Omega – Die letzten Tage der Erde

Omega – Die letzten Tage der Erde – Camille Flammarion

Das 21. Jahrhundert. Ein großer, grüner Komet aus tödlichem Kohlenmonoxid rast auf die Erde zu und löst eine apokalyptische Panik aus. In Paris treffen sich die besten Wissenschaftler der Welt, um die Szenarien auszuloten, in denen die Erde vermutlich vergehen wird. Aber der Komet verfehlt die Erde, wenn auch nur um die sprichwörtliche Haaresbreite. Was er aber tatsächlich auslöst, welche Schäden langfristig auf die Menschheit zukommen, ist kaum mit Worten zu erklären. Der Autor, einer der besten Astronomen seiner Zeit, begleitet die Erdbewohner über das 100. Jahrhundert n. Chr. hinaus in eine sehr ferne Zukunft, in der die Evolution die menschlichen Sinne weiter verfeinert und uns mit zwei neuen Sinnen, einem elektrischen und einem psychischen, ausgestattet hat. Aber die Reise geht weiter und es vergehen noch mehrere Millionen Jahre, während denen die Sonne abkühlt, und die Erde zu frieren beginnt … Ein fesselnder Roman, der nicht nur mit seinen wissenschaftlichen und doch verständlich erklärten Theorien glänzt, sondern auch eine packende Reise in eine durchaus mögliche Zukunft beschreibt.

Omega - Die letzten Tage der Erde

Omega – Die letzten Tage der Erde.

Format: Taschenbuch/eBook.

Omega – Die letzten Tage der Erde.

ISBN Taschenbuch: 9783849668884

ISBN eBook: 9783849658878

 

Auszug aus dem Text:

 

Die prächtige Marmorbrücke, die die Rue de Rennes mit der Rue de Louvre verbindet und, gesäumt von den Statuen berühmter Wissenschaftler und Philosophen, die monumentale Allee zum neuen Portikus des Instituts betont, war absolut schwarz vor Menschen. Eine gewaltige Menge wogte die Kais entlang, strömte aus jeder Straße heraus und drängte sich in Richtung des Säulengangs, der schon lange vorher vom stürmischen Mob eingenommen worden war. Niemals, in keinem der barbarischen Zeitalter vor der Gründung der Europäischen Union, als Macht oft über das Recht siegte, als militärischer Despotismus die Welt beherrschte und die törichte Menschheit im unerbittlichen Griff vieler Kriege zitterte – nie zuvor in den stürmischen Zeiten großer Revolutionen oder in den fieberhaften Tagen, die einer Kriegserklärung folgten, hatten die Zufahrtswege zum Parlament, oder der Place de la Concorde selbst, ein solches Schauspiel erlebt. Es war nicht länger eine Bande von Fanatikern, die sich um eine Flagge versammelt hatten oder in irgendeinen Kampf marschierten, gefolgt von einer Schar von Neugierigen und Wartenden, die gespannt darauf waren, was passieren würde; es ging um die gesamte Bevölkerung, die ängstlich, erregt, verunsichert und in Panik war, ohne Unterschied aus jeder möglichen Gesellschaftsschicht bestand, an der Entscheidung eines Orakels hing und fieberhaft auf das Ergebnis der Berechnungen wartete, die ein berühmter Astronom noch am selben Montag um drei Uhr in der Sitzung der Akademie der Wissenschaften ankündigen sollte. Im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft hatte das Institut überlebt und seine Vormachtstellung in Wissenschaft, Literatur und Kunst behalten – zumindest in Europa. Das Zentrum der Zivilisation lag jedoch schon viele Jahre im Westen, und der Schwerpunkt des Fortschritts zweifellos im Silicon Valley in den USA.

Der neue Palast des Instituts, mit seinen hohen Kuppeln und Terrassen, war auf den Ruinen errichtet worden, die nach der Explosion des altehrwürdigen Gebäudes geblieben waren, einem Überbleibsel der großen, sozialen Revolution der Anarchisten, die in den 50ern immer wieder Gebäude in der Metropole gesprengt und Krater hinterlassen hatten.

Am vorhergehenden Sonntagabend hätte man von der Gondel eines Ballons aus ganz Paris auf den Straßen, Boulevards und öffentlichen Plätzen gesehen, langsam und verzweifelt hin und her gehend, scheinbar ohne Ziel und Absicht. Aber die bunten Ballons schoben sich nicht mehr durch die Luft und auch die Flugzeuge blieben am Boden. Der Lauf des menschlichen Lebens schien stillzustehen und auf jedem Gesicht zeigte sich blanke Angst. Fremde sprachen sich ohne zu zögern an, und es war immer dieselbe Frage, die von den blassen und zitternden Lippen kam: “Ist es wirklich wahr?” Die tödlichste Seuche hätte weitaus weniger Schrecken unter der Bevölkerung verursacht als die astronomische Vorhersage, die auf jeder Zunge lag; sie hätte auch weniger Opfer gefordert, denn schon jetzt, aus einer noch unbekannten Ursache, stieg die Sterblichkeitsrate bereits an. In jedem Moment spürte man den Stromstoß einer unfassbaren und schrecklichen Angst.

