Stunden zum Einsegnungsunterricht

Stunden zum Einsegnungsunterricht – Hermann von Bezzel

Der 1917 in München verstorbene Hermann von Bezzel war lutherischer Theologe, Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau und Oberkonsistorialpräsident der bayerischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. In diesem Werk finden sich Unterrichtsstunden aus den Einsegnungsunterrichten, die Bezzel 1892 und 1909 gehalten hat.

Stunden zum Einsegnungsunterricht

Stunden zum Einsegnungsunterricht.

Format: Paperback, eBook

Stunden zum Einsegnungsunterricht.

ISBN: 9783849665753 (Paperback)
ISBN: 9783849662264  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Einsegnungsunterricht 1892

1. Stunde.

Komm, Heiliger Geist, Herre Gott, und erfüll die Herzen Deiner Gläubigen, wie Du sie einst am Tage Deines Pfingsten erfüllt hast, und schenke ihnen aus Deiner Fülle, daß sie Dich, Jesum Christum, unsern Herrn, samt Gott dem Vater einmütiglich preisen mögen. Amen.

 In dem Herrn Christo geliebte Schwestern, es mag Ihnen vielleicht befremdlich gewesen sein, daß, als Ihnen die Mitteilung geworden, das Mutterhaus habe Sie für fähig erachtet, eingesegnet zu werden, ich Ihnen gerade das hohepriesterliche Gebet zur Betrachtung empfohlen habe, weil ja scheinbar dieses Gebet mit den nächsten Aufgaben, die Ihrer warten, ja mit den Aufgaben der ganzen Diakonissensache zunächst nicht viel zu thun hat – aber desto mehr sollen wir inne werden, daß in dem hohenpriesterlichen Gebete des Herrn, wie alle Bewegungen Seiner Kirche auf Erden, so auch der jüngsten Bewegungen eine, die Diakonissensache mitgefaßt worden ist. Wir haben nicht bloß das Recht, sondern geradezu die Pflicht, uns alles das anzueignen, was Er für Seine ganze Kirche fürbittenden Herzens im hohepriesterlichen Gebet Seinem himmlischen Vater vorgetragen hat.

