Vom jungfräulichen Stande – Johannes Chrysostomos
In dem langen Traktat “De Virginitate” (Vom jungfräulichen Stande) verteidigt Johannes Chrysostomos kühn seine Präferenz für das Zölibat, entlarvt und verurteilt aber gleichzeitig den schlimmen Irrtum der Marcioniten und Manichäer, die die Ehe insgesamt als Sünde verdammten. Sie irrten seiner Meinung nach in der Annahme, dass die Enthaltsamkeit von der Ehe ihnen einen Platz im Himmel verschaffen würde, denn selbst wenn man ihnen zugestehen würde, dass die Ehe eine Sünde war, müsste man bedenken, dass nicht diejenigen, die sich der Sünde enthielten, sondern diejenigen, die Gutes taten, die höchsten Belohnungen dafür erhalten würden. Das Zölibat der Ketzer, wie z.B. der Manichäer, basierte auf der falschen Vorstellung, dass alle erschaffenen Dinge böse seien und der Schöpfer selbst ein der höchsten Gottheit untergeordnetes Wesen.
Format: eBook/Taschenbuch
Vom jungfräulichen Stande
ISBN eBook: 9783849660147
ISBN Taschenbuch: 9783849668020
Auszug aus dem Text:
1. Der jungfräuliche Stand der Ketzer hat keinen Lohn zu gewärtigen.
Das vortreffliche Gut des jungfräulichen Standes verabscheuen die Juden; es ist auch kein Wunder, da sie sogar den aus einer Jungfrau geborenen Christus verschmähten: die Heiden bewundern ihn und staunen darüber: Eifer dafür hat allein die Kirche Gottes. Denn die Jungfrauen der Ketzer möchte ich nicht einmal so nennen; erstens weil sie nicht keusch sind; denn sie sind nicht Einem Manne verlobt, wie jener heilige Brautwerber Christi es will, wenn er sagt: „Ich habe euch Einem Manne verlobt, als keusche Jungfrau euch Christo darzustellen.“1 Denn wenn dieses auch von der ganzen Versammlung der Kirche gesagt ist, so umfaßt diese Rede doch auch Jene. Wie können also diejenigen keusch sein, welche nicht Einen Mann lieben, sondern einen anderen Gott, der es nicht ist, einführen? Für’s erste also sind sie aus diesem Grunde nicht Jungfrauen; zweitens aber, weil sie, indem sie die Ehe verdammen, auf dem Wege dazu gekommen sind, sich der Ehe zu enthalten. Denn da sie dieselbe für sündhaft erklären, so haben sie sich den Lohn der Jungfrauschaft im Voraus benommen. Denn es ziemt sich ja nicht, daß diejenigen gekrönt werden, welche das Laster vermeiden, sondern nur, daß sie nicht der Strafe verfallen; und das kann man nicht blos aus unseren Gesetzen ersehen, sondern es ist auch in jenen der Draußenstehenden so festgesetzt. „Wer einen Mord verübt“, heißt es, „der soll getödtet werden“: es wird aber nicht auch beigefügt: „Wer keinen Mord verübt hat, der soll geehrt werden.“ „Der Dieb soll bestraft werden,“ nicht aber auch: „Wer fremdes Gut nicht geraubt hat, soll eine Belohnung erhalten“: und während sie den Ehebrecher tödten, haben sie den, welcher fremde Ehen nicht untergrub, keiner Ehre würdig erachtet. Denn Lob und Bewunderung verdienen nur jene, welche sich der Tugend befleissen, nicht diejenigen, welche das Laster fliehen: den für diese ist es schon Ehre genug, daß sie keine Strafe erleiden. Deßhalb hat auch unser Herr demjenigen, welcher unbesonnen und grundlos seinem Bruder zürnt und ihn einen Narren heißt, mit der Hölle gedroht,2 hat aber denjenigen, welche nicht grundlos zürnen und sich des Schmähens enthalten, nicht das Himmelreich in Aussicht gestellt, sondern von ihnen etwas Anderes verlangt, was mehr und größer als das ist, indem er sagt: „Liebet euere Feinde.“3 Und da er zeigen wollte, daß es etwas gar Geringes und Unbedeutendes sei und keine Belohnung verdiene, wenn man die Brüder nicht hasse, so sagt er, nachdem er etwas viel Größeres befohlen, nämlich sie zu lieben und ihnen Gutes zu thun, daß selbst dieses nicht hinreiche, um einen Lohn zu verdienen. Denn wie könnten wir das, da wir hierin nichts vor den Heiden voraushaben? Wollen wir also eine Belohnung aussprechen, so muß noch etwas weit Größeres dazu kommen. „Denn nicht bloß deßhalb,“ sagt er, „halte dich der Krone für würdig, weil ich dich nicht zur Hölle verdamme, der du dich des Schmähens und des Zornes gegen deinen Bruder enthältst. Denn ich fordere nicht bloß ein solches Maaß freundlichen Sinnes; sondern, wenn du dir auch kein Schimpfwort erlaubst, und du ihn sogar zu lieben behauptest, so stehst du noch tief und stellest dich neben die Zöllner. Willst du vollkommen und des Himmels würdig erscheinen, so bleibe nicht dabei stehen, sondern steige weiter hinauf und nimm einen höhern Flug der Gedanken, als die Natur selbst ist; das besteht aber darin, daß du die Feinde liebest.