Von Babylon nach Jerusalem

Von Babylon nach Jerusalem – Ida Gräfin Hahn-Hahn

Die Autobiografie der deutschen Schriftstellerin, Lyrikerin und Ordensgründerin. Die Autorin war eine der meistgelesenen ihrer Zeit und wurde selbst von Leuten wie Eichendorff oder Fontane gepriesen.

Von Babylon nach Jerusalem

Von Babylon nach Jerusalem.

Format: eBook

Von Babylon nach Jerusalem.

ISBN eBook: 9783849655747.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Ich glaube! – O, wenn es Worte gäbe, um die Empfindungen auszudrücken, mit denen ich sage: ich glaube! Es reichen sich darin ich weiß nicht was für ein unirdisches Glück, für ein unirdischer Schmerz die Hand: gefunden zu haben die ewige Wahrheit, aber – wie spät! Doch immer, doch durch das ganze Leben hindurch den Durst nach jener, die Sehnsucht nach dieser gehabt zu haben; aber ihren Quell zu finden – wie spät! Sich sagen zu müssen, daß vielleicht nur eine einzige stärkere Bewegung des Willens, ein einziger entschiedener Schritt des innersten Wesens zum Licht der Erkenntnis mich schon vor Jahren auf den Pfad hätten bringen können, auf dem ich jetzt gehe – o ja, das wär’ ein bitterer Schmerz, wenn er nicht überwältigt würde durch das unsterbliche Siegesgefühl, das den ganzen Menschen ergreift und sein irdisches Leben dermaßen mit dem ewigen zusammenschmilzt, daß er vergißt, nach Tagen und nach Jahren zu rechnen, weil Tage und Jahre einen andern Inhalt, einen andern Wert, eine andere Bedeutung bekommen – wenn er sagt: Ich glaube! – Mit diesem Gefühle müssen in alten Zeiten Siegesboten aus gewonnenen Schlachten heimgeeilt sein in die Vaterstadt, um zu verkünden, daß der Feind gewichen und überwältigt sei. Er ist sehr müde, der arme Bote, und ganz bestaubt, und blutet aus seinen Wunden, und seine Waffen sind auch ganz abgenutzt; – die Übrigen sehen es! Er selbst aber sieht es nicht, weiß und merkt es nicht; und wenn er’s wüßte, so wär’ es ihm ganz einerlei! denn seine Seele ist nur erfüllt von dem einen: Sieg! ruft er, Sieg! das Vaterland ist gerettet! – Und so rufe ich, der sehr arme Bote, dennoch tausendmal glücklicher als jener, der nur über irdische Schlachten triumphierte: Sieg! das Vaterland ist gewonnen! ich glaube!