 Es ist, seitdem die Diakonissensache in unserer Kirche wieder bekannt geworden ist, ein mächtiger Umschwung in der Beurteilung und Stimmung seitens der Welt vorgegangen. Als vor nun bald 60 Jahren der sel. Fliedner, vor nun bald 40 Jahren unser sel. Vater Löhe die Diakonie begonnen haben, da war die Stimmung der Welt, wenns hoch kam, eine zuwartende, keineswegs eine günstige, fördernde, von warmen Wünschen begleitete. Die warmen Wünsche und ernsten Gebete wagten sich nicht aus dem engsten Kreise heraus. Die Kirche im allgemeinen und die Welt im ganzen und großen hatten für die Sache keine Wünsche, Mißtrauen um so mehr. Es ist anders geworden. Sie und ich leben in einer Zeit, in der ein mächtiger Umschwung zu Gunsten dieser Sache vor sich gegangen ist. Die Diakonie ist in der Kirche kein landfremdes, unbekanntes Kind mehr; sie hat Bürgerrecht [un]d Heimatschein in derselben bekommen. Sie ist auch nicht mehr fremd in der Welt und unbekannt, sie hat sich heimisch gemacht in der Welt, sie wird von ihr anerkannt. Da mag es für den ersten Augenblick scheinen, als ob jenes Wort der Schrift sich erfüllt hätte: „Wenn jemandes Wege dem Herrn wohlgefallen, so macht Er auch seine Feinde mit ihm zufrieden!“ Es mag ein erhebender Gedanke sein, daß die Welt sich für uns erwärmt und uns mit ihrem Interesse begleitet, aber es muß wohl dabei bedacht werden, daß die Welt nur aus selbstsüchtigen Interessen die Diakonissensache fördert; in demselben Augenblick, da wir nicht bloß dienend, sondern bekennend vor die Welt hintreten, wird man um dieses Bekenntnisses willen den Dienst zurücktreten lassen – und um der Entschiedenheit des Bekenntnisses willen den Dienst nicht mehr so würdigen. Die Mißgunst der Welt, unter welcher die Diakonie lange gelitten, war eine weit geringere Gefahr, als die Sympathie, welche diese jetzt der Sache entgegenbringt. Das mangelnde Verständnis von Seiten der Welt könnte die Schwestern dahin fördern, daß sie sprechen lernen: Wir gehen dem Herrn und Seinem Kreuze nach, wir sind Dienerinnen Dessen, Der auch auf Erden nicht wußte, wo Er Sein Haupt hinlegen sollte – Er hatte keine bleibende Stätte, darum soll auch der Ihm erwiesene Dienst die Sympathien der Welt nicht haben. Die Mißgunst der früheren Jahre war eine weit geringere Last, als die Gunst unserer Zeit. Diese hat eine große Gefahr. Die Sache der Diakonie macht, ohne es zu wollen und zu wissen, der Welt Zugeständnisse; auch die einzelne Schwester macht in ihrem Auftreten, Dienen und Handeln der Welt Zugeständnisse und nicht dem Weltheiland. Je mehr die Welt sich für diese Sache erwärmt, desto mehr werden die einzelnen Schwestern und die ganze Sache Gefahr laufen, zu werben um die Gunst der Welt. Das, was Ihrem Beruf die eigentliche Weihe giebt, wird mehr und mehr abgestreift, flüchtige Interessen, vergängliche Sympathien der Welt kann man nur erwerben, wenn man unvergängliche Interessen und heilige Rechte daran giebt. Der berufene Diener Christi hat von Seinem Herrn die heilige Pflicht erhalten, zu warnen, so lange es Zeit ist. Nehmen wir es ganz äußerlich: Die Sache wächst nach außen, neue Häuser bilden sich, ohne daß das Bedürfnis nachgewiesen wäre, wie durch einen warmen Frühregen, so kommt die ephemere Existenz eines Hauses zum Vorschein. Aeußerlich genommen wächst die Sache mächtig, aber nicht darum, weil die Forderungen strenger würden, die Ansprüche wüchsen, sondern weil man den an sich engen Weg etwas verbreitert und die schmale Pforte erweitert. Die römische Kirche verschärft die Forderungen an ihre Schwestern; die Neugründungen der römischen Kirche haben strengere Askese; dort füllen sich die Häuser trotz der wachsenden Strenge, bei uns wegen einer gewissen Laxheit, wem hier nicht die Augen aufgehen, dem ist überhaupt nicht zu helfen, wer hier nicht merkt, wo die Gefahr ruht, der merkt überhaupt nichts mehr. Das wollen wir uns sehr ernstlich gesagt sein lassen, darin liegt unsere Gefahr, daß wir die Diakonissensache verallgemeinern, daß wir das Feuer, welches der Herr auf dem Altar angezündet hat, in die Welt hinaustragen, ohne daß es genügend geschützt wäre. Die Einfachheit und der Ernst, welcher die Sache bisher getragen hat, muß bleiben und noch mehr verschärft werden. Mein Ideal ist, daß unsere Schwestern immer mehr mit ernstem Blick der drohenden Gefahr entgegensehen und die Fehler, die sie selbst begangen haben, um diese Gefahr heraufzubeschwören, erkennen und sie überwinden.