Ein paar, die weniger bestürzt waren, wollten selbstbewusster wirken und ließen ab und zu eine Bemerkung des Zweifels, ja sogar der Hoffnung, verlauten, wie: “Es könnte auch ein Irrtum sein”, oder, “er wird auf einer Seite vorbeifliegen”, oder auch, “es wird nichts passieren; wir werden mit dem Schrecken davonkommen”, und andere, ähnliche Beteuerungen.

Aber Erwartungen und Unsicherheit sind oft schrecklicher als die Katastrophe selbst. Ein brutaler Schlag wirft uns ein für alle Mal nieder und macht uns komplett handlungsunfähig. Dann kommen wir zur Besinnung, machen das Beste daraus, erholen uns und nehmen das gewohnte Leben wieder auf. Aber das hier –das war das Unbekannte, die Erwartung von etwas Unabwendbarem, aber Geheimnisvollem, Schrecklichem, das von jenseits aller Erfahrungen kam. Man würde sterben, ganz ohne Zweifel, aber wie? Durch den plötzlichen Schock der Kollision, zu Tode erdrückt? Durch Feuer, den Brand einer ganzen Welt? Durch Ersticken, die Vergiftung der Atmosphäre? Welche Folter erwartete die Menschheit? Die Besorgnis war vielleicht schrecklicher als die Realität selbst. Der Verstand kann nicht über eine bestimmte Grenze hinaus leiden. Leid Stück für Stück zu erleben, jeden Abend zu fragen, was der Morgen bringen wird, bedeutet, tausend Tote zu erleiden. Der Schrecken, jener Schrecken, der das Blut in den Adern verdichtet, der jeden Mut erdrückt, verfolgte die schaudernde Seele wie ein unsichtbares Gespenst.

Mehr als einen Monat lang waren die Geschäfte der Welt ausgesetzt worden; zwei Wochen bevor der Verwaltungsausschuss (ehemals Kammer und Senat) sich vertagt hatte, war jede andere Frage bedeutungslos geworden. Eine Woche lang hatten die Börsen von Paris, London, New York und Peking ihre Türen geschlossen. Was nutzte es, sich mit geschäftlichen Angelegenheiten zu befassen, mit Fragen der Innen- oder Außenpolitik, von Erträgen oder Reformen, wenn das Ende der Welt bevorstand? Politik, in der Tat! Erinnerte sich überhaupt jemand daran, dass er sich jemals dafür interessiert hat? Die Gerichte hatten keine Fälle zu verhandeln; man mordet nicht, wenn man das Ende der Welt erwartet. Die Menschheit legte keinen Wert mehr auf irgendetwas; ihr Herz schlug heftig, als ob es für immer stehen bleiben würde. Jedes Gesicht war ausgemergelt, jede Miene aufgeregt und alle waren von Schlaflosigkeit geplagt. Nur die weibliche Koketterie war nach wie vor zu spüren, wenn auch auf eine oberflächliche, zögerliche, heimliche Weise, ohne an Morgen zu denken.

Die Situation war in der Tat ernst, fast verzweifelt, selbst in den Augen der Stoiker. Niemals, im Laufe der Geschichte, hatte die Rasse Adams mit einer solchen Gefahr zu kämpfen. Die Vorzeichen am Himmel konfrontierten sie unaufhörlich mit der Frage von Leben und Tod.

Aber lassen Sie uns zum Anfang zurückkehren.

Drei Monate vor dem Tag, von dem wir gerade sprachen, hatte der Direktor der Sternwarte am Gauri Sankar die folgende Email an die wichtigsten Sternwarten der Welt und insbesondere an die von Paris geschickt:

“Heute Nacht Komet entdeckt bei 290° 15′ Rektaszension und 21° 54′ südlicher Deklination. Geringe tägliche Bewegung. Ist von grünlicher Farbe.”

Es verging kein Monat ohne die Entdeckung von Kometen und deren Bekanntgabe an die verschiedenen Observatorien, insbesondere seit der Errichtung modernster Einrichtungen dieser Art in Asien auf den hohen Gipfeln des Gauri Sankar, K2 und Kangchendzönga; in Südamerika auf dem Aconcagua, Illampu und Chimborazo, aber auch in Afrika auf dem Kilimanjaro und in Europa auf dem Elburs und dem Montblanc. Diese Meldung hatte daher Astronomen auch nicht zu mehr Kommentaren verleitet als jede andere der ständig eintreffenden Sichtungen. Eine große Anzahl von Beobachtern hatte den Kometen in der angegebenen Position gesucht und seine Bewegung sorgfältig verfolgt. Ihre Beobachtungen waren in den “Neuen Astronomischen Nachrichten” veröffentlicht worden, und ein deutscher Mathematiker hatte eine vorläufige Umlaufbahn und Ephemeride berechnet.

