Schicksale einer Seele – Hedwig Dohm
Die Rolle als Mutter ist Marlenes einziger Halt in Ihrer Ehe – und das auch nur während der ersten Jahre. Sie ist das Opfer ihrer Familie als auch der Gesellschaft, scheu und schlecht gebildet und verinnerlicht immer mehr das schlechte Image, das ihr Mutter und Ehemann immer wieder einbläuen.
Format: eBook
Schicksale einer Seele.
ISBN eBook: 9783849655099
Auszug aus dem Text:
Monatelang nun ohne Dich geliebtester Freund! Freund! Das Wort klingt fast hart, deckt sich nicht mit dem Begriff. Starkes und Zartes, eine ganze Milchstraße von Sternen ist in dem Begriff. Freundschaft! Labsal ohne Schaum und Bodensatz. Alles ist Inhalt.
Zuerst war ich betrübt, daß ich Dir so ewig lange nicht schreiben sollte; die gelegentlichen postlagernden Briefchen und Karten in die Ferne hinaus, von Ort zu Ort, in denen nichts intimes stehen durfte, zählen ja nicht. Nun habe ich das Betrübtsein überwunden, da Du ja die Olympierfahrt nach Griechenland – und gewiß gehts bis nach Indien – als ein so großes Glück empfindest, lieber, lieber Idealist Du! Eine Tempelfahrt zu heiligen Gräbern! Da dürften nur Gebete Dich begleiten. Sie sollen’s auch. Aber nicht wahr, die leise Wehmuth in mir, die Dir nachzieht von Ort zu Ort, weil ich nicht mit Dir ziehen konnte, begreifst Du?
Wegen meines Katarrhs brauchst Du nicht ängstlich zu sein. Die liebe Julie und die gute Philomele, die pflegen mich und sorgen sich um das bischen Husten, als ob er lebensgefährlich wäre. Ein wenig greift er mich wohl an, nicht allzu sehr. Ich bin oft müde, eine angenehme Müdigkeit, in der das Dasein mich wie milde Luft umfließt, lind, einschläfernd.
Die Müdigkeit wird mich nicht hindern, mein Versprechen zu halten. Ich werde fleißig sein müssen, sehr fleißig, hurtig, hurtig schreiben! Drei Monate nur um meine ganze Lebensgeschichte zu Papier zu bringen!
Recht schlicht und einfach soll ich erzählen, wie Du es liebst. Versuchen will ich’s; und laufen mir zu viel Bilder in die Feder, so streiche ich sie wieder aus.
Ich weiß wohl, Du hast mir die Aufgabe gestellt, damit ich vor lauter Beschäftigung nicht Zeit haben soll, melancholisch zu werden.
Auch darin hast du gewiß recht: das fehlte unserer Intimität, daß Du meine Vergangenheit so wenig kennst. Würdest Du nur nach allem gefragt haben, ich hätte schon geantwortet, aber wir zwei Beide sind wirklich etwas zu diskret, zimperlich diskret.
Und jetzt meintest Du, wäre der geeignetste Zeitpunkt für mich rückwärts zu schauen, da ich an einem Wendepunkt meines Lebens stände.
Ja, ein Wendepunkt, das hoffe ich. Alles alles muß sich nun wenden.
Es wird mir nicht leicht werden dir mein treues Selbstportrait zu zeichnen. Der Kontrast zwischen dem was ich war und wie ich geworden bin, ist zu groß: zwei Seelen, die kaum noch eine leichte Familienähnlichkeit miteinander haben. Ich kann mich nicht zurück denken zu der unschuldigen, mit etwas Romantik versetzten Naivetät meiner jungen Jahre. Du mußt mir nun schon glauben, was ich von mir berichten werde, auch wenn sich meine Worte von heute mit der Marlene, die ich einst war, nicht decken.
Als wir uns kennen lernten, fandest Du ja auch noch so vieles in mir, daß Du Dir nicht zusammen reimen konntest. Wenn Du zu Ende gelesen haben wirst, was ich hier schreibe, wirst Du es begreifen wie ich so verblödet, so jeder Individualität bar, so charakterlos und feig und geduckt werden konnte, und dabei so frechen Geistes, so schwer in meinem Denken und Fühlen zu beeinflussen, so ganz mein inneres Leben für mich lebend, selbständig und allein.
Ich komme mir selber oft wie eine Schnecke mit Flügeln vor. Sie nützen mir nichts – die Flügel, das Schneckenhaus ist zu schwer.
Habe ich eigentlich viel zu erzählen? Ich werde mir den Kopf zerbrechen müssen um aus der Tiefe meines Gedächtnisses herauszufischen, was etwa auf dem Grunde ruht, schwerlich Perlen – oder doch vielleicht Perlen, wenn es wahr ist, daß sie ein krankhaftes Produkt gesunder Muscheln sind. Bin ich krankhaft? weiß ich denn so recht wie und wer ich bin? Vielleicht, wenn ich all meine Erinnerungen nieder geschrieben habe, weißt Du es und Du sagst es mir dann wieder.
Tagelang, wochenlang soll ich mich nun mit mir beschäftigen, immerzu ich – ich! Müßte nicht Feinergearteten eine Art pudeur – mir fehlt im Augenblick das deutsche Wort – überkommen so die Seelenhüllen abzustreifen? Zu Hause in Berlin hätte ich’s gewiß nicht gekonnt, hier aber, wo die Sonne in jeden Winkel hineinstrahlt und in ihrem Licht marmorne Götter ihre stolze keusche Nacktheit baden, geht es eher. Und wenn schon denn schon. Ich werde selbst vor Eigenlob nicht zurückschrecken, wenn ich auch nicht annähernd so brav bin wie Du es von mir denkst.
Anfangen! anfangen! Ja, gleich. Am Ende wird mein Geschreibsel eine förmliche, Antobiographie werden. Du hast’s gewollt. Ganz am Schnürchen will ich erzählen und mit dem Anfang anfangen.
Wir schreiben jetzt 66. Ich bin 33 Jahre alt. Rechne aus, wann ich geboren bin. Daß es zu Berlin war weißt Du. Daß mein Vater Inhaber einer Kattunfabrik ist, daß ich unter acht Geschwistern das älteste Mädchen war, weißt Du auch.
Ich erzählte Dir einmal von meinen Geschwistern, erinnerst Du Dich? Du sagtest schmeichlerisch: ein Schwan im Ententeich. Ach Du Lieber, eher ein Kukuksei, das im fremden Nest ausgebrütet wurde.
Ich bin mit einem rothen Mal auf der Stirn geboren, ob ein stern- oder kreuzartiges, darüber sind die Gelehrten nicht einig. Es entstellt mich nicht, weil es nur sichtbar wird, wenn ich sehr erhitzt bin. Wahrscheinlich hast Du es nie bemerkt.
Wie ich zu dem Namen Marlene komme, da doch meine Geschwister alle so hausbackene Namen haben? Eins meiner Brüderchen erzählte der Mama eines Tages das Märchen vom Marlenechen. Und er soll es so drollig erzählt haben, daß meine Mutter Thränen lachte, und fast unter diesen Lachthränen kam ich zur Welt. Zum Andenken an diese wunderbare Begebenheit wurde ich Marlene getauft.
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