Unsere Sache soll nicht als eine von der Welt begrüßte und getragene, sondern nur als eine von der Welt geduldete sich fühlen. Unser Bestreben, unsere Arbeit, unser Ringen, unser Bitten gehe dahin, daß die Sache nur eine geduldete bleibe. Die Not wächst ins Immense, die Hilfsbereitschaft nicht in diesem Grade, infolgedessen müssen die einzelnen mehr leisten. Die Welt freut sich dieser Mehrleistung, läßt sie sich gefallen – wir aber müssen bedenken, daß diese Mehrleistung, wenn sie nur eine quantitative, unbedingt auf Kosten der qualitativen geschehen muß. Die Schwestern geben aus und nehmen nicht mehr ein; sie verlieren sich in ihrer Werkgeschäftigkeit, deshalb glaubte ich, Ihnen das hohepriesterliche Gebet auslegen zu dürfen, weil in diesem Gebet die Wurzeln der Kraft für das Leben Seiner Kirche liegen und das rechte Verhältnis dargestellt wird zwischen der schauenden und anbetenden Liebe einerseits und der wirkenden anderseits. Würde unsere Liebe zu dem Herrn und Heiland nur eine schauende und betrachtende sein, wie wohl in der alten Kirche manchmal gemeint wurde, so würde das ein Leben des Genusses werden. Würde unser Verkehr mit unserm barmherzigen Hohenpriester und durch ihn mit unserm Herrn und Gott bloß beschaulicher, betrachtender Art sein, so müßte dieser Verkehr Genuß werden um des Genusses willen, – er würde bald kranken und dann unfähig machen, die Zeichen der Zeit und ihre Aufgaben zu verstehen. Würde unsere Liebe bloß eine wirkende (in anderer Weise wirkend) – sein, so müßte sie sich in Vielgeschäftigkeit verlieren, die noch weit gefährlicher wäre, als die Vielgeschäftigkeit der Welt. Christen werden durch die Vielgeschäftigkeit sterben; der eine stirbt am Zuviel des Genusses, der andere am Zuviel der Arbeit – unser Heiland will uns das rechte Verhältnis zwischen der anbetenden und betrachtenden, – wirkenden und leidenden Liebe zeigen. Lassen Sie uns einen Blick werfen in das Leben des Herrn: Ein Kirchenlehrer hat unsern Herrn Christum den großen Einsamen geheißen, Er ist der große Einsame, der, weil Er Sich von der Welt nicht verstanden wußte und fühlte, allein durch die Welt ging mit Seinen Sorgen, Anliegen und Gebeten, unverstanden und ungekannt, der Sich immer und immer wieder zurückzog in die innersten Gemächer, in die geheimste Verborgenheit des inneren Lebens. Mit dem Gebetsleben und aus dem Gebetsleben heraus kommt die Verklärung des Herrn. Er hat Sich vertieft in die Geheimnisse Seines Gottes, Er hat sprechen gelernt: Dein Wille geschehe! Das war für Ihn und ist für uns die Krone der betrachtenden und beschauenden Liebe. „Dein Wille geschehe,“ darin liegt, daß Er allmählich Sich hineinlebte in die Reichsgedanken Seines ewigen Gottes, daß Er sagen konnte: „Dein Wille ist der meinige, Deinen Willen thue Ich gerne.“ Aber diesem betrachtenden Leben gegenüber steht das Leben der größten Thatkraft, wir dürfen nur ein Kapitel im Evangelium Marci aufschlagen, so werden wir dessen gewahr, wie unser Herr Christus Seine Tage ausgenützt hat vom frühen Morgen bis zum späten Abend. „Er heilte sie alle,“ – „Ich muß wirken, solange es Tag ist.“ Eingedenk der Nacht des Todes, die auch Ihn umfangen sollte, wirkte Er in so selbstvergessender, hingebender Weise, daß Er das Vorbild der wirkenden Liebe geworden ist. „Eure Stunde ist allewege; Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Bei menschlichem Thun und Treiben ist die eine Stunde eben so bedeutsam wie die andere, weil auf die einzelne Zeitfolge durchaus nichts ankommt. Für Menschen-Thun und -Weise ist die Zeit nur der äußere Rahmen; bei Ihm ist alles vollkommen systematisch, vollkommen geordnet. Er will Seine Stunde abwarten, um sie auszufüllen mit Seinem Thun. Ja, so hat unser Herr und Heiland gewandelt auf Erden – in betrachtender Liebe Seinem himmlischen Vater hingegeben, in betendem Ringen von Ihm Sich Kraft erholend und mit immer erneuter Kraft auftretend, immer die richtige Stunde zum richtigen Handeln erfassend, die Stunde auskaufend bis auf ihre letzten Minuten. Die Zeit war kurz für Ihn, und wie hat Er sie ausgefüllt! Wenn uns bang ist um unsere Stellung, hier haben wir Den, der mit einem einzigen Worte Sich die Anerkennung der ganzen Welt hätte erkaufen können und dies Wort nicht gesprochen hat, der mit einer einzigen That, einer einzigen Konzession die Anerkennung, Stimmung und Gunst der ganzen Welt hätte erwerben können und diese That ungeschehen gelassen hat. Von Ihm können wir lernen, wie wir der Gefahr der allzugroßen Beliebtheit begegnen und sie dadurch beschwören, daß wir ein einziges Wort ungesprochen lassen, welches aber doch die Fülle des ganzen Lebens in sich schließt, und dies Wort heißt: Mit der Welt – „Wäret Ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb,“ – „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch Ich nicht von der Welt bin.“

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