Doch wer glaubte denn nicht? Aus fernsten Zeiten, aus verschollnen Jahrtausenden, von untergegangenen Völkern, von unerklärten Denkmalen und Ruinen, aus geheimnisvollen Religionen, aus rohen Fetischdiensten, aus embryonischen Ahnungen, aus tiefsinnigen Mysterien, aus wilden Horden, aus fein zivilisierten Staaten – all überall tritt der Glaube als religiöses Gefühl uns entgegen. Wenn das ist – warum denn dieser Jubel, diese Seligkeit? dann werde doch ich nicht einzig und allein in der Nacht des Unglaubens verwildert gewesen sein, sondern auch meinesteils geglaubt haben? O ja, ich glaubte. Aber! – – »Die Teufel glauben auch – und zittern.« Eva glaubte auch der Schlange und fiel. Die Egypter glaubten auch – an den Apis; die Phönizier auch – an Baal und Astarte; der Götzendiener auch – an den hölzernen Klotz, den er zu einem Bilde zurecht geschnitzt hat, und zwar aus demselben Baum, der ihm Holz zum Kochen und zur Feuerung gegeben – wie der erhabene Isaias in trauriger Majestät diese Seelenblindheit beschreibt und mit den Worten endet: »Sein Anteil ist Asche; sein töricht Herz betet davor anstatt seine Seele zu retten.« (Isaias 44, 13–20.) – O ja – ich glaubte! an einen selbstgeschaffenen Gott – und mein Anteil war Asche! an Idole – und sie sanken in den Staub oder – in’s Grab, und mein Anteil war Asche. Sie konnten nicht meine Seele retten, nicht sie trösten, nicht sie erlösen, nicht sie heiligen; mein Anteil war Asche. Mein Herr und mein Gott! wie traurig ist es, bekennen zu müssen, daß ich so lange, so tief, so innig, so fest und warm etwas geglaubt habe, was Du nicht warst und was ich doch mit unbefangener Verwegenheit Gott nannte. Und ich gab diesem Etwas Deine Attribute, stellte mich unter seine Hand, fühlte mich so sicher unter seiner Leitung, als ob es die der ewigen Wahrheit, der göttlichen Liebe sei! fühlte mich der Unsterblichkeit gewiß, der Vergebung der Sünden, des ewigen Lebens – weil ich es brauchte, weil ich mich darnach sehnte, weil ich nicht mit dem rätselhaften Dasein fertig werden konnte, ohne es in dieser Weise zu deuten – weil ich eben ein sehr lebhaftes, religiöses Gefühl hatte, wie das sehr gut beim Götzendienst stattfinden kann. Aber mein Anteil war Asche, denn dies Gefühl vermochte nicht, meine Seele zu retten, als der Augenblick kam, wo es hieß: Was willst du jetzt? gänzlichen Abfall oder gänzliche Unterwerfung? – Mit all meinem religiösen Gefühl stand ich am Abfall. O, das war eine fürchterliche Zeit, und ich kann gar nicht begreifen, daß ich erst kürzlich aus ihr herausgetreten bin. Mir ist zu Sinn, als hätte ich sie vor hundert Jahren durchgemacht, dermaßen fern liegt sie mir. Doch nicht fern genug, um nicht sie, um nicht die ganze Epoche, deren Ende sie war, deutlich übersehen und mit großer Klarheit erkennen zu können.

Wie in einer unterirdischen Höle habe ich mein ganzes Leben bis vor wenig Monaten hingebracht. Ich schmückte diese Höhle nach besten Kräften, mit großer Anstrengung, mit aufrichtiger Liebe, unter manchem Mühsal, unter sehr vielen, heißen Tränen – und stets mit der festen Überzeugung, daß sie keine Höhle, sondern ein heiliger Tempel sei. Ich zündete Lampen, Kerzen und Fackeln in ihr an – so hell, wie der arme Geist es vermogte, und trug Blumen in sie hinein, so viel deren das arme Herz fand. Ich errichtete Altäre in ihr und opferte meinen Idolen: Liebe, Wahrheit, Ruhm – diese drei Genien, welche, je nachdem sie in der erlösten oder unerlösten Seele ihre Gezelte aufschlagen, zum Abgrund oder in die Glorie führen. Die Liebe in der unerlösten Natur – und der Mensch fällt mit ihr in eine Sklaverei seines Ichs, die um so gefährlicher ist, als alles, was in ihm natürlich gut – für sie bereit zu jedem Opfer ist. Man will leiden mit dem geliebten Gegenstand, und entbehren und trauern und opfern und gar nichts haben, und ihn allein glücklich machen; und aus diesem Sehnen und Streben steigt ein so feiner, süßer, duftiger Egoismus auf, daß er, wie das Arom der schönen Lilie, der lieblichen Orangenblüte betäubend, lähmend, berauschend wirkt, so daß, selbst wenn keine Enttäuschungen eintreten sollten, Entnervung und Abspannung sich einstellen, und das Herz so schwer und müde machen, daß es zu Zeiten erliegen möchte vor einer geheimnisvollen Traurigkeit, die wie ein melancholischer Schatten auftaucht und zu flüstern versucht: »Hast du auch wirklich dasjenige gefunden, was für alle Ewigkeit dir genügt und dich befriedigt und der Quell deines wahren Glückes ist?« – Und wenn man tapfer »Ja« antwortet, so klingt das oft wie »Ach!« – und sagt man »Ach!« so weiß man oft selbst nicht recht, was alles darin enthalten ist von jenem – ich möchte ihn nennen idealischen Schmerz, der, wie Ixion, die Göttin aus seinen Armen als eine leere Wolke entschweben sieht. Weil das Ich sich nährt mit der ganzen Kraft der Liebe: so nimmt es immense Proportionen an und treibt die Selbstsucht bis auf die feinste äußerste Spitze, wo es eigentlich immer an einem Haar über dem Abgrund schwebt. Und weil es schwebt, so bildet es sich ein, es sei im Himmel – oder doch nahe dabei. O Verblendung! – In der erlösten Natur ist es gerade umgekehrt: das Ich nährt mit seinem Opfer die Kraft der Liebe und verschwindet allmählich, bis es als ein wüster Komet unter den Horizont hinabsinkt und im ewigen Osten die Sonne der Gnade aufgeht, deren Strahl die Liebe so entzündet, wie er einst das Opfer auf dem Altar Abels entzündete und es angenehm vor Gott machte, weil es Gott geweiht war.

