Raubmenschen

Raubmenschen – Max Dauthendey

In dem 1911 erschienenen Roman “Raubmenschen” hat Dauthendey seine mexikanischen Reiseerlebnisse und -eindrücke literarisch verarbeitet. Allerdings sind die Bewohner Mexikos mit dem Ausdruck gar nicht gemeint. Vielmehr trifft Dauthendey auf Falschspieler, korrupte Polizisten und andere “Raubmenschen”.

Raubmenschen

Raubmenschen.

Format: eBook

Raubmenschen.

ISBN eBook: 9783849654993

 

 

Auszug aus dem Text:

Den Atlantischen Ozean sah ich zum erstenmal von dem kleinen Bretagnedorf Pouldu.

Ich fuhr von einer unbedeutenden französischen Bahnstation in einem Einspänner auf einer kreideweißen Landstraße nach dem Dorf; es war im Mai. Grüner Roggen und braune gedüngte baumlose Felder lagen am Straßenrand; ich reckte den Hals im Wagen von Minute zu Minute länger und suchte unterm wolkenleeren Himmel im Westen den Atlantischen Ozean.

Die Räder knatterten auf der beschotterten Straße. Platte Felder, wilde Hecken und Gedorn und ein paar kreiselnde Windmühlen waren stundenlang am Weg, aber kein Ozean.

Ich wurde ungeduldig; als hätte mir jemand Geld und Hoffnungen gestohlen, so fühlte ich eine öde Enttäuschung in mein Blut einziehen, öde wie die kalkweiße endlose Landstraße.

“Wo ist das Meer?” hatte ich den Kutscher öfters gefragt. Der hörte mich nicht; die Wagenräder rasselten, und der Wagen knatterte in allen Fugen.

Im Westen mußte das Meer sein, der Atlant, den ich so sehr ersehnte, der große Wassergott Okeanos.

Hinter den Feldern im Westen stieg allmählich eine Helle in den Himmelsraum – die wurde heller als der Tag auf der Landstraße, und die Erdstreifen voll grünem Roggen und Dung schienen sich zu verdunkeln; das Grün des Roggens wurde schwefelgrüner, wie von einem Gewitterstrahl beleuchtet, der Tag aber, der weißer als die Sonne aus der Erdtiefe in die Ferne hinter dem verdunkelten Feldrand heraufschien, strahlte in den Himmel und beleuchtete einige Wolken von unten heller, als es die Sonne von oben tat. Die Erdrinde, voll von Feldern und Hecken, schien zwischen zwei Sonnen wie eine dunkle Kruste gelagert. Eine Sonne der Tiefe schien gegen die Sonne der Höhe einen Lichtkampf aufzunehmen.

Noch flogen im Westen wenig Singvögel aus den Hecken, und eine unheimliche großartige Stille lag dort in den Feldern. Diese Stille schien wie ein luftleerer Riesenraum das Land voll Roggen verschlucken zu wollen.

Die Riesenstille des Atlant und das Abendlicht des Atlant, das in den Wolken spiegelte, Stille und Blendlicht kamen mir vom Wasserkörper des Gottes Okeanos zuerst entgegen, beide ungeheuerlich wie große ungeheuerliche Gesten eines unsichtbaren Giganten.

Dann zackte sich das Erdreich in der Ferne; zwischen einer Bodensenkung in den Feldern schien von einem Felsvorsprung zu einem andern ein dünnes Seil gespannt zu sein, und auf dem Seil balancierte eine riesige weißfeurige Spinne. Sie hing mit weißen erregten Füßen an dem Seil, und dieses schien leicht zu schwanken. “Der Atlant”, sagte der Kutscher und wendete sich auf dem Bock nach mir um und deutete mit seiner Zigarre auf das Seil und auf die Riesenspinne.

Dann verschwand das Ganze, und ich begriff: ich hatte für einen Augenblick die Meerlinie als ein Seil und die Wasserspiegelung als eine weiße Spinne und den Atlant gleich einem Gespenst auftauchen und verschwinden sehen.

Dann bekam ich nach einer Weile eine lange ferne Mauer im Westen zu sehen, eine graue, gläserne Mauer.

“Der Atlant”, sagte wieder der Kutscher, als ich fragte.

Die Straße ging an einer großen Windmühle vorüber, an eidottergelben blühenden Rapsfeldern, die so nüchtern gelb waren, daß ich meinen nüchternen Reisemagen noch hohler und nüchterner fühlte; ein paar riesige Bäume standen wie schiefgewehte Schilfhalme schräg auf dem horizontalen dunkeln Acker als beuge eine unsichtbare Hand die großen Bäume. Und auch hier fühlte ich an den schiefen Stämmen die Kraft des Atlant, vor dessen Sturmlungen diese Bäume sich ihr Leben lang nicht aufzurichten trauten. Auch wenn der glänzende Gott Okeanos mit glattem Wasserkörper in der Sonne schlief, blieben die Bäume in langen Reihen wie in einer ewigen Flucht, vor der Sturmmacht des Gottes entsetzt, mit fliehender Astbewegung und schief gebeugten Kronen und Stämmen, gleich einem Haufen fortstürzender Riesen. Und es malten sich die Gebärden der gequälten Bäume schreckerregend auch in der Windstille, wie umgeben von unsichtbaren Sturmungeheuern, wie umklammert von den toten Grimassen verschollener wilder Ozeannächte; als hätten erhenkte Riesen, deren Leiber von den schiefen Bäumen später abgeschnitten worden wären, die Bäume im Todeskampf verdreht und zur Erde gebogen.

Die große Windmühle, an der ich zuletzt, ehe ich die ersten Häuser von Pouldu erreichte, vorüberkam, ging ihren Geistergang langsam in der Spätnachmittagluft, langsam, wie ein Rieseninsekt, das sich überschlug. Und gerade unter den kreiselnden Armen der in die Luft fechtenden Mühlenfigur hielt der Kutscher einen Augenblick meinen Wagen an. Er rief ein paar Worte über eine Dornenhecke, dahinter die unglücklichen verstürmten schrägen Baumungeheuer dunkel vor dem Ozeanlicht standen. Das Ozeanlicht, das, weiß am dunkeln Feldrand wie aus einer Versenkung heraus an die Bäume, an die Wolken, und von unten an die Blätter der Rotdornhecken schien, beleuchtete eine Frauengestalt. Die wurde von dem Licht in die Länge gezogen, von dem unheimlichen Licht, das aus den Ackerfurchen aufzustrahlen schien wie das lange Licht eines Scheinwerfers, der aus irgendeiner Erdspalte von unten in den Himmel strahlt.

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