit, als ginge er in einer Prozession. Der ehemalige Guardian verließ ihn nicht, bis er ihn in seiner neuen Wohnung einigermaßen eingerichtet sah. »Hier bleibt, Bruder Severin, bis man Euch anders weisen wird,« sagte er beim Fortgehen, und der alte Mönch folgte ihm zwar mit verwunderten Blicken, blieb aber auf einen Wink des Guardians an der Türe stehen und schien sich in das Unbegreifliche zu fügen.

Die Hochzeit wurde still, wie es sich gebührte, gefeiert. Der Ernst der Zeit, die bedenklichen Nachrichten von dem bundesverwandten Augsburg, die drohenden Rüstungen des Kaisers ließen nicht an Tanz und Lustbarkeiten denken, die auch der Sinn des Bräutigams bei einem so eigenen Übergang von seiner bisherigen Lebensstufe auf die jetzige verschmäht haben würde.

Nach einem bescheidenen Mahle im Hause des Schwiegervaters saßen die Neuvermählten abends in ihrer Wohnung. Die Verwandten, die sie heimgeführt, hatten sich entfernt, und die anbrechende Dämmerung brachte zum erstenmal das süße Gefühl des heimischen, traulichen Beisammenseins.

»Ihr habt so etwas Tätiges in Eurem Aussehen, lieber Herr, wie seid Ihr denn ins Kloster gekommen?« fragte die junge Frau, indem sie ihm freundlich in die Augen sah.

»Wie so mancher andere auch. Ich war ein vater- und mutterlos Kind. Darum habe ich mich auch so lange zurückgehalten, weil es mir weh tat, des Undanks beschuldigt zu werden.«

»Ach, es muß traurig sein, wenn man niemand in der Welt hat, keinen Freund und Versorger, wenn man abhängig wird und dann mit Pflichten und Gesinnungen in Widerspruch kommt.«

»Und doch, liebe Hausfrau, wird es wenig Menschen geben, die nicht in solche Widersprüche geraten. Eine Zeit, wie die jetzige, läßt keinen ruhig seiner Wege gehen. Es hätte wohl manches bleiben können, unbeschadet der Wahrheit; aber die einen wollen über alle Berge hinaus, die anderen hinter alle Maulwurfshügel zurück und diese beiden kehren die Welt miteinander um.«

»Wie ist’s Euch in Eurer Jugend ergangen und wie habt Ihr Eure Eltern verloren?«

….

 

 

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