Das Streben nach Wahrheit richtet ebenso große Verwirrung in der unerlösten Natur an, als die Liebe. Man hat keinen festen Ausgang, denn man steht nicht so, daß man in den ewigen Mittelpunkt, in die göttliche Offenbarung, gelassen und demütig, zuversichtlich und beseligt schaute; man steht schief zu ihr, oder seitwärts, oder kehrt ihr gar den Rücken zu. Man sieht den Fokus nicht; man weiß nicht, von wo die Strahlen auslaufen; Licht und Schatten rieseln seltsam durcheinander, phantastische Gebilde erzeugend, an denen man Wohlgefallen hat, weil sie wunderlich und tausenderlei Deutung fähig sind. Es ist unmöglich, auf diesem Wege zur Wahrheit zu kommen; deshalb wird man sehr geistig hochmütig, und überschätzt sich und seine geistigen Gaben, daß es ein Erbarmen ist. In der erlösten Natur ist Wahrheit und Offenbarung eines und dasselbe. In ihrem Licht sieht man klar und scharf, und hat man einen ewigen Maßstab für Erscheinung und Wesen, für Form und Inhalt, für Schale und Kern. Auf ihrem Fundament fußet man sicher, weil er ein Felsen ist, den ebensowenig die Höllenmächte zersplittern, als die Stürme der Zeiten erschüttern, als menschliche Klügelei untergraben, als wechselnde Lehren irdischer Weisheit oder Torheit berühren können. Sie bietet den Punkt dar, den Archimedes begehrte, um den Hebel sicher zu stellen, mit dem er die Welt zu bewegen sich getraute. Ihre Substanz gewährt den tiefsten Geistern, den einfältigsten Gemütern, den wärmsten Herzen, den größten Charakteren ununterbrochen eine heilsame, kräftigende Nahrung, welche die Entwicklung und Ausbildung aller fördert, – ganz unähnlich den Wahrheiten, welche man ohne sie verkündet, und welche, um verstanden zu werden, besondere Fähigkeiten bei den Adepten voraussetzen, so daß man sehr klug, oder sehr beschränkt, oder sehr verkehrt, oder sehr einseitig sein muß, um sie aufzufassen. Die Wahrheit ist nur eine, und da die Menschenseele geschaffen ist, um dieselbe in sich aufzunehmen, so paßt sie für jede Seele, ohne Ausnahme – wie das Tageslicht unabweislich die ganze Erde überflutet. Und will jemand sich dagegen absperren, Türen und Fenster verschließen und verhängen, seine Wohnung mit vielen Lichtern dann erhellen – doch schimmert durch irgend einen Spalt, durch irgend eine kaum wahrnehmbare Ritze golden der Tag hinein, klopft an und spricht: Die Nacht ist vorüber! tue mir auf und laß mich ein!

Sehnsucht nach Liebe und Wahrheit hat jeder, kennt und versteht jeder. Ruhmdurst? – der ist freilich etwas anderes. Dieser Drang zu leben über das irdische Leben hinaus in einer irdischen Unsterblichkeit, der Frucht großer Gedanken, großer Taten, großer Werke – dies Verlangen, hinter dem Nachen des Lebens einen langen, funkelnden Lichtstreif durch das Meer der Zeit ziehen zu sehen – diese Sehnsucht, die Stelle, wo man auf der Erde gestanden hat, mit etwas Unvergänglichem zu bezeichnen, das der fernen Zukunft von uns erzählt – mag von wenigen empfunden, von wenigen begriffen werden. Ich hatte ihn! Nie dachte ich an den Beifall des Augenblicks; immer an eine irdische Unsterblichkeit. Ach, mit welchen vergänglichen Mitteln und Werkzeugen wähnte ich ein ewiges Ziel erreichen zu können – wenn man überhaupt auf irdische Unsterblichkeit das große Wort ewig anwenden darf! – In der erlösten Natur gestaltet es sich anders! die Sehnsucht nach Schauen des ewigen Glanzes, nach Ruhe im ewigen Licht wird umso mächtiger, als man seines überirdischen Zieles, für das man geschaffen ist, sich bewußt wird – das Streben, sich für dasselbe vorzubereiten und sich in harmonische Verbindung mit demselben zu bringen, wird weit tätiger und intensiver, aber an die Erde und ihre kommenden Geschlechter denkt man nicht länger als Verkünder des Ruhmes.