Kaum waren diese beiden Daten veröffentlicht worden, machte ein japanischer Wissenschaftler eine sehr bemerkenswerte Entdeckung. Nach seinen Berechnungen näherte sich der Komet der Sonne aus dem unendlichen Raum auf einer Bahnebene, die leicht geneigt war zur Ekliptik, was ein äußerst seltenes Ereignis am Himmel ist. Außerdem würde er die Umlaufbahn des Saturns durchqueren. “Es wäre äußerst interessant”, bemerkte er, “mehr Beobachtungen anzustellen und die Berechnung der Umlaufbahn zu überarbeiten, um festzustellen, ob der Komet mit den Ringen des Saturn kollidieren wird; denn dieser Planet wird am Tag der Ankunft des Kometen exakt dort stehen, wo er seine Umlaufbahn schneidet.”

Eine junge, bereits mit Preisen ausgezeichnete Mitarbeiterin des Instituts, gleichzeitig Kandidatin für die Leitung der Sternwarte, reagierte sofort auf diese Vermutung und richtete sich in der Kommunikationszentrale ein, um ja keine Nachricht zu verpassen. In weniger als zehn Tagen hatte sie mehr als hundert Mails abgefangen und, ohne einen Augenblick zu verlieren, drei Nächte und Tage später eine neue Umlaufbahn berechnet, die auf dieser ganzen Reihe von Beobachtungen basierte. Das Ergebnis bewies, dass dem deutschen Wissenschaftler ein Fehler bei der Bestimmung der Perihelentfernung unterlaufen war und dass die Schlussfolgerung des japanischen Astronomen insofern ungenau war, als der Durchflug des Kometen durch die Ebene der Ekliptik fünf oder sechs Tage später stattfand als ursprünglich errechnet; aber das Interesse an dem Problem wuchs dadurch, denn die Mindestabstände des Kometen von der Erde schienen nun geringer zu sein, als der japanische Kollege es für möglich gehalten hatte. Abgesehen von der Frage einer Kollision hoffte man, dass die enorme atmosphärische Störung, die sich aus der Anziehungskraft von Erde und Mond ergeben würde, eine neue Methode aufzeigen könnte, um die Masse dieser beiden Körper mit genauester Präzision zu bestimmen und vielleicht sogar ein wichtiges Indiz auf die Dichte des Erdinneren zu werfen. Man stellte tatsächlich fest, dass sich der himmlische Besucher auf einer Ebene bewegte, die fast mit der der Ekliptik übereinstimmte; in der Nähe des Saturn würde dessen Anziehungskraft vermutlich die einfache, parabolische Umlaufbahn so verändern, dass der Komet näher an unserem Planeten vorbeiflog. Aber nachdem er die Umlaufbahnen des Jupiters und des Mars durchquert hatte, würde er genau den Kurs verfolgen, den die Erde jährlich um die Sonne beschreibt. Das Interesse der Astronomen war deswegen allerdings nicht minder groß, und die junge Datensammlerin bestand mehr denn je nachdrücklich auf der Wichtigkeit zahlreicher und genauer Beobachtungen.

Das Observatorium auf dem Gauri Sankar widmete sich vor allem der Untersuchung der Zusammensetzung des Kometen. Auf dieser, einer der höchsten Erhebungen der Erde, in einer Höhe von über 8000 Metern, zwischen ewigem Schnee, der durch elektrochemische Prozesse mehrere Kilometer von der Station entfernt gehalten wurde, und die fast immer viele hundert Meter über den höchsten Wolken in eine pure und extrem dünne Atmosphäre ragte, wurde die Sehkraft des Auges als auch des Teleskops um das Hundertfache gesteigert. Die Mondkrater, die Satelliten des Jupiters und die Phasen der Venus waren mit bloßem Auge gut zu erkennen. Seit neun oder zehn Generationen lebten mehrere Familien von Astronomen auf diesem asiatischen Gipfel und hatten sich allmählich an seine seltene Atmosphäre gewöhnt. Die Ersten waren noch gescheitert; aber Wissenschaft und Industrie hatten es geschafft, die extremen Temperaturen durch die Speicherung von Solarwärme zu mildern, und so konnte langsam eine Akklimatisierung erfolgen; so, wie es schon früher, im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert gewesen war, als in Quito und Bogota eine zufriedene Bevölkerung im Überfluss lebte und junge Frauen die ganze Nacht unermüdlich tanzten, während auf dem gleich hohen Montblanc in Europa nur wenige Schritte getan werden konnten – und selbst das nur mit Schmerzen in den Atemorganen. Nach und nach war eine kleine Kolonie an den Hängen des Himalaya gewachsen, und durch ihre Forschungen und Entdeckungen hatte sich die Sternwarte den Ruf erworben, die beste der Welt zu sein. Sein Hauptinstrument war die überall hochgelobte parallaktische Montierung von hundert Metern Brennweite, mit deren Hilfe bereits viele kosmische Rätsel entschlüsselt wurden.

Während die europäischen Astronomen noch über die Umlaufbahn des neuen Kometen diskutierten und die Genauigkeit der Berechnungen überprüften, die seine Konvergenz zur Erde und die Kollision der beiden Körper im Weltraum voraussagten, erreichte sie eine neue Nachricht von der Sternwarte im Himalaya:

“Der Komet wird bald mit bloßem Auge sichtbar sein. Immer noch von grünlichem Farbton. Kurs: erdwärts.”

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