“ Da nun für uns das allseitig feststeht, so mögen die Häretiker aufhören, sich vergeblich zu quälen; denn sie werden keine Belohnung empfangen, nicht als ob Gott ungerecht ist — das sei ferne —, sondern weil sie selbst unwissend und gottlos sind. Was nun? Es wurde bewiesen, daß für die bloße Flucht der Sünde kein Lohn in Aussicht gestellt sei; Sie aber halten die Ehe für sündhaft und fliehen sie deßhalb: wie werden sie also für die Meidung der Sünde eine Belohnung fordern können? Denn wie wir, falls wir nicht ehebrechen, keine Krone verdienen, Ebenso wenig auch sie, weil sie nicht heirathen. Denn es wird derjenige, der an jenem Tage über uns Gericht halten wird, sie also anreden: „Ich habe nicht denjenigen Ehren verheißen, die sich bloß der Laster enthielten (denn das ist in meinen Augen gering); sondern ich werde diejenigen, welche jegliche Tugend geübt, in die ewige Erbschaft des Himmels einführen. Wie verlangt also ihr, die ihr die Ehe für unrein und sündhaft gehalten, für die Flucht vor der Sünde Belohnungen, welche für jene bestimmt sind, welche Gutes gethan?“ Denn darum stellt er die Lämmer auf die rechte Seite, belobt sie und führt sie in’s Himmelreich ein,4 nicht weil sie nichts Fremdes geraubt, sondern weil sie auch das Ihrige Andern mitgetheilt haben: und denjenigen, welchem fünf Talente anvertraut worden, belobt er, nicht weil er sie nicht vermindert, sondern weil er das Anvertraute vermehrt und das Pfund doppelt zurückgebracht hat. Wie lange werdet ihr also nicht aufhören, umsonst zu laufen, euch vergeblich zu mühen, vergeblich zu kämpfen und Luftstreiche zu führen?5 Aber wenn doch nur vergeblich! obgleich es schon als nicht geringe Strafe erscheint, daß diejenigen, welche viel gearbeitet haben und einen höhern Lohn, als ihre Arbeiten waren, erwarten, an jenem Tage des Ruhmes unter die Ruhmlosen eingereiht werden.
2. Der jungfräuliche Stand der Ketzer hat sogar Strafe zu gewärtigen.
Nun ist aber das nicht das einzige Unglück, nicht der einzige Verlust, der sie trifft, daß sie keinen Gewinn ziehen, sondern sie werden noch etwas weit Schwereres zu erdulden haben: das unauslöschliche Feuer, den nimmer sterbenden Wurm, die äußerste Finsterniß, Trübsal und Angst. Wir müßten also zahllose Zungen und die Macht der Engel besitzen, um Gott für seine Sorgfalt gegen uns würdigen Dank zu erstatten; oder vielmehr, auch so wäre es nicht möglich. Denn wie könnten wir das? Das Beschwerliche des jungfräulichen Standes ist für uns und die Häretiker gleich, ja vielleicht für sie noch viel größer, die Frucht der Bemühungen ist aber ungleich; denn auf sie warten Bande, und Thränen, und Heulen und unaufhörliche Peinen: auf uns aber das Loos der Engel, leuchtende Lampen, und das höchste aller Güter, der Umgang mit dem Bräutigam. Warum ist denn aber der Lohn für die gleichen Bemühnngen ein entgegengesetzter? Weil jene den jungfräulichen Stand gewählt haben, um Gott ihre eigene Satzung entgegenzustellen; wir aber diesen erwählen, um dessen Willen zu thun. Denn daß Gott wünsche, alle Menschen möchten sich der Ehe enthalten, dafür gibt derjenige Zeugniß, durch den Christus redet: „Ich wünsche,“ sagte er, „daß alle Menschen so seien, wie ich bin“,6 nämlich enthaltsam. Allein der Heiland hat um uns zu schonen, und weil er wußte, daß der Geist zwar willig, das Fleisch aber schwach sei,7 die Ehelosigkeit nicht in ein zwingend Gebot eingeschlossen, sondern die Wahl uns selbst überlassen. Denn wäre sie Vorschrift und Satzung, so würden die, welche sie hielten, keine Ehre erlangen, sondern nur hören: „Ihr habt gethan, was zu thun euere Pflicht war“;8 und die Uebertreter würden keine Verzeihung erhalten, sondern die Strafe der Gesetzübertreter erdulden. Nun aber hat er mit den Worten: „Wer es fassen kann, der fasse es“,9 jene nicht verdammt, die es nicht können, denen aber, die es können, einen schweren und großen Kampf in Aussicht gestellt. Darum sagt auch Paulus, in die Fußtapfen des Meisters tretend: „Was aber die Jungfrauen betrifft, so habe ich kein Gebot vom Herrn, einen Rath aber gebe ich.“10