Dies waren also meine Idole, mit denen ich lebte in meiner unterirdischen Höhle. Da kam der Tag, der ihren Untergang sah – fast zur nämlichen Zeit verlor ich sie alle drei. Die Welt wurde urplötzlich so fratzenhaft häßlich, so verzerrt von Konvulsionen des sittlichen oder vielmehr des entsittlichten Lebens, das sich in schauderhafter Blöße schamlos zeigte, in höchster Frechheit hier, in höchster Feigheit dort – daß mir graute vor ihrem Ruhm. Das Suchen und Auffinden von Bruchstücken der Wahrheit, die wie Unkraut neben dem Baum der Offenbarung aufschießen – führt in ein Chaos von Lüge und Verkehrtheit, in welchem jeder zum Empörer gegen göttliches Gesetz und göttliche Ordnung wird: dies sah ich mit Schauder rings um mich her. Und in dieser Zeit, wo alles wankte, alles bedroht wurde, alles fiel, wo nichts Farbe und Stich hielt, wo der natürliche Mensch auf nichts außerhalb der eigenen Brust sich verlassen durfte, als auf die Liebe der Geliebten, als auf ein treues Herz – da verlor ich ein solches Herz! Es sank ins Grab! – – – Und so war ich denn allein in meiner Höhle! die Kerzen erloschen, die Blumen verwelkten! mir war alles gleichgültig – denn die Altäre waren leer. Was sich in meiner Seele vorbereitete und zurechtmachte, läßt sich nicht scharf und bestimmt in Worte fassen, weil ein schwarzer Strom von Traurigkeit dermaßen in Katarakten über sie hinweg donnerte, daß sie betäubt und gleichsam pralysiert in ihren Fähigkeiten war. Sie litt; und doch verhielt sie sich nicht bloß leidend! sie versuchte, wie lange und wie weit sie das passive Leiden würde ertragen können: so sage ich jetzt, um einigermaßen meinen Zustand zu bezeichnen. Denn trotz ihrer Versteinerung und Betäubung blieb sie nicht passiv am Boden liegen, sondern ging und ging vorwärts. Der Erfolg hat es gezeigt; – denn sie kam an.

Der Ausgang meiner Höhle war auf der Spitze eines Berges, und auf dunkeln labyrinthischen Wegen gelangte ich dahin. Nun stand ich oben, in freier Luft, in kräftiger Atmosphäre, unter einem unermeßlichen, strahlenden Sternenhimmel, der sich in einem ebenso unermeßlichen Meere rings um mich her abspiegelte. Da sprach neben mir eine Stimme: »Dies ist die Kirche Christi.« Und ich fiel nieder und betete an. Und die Stimme deutete mir die strahlenden Sternbilder; – da hörte ich Lehren, Mysterien, Worte, wie mein Ohr sie nie zuvor vernommen, wie ich gar keine Ahnung hatte, daß etwas so himmlisch und heilig Liebevolles, so Erhabenes, so die Seele Verklärendes für mich, für uns, für alle – gelehrt und gegeben werden könne. Sie sanken so tief, so überwältigend, so gewichtig in meine Seele hinein, daß sie ihnen für alle Ewigkeit untertan blieb. Und ich, gehorchend meiner Seele, blieb auf meinen Knien liegen und betete an. Und seitdem ist mir wohl. Ich habe in der geoffenbarten Religion Gott gefunden, der ein Gott der höchsten Liebe ist, und an die geoffenbarte Religion glaube ich.

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