3. Die Verachtung der Ehe ist eine teuflische Bosheit.
Nun aber haben weder Marcion, noch Valentinus, noch Manes diese Mäßigung beobachtet; denn aus ihnen redet nicht Christus, der seine Schäflein schont und für dieselben sein Leben hingibt, sondern jener Menschenmörder und Vater der Lüge. Deßhalb haben sie Alle, die auf sie hörten, zu Grunde gerichtet, indem sie sie dieselben hier mit unnützen und unerträglichen Lasten beluden, dort aber mit sich in das für sie bereitete Feuer hineinzogen.
4. Die Jungfrauen der Ketzer sind sogar elender, als die der Heiden.
O ja, ihr seid noch schlimmer daran, als die Heiden! Denn obgleich die Strafen der Hölle die Heiden erwarten, so genießen sie doch wenigstens hier ein Vergnügen, dadurch, daß sie Ehen eingehen, und daß sie Geld besitzen, und die übrigen Freuden des Lebens; ihr aber habt auf beiden Seiten Qualen und Trübsal, hier freiwillig, dort gegen euren Willen zu tragen. Den Heiden wird Niemand für ihr Fasten und den jungfräulichen Stand weder Belohnung noch Strafe ertheilen; ihr aber werdet für das, wofür ihr unermeßliches Lob hofft, die härtesten Strafen erleiden und mit den Uebrigen hören müssen: „Weg von mir in’s ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“11 — mit diesem euren Fasten, mit dieser eurer Jungfräulichkeit! Denn weder das Fasten, noch die Jungfräulichkeit sind an sich gut oder böse, sondern sie werden das Eine und das Andere erst durch die Absicht derjenigen, welche sie üben. Den Heiden bringt diese Tugend keinen Gewinn; denn sie gehen des Lohnes verlustig, weil sie sich ihr nicht aus Gottesfurcht unterzogen; ihr aber, die ihr dieselbe geübt, nachdem ihr mit Gott Krieg geführt, und sien Werk verdammt habt, werdet nicht nur eures Lohnes verlustig, sondern auch noch gestraft werden. Und was die Lehren betrifft, so werdet ihr mit ihnen auf gleicher Linie stehen, weil ihr ebenso, wie die Heiden, den wahren Gott verworfen und eine Vielgötterei eingeführt habt. Was aber euer Leben betrifft, so werden jene besser durchkommen, als ihr; denn jenen gereicht blos dieses zum Nachtheil, daß sie nichts Gutes erlangen, euch aber, daß ihr Strafe erduldet: und jenen war es gestattet, in diesem Leben Alles zu genießen, ihr aber entbehret der beiderseitigen Vortheile. Kann es wohl eine härtere Züchtigung geben als die, statt der Belohnung für Anstrengung und Mühe Strafen zu erhalten? Der Ehebrecher, der Betrüger, wer im fremden Eigenthum schwelgt und seinen Nächsten beraubt, hat doch einigen Trost — er ist zwar kurz, aber sie haben ihn doch, — weil sie für das bestraft werden, was sie hier genossen; wer sich aber freiwillig der Armuth unterzieht, um jenseits bereichert zu werden: wer sich den Mühen der Jungfräulichkeit unterzieht und jenseits mit den Engeln Reigen aufzuführen; welch’ unsäglichen Schmerz muß er aus einem so unerwarteten Ereignisse schöpfen, wenn er plötzlich und gegen alle Erwartung dafür gestraft wird, wofür er eine herrliche Belohnung gehofft hat! Denn ich glaube, daß ein solcher nicht minder durch sein Gewissen als durch das Feuer werde gepeiniget werden, wenn er sich erinnert, daß diejenigen, welche mit ihm die gleichen Werke vollbracht, bei Christus verweilen, er hingegen für das, wofür jene unaussprechlichen Freuden genießen, die äußersten Strafen erleide und, nachdem er ein strenges Leben geführt, härter als Schwelger und Lüstlinge gezüchtiget werde.
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